77. Bayerischer Ärztetag 2018 in Nürnberg

Auftaktveranstaltung des 77. Bayerischen Ärztetages in Nürnberg

Eine interessante Auftaktveranstaltung zum 77. Bayerischen Ärztetag in Nürnberg erlebten die rund 250 geladenen Gäste aus Politik, Selbstverwaltung und dem Gesundheitswesen. Die Begrüßung des Präsidenten Dr. Gerald Quitterer und ein Impulsreferat zur Werteorientierung im Arztberuf lieferten genügend Themen für den Bayerischen Ärztetag, der vom 26. bis zum 28. Oktober in Nürnberg tagte.


Dr. Gerald Quitterer bei seiner Eröffnungsrede in der Meistersingerhalle.

Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen

Dr. Gerald Quitterer stimmte die Gäste mit seiner Begrüßung auf die kommende Arbeitstagung ein. An diesem Abend solle es um „Regulierung und Selbstbestimmung“ gehen – ein Begriffspaar, das sich nahezu in allen gesundheits- und berufspolitischen Themen spiegele. Die Begriffe seien zentrale Begriffe der Moderne und in erster Linie Ordnungsbegriffe. „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“, stieg Quitterer mit dem Wahlspruch Immanuel Kants in seine Rede ein. Dieser Ausspruch täte in Zeiten, die unser digital vernetztes Denken im Minutentakt der Eilmeldungen und Posts in Verwirrung und Aufruhr versetzen, dringend Not. „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen möchte man auch sagen, wenn man sich das geplante Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vor Augen hält“, so der Präsident wörtlich. Die Forderung, 25 statt 20 Stunden Sprechstunde für den niedergelassenen Arzt anzubieten und fünf offene Sprechstunden für die Allgemein- und Kinderärzte festzuschreiben, zeige die Gratwanderung zwischen Regulierung und Selbstbestimmung.

Beziehungstätigkeit zwischen Menschen

Dr. Ulrich Maly, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, griff in seiner Begrüßung das Thema des Abends auf. Aus ökonomischer Sicht seien Regulierung und Selbstbestimmung kein Widerspruch, denn Markt und Regulierung gehörten schließlich zusammen. Entscheidend sei das Maß der Regulierung. Das TSVG sei ein Beispiel, bei dem die Gesundheitspolitik in Berlin zu viel Regulierung habe walten lassen. So brauche es immer einen festen Rahmen, innerhalb dessen man über Regulierung diskutieren könne. „Wir müssen uns vergewissern, dass gute Medizin immer eine Beziehungstätigkeit zwischen Menschen ist“, betonte Maly und bekam Applaus. Trotz Weiterentwicklung der Apparatemedizin bleibe das Gespräch mit dem Patienten ein zentraler Punkt. Bewertungsportale erschütterten dieses Vertrauensverhältnis. Maly machte klar, dass Ärzte dazu beitragen müssten, diese Vertrauensebene zu stärken. Auch unterstrich er die Bedeutung der ärztlichen Selbstverwaltung. Sie sei ein hohes Gut, das verteidigt werden müsse. Über die „richtige Regulierung“ müsse man diskutieren. Dies ging auch in Richtung Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, „der ein Gesetz nach dem anderen auf den Weg bringt“, so Maly wörtlich und mahnte: „Dort, wo Gesetze gemacht werden, muss auch die Lebenswirklichkeit erfasst werden.“

 


Dr. Ulrich Maly beschrieb Medizin als „Beziehungstätigkeit zwischen Menschen“.

Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung

Die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, Melanie Huml, kam direkt von den Koalitionsverhandlungen nach Nürnberg. Ihre Vorbemerkung: „Wir sollten in Zukunft schauen, dass wir hier weiter gemeinsam arbeiten können.“ Sie betonte die Bedeutung des Arztberufes als freien Beruf, der allerdings Schranken erfahre. Daher sei es wichtig, dass die Ärzteschaft das Handeln selbst in die Hand nehme. „Ich bin ein Freund der Selbstverwaltung“, sagte Huml.
Auch sie griff das Thema Regulierung und Selbstbestimmung auf. So müsse dem Wunsch der Ärzteschaft nachgekommen werden, nicht mehr Einzelkämpfer sein zu wollen. „Sie entscheiden, was für Ihre Patienten das richtige ist. Das ist ein hohes Gut.“ Huml sprach auch über die Nutzung digitaler Medien und über die geplante Änderung der Berufsordnung für die Ärzte in Bayern. Sie betonte, dass der Kontakt zwischen Arzt und Patient der Goldstandard sein müsse und dass dieser unersetzbar sei. Gleichzeitig sei es wichtig, die Vorteile der technischen Möglichkeiten, wie beispielsweise in der Schlaganfallversorgung von Patienten in ländlichen Regionen, zu nutzen.
Huml betonte die Wichtigkeit, für mehr medizinischen Nachwuchs zu sorgen. Auf der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) habe man sich bereits darauf verständigt. So hätten die meisten Länder ihre Zustimmung signalisiert, problematisch sei teilweise die Finanzierung. Mit Schaffung von Studienplätzen in Augsburg und Erlangen sei man hier schon ein gutes Stück weiter. Huml appellierte, dass auch die anderen Bundesländer hier mitziehen müssten. Anfangs sei Bayern wegen der Landarztquote belächelt worden, dabei sei diese bereits auch in anderen Bundesländern eingeführt worden, wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen.
Abschließend mahnte Huml für mehr Selbstfürsorge. Gerade in den sozialen Berufen, in denen die Menschen immer etwas für andere täten, sei es so wichtig, auch an sich selbst zu denken und das Zwischenmenschliche zu erhalten. Sie dankte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich im Gesundheitswesen für die Pflege und Gesundheit der Bevölkerung engagierten und signalisierte weiterhin Offenheit für eine gute Zusammenarbeit.

Festredner Professor Dr. Matthias S. Fifka von der FAU Erlangen-Nürnberg.

Impulsreferat: Werteorientierung im Arztberuf

Professor Dr. Matthias S. Fifka, Leiter des Instituts für Wirtschaftswissenschaft von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), war mit seinem Vortragstitel „Zwischen Regulierung und Selbstbestimmung – Werteorientierung im Arztberuf“ Themengeber des Abends. Fifka nannte drei „Megatrends“, mit denen die Gesellschaft konfrontiert sei: Der Vertrauensverlust in Politik, Medien und Wirtschaft; die Digitalisierung und wie Digital Natives diese Technologie nutzen sowie das Recht auf Selbstbestimmung im Kontext des Umgangs mit den eigenen Daten. Diese Megatrends erzeugten ein Spannungsfeld aus Regulierung und Selbstbestimmung. Die Politik versuche, Regulierungen zu schaffen, wie man mit den Konsequenzen der Trends umgehen solle. Jedoch seien manche Themen so komplex und dynamisch, dass sie nicht von der Politik allein geregelt werden könnten. Am Beispiel der Datenschutzgrundverordnung sei deutlich geworden, dass die Politik nicht in der Lage sei, solche Phänomene zu regeln. Die nationalstaatliche Regulierung komme an ihre Grenzen. „Ist es da nicht sinnvoller auf die Selbstverwaltung zurückzugreifen?“, stellte Fifka in den Raum.
Mit zu viel Regulierung nähme man den Ärzten die Möglichkeit, nach den eigenen Werten zu handeln und beschrieb dies als „moralisches Dilemma“. Es sei erforderlich, dass Werte wie Vertrauen, Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft geschützt werden und dass das Maß an staatlichem Eingreifen und Selbstbestimmung austariert werden müsste.


Das „Ensemble Resonanz“ vom Klinikum Nürnberg unter der Leitung von Kea Wolter sorgte für die musikalische Begleitung des Abends.

Vertrauensverlust der Digital Natives

Zum Thema Vertrauensverlust führte Fifka aus, dass die Ärzte ein hohes Maß an Vertrauen genießen, wie eine Umfrage der Krankenkassen belege. Er prognostizierte, dass die nachwachsende Generation, die „Generation why“, also diejenigen, die nach dem „Warum“ frage, selbstbewusst, kritisch und fordernd sei und damit das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient auf eine neue Ebene hebe. So wolle diese Generation ernst genommen und als gleichwertiges Gegenüber gesehen werden. Das hieße für den Arzt, eine Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Patienten erzeugen zu müssen. Gleichzeitig suche diese Generation nach Orientierung, Halt und Sinnhaftigkeit und nach Werten. „Der Arztberuf ist die ideale Voraussetzung, um Sinn und Selbstverwirklichung zu stiften.“ Man müsse sich lediglich um den Nachwuchs Gedanken machen.
Die Digitalisierung beschrieb Fifka als weiteres Spannungsfeld. 80 Prozent der Menschen in Deutschland suchten in Onlineportalen nach medizinischen Informationen. Der Patient sei nicht mehr bereit, die Diagnose des Arztes einfach hinzunehmen und wünsche sich mehr Transparenz. Das bedeute für den Arzt, dass dieser sich einem hohen Maß an Selbstverpflichtung unterwerfen müsse. „Ärzte haben heute mündigere Patienten“, sagte Fifka. So lauteten die Handlungsanweisungen für den Arzt in der Zukunft: „Wie kann ich ein abgestimmtes Angebot an klassischen Leistungen und an digitalen Leistungen einsetzen?“ Gleichzeitig machte Fifka klar, dass auch aus der Perspektive des Patienten der persönliche Kontakt unersetzlich bleibe. Bei strukturbedingter medizinischer Unterversorgung und mangelnder Mobilität jedoch sei Telemedizin eine Chance, die es zu nutzen gelte.

Professor Dr. Matthias S. Fifka, Melanie Huml und Dr. Gerald Quitterer (v. li.) bei der Eröffnung des 77. Bayerischen Ärztetages.


Plädoyer für mehr Selbstbestimmung

Das dritte Spannungsfeld, das Fifka umschrieb, war das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung im Kontext mit der ärztlichen Fürsorgepflicht. Die Möglichkeit des Patienten zur Selbstbestimmung setze bestimmte kognitive Fähigkeiten beider voraus. Jedoch anstatt durch neue Gesetze ein standardisiertes Aufklärungsgespräch festzuschreiben, plädierte Fifka dafür, dem Arzt die Weitergabe von Gesundheitsdaten und ein optionales Aufklärungsgespräch zu überlassen. „Es macht Sinn, wenn die Politik bestimmte Minimumstandards schafft, es macht aber keinen Sinn, mit jeder Detailregulierung komplexe Sachverhalte steuern zu wollen.“ Mit einem Plädoyer für mehr Selbstbestimmung und einer Rückkehr zu den Werten schloss Fifka: So sei es die beste Lösung, wenn man dem Arzt die Möglichkeit gebe, auf Basis seines Wertesystems zu entscheiden, wen er wie aufklären müsse.


Sophia Pelzer (BLÄK)

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