75 Jahre Bayerisches Ärzteblatt Teil 2 – 1970 bis 1999 Eine Annäherung an ein Dreivierteljahrhundert „Standespresse“

„Bayerisches Ärzteblatt“, Ausgabe 1/1970.

Im Januar 1970 wurde das Layout des „Bayerischen Ärzteblatts“ überarbeitet. Der vormals gelbe Umschlag mit der schwarzen Schrift wurde durch einen weißen Umschlag mit blauer Schrift ersetzt. Das Inhaltsverzeichnis wurde direkt auf die Titelseite gedruckt. Auch das Schriftbild wurde modernisiert und die Seiteneinteilung geändert, dadurch sollten vor allem kleinere Beiträge übersichtlicher werden, was einem Magazinstil entgegenkommt. Neu eingeführt wurde die Rubrik „Brief aus Bonn“ mit Informationen über bundespolitische Vorgänge. Platz wurde den Dichtern und Schriftstellern unter den Ärztinnen und Ärzten mit der Begründung eingeräumt: „… vielleicht kann in der technisierten Zeit Pegasus, von den Jüngern Äskulaps gelenkt, auch uns neue Quellen des Daseins erschließen.“


1970 wurde im Bayerischen Ärzteblatt über „100 Jahre Medizinstudium der Frauen berichtet“. Im Oktober 1870 begann Emilie Lehmus als erste deutsche Frau das Medizinstudium an der Universität Zürich. Es gab allerdings auch schon vorher vereinzelt Ärztinnen, so promovierte 1754 Dorothea Christina Erxleben in Halle oder Regina Josepha von Siebold und ihre Tochter Charlotte Heidenreich 1817 bzw. 1819 in Gießen. Aber erst mit dem Studienbeginn von Lehmus wurde die Ausübung ärztlicher Tätigkeit für die Frauen in größerem Umfang möglich. Der Entschluss der jungen Pfarrerstochter Lehmus, Ärztin zu werden, erregte damals in weiten Kreisen nicht geringes Aufsehen – man fand diese Berufswahl geradezu abenteuerlich. Zürich war damals die einzige Universität in Europa, an der Frauen zum Studium zugelassen wurden. Der Anfang war allerdings schwer berichtet Lehmus: „Bei unserem ersten Erscheinen im Präpariersaal gab es einen unangenehmen Auftritt. […] es erhob sich ein wüster Lärm, Johlen, Pfeifen usw. Da hieß es, ruhig Blut behalten.“ Ihre Doktorarbeit wurde später mit „summa cum laude“ bewertet.

Die Olympischen Spiele 1972 in München warfen ihre Schatten voraus. Bereits im April 1971 wurden für die ärztliche Betreuung der Aktiven und Offiziellen, der Journalisten und Techniker von Presse, Funk und Fernsehen, der Ehrengäste und des Personals des Organisationskomitees in München und Kiel Ärztinnen und Ärzte gesucht. Benötigt wurden Ärzte mit allgemeinen sportärztlichen Erfahrungen, Ärzte mit speziellen sportärztlichen Erfahrungen und andere Ärzte verschiedener Fachrichtungen. Die Tätigkeit als Arzt bei den Olympischen Spielen erfolgte ehrenamtlich. Als Unkostenpauschale wurden zwei US-Dollar pro Tag bezahlt. Für die kostenlose Unterbringung, Verpflegung und Einkleidung wurde gesorgt. In der Freizeit konnten jede Ärztin und jeder Arzt nach Möglichkeit auf der für die Aktiven vorgesehenen Tribüne im Olympiastadion die Wettkämpfe verfolgen.

Im September 1971 wurde auf einer Pressekonferenz des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung das Bayern-Programm zur Sicherstellung der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung auf dem Lande vorgestellt. Mit größter Aufmerksamkeit habe man beobachtet, dass in einzelnen Regionen, insbesondere im Grenzlandgürtel und am Stadtrand teilweise schmerzliche Engpässe aufträten, da für einen wegziehenden oder ausscheidenden Arzt nur schwer Ersatz zu bekommen sei. Es wurden deshalb Anreize geschaffen, um Ärzten eine dauerhafte Niederlassung auf dem Lande schmackhaft zu machen. Das Förderprogramm beinhaltete günstige Kredite, damit der Arzt sogar ohne Eigenkapital eine Praxis gründen konnte. Sowohl der Trend zum Facharzt als auch die geringere Neigung junger Ärzte zur Niederlassung auf dem Lande seien ein weltweites Problem.

Vom 15. bis 20. Oktober 1973 fand in München die 27. Generalversammlung des Weltärztebundes statt. Während des Weltärztetages veranstaltete der Ärztliche Kreis- und Bezirksverband (ÄKBV) München zu Ehren der anwesenden Ärzte im Sheraton-Hotel die Ausstellung „München und seine Ärzte“ – Ausschnitte aus der Medizingeschichte Münchens. Diese Ausstellung spannte einen weiten Bogen von den ersten medizinischen Urkunden in München über die großen Ärzte in München bis in die Gegenwart und fasst auch die NS-Zeit mit ein. Vor dem Weltärztetag fand vom 8. bis 13. Oktober 1973 der 76. Deutsche Ärztetag in München statt. Am 13. Oktober 1973 gab es einen Festakt „100 Jahre Deutscher Ärztetag“ im Herkulessaal der Münchener Residenz.

Die 1980er-Jahre

Bereits 1982 wurde der Datenschutz im Bayerischen Ärzteblatt thematisiert. Gerade der ärztliche Berufsstand habe mit dem Arztgeheimnis eine besondere Form des Datenschutzes praktiziert, lange bevor Politiker, Gesetzgeber und Massenmedien den Datenschutz als ein ergiebiges Thema entdeckten. Die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) und die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) haben sogar eine gemeinsame Kommission für Datenschutz und Wahrung des Arztgeheimnisses gebildet. Die Kommission kümmerte sich um die drei Bereiche: Ärztliche Schweigepflicht, Datenschutz und Geheimnisschutz. Für den Datenschutz und die Datensicherung wurden entsprechende Richtlinien entworfen.

Im Januar 1985 wurde im Bayerischen Ärzteblatt zum ersten Mal über AIDS berichtet. In der Folge erschienen immer wieder Berichte dazu. Besonders im Sommer 1985 entwickelte sich in der Bevölkerung eine große Verunsicherung, obwohl die Krankheit in erster Linie bestimmte Risikogruppen betraf. Der entstandenen Verunsicherung in der Bevölkerung müsse entgegengetreten werden. Die KVB verhandelte bereits mit den gesetzlichen Krankenkassen über eine Kostenübernahme der ärztlichen Versorgung. Im September 1985 wurde eine Arbeitsgruppe mit Vertretern verschiedener Ministerien und der BLÄK gebildet. In der Folge wurde auch ein Wissenschaftlicher Beirat berufen.

Am 26. April 1986 ereignete sich im Kernkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine ein katastrophaler Unfall der höchsten Kategorie. Innerhalb der ersten zehn Tage nach der Explosion wurde eine Radioaktivität von mehreren Trillionen Becquerel in die Erdatmosphäre freigesetzt. Die so in die Atmosphäre gelangten radio­aktiven Stoffe kontaminierten infolge radioaktiven Niederschlags hauptsächlich die Region nordöstlich von Tschernobyl sowie durch Windverfrachtung viele Länder in Europa. Die Bayerische Gesellschaft für Nuklearmedizin veröffentlichte im Bayerisches Ärzteblatt ein Merkblatt für Ärzte. In der Oktober-Ausgabe 1986 wurden in einem zweiten Beitrag weitere Fragen von Ärzten beantwortet. Die gesamte zusätzliche Strahlenbelastung durch die Reaktorkatastrophe sei in Deutschland niedriger gewesen als die durchschnittliche jährliche natürliche Strahlenexposition. Allerdings habe es eine Schwankungsbreite um den Faktor sechs gegeben.

Am 3. Oktober 1988 starb der damalige Baye­rische Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Beim 41. Bayerischen Ärztetag in Nürnberg wurde deshalb die gewohnte feierliche Eröffnung abgesagt. Stattdessen wurden die Plenarberatungen verkürzt und am Ende des Ärztetages fand am Sonntag eine öffentliche Veranstaltung – ohne jede schmückende Umrahmung – statt. Beim Bayerischen Ärztetag wurde unter anderem die neu formulierte Berufsordnung beschlossen.

Am 25. Juli 1938 wurde aufgrund der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz allen 3.152 jüdischen Ärzten die Approbation entzogen. Anlässlich des 50. Jahrestages veranstaltete der ÄKBV München 1988 eine Gedenkfeier im Ärztehaus Bayern in München. Im Bayerischen Ärzteblatt erschien ein Beitrag, der an die Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Ärzte erinnerte. Damals habe die Zeit der Hoffnungslosigkeit für jüdische Ärzte und alle anderen, die sich dem Ungeist und dem Terror dieser Jahre widersetzten, begonnen. Diese Schicksale sollten eine Mahnung an uns selbst sein, wachsam zu bleiben und jedem Ansatz von Diskriminierung klar entgegenzutreten.

Die 1990er-Jahre

Erstmals saßen 1990 beim BÄT Gäste aus der ehemaligen DDR unter den aufmerksamen Zuhörern. Beim 43. Bayerischen Ärztetag in Wunsiedel waren es Gäste aus Sachsen, da die BLÄK vor allem die sächsische Ärzteschaft unterstützte. Die Gäste aus Sachsen hatten die hervorragende Gelegenheit zu beobachten, was ärztliche Selbstverwaltung bedeute. Die erste Euphorie der Wiedervereinigung sei aber bereits verflogen. Nüchternheit, gelegentlich sogar Enttäuschung breitete sich aus. Viele Ärzte in der ehemaligen DDR waren von Existenzsorgen geplagt und verunsichert. Ein gewaltiger Berg an praktischen Problemen, aber auch Chancen musste bearbeitet werden.

Gerade noch rechtzeitig schafften die Landes­ärztekammern der neuen Bundesländer die Voraus­setzungen für den Beitritt zur bisherigen Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern. Die Delegiertenzahl beim Deutschen Ärztetag blieb mit 250 gleich, was bei einigen Kammern der alten Bundesländer angeblich zu Frustrationen führte, da sie weniger Delegierte entsenden konnten. Ein Autor teilte die Delegierten in drei Gruppen ein: In Stammgäste, denen niemand ihren Platz bestreite; dann diejenigen, welche glaubten, einen Anspruch auf einen Stammplatz zu haben, verbissen darum kämpften und beleidigt seien, wenn sie sich nicht durchsetzten; und schließlich diejenigen, welche halt gar so gerne mal oder auch wieder dabei wären.

Ab dem 1. Quartal 1994 wurde auch in Bayern die neue Krankenversichertenkarte für die gesetzlich Versicherten eingesetzt. Das bis dahin praktizierte Krankenscheinverfahren wurde Ende März 1994 eingestellt. Mit Hilfe der Krankenversichertenkarte sollte die maschinelle Übertragung der Versichertendaten auf Abrechnungsunterlagen und Vordrucke vorgenommen werden. Der Wissenstand der Bevölkerung war trotz vieler Medienberichte erstaunlich niedrig. Nur 35 Prozent wussten angeblich darüber Bescheid. Die Einführung der Krankenversichertenkarte wurde durch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung mit wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet.

Zu einem harten Einschnitt in die vertragsärztliche Versorgung kam es mit der völligen Neuordnung der Bedarfsplanung im Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) zum 1. Januar 1993. Der Kernpunkt dieser Regelung betraf die Definition von Überversorgung sowie die daraus resultierende arztgruppenbezogene Sperrung von Planungsbereichen. Diese verschärfte Form der Bedarfsplanung wurde als unverzichtbar angesehen, um die Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu gewährleisten. Verglichen wurde die für einen Planungs­bereich maßgebliche allgemeine Verhältniszahl für die betreffende Arztgruppe mit der ermittelten örtlichen Verhältniszahl. Ab 110 Prozent wurde eine Überversorgung festgestellt. Diese Regelung gilt heute noch.

Am 1. Januar 1996 trat die „neue“ Gebühren­ordnung für Ärzte (GOÄ) in Kraft, die bis heute gültig ist (mit Modifizierungen). Reformiert wurde in erster Linie das Grundleistungs-kapitel, nur wenige Einzelleistungen wurden berücksichtigt. Der operative stationäre Bereich blieb damals unberücksichtigt. Damit fehlten nach wie vor Leistungsbeschreibungen für Innovationen und zielleistungsgerechte Abrechnungspositionen von komplexeren Operationen.

Das Bayerische Ärzteblatt startete das Jahr 1998 mit einem neuen Layout. Die Herausgeber, BLÄK und KVB, haben den Schritt zu einer Neugestaltung des 53 Jahre alten Mitteilungsblattes der bayerischen Ärzteschaft getan, um den Kontakt zwischen den Ärzten und ihren Selbstverwaltungskörperschaften zu intensivieren. Mit einem modernen Erscheinungsbild soll eine zeitgemäße Form des Dialogs gepflegt werden: leicht, aber nicht seicht, locker, aber dennoch seriös, abwechslungsreich und damit interessant. Neu eingeführt wurde zum Beispiel eine Titelgeschichte, die ein Thema aus der Medizin aber auch aus Politik und Gesellschaft aufgreifen soll.

Jodok Müller (BLÄK)

 

 

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