Die digitale Welt verschlafen?

Dr. Max Kaplan

Die Digitalisierung verändert das Gesundheitswesen. Unsere Welt ist geprägt durch exponentielle IT-Entwicklungen mit gigantischen Datenströmen. Wir Ärztinnen und Ärzte haben jetzt den Auftrag, diese Technologien im Gesundheitswesen kritisch zu begleiten, mitzusteuern und mitzugestalten, wollen wir nicht schon bald auf der Standspur der globalen Datenautobahn landen. Wir haben die digitale Medizin wohl begründet lange ignoriert und befinden uns heute im Wettstreit mit Global-Playern und Start-Ups, mit Anbietern von Gesundheits-Apps oder digitalen Arzneimitteln. Ist die Chance in der digitalen Welt für uns bereits vertan? Ich denke nicht, wenn wir jetzt die Chancen wahrnehmen, ärztliches Wissen IT-fähig zu machen und die Gestaltung der digitalen Servicewelt in die Hand nehmen.

Die Vorteile, die telemedizinische Anwendungen – gerade auch in einem Flächenstaat wie Bayern – bringen können, sind zahlreich. Anwendungen finden wir in Telediagnostik, -konsultation und -metrie oder im -Monitoring. Viele Gebiete haben mit der Vorsilbe „Tele“ bereits Potenziale eröffnet, die aus der heutigen Versorgungslandschaft nicht mehr wegzudenken sind, wie etwa die Telekardiologie oder die Teleradiologie. Telekonsile können die Arzt-Arzt-Kommunikation beschleunigen, was auch den Patientinnen und Patienten zugutekommt. Das soeben verabschiedete E-Health-Gesetz wird schon bald neue Anwendungen für Ärzte und Versicherte bringen, denn bis 2018 sollen alle Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen sein. Hierzu zählen zum Beispiel der Medikationsplan, der elektronische Arztbrief, Videosprechstunden bei Bestandspatienten oder auch die elektronische Patientenakte. Unsere Patientinnen und Patienten wünschen diese Form der Onlinekommunikation, doch kann eine Videosprechstunde immer nur eine optionale Ergänzung sein, nicht aber den direkten Patientenkontakt ersetzen. Gerade das vertrauensvolle Patienten-Arzt-Verhältnis darf auf keinen Fall unter der Digitalisierung der Medizin leiden, die Patientensicherheit nie in Frage gestellt sein. Dies müssen wir stets im Fokus haben.

Datensicherheit

Sensible Gesundheitsdaten sind begehrt, deshalb muss sichergestellt sein, dass niemand unwissentlich mit der Preisgabe persönlicher Daten für die über 100.000 Gesundheits-Apps bezahlt. Die Gefahr ist nicht irreal; auch will sich Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bei seinen europäischen Amtskollegen für mehr Datensicherheit bei Smartphone-Apps einsetzen, was ich begrüße. Auch der Deutsche Ärztetag in Hamburg hatte Ende Mai mehr Transparenz für Nutzer von Gesundheits-Apps, die bei Prävention, Diagnostik und Therapie nützlich sein können, gefordert. Aber sie bergen auch Risiken, vor allem bezüglich Zuverlässigkeit und Datensicherheit. Kein Zweifel darf darüber bestehen, dass auch Gesundheits-Apps von privaten Krankenversicherungsunternehmen oder von gesetzlichen Krankenkassen den geforderten Qualitätsstandards unterliegen müssen. Daten aus diesen Anwendungen dürfen beispielsweise nicht zur individuellen Risikoadjustierung privater Krankenversicherungstarife eingesetzt werden. Ich warne vor Bestrebungen von gesetzlichen Krankenkassen, Daten aus Gesundheits-Apps und Fitness-Trackern in der geplanten elektronischen Patientenakte zu sammeln und diese von den Krankenkassen verwalten zu lassen, dienen doch Patientenakten und -daten ausschließlich der ärztlichen Versorgung und gehören nicht in die Hände der Krankenkassen.

Digitale Vernetzung

Dabei ist die digitale Vernetzung in Kombination mit dem Gesundheitswesen enorm gesellschaftsrelevant. Sinnvolle medizinische Anwendungen könnten bald schon sogenannte digitale Medikamente sein. Die Verbindung von lebensnotwendigen Medikamenten mit Datenströmen, gewonnen durch neuartige Sensoren, beschleunigt durch die mobile Revolution durch Smartphones, ist nur ein Teilaspekt von E-Health. Unsere Patienten informieren sich heute im Internet über Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten. Sie messen mit Apps und Fitnessarmbändern ihre Vitalwerte. Die Fülle an Applikationen, die sich Nutzer auf ihre Mobilgeräte herunterladen können, bringt uns in ein Spannungsfeld zwischen Segen und Fluch und macht deshalb eine Zertifizierung dieser Apps notwendig. Unterschieden werden muss vor allem zwischen Apps, die dem Lifestyle dienen, und medizinischen Gesundheitsprodukten. Und nicht wenige sehen in uns Ärztinnen und Ärzten inzwischen Erfüllungsgehilfen ihrer Optimierungswünsche. Ein weiterer Aspekt: Mit diesem Messen und Tracken gelangen gleichzeitig immer mehr gesundheitsrelevante Daten ins Netz, die dann irgendwo in diesen riesigen „Big Data“ strömen.

Dennoch müssen wir Ärztinnen und Ärzte die digitalisierte Medizin als Herausforderung begreifen. Zunächst ging es uns um die Beschäftigung mit den berufsrechtlichen Fragen. Die Berufsordnung statuiert dabei kein generelles Fernbehandlungsverbot, jedoch fordert sie ganz klar, dass auch bei einer telemedizinischen Versorgung eine unmittelbare Behandlung des Patienten durch einen Arzt gewährleistet sein muss. Jetzt müssen wir selbst die Instrumente entwickeln, die wir brauchen, um diese digitale Welt mitzugestalten. Mit einer flächendeckenden Einführung des elektronischen Arztausweises, einer Klarstellung über die berufsrechtlichen Pflichten durch die Berufsordnung und entsprechenden Fortbildungsangeboten schaffen wir die Rahmenbedingungen. Jetzt haben wir noch die Möglichkeit, zu gestalten und das Feld nicht den großen Konzernen zu überlassen. Denn dann würden wir sehr schnell nur noch zu Figuren, die zu funktionieren haben mit Verlust unseres Ethos, unserer Empathie und unseres Altruismus, was auch weiterhin den Arzt auszeichnen muss.

 

 

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