Die soziale Dimension der Pandemie

Dr. Andreas Botzlar 1. Vizepräsident der BLÄK

Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels werden zukünftig weiter zunehmen und betreffen grundsätzlich alle Menschen. So belasten etwa hohe Temperaturen das Herz-Kreislaufsystem, aber auch den Magen-Darm-Trakt, das Gehirn und die Psyche. Insofern ist der Beschluss des 124. Deutschen Ärztetags vom 4. und 5. Mai 2021, dieses wichtige Thema in die allgemeinen Inhalte der (Muster-)Weiterbildungsordnung aufzunehmen, ein Meilenstein. Ich werde mich dafür einsetzen, diese Entschließung des Deutschen Ärztetags auch in die Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns zu überführen, damit alle sich im Freistaat Bayern weiterbildenden Ärztinnen und Ärzte zusätzliche Qualifikationen in diesem Bereich erwerben können. Auch die Eindämmung von Infektionskrankheiten wird vor diesem Hintergrund für die Medizin übrigens weiter an Bedeutung gewinnen.

Entschlossen haben sich die Abgeordneten des Deutschen Ärzte­tags auch für eine grundlegende Reform des zu stark rendite­orientierten Systems der Krankenhausfinanzierung ausgesprochen. Diese ist ebenso überfällig wie notwendig. In der Corona-Pandemie zeigt sich wie unter einem Brennglas, wie das fallzahlabhängige Entgeltsystem im stationären Bereich immer stärker versagt, wenn in die Pandemiebekämpfung durch spezifische Aufgabenzuweisung vollständig eingebundene Krankenhäuser nur durch zusätzliche Ausgleichszahlungen vor dem finanziellen Kollaps bewahrt werden können. Kliniken, die sich nicht auf lukrative Teilleistungen fokussieren, sondern – ihrer eigentlichen Aufgabe gemäß – die medizinische Versorgung der Bevölkerung sichern, bewegen sich wirtschaftlich meist auf schwierigem Terrain. Aus dem langjährigen Kampf für angemessene Arbeitsbedingungen und Entgelte für in Krankenhäusern angestellte Ärztinnen und Ärzte weiß ich, wie sehr die in zahlreichen Fällen inadäquate Bezahlung des gesamten Klinikpersonals Folge des derzeitigen Fallpauschalen-Systems ist. Seit der Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRGs hat sich der ökonomische Druck auf Ärztinnen und Ärzte weiter erhöht, da Erlöse nun nur noch zu Lasten des „Restpersonals“, das sie zu wesentlichen Teilen stellen, optimiert werden können. Leidtragende dieser Entwicklung sind am Ende immer jene Patientinnen und Patienten, welche der Politik vorgeblich am Herzen liegen. Der Deutsche Ärztetag fordert, die Krankenhausfinanzierung ­prioritär am tatsächlichen Behandlungsbedarf und den dafür nötigen Personal- und Vorhaltekosten auszurichten. Bleibt zu hoffen, dass diese Forderung nicht weiter auf taube Ohren jener Politik stößt!

Abseits der Beschlüsse des Deutschen Ärztetags verdient ein anderes Thema mehr Aufmerksamkeit: Die gesundheitliche Situation von Menschen mit Migrationshintergrund während der Pandemie. Erst Ende April hat der Präsident des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten erklärt, auf den Intensivstationen würden derzeit mehrheitlich Corona-Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund behandelt. Warum ist das so? Zunächst ist dies sicherlich eine Konsequenz vorhandener Sprachbarrieren. Manche Informationen, etwa über Infektionsprävention und Corona-Impfangebote, kommen nur unzureichend an. Staat und Gesellschaft müssen also unbedingt durch passgenauere Handreichungen und mehr Aufklärungsarbeit gegensteuern. Außerdem zeigen internationale Studien, dass Menschen aus sozial schwächeren Schichten, zu denen Migrantinnen und Migranten oft gehören, häufiger unter einer Corona-Erkrankung leiden. An schlecht bezahlten Arbeitsplätzen haben diese Menschen oftmals besonders häufigen Kontakt zu ihren Mitmenschen – beispielsweise im Lebensmitteleinzelhandel und öffentlichen Personenverkehr. Auch das Zusammenleben in beengten Wohnverhältnissen spielt bei der statistisch häufigeren Erkrankungsrate ökonomisch und sozial benachteiligter Personen sicherlich eine Rolle. Die Stadt Köln hat deswegen bereits Anfang Mai mobile Impfteams in die sozialen Brennpunkte der Stadt entsandt, um deren Bewohner prioritär gegen COVID-19 zu impfen. Dies ist ein ebenso wichtiger Baustein der Pandemiebekämpfung wie die im Freistaat Bayern praktizierte bevorzugte Impfstoffversorgung regionaler Corona-Hotspots. Die Konzen­tration auf derartige Schwerpunkte kann also auch eine sinnvolle Priorisierungsmatrix darstellen und ein rasches Absinken der Corona-Inzidenz und damit eine Entlastung unseres Gesundheitssystems herbeiführen helfen, damit dieses wieder für seine zahlreichen Aufgaben neben der Pandemiebekämpfung zur Verfügung stehen kann.

Abschließend möchte ich noch kurz auf den in dieser Ausgabe des „Bayerischen Ärzteblatts“ veröffentlichten Essay von Dr. Mathias Wendeborn zum Thema „Rassis­mus im deutschen Gesundheitswesen“ eingehen. Das obige Beispiel der gesundheitlichen Situation von Menschen mit Migrations­hintergrund während der Pandemie veranschaulicht, wie es zu einer Benachteiligung von Migranten im deutschen Gesundheitssystem kommen kann. Ich halte dies aber nicht für strukturell in der Medizin verankerten Rassismus, sondern vielmehr für eine Folge von sozioökonomischen Disparitäten und Informationsdefiziten. Aufklärungsprogramme und mehr Bildungsgerechtigkeit könnten Abhilfe schaffen. Leider gibt es darüber hinaus aber auch in der Medizin – wie wohl in allen Gesellschaftsbereichen – Einzelne, welche Migranten schon allein aufgrund unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe oder eines abweichenden Habitus mit tatsächlichem Rassismus begegnen. Das dürfen wir nicht tolerieren! Im Genfer Gelöbnis sind die ureigensten Aufgaben von uns Ärztinnen und Ärzten niedergelegt. Dazu gehört auch, unser Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen und Erwägungen von Glauben und ethnischer Herkunft nicht zwischen uns und unsere Patienten treten zu lassen.

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