Aufbruch und Fortschritt?
Am 21. Oktober 2021 starteten die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP offizielle Koalitionsverhandlungen im Bund. Welche Veränderungen für uns Ärztinnen und Ärzte werden die drei Parteien anstoßen?
Erste Hinweise lieferte das veröffentlichte Ergebnis der Sondierungsgespräche. Darin sprechen sich die künftigen Ampelkoalitionäre unter anderem für eine Reform der Fallpauschalen im Krankenhaus aus. Es wurde ein Bedarf an „sektorenübergreifender Kooperation und Vernetzung“ zwischen den verschiedenen Gesundheitseinrichtungen und -berufen festgestellt, eine Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes wurde vereinbart. Prävention und Vorsorge sollen ein Leitprinzip der Gesundheitspolitik werden. Die positiven Ansätze bleiben noch im Unkonkreten. Sicher ist: Das Gesundheitssystem steht in dieser Legislaturperiode erneut vor zahlreichen Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, braucht es einen großen Wurf. Viele anstehende Aufgaben dulden keinen Aufschub.
Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels sind keine ferne Bedrohung mehr, sondern weltweit Realität. Immer häufiger kommt es auch in Deutschland zu Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen, die für uns alle sehr schnell gefährlich werden können. Hinzu kommen weitere Gesundheitsgefahren durch neuartige Krankheitserreger, eine erhöhte Pollenbelastung und die Ausbreitung von Vektoren-Tieren. Diese vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit müssen deutlich stärker als bisher in der Gesundheits- und Klimapolitik des Bundes berücksichtigt werden.
Kliniken, Katastrophenschutz, Rettungsdienste sowie Pflegeeinrichtungen sollten dazu verpflichtet werden, konkrete Maßnahmenpläne zur Vorbereitung auf Katastrophen wie Hitzeereignisse oder Überschwemmungen zu erstellen. Auf Extremwettereignisse sollten Gesundheitseinrichtungen durch ausreichend Personal und räumliche Ressourcen vorbereitet werden. Ebenso sollten Finanzmittel für den Umbau zu klimaneutralen Krankenhäusern bereitgestellt werden.
Die Erfahrungen aus der Coronakrise zeigen auch, dass das Pandemiemanagement professionalisiert werden muss. Es sollte ein ständiger interdisziplinärer Pandemierat mit medizinischer Expertise etabliert und in die Beratungen von Bund und Ländern eingebunden werden. Ebenso hilfreich wäre eine Verankerung fester Krisenstäbe der Bundesländer unter Einbezug der Ärztekammern im Infektionsschutzgesetz – mit klar definierten Aufgaben, Handlungsmöglichkeiten und vor allem Kompetenzen. Eine regelmäßige Aktualisierung der Pandemiepläne von Bund, Ländern, Kommunen und Gesundheitseinrichtungen sowie kontinuierliche Übungen für alle an der Umsetzung der Pläne Beteiligten sollten gesetzlich vorgeschrieben werden.
Marktbeherrschende Stellung investorenbetriebener MVZ verhindern
Der ambulante Bereich ist in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus renditeorientierter Kapitalanleger gerückt. Ärzte könnten in einen schwer lösbaren Zielkonflikt geraten, wenn sie einerseits ihren berufsrechtlichen Pflichten und eigenen Ansprüchen genügen wollen, andererseits aber unter Druck gesetzt werden, ihr ärztliches Handeln nicht mehr primär am Wohl der zu Behandelnden auszurichten, sondern an den Interessen von Investoren. Eine gesetzliche Regelung, die eine marktbeherrschende Stellung investorenbetriebener Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) verhindern, ist – wie vom 80. Bayerischen Ärztetag in Hof gefordert – dringend geboten.
Versorgungsaufträge regional auszuschreiben wird keine wesentliche Verbesserung der ärztlichen Versorgung bringen.
Wir haben ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem, das in einer gemeinsamen Selbstverwaltung funktioniert. Dieses ist leistungsfähig und stellt die ambulante Versorgung sicher. Sicherstellung durch Gesundheitskonzerne birgt die Gefahr, dass in erster Linie Finanzinteressen im Vordergrund stehen. Unberücksichtigt bleiben die Anliegen von uns Ärztinnen und Ärzten. Lassen Sie uns selbstbewusst Stellungnahmen und Positionspapiere hinterfragen und kritisch kommentieren, wo diese nicht in unserem ärztlichen Interesse liegen.
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