Bevor man die Welt verändert ...

Dr. Gerald Quitterer

Wenn Sie diese Ausgabe des „Bayerischen Ärzteblatts“ in Händen halten, ist die Bundestagswahl 2021 bereits gelaufen. Das Parlament der bayerischen Ärzteschaft steht bevor und es bedeutet für uns nicht, dass wir uns zurücklehnen können – im Gegenteil. Es gilt, den freien Beruf der Ärztin/des Arztes zu verteidigen. In den bewährten Strukturen der bestehenden Versorgungs­ebenen, aber auch im Rahmen der Selbstverwaltung. So haben wir in nahezu allen Wahlprogrammen eine Positionierung zur niedergelassenen Ärzteschaft vermisst. Wie ist das zu deuten? Sind wir zur Selbstverständlichkeit geworden? Dies gilt gleichermaßen für die in den Kliniken tätigen Kolleginnen und Kollegen, wenn von den Strukturen der Krankenhäuser und von einer Krankenhausreform gesprochen wird. Geht es hier nicht in erster Linie um die Institution als um die dort tätigen Kollegen?

Eine Weiterentwicklung im Gesundheitswesen auf Digitalisierung, Telemedizin, Künstliche Intelligenz (KI) und elektronische Patientenakte (ePA) herunterzubrechen ist nicht gleichbedeutend mit einer Verbesserung der Versorgungsqualität. Viele Prozesse sind zu kompliziert und verbürokratisieren unsere Arbeit. Informationstechnik soll den Arzt in seiner Behandlung am Patienten unterstützen und nicht zum Selbstzweck oder zum Datenstaubsauger werden. Digitalisierung muss einen Mehrwert für Patientinnen und Patienten als auch für Ärzte haben. Fehlfunktionen und unzuverlässige Technik dürfen nicht zu Lasten von uns ­Ärzten gehen.

Was sind die tatsächlichen Probleme – ohne politisches Begehr? Wir brauchen keinen Richtungswechsel, keine Kehrtwende, sondern Verlässlichkeit, auch in den bewährten Versorgungsstrukturen. Der dennoch notwendige Reformbedarf umfasst mehrere Bereiche:

» Stärkung der Niederlassung vor allem im ländlichen Bereich und städtischen Problemzonen.

» Digitalisierung zur Erleichterung von Arbeitsabläufen und Kommunikation.

» Anpassung der Versorgung an künftige Herausforderungen und Ausrichtung am Bedarf.

» Mehr Arztarbeitszeit durch mehr Studienplätze für Humanmedizin in Deutschland.

» Versorgung im ländlichen Raum durch moderne und nachhaltige Konzepte sichern.

» Verlässlichkeit bei Planung und Finanzierung von Krankenhäusern.

» Reformierung des Fallpauschalensystems, um Fehlanreize zu vermeiden.

» Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) nachhaltig stärken und ausbauen.

» Kooperation der Gesundheitsfachberufe – interprofessionelle Zusammenarbeit.

Dabei sehe ich die Gefahr einer zunehmenden Kommerzialisierung im Gesundheitswesen. Weiteren Übernahmen der ambulanten Versorgung durch Kapitalgesellschaften oder ­überregionale Private-Equity-Investoren muss entschieden entgegengetreten werden. Ein Zitat des französischen Schriftstellers Paul Claudel lautet: „Bevor man die Welt verändert, wäre es vielleicht doch wichtiger, sie nicht zugrunde zu richten.“ Das gilt auch für unser Gesundheitssystem. Der Weg in Richtung Wertschöpfung am Patienten durch Kommerzialisierung im Gesundheitswesen ist geebnet. Zahlreiche Player drängen ins System und verkaufen ihre wirtschaftlichen Interessen als Innovation. Verwechseln wir dieses Wort mittlerweile nicht mit disruptiv, was aus meiner Sicht in der Versorgungslandschaft fehl am Platze ist?

Wir müssen dafür sorgen, dass genügend Medizinstudienplätze in Deutschland zur Verfügung stehen, um der Herausforderung eines höheren Versorgungsbedarfs in einer älter werdenden ­Bevölkerung begegnen zu können. Eine qualitative Verbesserung des Medizinstudiums, wie im Masterplan Medizinstudium 2020 vorgesehen, ist notwendig, auch wenn sie voraussichtlich zu mehr Kosten führen wird. Dazu muss die neue Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) zügig umgesetzt werden. In anderen Bereichen wird neuen Ausbildungsordnungen auch nicht mit andauerndem Widerstand begegnet.

Der 80. Bayerische Ärztetag findet vom 15. bis 17. Oktober im oberfränkischen Hof statt. Für die Auftaktveranstaltung haben wir Grußworte des Bayerischen Staatsministers für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, und der Hofer Oberbürgermeisterin Eva Döhla sowie ein Impulsreferat „Priorisierung orientiert sich an Schutzbedürftigkeit“ von Professor Dr. Dr. med. habil. Dr. phil. Dr. theol. h. c. Eckhard Nagel, Universität Bayreuth, Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, vorgesehen. Das Thema fällt in die immer noch anhaltende Pandemie, zu deren Beginn die Versorgung von Beatmungspatienten die ethische Diskussion beherrschte. Ein Kernthema war und ist die ärztliche Weiterbildung. 2021 geht es um den Beschluss der neuen Weiterbildungsordnung (WBO). Sie ist die Grundlage für unsere ärztliche Kompetenz in der Berufsausübung und damit Anspruch der Patienten auf eine bestmögliche Versorgung. In diesem Sinne freue ich mich auf spannende und informative Tage in Hof.

 

 

 

 

 

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