S3-Leitlinie Extrakranielle Karotisstenose. Multidisziplinäre, evidenz- und konsensbasierte deutsch-österreichische Leitlinie
Hintergrund
Stenosen oder Verschlüsse der extrakraniellen Arteria carotis verursachen zehn bis 20 Prozent aller zerebralen Ischämien [1, 36]. Dies bedeutet für Deutschland eine jährliche Anzahl von 20.000 bis 30.000 karotisbedingten ischämischen Schlaganfällen. Typische Symptome einer extrakraniellen Karotisstenose sind: retinale Ischämie, einseitige Paresen und/oder Sensibilitätsstörungen sowie Sprach- oder Sprechstörungen. Schwindel, Doppelbilder, Gedächtnisstörungen und Kopfschmerzen sind untypisch.
Ab dem 65. Lebensjahr steigt die Prävalenz atherosklerotisch bedingter, extrakranieller, über 50-prozentiger Karotisstenosen auf über fünf Prozent an. Männer sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen [10, 11]. Das Risiko für einen ipsilateralen Schlaganfall nimmt in der Mehrzahl der Studien mit dem Stenosegrad zu und beträgt bei unter 50-prozentigen Stenosen weniger als ein Prozent pro Jahr und ein bis fünf Prozent pro Jahr bei über 50-prozentigen Stenosen [41, 42, 43]. Insgesamt scheint jedoch das karotis-assoziierte Schlaganfall-risiko in den vergangenen 20 Jahren etwas abgenommen zu haben, möglicherweise durch eine bessere medikamentöse Primär- und Sekundärprävention der Atherosklerose [12, 13].
Die interdisziplinäre evidenz- und konsensbasierte S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie extrakranieller Karotisstenosen verfolgt das Ziel einer evidenzbasierten, flächendeckenden Versorgung von Patienten mit extrakraniellen Karotisstenosen in Deutschland und Österreich. An der Erstellung der Leitlinie waren 20 medizinische Fachgesellschaften und Organisationen beteiligt. Das Verfahren ist im Leitlinienreport dokumentiert [2]. Es erfolgte eine systematische Literaturrecherche für den Zeitraum vom 1. Januar 1990 bis 6. Dezember 2011. Hierbei fanden sich mehr als 20.000 Zitate, darunter 182 randomisierte kontrollierte Studien („randomized controlled trials“ – RCTs) und 308 systematische Reviews (darunter zwölf Cochrane Reviews). Die systematische Recherche in der Datenbank des Guidelines International Network erbrachte insgesamt 16 aktuelle, hochwertige Leitlinien zur extrakraniellen Karotisstenose und zur Prävention der zerebralen Ischämie [4-9, 37-40].
Wesentliche Inhalte
Empfehlungsgrade
In dieser S3-Leitlinie werden drei Empfehlungsgrade unterschieden, deren unterschiedliche Stärke durch die Formulierung („soll“, „sollte“, „kann“) und Pfeilsymbole ausgedrückt wird. Empfehlungen gegen eine Intervention werden entsprechend sprachlich ausgedrückt („soll nicht“, „sollte nicht“). In der Regel bestimmt die Qualität der Evidenz den Empfehlungsgrad. Für einige Empfehlungen liegen keine vergleichenden Studien vor. Diese wurden aufgrund klinischer Erfahrung im Konsens als sogenannte „good clinical practice“ (GCP) verabschiedet (Tabelle 1).
Tabelle 1: Graduierung der Evidenz- und Empfehlungsstärke. LoE = Level of Evidence, GCP = good clinical practice
Diagnostik der Karotisstenose (Tabelle 2)
Die wichtigsten apparativen Untersuchungsmethoden stellen die Doppler- und die farbkodierte Duplex-Sonografie unter Anwendung der aktuellen Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) dar (↑↑, Abbildung 1). Die Auskultation ist ungeeignet (↓). Nach internationaler Übereinkunft soll nur noch der sogenannte distale Stenosegrad (entsprechend der Kriterien der „North American Symptomatic Carotid End-arterectomy Trial“ - NASCET) zur Stenosequantifizierung angewendet werden (GCP) [14].
Abbildung 1: Farbkodierte Duplex-Sonografie der Karotisbifurkation. Position der Ultraschallsonde rechte Halsseite (a), Nachweis einer hochgradigen Stenose der Arteria carotis interna (b).
Ergänzend kommen die kontrastmittelverstärkte Magnetresonanzangiografie (CE-MRA) und die computertomografische Angiografie (CTA) zum Einsatz (GCP). Eine diagnostische, selektive Angiografie (DSA) ist heute nur noch in Ausnahmefällen indiziert (GCP).
Tabelle 2: Wichtige Empfehlungen zur Symptomatik und Diagnostik von Karotisstenosen.
Vor einer geplanten Revaskularisation soll bei symptomatischen Patienten eine geeignete zerebrale Bildgebung mittels Schädel-CT oder -MRT erfolgen. Bei asymptomatischen Patienten kann eine derartige Bildgebung wichtige Zusatzinformationen, wie zum Beispiel den Nachweis eines klinisch stummen Hirninfarkts liefern (GCP). Bei allen Patienten mit atherosklerotischer Karotis-stenose sollten vaskuläre Risikofaktoren und weitere Folgeerkrankungen der Atherosklerose (Koronare Herzkrankheit – KHK, periphere arterielle Verschlusskrankheit – PAVK) erfasst werden (GCP).
Tabelle 3: Stenosegraduierung der ACI. Anmerkungen zu den Kriterien 1 bis 10: Stenosegrad nach NASCET [%]: die Zahlenangaben betreffen jeweils einen Zehn-Prozent-Bereich (± 5 Prozent). ad 2: Nachweis der geringgradigen Stenose (lokales Aliasing) in Abgrenzung zur nicht stenosierenden Plaque, Darstellung der Strömungsrichtung bei mittel- und hochgradigen Stenosen sowie Nachweis des Gefäßverschlusses; ad 3: Kriterien gelten für Stenosen mit einer Länge von 1 bis 2 cm und nur eingeschränkt bei Mehrgefäßprozessen; ad 4: Messung weit distal, außerhalb der Zone mit Jetstrom und Strömungsstörungen; ad 5: Eventuell ist nur eine der Kollateralverbindungen betroffen: wenn allein extrakraniell untersucht wird, ist die Wertigkeit der Befunde geringer; ad 9: Konfetti-Zeichen ist nur erkennbar bei niedrig eingestellter Pulsrepetitionsfrequenz (PRF); Abkürzungen: ACA – A. cerebri anterior, ACC – A. carotis communis, ACI – A. carotis interna. Quelle: Arning C et al. „Ultraschallkriterien zur Graduierung von Stenosen der A. carotis interna – Revision der DEGUM-Kriterien und Transfer in NASCET-Stenosierungsgrade“, Ultraschall in Med 2010; 31(3): 251-257
Ein generelles Screening auf das Vorliegen einer Karotisstenose wird nicht empfohlen (↓↓), allerdings ist dies beim Vorliegen vaskulärer Risikofaktoren sinnvoll, insbesondere dann, wenn die Diagnose einer extrakraniellen Karotisstenose eine therapeutische Konsequenz nach sich zieht (GCP), wie es zum Beispiel bei einem klinisch gesunden Patienten mit einer altersentsprechenden Lebenserwartung und einer nachgewiesenen über 80-prozentigen Karotisstenose der Fall sein könnte. Patienten mit bekannter Karotisstenose sollten in sechs- bis zwölfmonatigen Abständen nachuntersucht werden (GCP).
Therapie der Karotisstenose (Tabelle 4)
Prinzipiell stehen die alleinige konservative Therapie sowie als revaskularisierende Verfahren die Karotis-Thrombendarteriektomie (CEA) und das Karotis-Stenting (CAS) – jeweils in Kombination mit einer begleitenden medikamentös-konservativen Therapie – zur Verfügung. Konservative Therapie der asymptomatischen und symptomatischen Karotisstenose. In die Studien zur CEA bei asymptomatischer Karotisstenose wurden nur Patienten mit einer über 60-prozentigen Stenose aufgenommen. Da sich ein signifikanter Vorteil der CEA erst nach ca. fünf Jahren ergab, wird davon ausgegangen, dass Patienten mit einer über 60-prozentigen asymptomatischen Stenose mehr von einer konservativen Therapie (GCP) und asymptomatische Patienten mit einem sehr hohen kardiovaskulären Risiko überhaupt nicht von einer Revaskularisation profitieren (GCP).
Männer und Frauen mit extrakranieller Karotisstenose sind als vaskuläre Risikopatienten anzusehen, bei denen eine konsequente Optimierung des Risikoprofils anzustreben ist. Hierzu gehört die Modifikation des Lebensstils, wie zum Beispiel Nikotinverzicht, Normalisierung des Körpergewichtes und ausreichend körperliche Aktivität sowie medikamentöse Maßnahmen zur Behandlung einer arteriellen Hypertonie, von Lipidstoffwechselstörungen und des Diabetes mellitus. Der Nutzen einer Prophylaxe mit Thrombozytenfunktionshemmern ist bei asymptomatischen Stenosen nicht gesichert, so wird bei Männern zwar das Herzinfarkt-, aber nicht das Schlaganfallrisiko reduziert. Eine orale Antikoagulation von Patienten mit atherosklerotisch bedingter Karotisstenose bringt keinen Vorteil gegenüber einer ASS-Therapie. Die mittel- und langfristige Sekundärprävention entspricht der primären und sekundären Schlaganfallprophylaxe, vor allem in Bezug auf die Modifikation der Risikofaktoren [5, 8, 40].
Operative und endovaskuläre Therapie
Die Indikation zur invasiven Behandlung einer asymptomatischen oder symptomatischen Karotisstenose soll interdisziplinär unter Einbeziehung eines in der Diagnostik und Behandlung von Karotisstenosen erfahrenen Neurologen gestellt werden (GCP). Die prozeduralen Komplikationsraten sollen durch einen Neurologen kontrolliert werden (GCP). Dies kann zum Beispiel durch die prä- und postoperative Erhebung des klinisch-neurologischen Status erfolgen.
Asymptomatische Karotisstenose
In großen RCTs konnte für die CEA über 60-prozentiger asymptomatischer Karotisstenosen ein schlaganfall-präventiver Effekt nachgewiesen werden, sofern die perioperative Komplikationsrate unter drei Prozent liegt [15, 44, 45]. Das Fünf-Jahres-Schlaganfallrisiko betrug im operativen Arm dieser Studien fünf bis sechs Prozent, im konservativen Arm ca. elf Prozent. Dies entspricht einer absoluten Risikoreduktion von fünf bis sechs Prozent in fünf Jahren bzw. einer „number needed to treat“ (NNT) von 17 bis 20 CEAs, um einen Schlaganfall in fünf Jahren zu verhindern. Die CEA soll daher beim Vorliegen einer 60- bis 99-prozentigen Stenose erwogen werden (↑↑). Die Restlebenserwartung sollte mehr als fünf Jahre betragen (↑) und die Komplikationsrate der CEA soll unter drei Prozent liegen (↑↑). Männer profitieren dabei mehr von einer operativen Therapie als Frauen.
Da sich seit der Durchführung dieser Studien die medikamentösen Interventionsmöglichkeiten der Atherosklerose deutlich verbessert haben, erscheint die Übertragbarkeit der bisherigen Studiendaten in die heutige Zeit jedoch fraglich [16]. So konnte in einer kanadischen Studie das Karotis-assoziierte Schlaganfallrisiko durch eine intensivierte medikamentöse Therapie, Nikotinverzicht, mediterrane Kost und sportliche Aktivitäten von ca. drei Prozent auf ein Prozent pro Jahr gesenkt werden [17]. Die konservative Begleittherapie im Rahmen einer CEA beinhaltet die Gabe von ASS sowie die medikamentöse und nicht-medikamentöse Optimierung der atherosklerotischen Risikofaktoren (↑↑).
Eine endovaskuläre Therapie (CAS) kann bei schwierigen chirurgischen Bedingungen oder einem erhöhten OP-Risiko alternativ erwogen werden, wenn eine Komplikationsrate von unter drei Prozent nachweislich eingehalten wird (↔). Die Anzahl von RCTs zum Vergleich von CAS und CEA bei höhergradigen symptomatischen Stenosen ist insgesamt zu niedrig, um definitive Schlüsse ziehen zu können. Aufgrund dieser Unsicherheit und der verbesserten konservativen Therapieoptionen wird empfohlen, Patienten mit einer höhergradigen asymptomatischen Karotisstenose in laufende randomisierte kontrollierte Studien (zum Beispiel „Asymptomatic Carotid Surgery Trial-2“ – ACST-2 [19], „European Carotid Surgery Trial-2“ – ECST-2 [18]) einzubringen (GCP).
Abbildung 2: 76-jähriger Mann mit Infarkt der Arteria cerebri media rechts (a) bei hochgradiger Karotisstenose rechts (Katheterangiografie, b) Karotis-TEA nach 14 Tagen. Intraoperativer Nachweis einer hochgradigen atherosklerotischen Stenose mit frischen Thrombusauflagerungen (c). Intraoperative Angiografie zur Kontrolle der Strombahn nach Eversions-TEA (d).
Symptomatische Karotisstenose
Eine Karotisstenose wird immer dann als symptomatisch klassifiziert, wenn innerhalb der vergangenen sechs Monate ihr zuschreibbare Symptome (Amaurosis fugax, transitorische ischämische Attacke – TIA, ipsilateraler Schlaganfall) aufgetreten sind. Für die sekundärpräventive Behandlung symptomatischer 50- bis 99-prozentigen Karotisstenosen wird für die CEA eine starke Empfehlung mit hohem Evidenzlevel gegeben (↑↑) [20-23]. Die in den 1990er-Jahren durchgeführten RCTs zum Vergleich der CEA mit der konservativen Therapie haben gezeigt, dass die CEA 70- bis 99-prozentiger symptomatischer Karotisstenosen (Amaurosis fugax, TIA, nicht-invalidisierender Schlaganfall) zu einer absoluten Schlaganfallrisikoreduktion um 16 Prozent nach fünf Jahren führten. Dies entspricht einer NNT von 6. Auch bei 50- bis 69-prozentigen Stenosen zeigte sich ein Vorteil der OP gegenüber der konservativen Behandlung mit einer absoluten Risikoreduktion von 4,6 Prozent (NNT 22). Bei unter 50-prozentigen Stenosen erbrachte die CEA keinen Vorteil. Der prophylaktische Effekt der CEA ist dauerhaft, da das Risiko eines postoperativen ipsilateralen Schlaganfalls unter einem Prozent pro Jahr liegt [22, 23]. Die perioperative Komplikationsrate darf sechs Prozent nicht überschreiten.
Abbildung 3: Karotis-TEA in Lokalanästhesie rechts fünf Tage nach Amaurosis fugax. Intraoperativer Nachweis eines stark verkalkten atherosklerotischen Karotisplaques (a). Intraoperative Kontroll-Angiografie zum Nachweis einer fehlerfreien Karotis-Rekonstruktion (b). Zwei Stunden postoperativ, wache Patientin
mit einliegender Drainage rechte Halsseite (c).
Tabelle 4: Wichtige Empfehlungen zur Therapie asymptomatischer und zur symptomatischer Karotisstenosen.
Zur Vermeidung früher Schlaganfall-Rezidive soll die CEA so früh wie möglich nach dem neurologischen Indikatorereignis durchgeführt werden (↑↑, Abbildung 2 und 3). Hierdurch kann das Fünf-Jahres-Schlaganfallrisiko um mehr als 20 Prozent gesenkt werden. Männer, unter 70-jährige Patienten, Patienten mit ulzerierten Karotisplaques, insuffizientem Kollateralkreislauf und rezidivierenden Symptomen profitieren ebenfalls besonders von der CEA (↑↑). Alle Patienten sollen perioperativ ASS erhalten (↑↑) [24].
CAS kann bei symptomatischen Patienten in Zentren mit dokumentierter, kombinierter Schlaganfallrate und Letalität von unter sechs Prozent als eine Alternative zur CEA erwogen werden (↔). Dies gilt insbesondere für chirurgische Hochrisikopatienten (↑). CAS wird darüber hinaus für bestimmte Subgruppen empfohlen (GCP): Patienten mit Stenosen an chirurgisch nicht erreichbarer Stelle, Re-Stenosen nach CEA (Abbildung 4), radiogenen Stenosen, Tandemstenosen mit höhergradiger intrakranieller oder intrathorakaler Stenose und bei kontralateraler Parese des Nervus laryngeus recurrens. Bei der Entscheidung über die Behandlungsmodalität sind patienten-spezifische Faktoren wie Alter und anatomische Gegebenheiten sowie die Präferenzen des Patienten zu berücksichtigen (GCP). Weitere wichtige Empfehlungen zu technischen Aspekten der CEA und von CAS finden sich in der Langversion der S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extrakraniellen Karotisstenose [3, 25, 46, 47, 48].
Versorgungskoordination und strukturelle Qualitätsindikatoren
Eine ambulante Revaskularisation (CEA oder CAS) wird aus Gründen der Patientensicherheit abgelehnt (GCP). Es wird empfohlen, die CEA prinzipiell durch einen Facharzt für Gefäßchirurgie durchführen zu lassen (↑↑), außerdem sollte in der jeweiligen Institution mindestens ein Gefäßchirurg mit einer jährlichen Fallzahl von mehr als zehn CEA tätig sein. Eine „Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit“ (apparative Diagnostik, endovaskuläre Interventionsmöglichkeiten) und Überwachungsmöglichkeit wird gefordert (GCP) [34]. Registerstudien zur CEA – in geringerer Anzahl auch zu CAS – konnten zeigen, dass in Krankenhäusern mit höherer Fallzahl die periprozedurale Komplikationsraten niedriger sind (↑).
CAS sollte durch einen klinisch und endovaskulär qualifizierten Arzt erfolgen, der zuvor mehr als 100 selektive diagnostische Katheterangiografien der hirnversorgenden Gefäße und über 25 supraaortale Interventionen selbstständig durchgeführt hat. Außerdem sollte in der jeweiligen Institution mindestens ein endovaskulär tätiger Arzt mit einer jährlichen Fallzahl von mehr als zehn CAS tätig sein. Eine 24-Stunden-Verfügbarkeit von kranieller CT/MRT, eines neuro-interventionellen Dienstes und eines neurologisch-gefäßmedizinischen Dienstes sowie die Überwachungsmöglichkeit von Risikopatienten sind obligat (GCP).
Tabelle 5: Endpunkte in 13 randomisierten Studien zum Vergleich CAS versus CEA (modifiziert nach Economopoulos 2011, [26]). # = Anzahl der Patienten und Studien, für die der jeweilige Endpunkt angegeben wurde.
Bewertung
Alle Empfehlungen dieser S3-Leitlinie wurden von allen beteiligten Fachgesellschaften mit mindestens 75 Prozent Ja-Stimmen (schwacher Konsens), die meisten Empfehlungen sogar mit starkem Konsens (über 95 Prozent Ja-Stimmen) verabschiedet. Dieses Dokument stellt somit eine breit akzeptierte Basis für die Behandlung von extrakraniellen Karotisstenosen dar.
Zum kontrovers diskutierten Vergleich des Karotis-Stenting mit der CEA liegen mehrere Metaanalysen der insgesamt 13 RCTs vor [26, 27]. In einer rezenten Metaanalyse betrug die Häufigkeit eines periprozeduralen Schlaganfalls oder Tod nach CEA 4,4 Prozent, nach CAS 6,7 Prozent (Tabelle 5). Dieser statistisch signifikante Unterschied wurde hauptsächlich durch ein erhöhtes Schlaganfallrisiko beim Karotis-Stenting verursacht [26]. Da die bisherigen RCTs überwiegend Patienten mit symptomatischen Stenosen eingeschlossen haben, ist die Datenlage für asymptomatische Stenosen derzeit völlig unzureichend. Die oben genannte Metaanalyse zeigte auch, dass die CEA mit einer etwas höheren (gelegentlich klinisch stummen) Myokardischämie von 1,7 Prozent versus 0,8 Prozent nach CAS assoziiert ist. Zusätzlich kommt es häufiger zu zumeist passageren Hirnnervenläsionen (Tabelle 5). Aufgrund der niedrigeren Rate an prozedural bedingten Schlaganfällen ist das Gesamtrisiko für einen Schlaganfall auch im mittelfristigen Verlauf (2,7 Jahre) bei der CEA geringer als nach CAS (Tabelle 5). Nach erfolgreicher Intervention (CEA oder CAS) zeigen die vorliegenden Studien keine Unterschiede in der ipsilateralen Schlaganfallrate im Follow-up [2, 3, 5, 28-34].
Das Lebensalter war in allen RCTs ein wichtiger Faktor hinsichtlich des Risikos eines periprozeduralen Schlaganfalls. Hierbei war die operative Therapie mit einem signifikant niedrigeren Risiko bei über 68-jährigen Patienten assoziiert, wohingegen unter 68-jährige Patienten überraschenderweise eine statistisch allerdings nicht signifikant niedrigere Komplikationsrate nach CAS aufwiesen.
Die Analyse der Originaldaten der drei europäischen RCTs zum Vergleich der CEA mit CAS bei symptomatischen Karotisstenosen zeigte außerdem, dass CAS in den ersten Wochen nach einer zerebralen Ischämie mit einem mehr als doppelt so hohen Risiko assoziiert ist wie die CEA [49].
In der nordamerikanischen CREST-Studie („carotid revascularization endarterectomy versus stenting trial“) wurde zudem die Lebensqualität der Patienten nach CEA und CAS untersucht. Hierbei zeigte sich, dass nach vier Wochen CAS-behandelte Patienten weniger Schmerzen und Schluckbeschwerden und CEA-Patienten seltener Gehbeschwerden angaben. Diese Unterschiede waren nach zwölf Monaten nicht mehr nachweisbar. Prozedural bedingte Schlaganfälle führten zu einer anhaltenden signifikant schlechteren Lebensqualität, nicht aber prozedural aufgetretene Myokardinfarkte oder Hirnnervenläsionen.
Die Empfehlungen dieser S3-Leitlinie orientieren sich an der aktuellen Leitlinie der „European Society for Cardiology“ (ESC), in welcher CAS ebenfalls nur bei hohem OP-Risiko als Alternative zur CEA erachtet wird. Außerdem kann CAS bei symptomatischen Patienten in „High Volume“-Zentren als eine Alternative zur CEA erwogen werden, wenn die Komplikationsrate unter sechs Prozent liegt [10]. Im Vergleich hierzu bewertet die Leitlinie der „American Heart Association“ (AHA) aus dem Jahr 2011 das Karotis-Stenting über 70-prozentiger symptomatischer Stenosen als Alternative zur CEA, sofern CAS mit einem dem CEA vergleichbaren Komplikationsrisiko möglich ist. Diese AHA-Empfehlung orientiert sich in erster Linie an den Ergebnissen der nordamerikanischen CREST-Studie, die drei großen europäischen RCTs wurden hierbei kaum berücksichtigt [35].
Die Leitliniengruppe hat zusammenfassend konsentiert, dass sich CAS technisch rasch weiter entwickelt aber die hohen Standards der chirurgischen Behandlung noch nicht erreicht hat. Die RCTs zeigten eine höhere Rate periprozeduraler Schlaganfälle nach CAS und eine höhere perioperative Rate myokardialer Ischämien sowie überwiegend passagerer Hirnnervenläsionen nach der CEA. Die Altersabhängigkeit der CAS-Komplikationsrate deutet darauf hin, dass eine fortgeschrittene Atherosklerose zum Beispiel im Bereich des Aortenbogens und der proximalen Arteria carotis communis ein Risikofaktor für die endovaskuläre Therapie ist. Nach erfolgter Intervention zeigten die RCTs aber keine signifikanten sekundärpräventiven Unterschiede zwischen CEA und CAS [2, 3, 5, 33, 34]. Zukünftig sind weitere, hochwertige Studien notwendig, um insbesondere für Patienten mit asymptomatischen Karotisstenosen bessere Selektionskriterien für eine individuell optimale konservative, operative oder endovaskuläre Therapie zu entwickeln. Besonders wichtig erscheint hierbei die zuverlässige Erfassung der für eine zerebrale Ischämie prädiktiven Plaquemorphologie durch moderne bildgebende Verfahren (MRT, Positronen-Emissions-Tomografie (PET)-CT, Duplex-Sonografie). Prinzipiell wird empfohlen, Patienten mit asymptomatischer Karotisstenose in vergleichende Studien einzubringen. In Europa werden derzeit zwei RCTs durchgeführt: die ACST-2-Studie (CEA versus CAS bei asymptomatischer Karotisstenose) und die ECST-2-Studie (konservativ Therapie versus CEA oder CAS bei Patienten mit asymptomatischen und symptomatischen Karotisstenosen). Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte deutsche SPACE-2-Studie (konservative Therapie versus CEA und konservative Therapie versus CAS) musste leider aufgrund einer zu langsamen Patientenrekrutierung kürzlich geschlossen werden [50, 51].
Abbildung 4: Rezidivstenose Arteria carotis interna links bei Zustand nach Karotis-TEA vor drei Jahren; Patchplastik; Kreis markiert Stenose (a). Therapie mittels Karotis-Stenting; Pfeil zeigt auf den Stent (b).
Zusammenfassung
Atherosklerotische Läsionen der extrakraniellen Arteria carotis verursachen zehn bis 20 Prozent aller zerebralen Ischämien. Die Prävalenz extrakranieller Karotisstenosen steigt ab dem 65. Lebensjahr auf über fünf Prozent an, Männer sind doppelt so häufig betroffen. Die wichtigste Untersuchungsmethode stellen die Doppler- und die farbkodierte Duplex-Sonografie dar. Randomisierte Studien belegen, dass durch die Karotis-Thrombendarteriektomie (CEA) einer hochgradigen asymptomatischen Karotisstenose das Fünf-Jahres-Schlaganfallrisiko von elf Prozent auf fünf Prozent gesenkt werden kann. Eine intensive konservative Therapie könnte das Schlaganfallrisiko weiter senken.
Beim Vorliegen einer höher- oder mittelgradigen symptomatischen Karotisstenose wird durch die CEA das Fünf-Jahres-Schlaganfallrisiko hochsignifikant gesenkt. Metaanalysen der 13 vorliegenden RCTs zum Vergleich von CAS und CEA zeigen, dass CAS mit einer um 2 bis 2,5 Prozentpunkte höheren periprozeduralen Schlaganfall- und Todesfallrate und einer um 0,5 bis 1 Prozentpunkte niedrigeren periprozeduralen Rate an Myokardinfarkten assoziiert ist.
In der vorliegenden S3-Leitlinie wird die CEA als Standardverfahren für hochgradige asymptomatische sowie mittel- und hochgradige symptomatische Karotisstenosen empfohlen. CAS kann als eine Alternative zur CEA erwogen werden, wenn das behandelnde Zentrum zur CEA analoge Qualitätskriterien mit einer Komplikationsrate von unter drei Prozent (asymptomatische Stenosen) bzw. weniger als sechs Prozent (symptomatische Stenosen) einhält. Die Leitliniengruppe hat es sehr begrüßt, dass zum 1. Januar 2012 auch für CAS eine verpflichtende Qualitätssicherung eingeführt worden ist, die für die CEA bereits seit 2003 besteht. Eine Aktualisierung dieser Leitlinie ist für Ende 2015 vorgesehen.
Das Literaturverzeichnis kann bei den Verfassern angefordert oder im Internet unter www.blaek.de (Ärzteblatt/Literaturhinweise) abgerufen werden.
Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.
Universitätsprofessor Dr. Hans-Henning Eckstein
Privatdozent Dr. Alexander Zimmermann
Dr. rer. nat. Heidi Söllner
Privatdozent Dr. Andreas Kühnl
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