500 Tage in Peru

Das Hospital „Diospi Suyana“ in Curahuasi auf 2.700 m Höhe in den Anden von Peru.

Geflohen

Farye S. konnte sich gerade noch rechtzeitig in das Hospital retten. Nachdem ihr Mann ihr mit einer Axt den Schädel eingeschlagen hatte und sie danach für fast 24 Stunden Zuhause einsperrte, gelang ihr die Flucht. In der Computertomografie fand sich eine Impressionsfraktur frontal, klinisch war Farye S. erstaunlich symptomarm. Schon nach einem Tag hielt es sie jedoch nicht mehr in stationärer Behandlung, zu groß war die Sorge um ihre Kinder zu Hause. Dieses ist nur eine Geschichte von vielen, die wir in den Hochanden von Peru erlebten.

Von Deutschland nach Peru

Seit Frühjahr 2015 befindet sich unsere fünfköpfige Familie in Peru. Nach einer kurzen Zeit in der Sprachschule in Arequipa, im Süden des Landes, zogen wir nach Curahuasi, einem kleinen Ort in den peruanischen Anden, ca. zweieinhalb Stunden von Cusco entfernt. Auf 2.700 Meter Höhe befindet sich das Hospital „Diospi Suyana“, ein der Quechua-Sprache entstammender Ausdruck, der so viel wie „Wir vertrauen auf Gott“ bedeutet. Gegründet wurde es im Jahr 2007 von dem Wiesbadener Ärzteehepaar Klaus und Martina John. Ihre Vision ist, den Quechua-Indianern eine gute und preiswerte medizinische Versorgung zu ermöglichen.


Das Hospital „Diospi Suyana“ in Curahuasi auf 2.700 m Höhe in den Anden von Peru.

Wie die meisten einheimischen Quechua wohnen wir in einem Lehmhaus (Adobehaus). Unser Außenbad besitzt eine Dusche, eher ungewöhnlich für die ländliche Gegend. Die Wasserqualität ist schlecht, Parasiten sind überall verbreitet. Regelmäßig müssen wir uns selber und den Kindern einer medikamentösen Therapie gegen Parasiten unterziehen. Das Wasser muss gefiltert und abgekocht werden, Obst und Gemüse wird desinfiziert. Trotz aller Vorsicht wird man ständig von Episoden von Gastroenteritiden, Fieber, Flöhen und schlecht heilenden Wunden heimgesucht. Da ist der Besuch von Taranteln schon eine eher willkommene Abwechslung.

Ungerechte Ressourcen-Verteilung

Die Situation des Gesundheitswesens in Peru ist sicherlich verbesserungswürdig. Überspitzt gesagt könnte man meinen, dass Peru zweigeteilt ist: In Lima gibt es alles, im Rest des Landes nichts. Zwar gibt es überall in den abgelegenen Ortschaften Gesundheitsstationen, die sogenannten „postas“, aber außer Injektionen mit Schmerzmitteln und Antibiotika kann nicht viel ausgerichtet werden, Ärzte sind in allen strukturschwachen Landesteilen Mangelware (und häufig auch nicht willig, jeden Tag zu arbeiten).


Lange Schlangen bilden sich täglich vor dem Hospital, in Spitzenzeiten bis zu 500 Personen.

Sehr günstige Preise für die Behandlung und freundliches, an den Patienten interessiertes Personal mit christlicher Motivation, führte zu einem überregionalen Bekanntheitsgrad des Hospitals. Mittlerweile kommen die Patienten aus allen Landesteilen nach Curahuasi, in Spitzenzeiten stellen sich bis zu 500 Menschen jeden Tag an. Das ist nur mit einem hochmotivierten Team und viel Improvisationsvermögen zu bewältigen. Jeder ausländische Mitarbeiter arbeitet vollständig ehrenamtlich ohne Bezahlung, die einheimischen Kräfte werden landesentsprechend bezahlt.

Medizinischer Alltag

 
Bei einer Pleurapunktion.

Neben den allgegenwärtigen Helminthosen und ihren Erscheinungsformen finden sich im medizinischen Alltag häufig die Vollbilder von Erkrankungen. Als Beispiel sei das nephrotische Syndrom genannt. Patienten präsentieren sich mit Anasarka, ausgeprägter Proteinurie und exzessiven Cholesterin- und Triglyceridwerten, sowie stark erhöhter Kreatinin-Werte. Auch Patienten mit der Erstdiagnose Diabetes mellitus zeigen beispielsweise nicht selten Blutzuckerwerte von 800 mg/dl und einen HbA1c-Wert von 18 Prozent. Eine stationäre Behandlung wird häufig nicht gewünscht, da diese mit weiteren Kosten verbunden ist. Insulin ist fast nur in der Hauptstadt und in einigen der größeren Zentren zu bekommen. Durch Medikamentenspenden sind wir bei Diospi Suyana in der Lage, Insulin-Pens in begrenztem Ausmaß auszugeben.

Sehr häufig anzutreffen sind Hydatiden von Echinokokkus in Leber und Lunge, aber nicht selten auch in anderen Organen. Gelegentlich demaskiert sich sogar eine vermeintliche Baker-Zyste als Echinokokken-Absiedlung.


Eine Quechua-Indianerin mit einem exulzerierenden Tumor der linken Wange, wahrscheinlich ein Basalzell-Karzinom.

Bei jungen Menschen mit Erstmanifestation von Krampfanfällen wird hier in erster Linie an die Neurozystizerkose gedacht, die Behandlung ist mit zum Beispiel Praziquantel vergleichsweise einfach und effektiv. COPD und Pneumokoniosen sind weit verbreitet, erstere weniger als Konsequenz des Rauchens, sondern des lebenslangen Kochens über offenem Feuer; letztere durch Arbeit im (inoffiziellen) Bergbau mit hoher Staubbelastung und rudimentärem Atemschutz. Patienten aus dem Gebiet um Puno/Titicacasee leben in großer Höhe (4.000 bis 5.000 m über N. N.) und zeigen fast durchgehend eine eindrucksvolle sekundäre Polizythämie mit Hämatokrit-Werten zum Teil deutlich über 70 Prozent; hier kommt die regelmäßige Aderlass-Therapie zum Einsatz. Im medizinischen Alltag häufig anzutreffen sind ferner Spinnenbisse mit konsekutiver Nekrotisierung (zum Beispiel von Latrodectus mactans, der Schwarzen Witwe), Mangelanämien, kutane Leishmaniasis und Ektoparasitosen sämtlicher Couleur.


Patientin vom Lande mit ausgeprägter Sklerodermie. Eine Symptomatik bestand seit über zehn Jahren, es war ihr erster Arztkontakt im Leben.

Lohnende Investition


Im August 2016 werden wir wieder nach Deutschland zurückkehren. Es bleibt die Erfahrung von knapp eineinhalb Jahren Leben in einer fremden Kultur, die uns und auch unsere Kinder geprägt haben. Neben der Motivation der Hilfe für Unterprivilegierte wurde der eigene medizinische Erfahrungshorizont gewiss nicht nur persönlich erweitert. Gerade im Hinblick auf die zunehmende Globalisierung, sowie die Flüchtlings- und Migrationsthematik und der dadurch zu erwartenden Ausweitung des Erkrankungsspektrums auch in unseren Breiten war dieser Aufenthalt sicherlich eine lohnende Investition.


Dr. Malte Schmidtpott (41) verbringt gerade mit seiner Frau Maria (36) sowie den Kindern David (8), Laura (7) und Justus (1) einen ehrenamtlichen Aufenthalt am Missionshospital „Diospi Suyana“ in Peru. Internetblog der Familie: www.500-tage-in-peru.de

 

 

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