Die Ebola-Krise in Westafrika: Keine Entwarnung
An Tropenkrankheiten leiden weltweit rund eine Milliarde Menschen, die weit überwiegend den ärmsten Bevölkerungsgruppen angehören. Auch der 118. Deutsche Ärztetag 2015 befasst sich unter anderem mit dem Thema „Medizin in Zeiten globaler Epidemien“. Das „Bayerische Ärzteblatt“ befragte dazu Professor Dr. August Stich, Chefarzt der Fachabteilung Tropenmedizin der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg.
Ärzte ohne Grenzen warnen davor, wegen sinkender Patientenzahlen die Anstrengungen zur Ebola-Bekämpfung jetzt zu verringern. Wie ist der Status quo?
Stich: Das Jahr 2014 sah den größten Ebola-Ausbruch aller Zeiten. Mehr als 25.000 Menschen waren von einer der gefährlichsten Infektionskrankheiten der Menschheit betroffen, über 10.000 starben daran. Überlebende werden stigmatisiert, viele leiden unter dem „Post-Ebola-Syndrom“. Während sich Liberia „on the road to zero” befindet, ist das Nachbarland Sierra Leone immer noch von neuen Fällen betroffen. In Guinea ist der Ausbruch nach wie vor nicht unter Kontrolle. Aufgrund der Tatsache, dass Ebola nahezu aus den Medien verschwunden ist, darauf zu schließen, dass die Seuche überwunden ist, wäre ein fataler Trugschluss.
Wo hat sich die Lage entspannt, wo nicht?
Stich: Wir haben die Chance, sehr viel aus dem Ebola-Ausbruch zu lernen. Das, was im Jahr 2014 passiert ist, kann man nicht allein mit virologischen Erklärungen oder einer „basalen Reproduktionsrate“ beschreiben. Es war vor allem die Folge menschlichen Versagens. Die Fehler fanden auf vielen Ebenen statt: regional, national und international. Speziell in Guinea, wo die Epidemie nach wie vor anhält, herrscht das größte Misstrauen der Bevölkerung gegenüber staatlichen Strukturen, auch gegenüber dem medizinischen System. Als Folge von wirtschaftlicher Not, Krieg, Korruption, jahrhundertelanger Ausbeutung bis hin zum Ausverkauf des Landes an internationale Konzerne und chinesische Unternehmen entstand ein tiefes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber allen Einflüssen von außen. Wenn jetzt sogenannte Experten in Uniformen oder Schutzanzügen der Bevölkerung sagen wollen, was zu tun ist, kann man nicht davon ausgehen, dass diese Maßnahmen auf Vertrauen und die Bereitschaft zur schnellen Umsetzung stoßen. Was aktuell passiert, ist die Folge einer von uns über lange Zeit zugelassenen Unterentwicklung einer Großregion.
Wie funktioniert das öffentliche Gesundheitssystem vor Ort?
Stich: In den drei Krisenländern gab es praktisch kein Gesundheitssystem. Zwar existierten medizinische Einrichtungen unterschiedlicher Qualität, aber die Möglichkeit des Staates, über einen öffentlichen Gesundheitsdienst, der auch nur annähernd diesen Namen verdienen würde, zu reagieren, waren äußerst begrenzt bis nicht existent. Aus diesem Grund war von vornherein die Bekämpfung der Ebola-Epidemie eine internationale Aufgabe. Diese wurde nur ungenügend wahrgenommen. Hilfe von außen kam, abgesehen von wenigen Hilfsorganisationen, die rasch vor Ort waren, viel zu spät und war dem Bedarf häufig nicht angemessen.
Wie funktioniert die Arbeit der internationalen Hilfsorganisationen?
Stich: Die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen oder von Nichtregierungsorganisationen ist in Katastrophen und Notsituationen von entscheidender Bedeutung. „Ärzte ohne Grenzen“ haben im Jahr 2014 Vorbildliches geleistet. Erst später folgten andere nach. Die Bereitschaft der Zusammenarbeit zwischen sonst in Konkurrenz stehenden Organisationen war relativ gut ausgeprägt. Auch bei der Vorbereitung und Ausbildung von Fachkräften in Deutschland fand eine enge Kooperation zwischen unterschiedlichen Organisationen und Institutionen statt.
Wissen Sie etwas über die Arbeit von „Rapid Response Teams“?
Stich: In die öffentliche Diskussion werden zunehmend „Rapid Response Teams“ als Lösung künftiger Katastrophen eingebracht. Dazu muss man wissen, dass nach der Finanzkrise 2008 die Weltgesundheitsorganisation durch massive Mittelkürzungen kaum mehr handlungsfähig war. Insbesondere die Abteilungen, die sich mit der schnellen Reaktion auf Ausbrüche befasst haben, wurden bis hin zur Inoperationalität beschnitten. Die Idee, Einsatzteams zu bilden, die schnell verfügbar sind, ist nicht neu und bedeutet aber auch, dass man dafür die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen muss. Dies sollte nicht als Folge eines kurzfristigen Aktionismus, sondern mit dem Ziel der Bildung nachhaltiger und effizienter Strukturen erfolgen. Dabei sollte man strikt zwischen humanitärer Hilfe und militärischer Struktur unterscheiden. Aus diesem Grund halte ich auch den Begriff „Weiß-Helme“ für irreführend.
Wo liegen die gravierendsten Schwachstellen in der Bekämpfung der Epidemie?
Stich: Die Bekämpfung einer Epidemie eines solchen Ausmaßes, wie es sich beim Ausbruch von Ebola in Westafrika entwickelt hat, ist immer eine internationale Aufgabe. Wir haben die Herausforderung erst begriffen, als Bedrohungsszenarien für unser eigenes Gesundheitssystem konstruiert wurden. Erst dann war klar geworden, dass der beste Schutz für uns die Bekämpfung der Seuche vor Ort sein muss. Dies gilt auch für viele andere Beispiele in diesem Sektor. Wir müssen begreifen, dass Gesundheit ein Thema ist, das über nationale Grenzen hinweg eine globale Herausforderung darstellt. Das Menschenrecht auf Gesundheit ist universell. Neben der fachlich-technischen medizinischen Arbeit gilt es, die sozialen Determinanten von Gesundheit zu identifizieren und nachhaltig zu verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Sophia Pelzer (BLÄK)
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