53 Millionen Stunden oder Frühjahrsputz

Dr. Gerald Quitterer, Präsident der BLÄK

Diese Zeit wenden Ärzte deutschlandweit jährlich für Bürokratie auf, knapp acht Stunden pro Woche. Zeit, die wir lieber in die Patientenversorgung investieren würden. Dokumentationspflicht und Qualitätsmanagement sind selbstverständlich für ärztliches Handeln, doch dabei bleibt es nicht. Gehen wir von der Wortbedeutung Bürokratie aus, so heißt dies: „Herrschaft der Verwaltung“. Verwaltung wovon? Von Daten und Werten, von Anfragen und Anträgen, von Stellungnahmen und Befundberichten. Und es stellt sich mir die Frage, wem das von Nutzen ist. Da funktionieren Schnittstellen nicht, da müssen Programme für chronisch Kranke bedient werden, da regeln nicht die ärztlichen Leistungen den Honorarfluss im Krankenhaus, sondern Diagnosis Related Groups (DRG). Alles mit einem hohen bürokratischen Aufwand.

Programme für chronisch Kranke

Gehen wir beispielsweise von den Disease-Management-Programmen (DMP) aus: Im Sozialgesetzbuch (SGB) V verankert, um die Versorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen leitliniengerecht darzustellen. Leitliniengerechte Behandlung findet aber auch unabhängig von diesen sogenannten „Chroniker-programmen“ statt – ohne die im DMP vorgesehene aufwendige Dokumentation, die weder dem Arzt noch dem Patienten nützt.

Entlassmanagement

Das Entlassmanagement ist ein bürokratisches Monster für alle Beteiligten, bei dem der Klinikarzt unter anderem eine Broschüre von 69 Seiten zur korrekten Verordnung bewältigen muss. Noch nicht hinzugerechnet sind 35 Seiten Heilmittelrichtlinie und 63 Seiten Heilmittelkatalog. Apropos Heilmittelkatalog: Auch hier wurde ein Riesenwerk geschaffen mit dem Ziel, nicht ausreichend begründete Verordnungen zu unterbinden. Etwas, das an Kompliziertheit nichts zu wünschen übrig lässt. Da wundert es nicht, dass gerade eine Überarbeitung erfolgt. Stellt sich letztlich erneut die Frage, wer wann und wie an dem neuen Werk mitgearbeitet hat oder sich noch einbringen kann.

Ambulante Kodierrichtlinien

Aktuell kommen jetzt auch wieder die ambulanten Kodierrichtlinien auf den Tisch, unter anderem mit der Begründung, die Manipula-tionsresistenz der Ärzte zu stärken. Was für eine Ungeheuerlichkeit. Seit Jahren stellt man uns dafür an den Pranger! Krankenhäuser entwickeln sich zu Unternehmen, in denen Controlling der ärztlichen Tätigkeit den Rang abläuft. Organisation, Datenerfassung und Dokumentation machen einen hohen Anteil an ärztlicher Tätigkeit aus.

Anfrage von Krankenkassen und MDK

Die Hauptbelastung in den Arztpraxen stellen Anfragen der Krankenkassen und des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) dar. Das Zentrum Bayern für Familie und Soziales bläht seine Befundanforderungen zu kompletten gutachterlichen Stellungnahmen auf, die letztlich mit der Patientenversorgung nichts mehr zu tun haben. Beim Versuch, Bürokratismus abzubauen, ist es zwar gelungen, den Antrag für einen Antrag auf Rehabilitation abzuschaffen. Unsinnigerweise wurde er zu diesem Zweck dem Hauptantrag als zusätzliche Seite zugefügt.

Da stimmt es wenigstens zuversichtlich, dass die Dokumentation des Gesundheits-Checks künftig nur noch in der Patientenakte erfolgen muss. Offenbar hat man erkannt, dass die bisher gesammelten Millionen Bögen Papier keiner echten Evaluation zugeführt wurden. Vielleicht gelingt dies ja mit anderen Formularen auch noch. Ich denke da an die Bescheinigung für chronisch Kranke, die sich ohne Weiteres auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) festhalten ließe.

Digitalisierung

Die Digitalisierung kann sicher einen Beitrag leisten, Prozesse zu verschlanken und effizienter zu gestalten. Voraussetzung dafür ist, dass nicht eine für den Patienten unüberschaubare Anzahl von Anbietern unterschiedlichster Gesundheitsdienstleistungen auf einer Vielzahl von Telematik-Infrastrukturen ins System drängt, ohne dass hierfür ein medizinscher Nutzen belegt ist. Zu viele Begehrlichkeiten würden den erhofften Abbau der Bürokratie ins Gegenteil verkehren. Wir Ärzte benötigen eine sichere Plattform für den Datenaustausch untereinander. Er darf nicht über die Gesundheitsakte des Patienten laufen, auf der wir uns dann aus einer Menge sonstiger von ihm generierter Informationen, wie Mobilitäts- oder Konsumdaten, das für die medizinische Betreuung Wichtige heraussuchen müssten. Unnötige Bürokratie gilt es zu verhindern.

Selbstverwaltung

Aber auch die Selbstverwaltung muss an sich arbeiten. Beim neuen Formular „Empfehlung der verhaltensbezogenen Primärprävention“ handelt es sich nicht um eine ärztliche Verordnung im Sinne einer veranlassten Leistung, sondern lediglich um eine Empfehlung, mit der ein Patient die entsprechende Leistung bei seiner Krankenkasse beantragen kann. Wenn dies dem Patienten aber auch ohne diese Bescheinigung möglich ist, stellt sich die Frage nach dem Sinn dieses Formulars. Der Antrag auf Weiterbildungsbefugnis muss verschlankt werden, zugegeben. Und hier ist die Kammer gefragt. Der momentane Umfang muss auf ein vernünftiges Maß reduziert und überflüssige Fragestellungen abgebaut werden. Bei der Beantragung von Fortbildungspunkten werden wir eine praktikablere Lösung anbieten. Halten wir Frühjahrsputz und stellen den bürokratischen Anteil in unserem medizinischen Alltag einer Prüfung auf Effizienz gegenüber. Wir alle, in erster Linie aber die Politik, sind gefragt, wenn es darum geht, den Patienten und nicht seine Verwaltung in den Mittelpunkt zu stellen.

Autor
Dr. Gerald Quitterer, Präsident der BLÄK

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