Gesundheitsuntersuchungen nach dem Asylverfahrensgesetz
Die zunehmende Zahl an Asylbewerbern stellt neben der Gesellschaft auch den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Der Gesundheitsschutz der bayerischen Bevölkerung und der Asylbewerber hat für die Bayerische Staatsregierung einen hohen Stellenwert. Deshalb wurde zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern ein Vorgehen, bestehend aus einer Gesundheitsuntersuchung auf übertragbare Erkrankungen (nach § 62 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG) sowie der medizinisch kurativen Versorgung, implementiert.
Die bundesrechtlich vorgeschriebene Gesundheitsuntersuchung nach § 62 AsylVfG durch den ÖGD muss in Bayern innerhalb von drei Tagen nach Registrierung in einer Erstaufnahmeeinrichtung erfolgen. Der Umfang der Untersuchung umfasst:
» eine körperliche Untersuchung zum allgemeinen Gesundheitszustand und auf Anzeichen einer übertragbaren Krankheit,
» eine Untersuchung zum Ausschluss einer Tuberkulose der Atmungsorgane (Röntgenbild oder gegebenenfalls Interferon-gamma release assay – IGRA),
» eine serologische Untersuchung auf das Vorliegen einer HIV- oder Hepatitis-B-Infektion und
» Stuhluntersuchungen auf Bakterien der TPER-Gruppe (bakterielle Typhus-, Paratyphus-, Enteritis- und Ruhrerreger) sowie risikobasiert nach Herkunftsregion auf Darmparasiten.
Im ersten Halbjahr 2015 wurden 27.862 Blut- und 30.124 Stuhlproben von Asylbewerbern in Bayern am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) untersucht.
Unbegleitete Minderjährige, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, werden durch das örtlich zuständige Jugendamt in Obhut genommen. Wie bei erwachsenen Asylbewerbern wird eine Gesundheitsuntersuchung entsprechend § 62 AsylVfG veranlasst. Ab Vollendung des 15. Lebensjahres werden dabei serologische Untersuchungen auf das Vorliegen einer HIV- bzw. Hepatitis-B-Infektion durchgeführt. Bei der Untersuchung zum Ausschluss einer Tuberkulose der Atmungsorgane wird bei Minderjährigen oder bei Schwangeren die Röntgenuntersuchung durch ein geeignetes Verfahren ersetzt.
Das Ergebnis der Untersuchung wird der für die Unterbringung zuständigen Behörde mitgeteilt. Dies erfolgt in Bayern unter Beachtung des Datenschutzes durch das untersuchende Gesundheitsamt an die Unterbringungsverwaltung. Bei positiven Befunden werden vom Gesundheitsamt die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen eingeleitet. Die Asylbewerber werden über auffällige Befunde informiert und erhalten Gelegenheit zur Einsichtnahme in die Befunde bzw. können eine Kopie des Befundes erhalten.
Die Gesundheitsuntersuchungen können auch durch Beleihungen oder Kooperationen des Gesundheitsamtes mit Dritten, zum Beispiel durch niedergelassene Ärzte sichergestellt werden. Interessierte Ärztinnen und Ärzte können sich gerne an das zuständige Landratsamt oder die jeweilige Bezirksregierung wenden.
Die individuelle, kurative ärztliche Betreuung und Therapie der Asylbewerber wird durch niedergelassene Ärzte sowie Kliniken gewährleistet. Die notwendige ärztliche und zahnärztliche Behandlung bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie Impfungen werden nach Asylbewerberleistungsgesetz (§ 4 AsylbLG) gewährt. Nach § 6 Abs. 1 AsylbLG können andere Behandlungen übernommen werden, wenn diese zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Insbesondere für Fragen der Sicherstellung und Vergütung ist das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) zuständig und verantwortlich.
Die anfallenden Kosten für die oben genannten Untersuchungen trägt der jeweils zuständige Sozialhilfeträger.
Aufgrund der räumlichen Enge in Asylbewerbereinrichtungen kommt es immer wieder zu Erkrankungsfällen an Skabies (Krätze). Wiederholt haben sich auch Erkrankungen und Ausbrüche von Windpocken und Masern ereignet. Das frühe Erkennen von Infektionskrankheiten und die Isolierung erkrankter Personen durch den ÖGD ist dabei ein wichtiges Mittel, um Ausbrüche zu begrenzen oder sogar zu verhindern. Schutzimpfungen gehören zu den wirksamsten und sichersten Maßnahmen der Prävention.
Alle Ärztinnen und Ärzte werden gebeten, bei jeglichem Patientenkontakt mit Asylbewerbern ein Augenmerk auf das Schließen von Impflücken nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO), insbesondere gegen Masern und Windpocken, zu richten.
Daten und Fakten zur Gesundheitsuntersuchung
Untersuchung zum Ausschluss einer Tuberkulose
Die Tuberkulose gehört weltweit mit jährlich etwa neun Millionen Neuerkrankungen und 1,5 Millionen Todesfällen zu den häufigsten meldepflichtigen Infektionserkrankungen bzw. Todesursachen (Therapieerfolg bei ca. 86 Prozent) [1, 2]. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind ca. 85 Prozent der Tuberkulose-Neuerkrankungen in Asien (56 Prozent) und Afrika (29 Prozent) zu verzeichnen. Einige Hauptherkunftsländer (HHL) der Asylbewerber im Jahr 2015 in Bayern [3] gehören zu diesen Kontinenten (Afghanistan, Nigeria, Somalia). Auf Europa entfallen vier Prozent aller Tuberkulose-Neuerkrankungen, wobei hier insbesondere osteuropäische Staaten (HHL 2015: Ukraine) betroffen sind. In Bayern wie im übrigen Deutschland lag die Inzidenz 2014 bei 5,51 bzw. 5,56 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Im ersten Halbjahr 2015 wurden für Bayern bisher nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) insgesamt 451 Tuberkulosefälle von den Gesundheitsämtern an die IfSG-Meldestelle des LGL übermittelt (Datenstand: 30. Juni 2015), davon 123 Fälle von Asylbewerbern (1. Halbjahr 2014: Gesamtzahl 331, davon Asylbewerber 66). 103 der asylbezogenen Tuberkulosefälle betrafen dabei Männer im Alter von 15 bis 39 Jahren. Wenn eine Tuberkulose festgestellt wird, wird der Asylbewerber darüber vom Gesundheitsamt aufgeklärt und eine Behandlung eingeleitet. Bei einer ansteckungsfähigen offenen Tuberkulose erfolgt diese in der Regel stationär.
Serologische Untersuchung von Asylbewerbern zum Ausschluss einer Infektion mit HIV und Hepatitis B-Virus
Die Hepatitis B ist eine der häufigsten Infektionskrankheiten. Weltweit lassen sich drei Regionen mit unterschiedlicher Prävalenz chronischer Hepatitis-B-Infektionen unterscheiden: Gebiete mit hoher (> acht Prozent), mittlerer (zwei bis acht Prozent) und niedriger (< zwei Prozent) Prävalenz. Deutschland gehört mit einer HBsAg-Prävalenz von weniger als einem Prozent in der Allgemeinbevölkerung zu den Niedrig-Prävalenzregionen [4]. Die Hauptherkunftsländer 2015 von Asylbewerbern in Bayern zählen zu Regionen mittlerer (Syrien, Afghanistan, Ukraine, Serbien, Irak, Bosnien-Herzegowina) und hoher Prävalenz (Eritrea, Nigeria, Somalia, Senegal). Im ersten Halbjahr 2015 wurde im Rahmen der serologischen Untersuchung von Asylbewerbern, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, in vier Prozent der getesteten Proben HBsAg nachgewiesen. Dieser prozentuale Anteil liegt über die Jahre hinweg konstant in einem Bereich von drei bis fünf Prozent (2013: 4,99 Prozent, 2014: 3,72 Prozent). Nach Schätzungen der WHO lebten Ende 2012 etwa 35,3 Millionen Menschen weltweit mit einer HIV-Infektion oder AIDS. Die Zahl der HIV-Neuinfektionen wurde im Jahr 2012 auf 2,3 Millionen Menschen geschätzt [5]. Mehr als 95 Prozent aller HIV-Infizierten leben in Entwicklungsländern, 69 Prozent in Sub-Sahara Afrika. Die HIV-Prävalenz in der bayerischen bzw. deutschen Bevölkerung liegt in den vergangenen Jahren relativ konstant bei etwa 0,1 Prozent. 0,76 Prozent der im Rahmen von § 62 AsylVfG untersuchten Suchtests auf HIV von Asylbewerbern, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, waren im ersten Halbjahr 2015 reaktiv, bei 0,6 Prozent der Asylbewerber konnte eine HIV-Infektion neudiagnostiziert werden. Der prozentuale Anteil reaktiver HIV-Suchtests zeigt sich über die Jahre hinweg unverändert im Bereich von 0,75 bis ein Prozent (2013: 0,84 Prozent, 2014: 0,76 Prozent). Der Befund eines HBsAg-Trägerstatus und das Ergebnis der serologischen Untersuchung auf das Vorliegen einer HIV-Infektion wird dem Asylbewerber durch das Gesundheitsamt zusammen mit einer Aufklärung über Übertragungswege und Behandlungsoptionen mitgeteilt. Häufig bleiben HBV- und HIV-Infektionen wegen inadäquater Gesundheitsversorgungsstrukturen in den Herkunftsländern unerkannt und unbehandelt.
Bakteriologische Untersuchung von Stuhlproben von Asylbewerbern
Die Untersuchung auf Erreger der TPER-Gruppe, also auf Salmonella spp. und Shigella spp. erfolgt kulturell unter Einbeziehung von Anreicherungsverfahren für Salmonella spp. Der Anteil Salmonella-positiver-Stuhlproben bei Asylbewerbern liegt über die vergangenen Jahre deutlich unter einem Prozent (2013: 0,2 Prozent, 2014: 0,1 Prozent), der Anteil typhöser (2013: 0,04 Prozent, 2014: 0,01 Prozent, erstes Halbjahr 2015: 0,003 Prozent) dabei nochmals deutlich unter dem Anteil enteritischer Salmonellen (2013: 0,1 Prozent, 2014: 0,1 Prozent, erstes Halbjahr 2015: 0,1 Prozent). Der Nachweis Shigella-positiver-Stuhlproben ist selten (2013: 0,03 Prozent, 2014: 0,01 Prozent, erstes Halbjahr 2015: 0,01 Prozent). Die äußerst niedrigen Inzidenzen von Salmonella spp. und Shigella spp. zeigen, dass Asylbewerber als Keimträger und Reservoir kaum eine Rolle spielen und somit keine relevante Gefahr für die deutsche Bevölkerung darstellen.
Parasitologische Untersuchung von Stuhlproben von Asylbewerbern
Im ersten Halbjahr 2015 wurde bei 3,5 Prozent der untersuchten Stuhlproben von Asylbewerbern/unbegleiteten Minderjährigen eine behandlungsbedürftige Parasitose nachgewiesen. Da-runter waren am häufigsten Giardia lamblia, der Zwergbandwurm (Hymenolepis nana), der Hakenwurm (Ancylostoma duodenale) und die Darm-Bilharziose (Schistosoma mansoni) (siehe Tabelle).
Im Rahmen der Gesundheitsuntersuchungen von Asylbewerbern nach § 62 AsylVfG in Bayern nachgewiesene Infektionen im Stuhl im ersten Halbjahr 2015.
Links zu Merkblättern des LGL
Zu Skabies:
» www.lgl.bayern.de/downloads/gesundheit/hygiene/doc/merkblatt_kraetze_gemeinschaftsunterkuenfte.pdf
Zum Infektionsschutz für ehrenamtliche Asylhelfer/-innen:
» www.lgl.bayern.de/downloads/gesundheit/infektionsschutz/doc/merkblatt_asylhelfer_infektionsgefaehrdungen.pdf
Zusammenfassung
Asylbewerber werden durch die Gesundheitsämter nach § 62 AsylVfG auf übertragbare Krankheiten untersucht. Wie bisherige infektionsepidemiologische Erkenntnisse sowie Erfahrungen aus der Praxis zeigen auch diese Untersuchungen in Bayern, dass insgesamt nur ein geringes Infektionsrisiko von Asylbewerbern ausgeht. Sollte bei einem Asylbewerber eine übertragbare Erkrankung festgestellt werden, wird er darüber informiert und gegebenenfalls einer Behandlung zugeführt. Der ÖGD veranlasst alle notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen.
Das Literaturverzeichnis kann bei den Verfassern angefordert oder im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.
Autoren:
Professor Dr. Dr. Andreas Sing (Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit), Dr. Wolfgang Hierl (Bayerisches Staats-ministerium für Gesundheit und Pflege)
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