Corona ist nicht vorbei
Die Infektionen steigen wieder an – das war vorherzusehen. Die Zunahme von Urlaubsreisen und die Missachtung von Abstandsregeln tragen dazu bei. Kontrollen der Einhaltung der Mund-Nasen-Bedeckung in öffentlichen Verkehrsmitteln finden nicht oder nur ungenügend statt.
Dafür sucht man das Heil in unbegrenzten Testungen. Urlauber vereinbaren aus dem Urlaub heraus bereits einen Testtermin in der Hausarztpraxis. Um Wartezeiten an den Teststationen zu sparen oder eine mögliche Quarantäne zu umgehen, weil sie dennoch ungeachtet aller Vorsichtsmaßnahmen in Risikogebiete fahren. Dazu kommt, dass aktuell vermehrt Arbeitgeber von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fordern, das kostenlose Testangebot in Bayern zu nutzen, um sich in einer vermeintlichen Sicherheit zu wiegen. Davon aber sind wir bei der niedrigen Vortestwahrscheinlichkeit für die Erkrankung bei Menschen ohne Symptome weit entfernt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Diese Testungen sind Momentaufnahmen und sagen nichts über eine schon morgen mögliche Ansteckung eines Menschen aus.
Testkonzepte
Wir sollten uns deshalb nicht auf die ungezielte, kostenlose Testung Gesunder, sondern vielmehr auf die frühzeitige Erfassung symptomatischer Patienten, von Risikogruppen oder Sentineltestungen konzentrieren. Bestimmte Gruppen, wie pädagogisches, pflegerisches und medizinisches Personal müssen priorisiert werden. Damit kann beispielsweise ein geregelter Betrieb in Betreuungseinrichtungen oder Schulen sichergestellt werden, ohne dass es wieder zu kompletten Schließungen kommen muss.
Die unterschiedlichen Testsituationen in den Praxen zu erfassen und in den regulären Praxisbetrieb einzubauen, erfordert einen hohen personellen und logistischen Aufwand. Zeit, die uns für die Behandlung kranker Patienten fehlt. Ganz klar, Corona ist noch nicht vorbei, es gilt durchzuhalten, mit Vorsicht und Vernunft.
Mit zielgerichteten Testkonzepten, die nicht schon von vorherein zu überzogenen Vorstellungen seitens der Menschen führen, wenn sie nicht sofort am Wochenende einen Abstrich bekommen oder mehr als 24 Stunden auf das Testergebnis warten müssen. Wenn bei mehr als 40.000 Testungen an der Grenze nur gut 40, das sind 0,1 Prozent, nicht zugeordnete Abstriche übrigbleiben, ist das zwar für den einzelnen Betroffenen ärgerlich, insgesamt aber eine großartige Leistung unter den gegebenen Bedingungen.
Vor künftigen grundlegenden Entscheidungen muss die Expertise von uns Ärztinnen und Ärzten vor Ort miteinbezogen werden. Konzepte für Urlaubsheimkehrer sind sicherlich richtig, dabei sollten aber die verfügbaren Ressourcen und auch die Konsequenz aus den Testungen berücksichtigt werden.
Impfstoffversorgung
Dazu gehört auch die Planung für die Versorgung mit COVID-Impfstoffen. Die Ministerien für Gesundheit in Bund und Ländern, Gesundheitsämter, aber auch die Kassenärztlichen Vereinigungen müssen möglichst jetzt schon in die Planung für die Versorgung mit COVID-19-Impfstoffen eintreten. Das gilt insbesondere auch für die Deckung des möglicherweise hohen Bedarfs an Kanülen und Spritzen, die benötigt werden, um den Impfstoff zu applizieren.
Eine Last-Minute-Beschaffung großer zusätzlicher Mengen weltweit benötigter Medizinprodukte, das hat jedenfalls die Erfahrung mit den Engpässen der Schutzausrüstung gezeigt, führt zu Unterversorgung und überzogenen Preisen bei teils fragwürdiger Qualität.
Rationierungsentscheidung
Bereits jetzt müssen Konzepte für eine „gestaffelte Verimpfung“ des Serums durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte entwickelt werden, denn vermutlich werden wir nicht auf einen Schlag ausreichend Impfdosen für alle Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung haben. Es müssen Verteilungswege und die Vorbereitung bzw. Koordinierung der Patientenversorgung von der Politik festgelegt werden. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass wir Ärztinnen und Ärzte es zwar durchaus gewohnt sind, tagein, tagaus stille Rationierung zu betreiben, genau unter diesem Faktum aber am meisten leiden und regelmäßig einfordern, dass nicht uns die Rationierungsentscheidung auferlegt wird, sondern dass sich die Politik offen dazu bekennt.
Dabei darf verfügbarer Impfstoff weder zum Spielball von wirtschaftlichen Interessen werden, noch darf die Pharmaindustrie uns Ärztinnen und Ärzten diktieren, welchen Impfstoff wir verwenden müssen. Daher ist es notwendig, bereits jetzt Kriterien für eine spätere Vergabe festzulegen und nicht uns, die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, mit diesen Entscheidungen alleine zu lassen.
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