Allgemeinmedizin – highlighted

Allgemeinmedizin ‒ highlighted

Hausärzte sind für die Bevölkerung die ersten Ansprechpartner bei Gesundheitsstörungen aller Art und haben es deshalb mit einem breiten Spektrum von Anliegen, Symptomen und Erkrankungen zu tun. Hausärzte kennen in der Regel ihre Patienten und deren Vorgeschichte – auch deren sozialen Kontext – schon über einen langen Zeitraum, was zum Beispiel für die Einschätzung von unklaren Befunden oder das Ausmaß der geplanten Diagnostik ein unschätzbarer Vorteil ist. Ein großer Teil der in der Hausarztpraxis präsentierten Erkrankungen ist mithilfe einer gründlichen Anamnese, der körperlichen Untersuchung und einiger weniger technischer Tests sicher zu diagnostizieren und erfolgreich zu behandeln. Dabei kommt es darauf an, gefährlich abwendbare Verläufe zu erkennen, aber gleichzeitig Über- und Fehlversorgung zu vermeiden. Die folgenden drei Kasuistiken sind erlebte, leicht modifizierte Fälle aus der eigenen Praxis.

Fall 1: Brustschmerz – Ein Notfall

Anamnese bei Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit (KHK)

Ein 64-jähriger Patient (Rentner) erscheint vormittags, ohne Termin, zur Sprechstunde in der Hausarztpraxis. Bisher erfolgte die Vorstellung in der Praxis nur gelegentlich, überwiegend aufgrund von leichten Erkrankungen wie Atemwegsinfekten. Chronische Erkrankungen oder Vormedikation sind keine bekannt. Der aktuelle Anlass zur Vorstellung sind jetzt immer wieder auftretende Brustschmerzen innerhalb der vergangenen drei Wochen. Die Schmerzen würden nicht in Abhängigkeit von körperlicher Belastung auftreten, sondern eher in Ruhe. Atemnot habe er in diesen Situationen keine. Die Qualität des Brustschmerzes wird als „drückend“ beschrieben, ein „Engegefühl“ in der Brust wird verneint, ausstrahlen würden die Schmerzen nicht. Stress oder familiäre Probleme werden nicht angegeben, Nikotinkonsum wird verneint. Der Patient gibt an, dass sein Vater „immer Herzprobleme“ gehabt habe, genauere Ursachen kann er aber nicht nennen. Der Patient vermutet aber, dass seine aktuellen Beschwerden ebenfalls „vom Herzen“ kommen.

Diagnostik

In der körperlichen Untersuchung zeigt sich ein Blutdruck von 140/90 mmHg und ein regelmäßiger Puls von 72/Min. Die Auskultation von Herz und Lunge ergeben keine pathologischen Befunde. Durch thorakale Palpation ist kein Brustschmerz auslösbar, die Untersuchung der Wirbelsäule und des Abdomens bleiben ebenfalls unauffällig. Das sofort durchgeführte EKG zeigt, verglichen mit einem Vor-EKG, keine pathologischen Veränderungen (ein AV-Block Grad 1 ist bereits bekannt).

Zunächst werden die erhobenen Befunde mit dem Patienten besprochen. In der hausärztlichen Versorgung kommen zahlreiche Ursachen für Brustschmerzen in Betracht (Tabelle 1). Diese sollten zunächst ausgeschlossen werden, um im Anschluss die Vortest-Wahrscheinlichkeit für eine zugrunde liegende KHK zu bestimmen. Laut Marburger Herz-Score (Tabelle 2) [1] sind bei diesem Patienten drei Kriterien erfüllt (männlich > 55 Jahre, Schmerzen durch Palpation nicht reproduzierbar, Patient vermutet Herzkrankheit als Ursache), womit die klinische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK bei 17 Prozent liegt (die Wahrscheinlichkeiten des Marburger Herz-Scores haben sich durch neue Validierungsstudien seit Erscheinen der DEGAM-Leitlinie „Brustschmerz“ [2] geändert – Leitlinie befindet sich aktuell in Revision). Eine Wiedervorstellung in der kommenden Woche zur Durchführung eines Belastungs-EKGs wird vereinbart.


Tabelle 1: Häufigkeit von Brustschmerzursachen in der hausärztlichen Versorgung.

 
Tabelle 2: Marburger Herz-Score.
* Die in der DEGAM-Leitlinie „Brustschmerz“ angegebenen 25 Prozent für das mittlere Risiko sind nicht mehr aktuell und werden nach Revision auf 17 Prozent geändert (siehe auch www.uni-marburg.de/fb20/allgprmed/forschung/projekte/mhs/mhs-intro.html).

Wiedervorstellung bei akutem Koronarsyndrom (ACS)

Nach zwei Tagen stellt sich der Patient erneut wegen Brustschmerzen vor, dieses Mal seien die Schmerzen stärker als bisher, würden schon seit über zwei Stunden ununterbrochen bestehen und auch zum Zeitpunkt der Vorstellung noch anhalten.

Diagnostik und Sofortmaßnahmen in der Praxis

Ein umgehend durchgeführtes Ruhe-EKG zeigt wiederum keine Ischämiezeichen, weitere Vitalparameter: RR 150/90 mmHg, Puls 90/Min., regelmäßig, SpO2 97 Prozent. Es werden zwei Hub Nitrolingualspray verabreicht, die keinen wesentlichen Effekt auf die Brustschmerzen zeigen. Auf einen Troponin-Schnelltest wird verzichtet (siehe Fazit und Diskussion).

Über die Rettungsleitstelle werden umgehend Notarzt und Rettungswagen angefordert, dem Patienten wird die Verdachtsdiagnose „Herzinfarkt“ bzw. ACS und die damit notwendige Klinikeinweisung erklärt. Bis zum Eintreffen des Transports wird er in der Praxis erstversorgt: Der Oberkörper wird mit 30° hochgelagert, Herzrhythmus und Blutdruck werden engmaschig überwacht. Nach Legen eines venösen Zugangs erhält der Patient 500 mg ASS intravenös, weiterhin wird ihm Enoxaparin-Natrium gewichtsadaptiert subkutan verabreicht (1 mg/kg/KG). Die Schmerzen werden vom Patienten als noch tolerabel angegeben, auf das ihm angebotene Morphin will er verzichten, ein Medikament zur Anxiolyse wird vom Patienten ebenfalls abgelehnt. Bei einer durchgehenden Sauerstoffsättigung von über 90 Prozent und fehlender Atemnot wird auf Sauerstoffgabe verzichtet. Der Patient bleibt bis zum Eintreffen des Notarztes kreislaufstabil und wird von diesem in ein nahegelegenes Krankenhaus mit Herzkatheterlabor gebracht.

In der Klinik wird bei dem Patienten bei anhaltenden Brustschmerzen und im Verlauf ansteigenden Herzenzymen eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt. In dieser zeigt sich eine hochgradige Stenose der Seitenwandarterie RCX woraufhin dem Patienten ein beschichteter Stent (Drug eluting stent – DES) implantiert wird.

Diskussion und Fazit

Bei Patienten mit Brustschmerzen kann der Marburger Herz-Score [1] helfen, die Situation bezüglich des Verdachts auf das Vorliegen einer KHK besser einzuschätzen. Je nach Wahrscheinlichkeit kann danach weitere Diagnostik geplant werden. Bei Verdacht auf ein ACS ist die Anwendung eines Troponin-Schnelltests in den wenigsten Situatio­nen sinnvoll, da ein negatives Ergebnis erst bei einer Symptomdauer von über zwölf Stunden einen Myokardinfarkt sicher ausschließen kann – ein negativer Test bringt bei einer kürzeren Symp-tomdauer keinen Informationsgewinn [2]. Die Entscheidung, den Patienten in eine Klinik einzuweisen, sollte bei fehlenden EKG-Veränderungen, also anhand des klinischen Bildes, erfolgen. Hierbei kann der Marburger Herz-Score die entscheidende Hilfe sein. Ein Wert von 2 und mehr Punkten legt eine weitere Diagnostik in der Klinik nahe.

Bezüglich der Sofortmaßnahmen bei ACS empfiehlt die DEGAM-Leitlinie „Brustschmerz“, Betablocker im ambulanten Bereich nur zurückhaltend einzusetzen. Die Anwendung von Opiaten ist seit einigen Jahren Gegenstand von Debatten, da deren Gabe mit einer reduzierten Bioverfügbarkeit von oral verabreichten P2Y12-Antagonisten wie Clopidogrel oder Ticagrelor assoziiert ist [3]. In Anbetracht von fehlenden Alternativen wird bei starken Schmerzen jedoch weiterhin die Gabe von Opiaten, wie zum Beispiel Morphin, empfohlen.

Fall 2: Brennen beim Wasserlassen – Eine häufige Behandlungssituation

Anamnese

Eine in der Praxis seit Jahren bekannte 17-jährige Patientin stellt sich mit seit zwei Tagen bestehenden Schmerzen im Unterleib und Algurie vor. Sie verneint vaginalen Ausfluss zu haben und berichtet zudem, dass sie einen neuen Freund habe und mit diesem regelmäßig zumeist geschützten Geschlechtsverkehr habe. Der Freund habe jedoch keinerlei Beschwerden. Eine Schwangerschaft verneinte die Patientin, sichere Verhütungsmethoden seien aber nicht angewendet worden. Sie habe selbst bereits gestern zwei Mal Ibuprofen 400 mg eingenommen, was aber keine essenzielle Besserung gebracht habe. Die Patientin bringt eine angebrochene Medikamentenpackung mit Ciprofloxacin 250 mg Tabletten von ihrer Tante mit und fragt, ob sie die nehmen solle, bei der Tante hätte das „immer so gut geholfen“.

Diagnostik

In der körperlichen Untersuchung zeigt sich ein dezenter Druckschmerz im mittleren Unterbauch, aber kein Rücken- oder Nierenklopfschmerz. Die Patientin hat kein Fieber. Der vorab von der medizinischen Fachangestellten mit Urin-Stix untersuchte Urin bestätigt die bereits anamnestisch sehr sichere Diagnose eines unkomplizierten Harnwegsinfekts durch eine Leukozyturie (++) und Nitritnachweis (++). Die Diagnose lautet: unkomplizierter Harnwegsinfekt.

Komplizierende Faktoren eines Harnweginfekts sind in Tabelle 3 [4] aufgeführt.


Tabelle 3: Komplizierende Faktoren eines Harnwegsinfekts [4].

Therapie

Aufgrund des Leidensdrucks der Patientin und der nicht wirksamen konservativen Therapie, kommt eine antibiotische Therapie in Betracht. Jedoch sollte aufgrund der Resistenzlage und aktuell neu aufgezeigten unerwünschten Nebenwirkungen auf das frühere Erstlinienpräparat aus der Gruppe der Fluorchinolone verzichtet werden. Aufgrund der Praktikabilität der Einmaldosis, der hohen Wirksamkeit und (in diesem Fall) möglicher Schwangerschaft wird der Patientin eine Einmaldosis Fosfomycin-Trometamol 3.000 mg als Granulat verordnet. Die Patientin wird instruiert, es am Abend mindestens zwei Stunden nach dem Essen kurz vor dem Schlafengehen einzunehmen, damit das Medikament lokal in der Harnblase über Nacht wirken kann.

Eine Liste der empfohlenen Medikamente und der nicht empfohlenen Medikamentengruppen befindet sich in Tabelle 4 [5].


Tabelle 4: Liste der empfohlenen Medikamente und der nicht empfohlenen Medikamentengruppen bei der Behandlung des unkomplizierten Harnwegsinfekts (angelehnt an die aktuelle S3-Leitlinie zur Behandlung des unkomplizierten Harnwegsinfekts [5]).

Fazit

Eine symptomatische Therapie ist zum Beispiel mit Ibuprofen und gesteigerter Flüssigkeitszufuhr möglich. Die von pflanzlichen Mitteln ist noch nicht ausreichend belegt. Bei unkomplizierten Harnwegsinfekten sollte bei der Verschreibung von Antibiotika die Entwicklung von Resistenzen berücksichtigt werden. Medikamente der ersten Wahl sind Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam und – je nach Resistenzlage im eigenen Labor – Trimethoprim. Fluorchinolone und Cephalosporine sollten nicht bei unkomplizierten Harnwegsinfekten verwendet werden, da erstere ein ungünstiges Nebenwirkungsprofil aufweisen und letztere oral verabreicht einen nicht ausreichend verfügbaren Wirkspiegel aufbauen. Beide tragen unnötigerweise zur allgemeinen Ausbreitung resistenter Keime bei.

Fall 3: Tiefe Beinvenenthrombose – Ein abwendbar gefährlicher Verlauf

Anamnese

Eine 79-jährige Patientin stellt sich zunächst beim orthopädischen Facharzt, dann in der Hausarztpraxis, wegen heftiger Schmerzen im Hüftgelenk und in der linken Leiste beim Gehen vor. Ein Trauma wird nicht erinnert. Die sonst rüstige Selbstversorgerin wird von der Tochter gefahren, begleitet und gestützt. Bei der körperlichen Untersuchung zeigt sich kein wegweisender Befund.

Procedere

Die eingeleitete probatorische Schmerztherapie mit Novaminsulfon (bei Kontraindikationen für NSAR) ohne nähere Verdachtsdiagnose war erfolglos geblieben. Wegen Schmerzen am Ansatz des Os pubis wird eine farbcodierte Venenkompressions-Sonografie (KUS) im Bereich der proximalen Venen durchgeführt und anschließend im Labor mittels D-Dimer eine tiefe Beinvenenthrombose (TVT) ausgeschlossen. Bei anhaltenden Schmerzen erfolgt tags darauf die stationäre Einweisung, bei der eine Beckenringfraktur (Schambein) diagnostiziert wird. Sie verbleibt zunächst stationär.

Nach Beendigung der ebenfalls stationären Anschluss-Heilbehandlung wird die Patientin erneut vorstellig. Sie berichtet, es sei bereits bei Antritt zur Rehabilitationsmaßnahme zu einer Schwellung des linken Beines gekommen. Eine subkutane Thromboseprophylaxe sei sowohl während des Aufenthalts in der Universitäts-Orthopädie als auch während der Rehabilitation durchgehend gegeben. Bei jetzt klinisch deutlichem Verdacht auf eine TVT wird diese tags darauf duplex­sonografisch bestätigt. Hinweise auf eine Lungenarterienembolie (LAE) finden sich nicht. Die am Tag anlässlich der Entlassung beendete Therapie mit niedermolekularen Heparinen wird wieder aufgenommen und, an den Nierenwert adaptiert, intensiviert. Eine orale Antikoagulation mit Phenprocoumon wird noch am gleichen Tag überlappend eingeleitet.

Diagnose

TVT nach Immobilisation infolge einer Schambeinfraktur trotz adäquater Thromboseprophylaxe.

Bei der akuten tiefen Bein- und Beckenvenenthrombose handelt es sich per definitionem um eine partielle oder vollständige Verlegung der Leit- und Muskelvenen durch Blutgerinnsel, die zum appositionellen Wachstum und zur Embolisation in die Lunge neigen [6].

Das Übersehen einer vorhandenen venösen Thrombose oder Thromboembolie (VTE) beinhaltet ein hohes Risiko der Mortalität und der kurzfristigen Morbidität wie Progredienz der TVT, von neuen Lungenembolien und langfristiger Schädigung im Sinne eines postthrombotischen Syndroms. Von solchen Folgen ist in der Hälfte der Fälle klinisch relevanter TVTs auszugehen, wie das Robert Koch-Institut 2009 in einem Gesundheitsbericht feststellte [7] (wiedergegeben werden hier ansonsten vor allem Empfehlungen und Inhalte aus der S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der deutschen Gesellschaft für Angiologie von 2017 [8]).

Die korrekte Diagnosestellung und die frühzeitige Behandlung einer TVT senken die unmittelbaren und kurzfristigen Risiken.

Die geriatrischen isolierten, meist vorderen Beckenringfrakturen, werden bei über 65-jährigen Patienten überwiegend beim weiblichen Geschlecht diagnostiziert. Ursächlich sind Osteoporose oder andere Knochenstoffwechselstörungen, Medikamentennebenwirkungen oder Bestrahlungsfolgen. Häufig sind Traumen zwar Auslöser, werden aber von den Betroffenen nicht erinnert. Daher werden diese Frakturen auch spät diagnostiziert, und anders als bei jungen Patienten, nicht frühzeitig im Rahmen standardisierter Untersuchungen gefunden [9].

Abschätzung der Wahrscheinlichkeit/Wells-Score

Der diagnostische Prozess sollte mit der Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit beginnen (Abbildung 1). Hierzu eignen sich validierte Scores (Tabelle 5) [10]. Wenn bildgebende Diagnostik notwendig wird, aber nicht zeitnah zur Verfügung steht, sollte bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit mit einer Antikoagulation begonnen werden und zu einem späteren Zeitpunkt der definitive Nachweis oder Ausschluss einer Thrombose mit Bildgebung geführt werden [8]. In diesem Fall war gleich zweimal die Notwendigkeit gegeben, den Wells-Score zu erheben. Während zum Zeitpunkt der Erstvorstellung (Schmerz entlang der Venen, Immobilisation wegen Schmerzen) der Wells-Score nur grenzwertig war, musste bei der erneuten Vorstellung eine Score-Summe von sieben erhoben werden (Lähmung oder kürzliche Immobilisation der Beine; Bettruhe [> drei Tage]; Schwellung eines ganzen Beines und Unterschenkelschwellung > drei Zentimeter gegenüber Gegenseite; eindrückbares Ödem am symptomatischen Bein, Kollateralvenen). Selbst wenn die erreichte Punktezahl im Score wegen der Fraktur gekürzt wird (alternative Diagnose mindestens ebenso wahrscheinlich wie Venenthrombose), ist zu diesem Zeitpunkt eine deutlich erhöhte Score-Summe vorhanden gewesen.


Abbildung 1: Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf Venenthrombose [8].
* KW = Klinische Wahrscheinlichkeit; ** KUS = Kompressionsultraschall der Beinvenen

 
Tabelle 5: Wells-Score – validierter klinischer Score zur Ermittlung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Venenthrombose. Summenscore > 2 = hohe Wahrscheinlichkeit für eine TVT [10].

D-Dimere

Ein D-Dimer-Test soll nur nach vorheriger Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden. Bei niedriger oder mittlerer klinischer Wahrscheinlichkeit und normalen D-Dimeren (es gelten altersadjustierte Normwerte) ist keine weitere Thrombose-Diagnostik erforderlich. Bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit soll kein D-Dimer-Test durchgeführt werden (niedrige Spezifität, damit häufig falsch-positive Ergebnisse), sondern gleich eine weiterführende Diagnostik erfolgen [8].

Jeder klinische Verdacht auf Venenthrombose muss umgehend soweit abgeklärt werden, sodass eine therapeutische Entscheidung erfolgen kann. Anamnese und körperliche Untersuchung allein sind hierzu nicht ausreichend. Dies kann in der Hausarztpraxis oder in einer spezialisierten Praxis rasch mit einem konventionellen Ultraschallgerät erfolgen.

Kompressionsultraschall (KUS)

Für die Diagnostik einer Thrombose der tiefen Beinvenen wird an mehreren Stellen die Kompression der Beinvenen untersucht, im abgebildeten Fall der der Vena femoralis. Die Untersuchung beurteilt die Komprimierbarkeit des Gefäßes und erfolgt im korrekt eingestellten B-Bild (Abbildung 2). Eine fehlende Komprimierbarkeit gilt als Hinweis auf eine Thrombose und wird mit einem Bild des Gefäßlumens jeweils vor und nach Kompression dokumentiert [8].


Abbildung 2: Kompressionsultraschall der Beinvene.

Die Untersuchung wird im Seitenvergleich durchgeführt. Als weiterführende Diagnostik werden im Rahmen der Funktionsdiagnostik mit Ultraschall auch Atemmanöver und weitere diagnostische Test eingesetzt, um Flussveränderungen zu beurteilen. Bezüglich einer Beckenpathologie kann bei klinischem Verdacht eine ergänzende venöse MR-Phlebographie durchgeführt werden [8].

Thromboseprophylaxe

In der klinischen Routine wird das individuelle Gesamt-Risiko für eine VTE in der Regel den Kategorien niedriges, mittleres oder hohes Risiko zugeordnet [11]. Diese dreistufige Einteilung folgt praktischen Erwägungen und kann nicht durch Studien belegt oder widerlegt werden. Neben dem Alter als mittelgradig prädisponierendem Risikofaktor kann das Risiko durch eine Immobilisation (zum Beispiel strikte Bettlägerigkeit) deutlich erhöht werden. Die Gesamtrate an Thrombosen liegt ohne prophylaktische Maßnahmen bei bis zu 60 Prozent. Selbst unter der Anwendung medikamentöser und physikalischer Prophylaxemaßnahmen liegt die Rate asymptomatischer distaler Thrombosen bei zehn bis 20 Prozent, asymptomatischer proximaler Thrombosen bei fünf bis zehn Prozent, symptomatischer Thrombosen bei zwei bis fünf Prozent, die Rate von Lungenembolien bei ca. 0,2 Prozent und die Rate letaler LAE bei ca. 0,1 Prozent. Die Patienten dieser Gruppe sind grundsätzlich der Hochrisikogruppe zuzuordnen.

Therapie

Unsere Patientin erhielt ab dem Zeitpunkt der Verdachtsdiagnose einmal täglich Enoxaparin Natrium und noch am Tag der Bestätigung überlappend Phenprocoumon. Auch während der Rehabilitationsmaßnahme war Enoxaparin, wenn auch im Sinne der Prophylaxe und daher niedriger dosiert, verwendet worden. Das betroffene Bein wird direkt mit einem Kompressionsverband versorgt [12].

Fazit

Da bei fehlender Thromboseprophylaxe bei bis zu sechs von zehn Patienten eine TVT auftritt, sollten Patienten mit Verletzungen an Gelenken, Knochen und Weichteilen der unteren Extremität eine adäquate Thromboseprophylaxe erhalten. Die Durchführung einer Thromboseprophylaxe reduziert das Risiko einer TVT/LAE zwar deutlich um 40 bis 55 Prozent absolut, aber trotzdem lediglich nur von ca. 60 Prozent auf fünf bis 20 Prozent. Bei jedem 20. Betroffenen muss also trotz adäquat durchgeführter Thromboseprophylaxe mit einer relevanten TVT, wie im berichteten Fall, gerechnet werden. Klinische repetierende Untersuchungen auf das Auftreten von TVE sind unerlässlich, will man potenziell gefährliche Verläufe verhindern. Patienten sollten angehalten werden, ihren Behandlern neu aufgetretene Beschwerden umgehend mitzuteilen.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-ärzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.


Autoren


Professorin Dr. Anne Simmenroth, Direktorin

 
Dr. Til Uebel, Ärztlicher Mitarbeiter

 
Sebastian Fleer, Ärztlicher Mitarbeiter

 
Felix Jede, Ärztlicher Mitarbeiter

 
Professorin Dr. Ildikó Gágyor, Direktorin

Korrespondenzadresse:

Professorin Dr. Anne Simmenroth, Direktorin, Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Würzburg, Josef-Schneider-Straße 2/Haus D7, 97080 Würzburg, Tel. 0931 20147801, E-Mail: Simmenroth_a(at)ukw.de, Internet: www.allgemeinmedizin.uni-wuerzburg.de

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