Aktuelle Möglichkeiten in der HIV-Prävention

HIV-Prävention

Epidemiologie

Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) ist die Ursache des erworbenen Immunschwächesyndroms (AIDS), der häufigsten Ursache des erworbenen Immundefektes beim Menschen. Bei weltweit über 37 Millionen HIV-infizierten Menschen wird die Anzahl der in Deutschland infizierten auf etwa 80.000 Patienten mit jährlich etwa 3.200 Neuinfektionen geschätzt [1]. Neben Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) sind vor allem Menschen aus Hochprävalenzgebieten (zum Beispiel Westafrika) oder intravenöse Drogengebraucher (IVDA) betroffen. Hierbei werden in Deutschland und Westeuropa ebenso wie in den USA trotz erfolgreicher Präventionskampagnen seit etwa zehn Jahren stabil steigende Neuinfektionsraten gemeldet (Abbildung 1) [1]. Unbehandelt führt die Infektion regelhaft nach Jahren zum Tod.


Abbildung 1: Gemeldete HIV-Neudiagnosen nach Geschlecht und Diagnosejahr (2001 bis 2014; Quelle: RKI).

Infektionsweg

Eine Übertragung der HIV-Infektion ist parenteral durch Blutkontakte oder ungeschützte Sexualkontakte mit virämisch HIV-Infizierten möglich, wohingegen im (medizinischen) Alltag keine relevante Übertragungsgefahr gegeben ist. Das behüllte Virus ist umweltlabil und mit gängigen Viruziden zuverlässig inaktivierbar [2]. Auch bei Kontakt mit der Luft wird das Virus bereits nach kurzer Zeit inaktiviert und verliert damit an Infektiosität, solange es nicht von schützenden Proteinen umgeben ist. Die Wahrscheinlichkeit der Übertragung ist neben der quantitativen Virusmenge (Viruslast) im Wesentlichen von der Art des Risikokontaktes abhängig. So liegt das Risiko einer Transmission bei einer (beruflichen) Nadelstichverletzung nur bei etwa 0,3 Prozent (0,2 bis 0,5 Prozent), wohingegen das Risiko für einen sexuellen rezeptiven Analkontakt bei 1,11 Prozent (0,042 bis 3,0 Prozent) und für den insertiven Vaginalverkehr bei nur 0,082 Prozent (0,011 bis 0,38 Prozent) liegt [3]. Damit kommen im Alltag vor allem (analen) sexuellen Risikokontakten die höchste Bedeutung zu. Berufliche HIV-Transmissionen sind eine Rarität [4].

HIV-Therapie

Die moderne antiretrovirale Therapie (ART) ermöglicht eine vollständige Unterdrückung der HIV-Replikation mit Absenken der HI-Viruslast unter die sogenannte Nachweisgrenze von derzeit 50 Kopien/ml [5]. Diese auch als funktionelle Heilung bezeichnete Strategie ermöglicht eine nahezu vollständige immunologische Erholung mit Normalisierung der Lebenserwartung der chronischen HIV-Erkrankung [6]. Die ART ist hierbei mehrheitlich nebenwirkungsarm bis nebenwirkungsfrei verträglich. Für einen Großteil der Patienten stehen sogenannte Eintablettenregime (STR) oder fixe Arzneimittelkombinationen (FDC) zur Verbesserung der Compliance bei einmal täglicher Einnahme zur Verfügung [7]. Die Wirksamkeit der ART ist heute so hoch, dass eine erfolgreiche virologische Kontrolle mit vollständiger Viruslastsuppression in aktuellen Studien in über 90 Prozent der Fälle gelingt, vorausgesetzt eine regelmäßige Einnahme der Medikamente (Adhärenz) ist gewährleistet [8, 9]. Spätestens seit dem Bekanntwerden der signifikant reduzierten Sterblichkeit und Morbidität durch eine frühe ART auch bei noch normalen CD4-Helferzellen aus der START-Studie [10] ist die HIV-Therapie für alle HIV-Infizierten durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Europäische AIDS-Gesellschaft (EACS) und die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG) grundsätzlich empfohlen [5, 10]. Daher sollte jede HIV-Diagnose zu einer zeitnahen Vorstellung an einer spezialisierten Behandlungseinheit zur Therapieplanung führen.

HIV-Prävention im medizinischen Alltag

Grundsätzlich sollen im medizinischen Alltag die anerkannten Regeln der Basishygiene beachtet werden. Die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) sehen keine besonderen Maßnahmen bei Menschen mit bekannter HIV-Infektion vor (www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/kommission_node.html). Das Tragen von Schutzhandschuhen beim Umgang mit potenziell infektiösen Flüssigkeiten ist ebenso ausreichend wie die Verwendung von antiseptischen oder desinfizierenden Wirkstoffen nach Empfehlungen der KRINKO. Wichtig ist im alltäglichen Umgang vor allem das Bewusstsein, dass ein übervorsichtiger Umgang mit HIV-Patienten einen erheblichen Beitrag zur Stigmatisierung und Verängstigung beiträgt und regelhaft zur Verschleierung der Diagnose im Alltag führen kann. In diesem Zusammenhang sei noch einmal darauf verwiesen, dass Basishygienemaßnahmen bei allen Patienten gleichsam durchgeführt werden sollen – schließlich sind den Trägern von Infektionskrankheiten die Erkrankungen häufig nicht bekannt.

Präventionskonzepte

Aufgrund eines bislang fehlenden kurativen, eradizierenden oder „sterilisierenden“ Therapieansatzes der HIV-Infektion kommt der Verhinderung einer Infektion eine wesentliche Rolle in der Kontrolle der HIV-Infektionen zu.

Zur Prävention werden aktuell die folgenden Ansätze genutzt:

Safe-Sex-Aufklärung

Verschiedene bundesweite und lokale Kampagnen sollen das Bewusstsein und Wissen um die Transmission der HIV-Infektion verbessern. Hierbei wird im Wesentlichen der Einsatz von Barrieremethoden wie dem Kondom als zuverlässiger Schutz vor einer HIV-Infektion durch Präventions- und Beratungsstellen im Rahmen einer nationalen Strategie beworben. Beispiele sind www.gib-AIDS-keine-chance.de oder www.iwwit.de

Therapie als Prävention (TasP)

Die HIV-Transmission und quantitative Virusmenge stehen in direktem Zusammenhang. So konnten mehrere Studien belegen, dass eine erfolgreiche ART mit einer eindeutigen Reduktion der Wahrscheinlichkeit einer HIV-Transmission assoziiert ist. Hierzu wurden serodiskordante heterosexuelle und homosexuelle Paare mit entsprechendem Risiko (ungeschützten Sexualkontakten) beobachtet – in den Studien wurde dabei eine deutliche oder sogar vollständige Verhinderung von assoziierten Transmissionen beobachtet [11]. Die Art des Risikos, also die Art des Sexualkontaktes, spielte hierbei keine Rolle. Daher folgerte die Eidgenössische Kommission für AIDS-Fragen (EKAF) bereits vor Jahren, dass bei stabiler ART mit Suppression der HI-Viruslast unter die Nachweisbarkeitsgrenze und CD4-Helferzellzahl mehr als 350/µl bei heterosexuellen Kontakten und der Abwesenheit anderer sexuell übertragbarer Infektionen kein Risiko bezüglich der Übertragung einer HIV-Infektion bei heterosexuellem Kontakt besteht (www.aids.ch/de/downloads/pdfs/EKAF-Statment_2008-05-089.pdf). Obgleich die Empfehlung initial umstritten war, hat die zunehmende Evidenz dazu geführt, dass die Strategie „TasP“ mittlerweile international erfolgreich eingesetzt wird. Eine aktuelle Meta-Analyse zeigt bereits einen globalen Rückgang der HIV-Infektionen im Zusammenhang mit breit verfügbarer HIV-Therapie [8]. TasP kommt damit eine wichtige Rolle in der Verhinderung von HIV-Transmissionen zu – durch eine Verhinderung der HIV-Replikation stehen weder im Blut noch anderen Körperflüssigkeiten ausreichende Mengen an Viruspartikeln für eine Transmission zur Verfügung.

HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP)

Nach einer beruflichen wie sexuellen Risikosituation besteht neben unmittelbar lokal antiseptischen Maßnahmen innerhalb der ersten zwei bis 24 Stunden die Möglichkeit einer gezielten HIV-Postexpositionsprophylaxe. Obgleich aus ethischen Gründen keine kontrollierten Studiendaten vorliegen, ist aus Beobachtungsstudien der frühen 1990er-Jahre bekannt, dass die frühe postexpositionelle Verabreichung antiretroviraler Substanzen die Wahrscheinlichkeit einer Transmission um vermutlich mehr als 90 Prozent reduziert [12]. Ob eine Kombination aus zwei oder drei ART-Substanzen Unterschiede in der Wirksamkeit mit sich bringt ist unklar, ebenso wie die ideale Dauer der PEP [13]. Daher empfehlen gängige Leitlinien aktuell den Einsatz einer HIV-PEP aus theoretischen Erwägungen über 28 bis 30 Tage. Hierzu werden aktuell die nukleosidischen Reverese-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) Tenofovir-DF und Emtricitabin 245/200 mg (Truvada®) einmal täglich in Kombination mit dem HIV-Integrase-Inhibitor (INSTI) Raltegravir (Isentress®) 400 mg zweimal täglich eingesetzt (Tabelle 1) [5]. Grundsätzlich handelt es sich regelhaft um einen Einsatz außerhalb der Zulassung („off label-Gebrauch“), weshalb entsprechende gesetzliche Vorgaben zur Beratung, Dokumentation und GKV-Erstattung zu beachten sind. Die Effektivität der PEP steigt mit einem frühen Beginn, idealerweise zwei bis 24 Stunden nach dem Risikokontakt. Nach Möglichkeit soll eine Beratung zur Wahrscheinlichkeit der Transmission und dem HIV-PEP-Einsatz an einem erfahrenen Zentrum erfolgen (eine Übersicht ist beispielsweise verfügbar unter: www.aidshilfe.de/adressen - „Liste 24h PEP Stellen“). Zur Nachsorge ist eine HIV-Diagnostik mittels p24/HIV-Antikörper-ELISA (Labortest) der vierten Generation sechs Wochen nach Risikokontakt geeignet, um eine Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.


Tabelle 1: Übersicht zur Auswahl und Dosierung der HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP).

Grundsätzlich sollte bei jeder PEP auch die Hepatitis-B-Immunität überprüft werden sowie insbesondere bei sexuellen PEP-Beratungen auch Beratung und gegebenenfalls Diagnostik zu anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) erfolgen.

HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP)

Als weitere Möglichkeit der gezielten HIV-Prävention für Hochrisikopersonen wurde in verschiedenen Studien die präemptive Einnahme von HIV-Präparaten untersucht. Hierbei scheint eine systemische Applikation (zum Beispiel Tablette) einer lokalen Applikation (zum Beispiel Vaginalgel) in puncto Wirksamkeit überlegen zu sein. Die meisten Studiendaten liegen zum NRTI Tenofovir-DF in Kombination mit Emtricitabine (Truvada®) vor. Grundsätzlich ist eine PrEP für alle Personen mit erhöhtem Risiko gegenüber einer HIV-Infektion geeignet. In Deutschland kommen aufgrund der niedrigen Prävalenz aber vor allem homo- und bisexuelle Männer und gegebenenfalls Sex-Arbeiter/innen in Betracht. Während der Wirksamkeit der HIV-PrEP zur Vermeidung einer HIV-Infektion in allen verfügbaren Studien mit weniger als 30 bis 92-prozentiger Risikoreduktion stark schwankte, zeigten beide europäische Studien (PROUD und IPERGAY) eine relative Risikoreduktion von 86 Prozent [14]. Analog zum Tiermodell zeigt sich eine schwächere Schutzwirkung bei vaginalen Risikokontakten (relative Risikoreduktion sechs bis 75 Prozent). Grundsätzlich lassen sich klare Zusammenhänge zwischen Einnahmetreue (Adhärenz) und einer bis zu 99-prozentigen Wirksamkeit bei regelmäßiger Einnahme herausbilden [15]. In den beiden europäischen Studien mussten 13 bzw. 18 HIV-negative Probanden unter Risiko mit einer PrEP versorgt werden, um eine Neuinfektion zu verhindern – eine bemerkenswert effektive Maßnahme zur Reduktion der HIV-Transmission in Kombination mit anderen Schutzmaßnahmen. Entscheidend für die kosteneffektive Wirksamkeit scheint damit vor allem eine Selektion der Risikogruppen.

Die kontinuierliche PrEP ist in den USA bereits zugelassen und wird durch die WHO empfohlen. Die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat im Juli 2016 ebenfalls eine Zulassung erteilt, eine Verordnung darf aber erst nach Verfügbarkeit entsprechender Aufklärungsmaterialien durch den pharmazeutischen Lizenzinhaber erfolgen. Neben einer kontinuierlichen, täglichen oder anlassbezogenen Einnahme (24 Stunden vor und 24 und 48 Stunden nach Risikokontakt; Tabelle 2) wurden bislang keine weiteren Schemata untersucht; in den USA und Europa ist nur die kontinuierliche PrEP zugelassen. Bislang sind allenfalls milde gastrointestinale Nebenwirkungen bekannt. Dennoch ist insbesondere unter TDF-haltiger Therapie eine regelmäßige Kontrolle der Nierenfunktion erforderlich [5].


Tabelle 2: Beispielhafter Vergleich bislang untersuchter kontinuierlicher und intermittierender PrEP-Studienkonzepte und Modalität der Einnahme von Emtricitabine/Tenofovir-DF täglich oder anlassbezogen um einen Risikokontakt nach [16,17].

In jedem Fall darf der Einsatz einer PrEP erst nach Ausschluss einer HIV-Infektion zu Beginn, bei normaler Nierenfunktionsleistung und nur in Verbindung mit einer regelmäßigen HIV-Testung alle drei Monate während der PrEP sowie damit verbundener Beratung zu sexuell übertragbaren Infektionen erfolgen. Entsprechende Vorgaben der Fachinformation sind zu berücksichtigen. Neben einer HIV-Transmission muss eine Aufklärung und regelmäßige Untersuchung bezüglich Hepatitis-C- und Syphilis-Infektion erfolgen, eine HBV-Immunität muss dokumentiert werden und eine HBV-Infektion ausgeschlossen werden.

Obgleich die moderne ART die HIV-Infektion zu einer gut beherrschbaren chronischen Erkrankung gemacht hat, werden insbesondere in Hochrisikogruppen weiter hohe Neudiagnosezahlen beobachtet. Neben regelmäßiger Diagnostik, Aufklärung und Information könnten neue Präventionsmethoden wie beispielsweise die PrEP zur Reduktion der Neuinfektionszahlen beitragen. Im medizinischen Alltag sind auch bei HIV-Patienten regelhaft keine besonderen Hygienemaßnahmen erforderlich.

Potenzielle Interessenskonflikte:
Dr. Christoph D. Spinner hat Reise- und Kongressunterstützung der Firmen AbbVie, Bristol-Meyers Squibb, Gilead, Janssen-Cilag, MSD und ViiV erhalten und war für diese auf Honorarbasis beratend tätig (Advisory Board). Im Rahmen von Forschungsprojekten wird oder wurde Drittmittelunterstützung (Investigator initiated studies) der Firmen Gilead Sciences, Janssen-Cilag und ViiV Healthcare gewährt.

Dr. Marcel Lee hat Reise- und Kongressunterstützung der Firmen AbbVie, Bristol-Meyers Squibb und Gilead erhalten.

Dr. Alexander Zink hat Reise- und Kongressunterstützung der Firmen AbbVie, Bristol-Meyers-Squibb, Gilead, MSD erhalten und war für AbbVie und Bristol-Meyers Squibb auf Honorarbasis als Referent tätig.

Das Literaturverzeichnis kann bei den Verfassern angefordert oder im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

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