Affenpocken – ein neues Kapitel im Buch der Infektiologie?
Der im Mai 2022 begonnene Ausbruch von Affenpocken in Europa kam überraschend. Noch scheint er sich weitgehend auf die Gruppe der Männer zu beschränken, die Sex mit Männern hatten (MSM). Die zunehmende Zahl von Fällen macht es aber wahrscheinlich, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen in Klinik und Praxis mit dieser Krankheit in Berührung kommen. Frühzeitige Erkennung, Isolation der Patientinnen und Patienten und gegebenenfalls der Einsatz spezifischer antiviraler Medikamente bestimmen das klinische Management. Präventiv kann eine wirksame Impfung eingesetzt werden. Entscheidend sind aber die Aufklärung über die Erkrankung und die Wissensvermittlung zu Möglichkeiten der Prävention bei der betroffenen Risikogruppe.
Seit Mai 2022 häufen sich Fälle von Affenpocken in Europa, Nordamerika und Australien. In Deutschland sind es inzwischen fast 3.000. Diese Entwicklung kam überraschend und unvorhergesehen.
Seit mehreren Jahren beobachteten Kollegen vor allem in Großbritannien immer wieder vereinzelte Fälle dieser Erkrankung, in letzter Zeit mit zunehmender Häufigkeit. Es handelte sich um Patienten, die von einem Familienbesuch aus Westafrika, speziell Nigeria, zurückgekehrt waren. Vereinzelt kam es dabei auch zu Übertragungen auf häusliche Kontakte und sogar auf medizinisches Personal. Gleichzeitig wurden immer wieder kleine Ausbrüche aus dem Kongo gemeldet. Deutschland war bisher verschont geblieben. Gesundheitsbehörden und Infektiologen waren aber gewarnt und hielten seither die Augen offen.
Das Affenpockenvirus wurde erstmals 1958 entdeckt, als es zu Ausbrüchen einer pockenartigen Erkrankung in Affenkolonien kam, die für wissenschaftliche Zwecke gehalten wurden. Menschliche Erkrankungsfälle sind seit den 1970er Jahren bekannt und nehmen an Zahl zu, seit die regulären Pockenimpfungen eingestellt wurden. Es existieren zwei Verbreitungsgebiete mit unterschiedlichen Virusstämmen: Westafrika mit dem Schwerpunkt in Nigeria und das Kongo-Becken, wo die Erkrankungen einen gefährlichen Verlauf nehmen.
Der Name Affenpocken ist irreführend. Es gibt inzwischen Bestrebungen auf der Ebene der Weltgesundheitsorganisation (WHO), den Namen anzupassen. Affen sind genauso wenig wie Menschen das eigentliche Reservoir der Erkrankung, das bei Nagetieren in den Endemiegebieten vermutet wird. Die Infektion erfolgt über engen Hautkontakt und kontaminierte Materialien, die Pustelinhalt oder Krusten enthalten. Eine aerogene Übertragung ist denkbar, aber nicht wahrscheinlich und scheint aus heutiger Sicht keine wesentliche Rolle zu spielen.
Mit dem jetzigen Ausbruch hat die Ausbreitung des Virus aber eine neue Stufe erreicht und damit ein weiteres Kapitel im Buch der Infektiologie aufgeschlagen. Weit über 90 Prozent der aktuell Betroffenen sind Männer, die Sex mit Männern hatten (MSM). Die Infektion findet über enge Hautkontakte innerhalb dieser Gruppe statt, die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Erkrankung nimmt aktuell zu. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Monaten vermehrt Fälle auch außerhalb der sogenannten Risikogruppe auftreten werden, zum Beispiel bei Familienmitgliedern oder anderen engen Kontaktpersonen. Dies ist vereinzelt schon geschehen. Die Gefahr einer großräumigen, flächenhaften oder gar pandemischen Ausbreitung wird allerdings nicht gesehen. Dennoch hat die WHO im Juli 2022 den Public Health Emergency of International Concern (PHEIC) ausgerufen.
Die Erkrankung beginnt nach einer Inkubationszeit von fünf bis 21 Tagen mit einem unspezifischen Prodromalstadium, bei dem die Patienten Kopf- und Gliederschmerzen, Fieber, manchmal auch gastrointestinale Symptome entwickeln. Innerhalb von drei Tagen entwickelten sich dann typische Hautläsionen, die eine Blickdiagnose ermöglichen. Diese können auch nur singulär oder in geringer Zahl auftreten.
Abbildung 1: Typische Pockenläsion im Genitalbereich bei einem Patienten des aktuellen Ausbruchs
Es handelt sich zunächst um Papeln auf gerötetem Grund, die sich schnell zu Pusteln mit zentraler Nabelbildung weiterentwickeln und schließlich narbig abheilen. Es sind die typischen Pockenläsionen, wie sie auch bei anderen Erkrankungen, die durch Orthopox-Viren hervorgerufen werden, in gleicher Weise auftreten. Typisch für die Affenpocken ist eine regionale, häufig schmerzhafte Lymphadenopathie. Bei den meisten Patienten des aktuellen Ausbruchs traten die Läsionen im Genital- oder Perianalbereich auf. Dort, genauso wie im Oropharynx, kann es auch zu schmerzhaften Schleimhautläsionen kommen. Je mehr Fälle beobachtet werden, umso häufiger wird jetzt auch über atypische und oligosymptomatische Verläufe berichtet.
Abbildung 2: Ausgeprägte inguinale Lymphadenopathie mit einzelnen Pockenläsionen.
Im Vergleich zu den echten Pocken, die seit den 1970er Jahren als ausgerottet betrachtet werden, zeigen die Affenpocken in aller Regel einen milderen Verlauf. Die Läsionen sind weniger zahlreich, die Allgemeinsymptome und der Befall innerer Organe geringer ausgeprägt. Dennoch kann es, insbesondere bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem, zu lebensbedrohlichen oder gar tödlichen Verläufen kommen.
Die Diagnostik erfolgt durch den Nachweis spezifischer DNA aus dem Zentrum der Pustelläsion. Sekret oder Krustenmaterial kann nach Anlage einer persönlichen Schutzausrüstung mit einem virologischen Tupfer abgestrichen werden, der dann allerdings als Gefahrgut (UN 2814) in ein für die Spezialdiagnostik ausgerüstetes Labor nach vorheriger telefonischer Anmeldung verbracht werden muss. Die entsprechenden Verpackungsvorschriften (P 620) müssen aus Sicherheitsgründen eingehalten werden.
Kliniken und Praxen sollten sich auf mögliche Fälle von Affenpocken vorbereiten. Patienten kommen, sensibilisiert durch Nachrichten in sozialen Medien, aus eigenem Antrieb, manche auch mit diffusen Ängsten, geschürt durch die mediale Berichterstattung. Auch wenn eine klassische Pockenläsion ein sehr typisches Erscheinungsbild aufweist, gibt es doch eine Reihe von Differenzialdiagnosen, die in Erwägung gezogen werden müssen: Eine andere Orthopoxerkrankung ist das Molluscum contagiosum, dessen Auftreten in aller Regel nicht mit weiteren klinischen Allgemeinbeschwerden einhergeht. Windpocken zeigen ein Exanthem, dessen zahlreiche stammbetonte Läsionen sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden (Heubnersche Sternenkarte), die Patienten haben typischerweise neben Fieber auch Infektzeichen der oberen Luftwege. Die Hand-Fuß-Mundkrankheit, die aktuell ebenfalls gehäuft aufzutreten scheint, ist eine durch Coxackie A oder Enteroviren hervorgerufene Infektion, die typischerweise eine Beteiligung der Schleimhäute, insbesondere des Mundes, ohne die klassische Pustelbildung aufweist.
Der Verdacht und Nachweis einer Affenpocken-Infektion ist nach § 6 des Infektionsschutzgesetzes meldepflichtig. Patienten müssen bereits bei Verdacht isoliert werden. Die Dauer richtet sich nach dem klinischen Verlauf. Die Läsionen müssen vollständig abgeheilt sein, da auch abfallende Krusten noch als infektiös gelten. Eine stationäre Behandlung kann in den meisten Fällen vermieden werden.
Therapeutisch genügen fast immer symptomatische Maßnahmen der Analgesie und Antipyrese. Es gibt antivirale Medikamente, die gegen Orthopoxviren wirksam sind. Diese wurden im Rahmen der militärischen Forschung zur Vorbereitung auf den Einsatz von Biokampfstoffen entwickelt. Zugelassen ist in den USA seit 2018, in Europa seit Januar 2022 das Tecuvirimat, das die intrazelluläre Virussynthese hemmt. Die Therapie besteht in der Gabe von 600 mg zwei mal täglich. Eine andere Substanz ist Brincidofovir, eine Fortentwicklung des nicht mehr verfügbaren Cidofovir. Diese Substanz hat eine höhere Nebenwirkungsrate, ihr Einsatz ist aber bereits bei Kleinkindern möglich. Beide Substanzen haben ihre Indikation bei schweren Verläufen und immungeschwächten Patienten.
Es gibt eine wirksame Impfung gegen die Affenpocken. Ältere Personen, die noch eine klassische Variola-Vakzinierung erhalten haben, verfügen wahrscheinlich bereits über einen gewissen Schutz auch gegenüber Affenpocken. Der jetzt eingesetzte moderne Impfstoff enthält ein modifiziertes Vacciniavirus Typ Ankara, das im Wirt nicht replikationsfähig ist. Damit sind geimpfte Personen, im Gegensatz zu den früheren Problemen mit Impfpusteln der alten Pockenimpfung, nicht ansteckend. Derzeit ist in Deutschland nur der aus den USA importierte Impfstoff mit dem Namen Jynneos® verfügbar, der über die oberen Landesgesundheitsbehörden an die Apotheken der Universitätskliniken in begrenzter Zahl ausgeliefert wurde und von dort an Schwerpunktpraxen und infektiologische Zentren weiterverteilt wird. Die Indikation sollte auf Kontaktpersonen infizierter Patienten und Angehörige so genannter Risikogruppen beschränkt bleiben. Eine Immunisierung der breiten Bevölkerung macht keinen Sinn. Die Impfung gilt als nebenwirkungsarm und ist auch für Patienten mit Immundefizienz geeignet. Personen, die in der Vergangenheit bereits eine Pockenschutzimpfung erhalten haben, benötigen nur eine einzige Impfdosis, außer wenn eine HIV-Infektion oder eine andere Immunschwächekrankheit vorliegt. Das generelle Impfschema ist eine Zweifach-Impfung im Abstand von mindestens 28 Tagen.
Abbildung 3: Der Pockenimpfstoff Jynneos®.
Nicht erst seit dem Auftreten von SARS-CoV-2 warnen Infektiologen vor den Gefahren neuer Infektionskrankheiten. Auch das epidemische Auftreten der Affenpocken während der letzten Monate hat zu einer Reihe neuer Überraschungen, aber auch zu viel Erkenntnisgewinn geführt. Gleichzeitig erlebten wir auch diesmal Schattenseiten unserer Gesellschaft, wie die erneute Diskriminierung von Menschen mit homosexueller Orientierung oder dunkler Hautfarbe. Ärztinnen und Ärzte sollten immer an der Seite ihrer Patienten stehen und dabei mit wachen Augen und Ohren wahrnehmen, wie schnell sich die infektiologische Landschaft auch in unserem Land verändern kann.
Autor
Professor Dr. August Stich
Klinik für Tropenmedizin, Klinikum Würzburg Mitte gGmbH, Salvatorstraße 7, 97074 Würzburg,
Tel. 0931 791-2821, Fax 0931 791-2826
E-Mail: tropenmedizin.missioklinik(at)kwm-klinikum.de
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