BLÄK-Präsident Quitterer im Interview - Respektvolles und wertschätzendes Miteinander

BLÄK-Präsident Quitterer im Interview

Was kommt nach der Ampel-Koalition und was wünscht sich Dr. Gerald Quitterer von einer neuen Regierung? Darüber hat das „Bayerische Ärzteblatt“ mit dem ­Präsidenten der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), gesprochen. Für Quitterer ist klar: Eine neue Regierung ist eine Chance für das Gesundheitswesen, wenn nach der ­Reform vor der Reform bedeutet.

Herr Dr. Quitterer, was bedeutet das Aus für geplante Gesetzesvorhaben, wie beispielsweise das Gesundheitsversorgungsstärkungs­gesetz (GVSG)?

Quitterer: Die Tatsache, dass viele Gesetzvorhaben – darunter das Digital-Gesetz ­(DigiG), die Notfallreform oder das GVSG – auf der Strecke geblieben sind, ist einerseits bedauerlich, sind dabei doch bitternötige Reformen nicht umgesetzt worden. Im GVSG beispielsweise waren wichtige Inhalte, wie die Entbudgetierung ärztlicher Leistungen, zunächst für Hausärztinnen und Hausärzte, enthalten, die relativ rasch umzusetzen wären und bereits im Koalitionsvertrag versprochen wurden. ­Andererseits sind somit Modelle wie flächendeckende Gesundheitskioske oder Regionalverträge zwischen Kommunen und Krankenkassen glücklicherweise aktuell nicht umgesetzt worden, gilt es doch aus meiner Sicht, vor Einführung neuer Versorgungsangebote die etablierten Strukturen zu fördern und zu sichern.

Vieles, was angedacht oder auch schon formuliert war, wurde nicht angepackt insbesondere wirksamer Bürokratieabbau, Förderung der Selbstständigkeit oder die Etablierung einer funktionalen Telematikinfrastruktur – eine ernüchternde Bilanz der Gesundheitsgesetzgebung, die die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte nie wirklich im Blick hatte. Insofern erhoffe ich mir hier von der nächsten Regierung eine zügige Umsetzung von Maßnahmen, besonders zur Stärkung des ambulanten Versorgungssektors und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in den Praxen.

Was sollte die neue Bundesgesundheitsministerin/der neue Bundesgesundheitsminister Ihrer Meinung nach sofort anpacken?

Quitterer: Wir brauchen unbedingt bessere Rahmen- und Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte im ambulanten und im stationären Sektor, um unsere exzellente Gesundheitsversorgung in Deutschland zu erhalten.

Im haus-, kinder- und fachärztlichen Bereich muss die Inanspruchnahme von Leistungen durch veränderte Vergütungsmodelle, ohne Mindestzahlen von Arzt-Patienten-Kontakten für die Abrechnung von Leistungen, geregelt werden, um unnötige Quartalsuntersuchungen zu reduzieren. Allein dadurch könnten Wartezeiten auf Arzttermine verkürzt und überfüllte Wartezimmer vermieden werden. Zudem müssen auch fachärztliche Leistungen entbudgetiert und angemessenes Honorar nicht nur für die Hausarztvermittlungsfälle zur Verfügung gestellt werden. Zu refinanzieren wäre dies durch die auch schon seit Jahren diskutierte Streichung versicherungsfremder Leistungen aus dem Finanztopf der gesetzlichen Krankenkassen. Dringend ist darüber hinaus, dass die ­Tarifsteigerungen der Gehälter von Medizinischen Fachangestellten bei Honorarverhandlungen von den Kostenträgern vollumfänglich übernommen werden. Mit den genannten Maßnahmen könnten wieder Anreize für die Niederlassung geschaffen werden.

Der wachsende Einfluss von Finanzinvestoren, die über investorengetragene Medizinische Versorgungszentren (iMVZ) immer mehr die ambulante Versorgung kontrollieren, muss reguliert werden.

Die umstrittene Krankenhausreform bedarf ­einer Nachjustierung, gerade was Personal- und Strukturvorgaben und das Thema Vergütung von Vorhaltekosten oder steigender Betriebskosten betrifft. Die Aufnahme eines ärztlichen Personalbemessungssystems in das bestehende Gesetz ist in diesem Zusammenhang zu begrüßen. Bei aller Notwendigkeit einer Bereinigung der Krankenhauslandschaft hat sich diese am regionalen Bedarf zu orientieren, was auf Länderebene zu entscheiden ist.

Das weiter ansteigende Patientenaufkommen durch redundante Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen in der Regel- und Notfallversorgung können Praxen und Kliniken in Zukunft nur durch eine konsequente Patientenlenkung bewältigen. Bereits auf dem 128. Deutschen Ärztetag im Mai 2024 haben wir einen Antrag über Steuerungsmöglichkeiten beschlossen. In der Regelversorgung sollen Patientinnen und Patienten für die primäre Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung eine Arztpraxis verbindlich wählen. Dieser erste Anlaufpunkt übernimmt für alle gesundheitlichen Anliegen die primärärztliche Versorgung sowie die Koordination einer notwendigen Weiter­behandlung bei Fachärztinnen und Fachärzten. Die primärärztliche Versorgung erfolgt durch eine Hausärztin, beziehungsweise einen Hausarzt. Schon heute ermöglicht das SGB V gemäß § 73b die hausarztzentrierte Versorgung. Sie soll die Koordinations- und Integrationsfunktion der Hausärztinnen und Hausärzte in enger Zusammenarbeit mit anderen Fachärztinnen und Fachärzten fördern und ist daher zusammen mit einer Stärkung der Praxisteams von der neuen Regierung als freiwilliges Modell vorrangig umzusetzen.
In und vor den Notaufnahmen kann ein validiertes standardisiertes Ersteinschätzungssystem für Entlastung sorgen. In einigen Regionen werden diese neuen Strukturen bereits umgesetzt. Wir benötigen inhaltliche Konzepte in Hinblick auf Demografie, Digitalisierung und zur Vermeidung von Unterfinanzierung.

Taugt die Gesundheitspolitik überhaupt als Wahlkampfthema?

Quitterer: Gesundheitspolitik kann und darf aus dem Wahlkampf nicht herausgehalten werden, betrifft die Gesundheitsversorgung doch alle Menschen in Deutschland direkt und unmittelbar. Es geht um die Qualität und den Zugang zur Versorgung, um die Arbeitsbedingungen der im Gesundheitswesen Tätigen und um die Finanzierung des gesamten Systems. Es geht um Daseinsvorsorge und Gemeinwohlverpflichtung sowie tragfähige Lösungen für die Zukunft, in der immer mehr Patientinnen und Patienten von immer weniger niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten versorgt werden. Auch nach der Wahl stehen wir voraussichtlich vor schwierigen partei­politischen Konstellationen. Einen Automatismus, dass dann vernünftig Gesundheitspolitik gemacht werden wird, gibt es nicht. Die Ärzteschaft wird sich sachlich und fachlich einbringen.

Welche Erwartungen haben Sie an die neue Bundesregierung im Bereich der Digitalisierung?

Quitterer: Ich erwarte Vorgaben für funktionierende Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI), wozu auch ein praktikabler Umgang mit der elektronischen Patientenakte (ePA) zählt, damit diese nicht zu einem Bürokratie-Monster für die Praxen wird. Für den Roll-out muss gelten: Sicherheit vor Schnelligkeit. Digitale Gesundheitsanwendungen und Telemedizin können die Patientenversorgung unterstützen, sind aber vor Einführung auf ihren echten Mehrwert für Patientinnen und Patienten und das Gesundheitssystem zu überprüfen und zu evaluieren.

Warum ist das Thema gesundheitlicher Hitzeschutz aus Ihrer Sicht so wichtig?

Quitterer: Mit dem Klima können wir nicht verhandeln. Aufgrund des Klimawandels sind zukünftig immer extremere Hitzeperioden und in deren Folge auch weitere Extremwetterereignisse zu erwarten, die der Gesundheit der Menschen erheblich schaden und zur Herausforderung für die ärztliche Versorgung werden können. Gleichzeitig beobachte ich mit großer Sorge, dass der konsequente Klima- und Hitzeschutz derzeit in der politischen Debatte an Bedeutung verliert. Konkret brauchen wir verbindliche Hitzeaktions­pläne zur Verhältnis- und Verhaltensprävention hitzebedingter Erkrankungen, chronischer ­Erkrankungen und Infektionskrankheiten auf Ebene der Länder und Kommunen.

Was wünschen Sie sich für dasJahr 2025 und darüber hinaus?

Quitterer: Zunächst einmal: der freie Beruf Arzt muss weiterhin geschützt und die ärztliche Selbstverwaltung gesichert bleiben. Bei allen Gesetzesvorhaben mit gesundheitlichen Belangen muss künftig der Sachverstand der in der Versorgung tätigen Ärztinnen und Ärzte miteinbezogen werden. Dies erfordert Wertschätzung ärztlicher Arbeit und auch der in den Praxen mitarbeitenden Teams. Neue Gesetze müssen mit einer Folgeabschätzung in Bezug auf Versorgung, zusätzliche Bürokratie und auch Nachhaltigkeit konzipiert werden und sollten in den parlamentarischen Verfahren nicht durch mannigfache parteipolitisch geprägte Ergänzungen, die niemand mehr überschauen kann, überfrachtet werden.

Was ich mir weiterhin wünsche, und was wir dringend brauchen, ist die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger. Das beginnt im Kindes- und Jugendalter und erfordert die Vermittlung von Gesundheits- und Klimawissen in der Schule durch Verankerung in den Lehrplänen. Darüber hinaus sind dringend staatliche Maßnahmen flankierend erforderlich, wie Herstellerabgaben auf zuckerhaltige ­Getränke, Werbeverbote für Süßigkeiten, Ausweitung von Rauchverboten, um nur einige, seit Jahren diskutierte Punkte, zu nennen. Solche Maßnahmen wären in einem „Gesundes-Herz-Gesetz“ besser verortet als der gesetzliche Anspruch auf die Verordnung von Lipidsenkern. Der Worte sind genug gewechselt – auch das ist ein Wunsch an die neue Regierung.

Vom Spitzenverband der Krankenkassen erwarte ich mehr Respekt vor der Ärzteschaft und nicht zu jedem Jahresende die stereotype und unsachliche Diskussion über Wartezeiten in den Praxen, statt endlich die Bürokratie abzubauen, die uns Zeit am Patienten raubt.

Ganz persönlich wünsche ich mir ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander.

Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Dagmar Nedbal (BLÄK)

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