Drei Highlights aus der Gastroenterologie

Gastroenterologie

Das Zentrum Innere Medizin Garmisch-Partenkirchen mit seinem Zweitstandort Murnau umfasst die Fachdisziplinen Gastroenterologie, Onkologie, Kardiologie, Pneumologie, Nephrologie, Diabetologie und Geriatrie. In unserer Endoskopie werden im Jahr ca. 8.000 Endoskopien durchgeführt. Die drei vorgestellten Fälle bieten jeweils einen überraschenden Verlauf und ermahnen uns zur genauen Untersuchung.


Erster Fall: Ein ungewöhnlicher Fremdkörper

Anamnese

Ein 30-jähriger Patient stellt sich vormittags in unserer Notaufnahme vor. Er habe zum Frühstück einen Energydrink aus einer Dose getrunken. Dabei habe er die Lasche der Dose verschluckt. Er spüre, dass diese weiterhin im Hals stecke. Es bestehen keine Vorerkrankungen und keine dauerhafte Medikamenteneinnahme.

Klinischer Befund

Körperliche Untersuchung und Laborparameter des internistischen Routinelabors sind unauffällig.

Diagnostik

Es erfolgte eine Gastroskopie. Die Lasche der Dose kann nirgends gefunden werden (Abbildung 1). Lediglich im Rachen dorsal der Epiglottis findet sich unter einem Speichelbläschen eine 1 x 1 mm große, wie ein Körnchen imponierende Struktur (Abbildung 2). Erst beim Versuch, diese mittels einer Biopsiezange zu bergen wird deutlich, dass diese Struktur länglicher Form ist und etwa 0,5 cm ins Gewebe hineinragt (Abbildungen 3 und 4). Eine histologische Aufarbeitung ergibt folgenden Befund: „teils polarisationsmikroskopisch doppelbrechendes, teils nicht doppelbrechendes Material, morphologisch differenzialdiagnostisch durchaus vereinbar mit Arthropodenmaterial.“ Makroskopisch kann die Struktur als Bienenstachel identifiziert werden.


Fall 1 – Ein ungewöhnlicher Fremdkörper – Abbildung 1) Blick auf Hypopharynx und Epiglottis; Abbildung 2) körnige Struktur dorsal der Epiglottis; Abbildungen 3 und 4) Entfernung des Fremdkörpers

Das Verletzungsmuster lässt sich also wie folgt rekonstruieren: Unbemerkt vom Patienten war eine Biene in seine Getränkedose geflogen. Diese wurde vom Patienten verschluckt und stach ihn in den Hypopharynx.

Diskussion

Fremdköper im oberen Gastrointestinaltrakt stellen eine häufige Notfallindikation zur Gastro­skopie dar. Eine endoskopische Entfernung ist in folgenden Fällen nötig: Spitze Fremdkörper mit Verletzungsgefahr (zum Beispiel die typische Fischgräte im Recessus piriformis), Batterien (Gefahr der Verätzung), Fremdkörper, welche im Dünndarm einen Ileus verursachen können. Im vorliegenden Fall gab es mehrere Risikofaktoren für ein Übersehen des Befundes. Zum einen war die Anamnese irreführend. Auf der Suche nach einem Metallfremdkörper kann der oberflächlich nur sehr diskrete Befund leicht übersehen werden. Zum anderen befand sich der Bienenstachel in einer Region, die mit dem Endoskop in der Regel rasch passiert wird, um eine Reizung der empfindlichen Epiglottis zu vermeiden.

Ein Übersehen des Stachels hätte möglicherweise zu einer lokalen Infektion führen können oder zu einer allergischen Reaktion, die zu spät erkannt wird. Dies wurde nur durch eine aufmerksame, gewissenhafte und ergebnisoffene Untersuchungstechnik verhindert.


Zweiter Fall: Unterbauchschmerzen ohne erhöhte Entzündungszeichen

Anamnese

Ein 46-jähriger Patient wird uns zur endoskopischen Verlaufskontrolle einer unspezifischen Kolitis nach erfolgter Mesalazin-Therapie vorgestellt. Beim Patienten liegt seit einem Autounfall eine Tetraplegie sub-C5 vor. Im Kindesalter sei eine akute lymphatische Leukämie (ALL) erfolgreich mittels Radiochemotherapie und zweimaliger Knochenmarkstransplantation behandelt worden. Der Patient klagt über mäßige linksseitige Unterbauchschmerzen im Sitzen. Diese Beschwerden lassen sich in der körperlichen Untersuchung als Druckschmerz reproduzieren. Die Entzündungszeichen im Labor sind nicht erhöht.

Diagnostik

Im Rahmen der Koloskopie zeigt sich ca. zwei Zentimeter zirkulär um den Appendixabgang eine gerötete, ödematöse und verhärtete Schleimhaut (Abbildung 5); aus diesem Areal werden Biopsien entnommen. Das restliche Kolon ist makroskopisch entzündungsfrei. Der histologische Befund lautet: „geringgradig aktive Kolitis. Keine Chronizitätszeichen und keine Granulome. Die Veränderungen vereinbar mit infektiöser Genese.“


Abbildung 5: Fall 2 – Unterbauchschmerzen ohne erhöhte Entzündungszeichen – zirkulär um den Appendixabgang gerötete und ödematöse Schleimhaut


In der Abdomensonografie zeigt sich ein sehr langer, aber nicht entzündlich verdickter Appendix. Im Rahmen eines CT-Abdomen wird ein „langer Appendix mit vermutlich geringen Mengen von intraluminalem Kontrastmittel sowie einige nicht vergrößerte Lymphknoten inguinal und entlang der Iliakalgefäße beschrieben“ (Abbildungen 6 und 7).


Abbildung 6: Fall 2 – Unterbauchschmerzen ohne erhöhte Entzündungszeichen – verdickte Zökalwand mit Appendixabgang; Abbildung 7: Fall 2 – Unterbauchschmerzen ohne erhöhte Entzündungszeichen – leicht aufgetriebener Appendix mit Lufteinschluss  

Zusammengefasst konnten trotz Unterbauchschmerzen und entzündlich verändertem Zökalpol laborchemisch sowie sonografisch kein hartes Korrelat einer Appendizitis nachgewiesen werden. Da aufgrund der Tetraplegie grundsätzlich eine deutlich erschwerte klinische Beurteilbarkeit vorliegt und aufgrund des suspekten CT-Befundes entschieden wir uns gemeinsam mit dem Patienten, trotz nur „weicher“ Indikation, zur diagnostischen Laparoskopie. Intraoperativ wurde die Diagnose einer chronischen Appendizitis gestellt, es erfolgte die Appendektomie. Hierbei konnte eine auffallende Verhärtung des Appendix festgestellt werden. Histologisch wurde uns folgender Befund mitgeteilt: „Appendix vermiformis mit transmuralen dissoziierten Infiltraten eines Becherzellkarzinoids mit fokaler Ausdehnung in die Subserosa, rekonstruierte Größe ca. 2 cm, vollständige Resektion, pT3, Nx, L0, V0, R0“. Die Tumormarker Chromogranin A (für Karzinoid) sowie CEA, CA-19-9 und CA-125 (für Becherzellkarzinoid) waren alle negativ. Gemäß Empfehlung der interdisziplinären Tumorkonferenz erfolgte die Hemikolektomie rechts. Die Histologie ergab ein Tumorstadium pT3 pN0 M0 L0 V0, alle 55 resezierten Lymphknoten waren tumorfrei.

Diskussion

Im geschilderten Fall liegt in vielerlei Hinsicht eine komplexe Situation vor. Zum einen stellen uns Querschnittspatienten aufgrund der eingeschränkten Schmerz- und Körperwahrnehmung vor diagnostische Herausforderungen. Aufgrund der eingeschränkten Darmmotilität ist die endoskopische Untersuchung bzw. Beurteilbarkeit trotz verlängerter Darmvorbereitung oft ebenfalls eingeschränkt. Zum anderen handelt es sich beim Becherzellkarzinoid um eine seltene, häufig klinisch inapparente, aber aufgrund des hohen Metastasierungspotenzials hoch gefährliche Erkrankung. Während konventionelle Appendixkarzinoide eine geringe Metastasierungsrate aufweisen, liegt bei Becherzellkarzinoiden, die eine Größe von über zwei Zentimetern aufweisen, das Risiko für Lymphknoten- und Fernmetastasen bereits bei 20 bis 30 Prozent. Deshalb ist bei allen Patienten mit einem Becherzellkarzinoid im kurativem Setting immer eine Hemikolektomie rechts indiziert. Letztendlich führte der endoskopische Befund und die diskrete Klinik trotz negativer Entzündungsparameter und relativ unauffälliger Bildgebung zur diagnostischen Laparoskopie unter der Verdachtsdiagnose „chronische Appendizitis“. Im Rahmen dieser Laparoskopie konnte die korrekte Diagnose gestellt, eine kurative Behandlung durchgeführt und der gefährliche Verlauf abgewendet werden.

Dritter Fall: Ein 46-jähriger Patient mit akuten Unterbauchschmerzen

Anamnese und Initialbefund

Die Vorstellung erfolgte bei seit acht Stunden kolikartigen Bauchschmerzen periumbilikal, seit einigen Stunden strahlten die Schmerzen in beide Flanken aus. Seit zwei Tagen bestehe eine Polyurie ohne Dysurie. An Vorerkrankungen sind ein insulinabhängiger Diabetes Mellitus sowie eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bekannt. Bei der initialen körperlichen Untersuchung konnte bei weichem Abdomen kein Druckschmerz ausgelöst werden, es bestand kein Peritonismus, die Darmgeräusche waren regelrecht. An beiden Nierenlagern bestand ein Klopfschmerz. Im Aufnahmelabor konnte eine milde Leukozytose von 11,7/nl (Normwert bis 11,5/nl) festgestellt werden: CRP, PCT, Transaminasen, Cholestaseparameter, Kreatinin und Urinstatus waren im Normbereich. Eine in der Notaufnahme durchgeführte Sonografie ergab, abgesehen von einer Splenomegalie, keinen wegweisenden Befund, ein Harnstau und Nierensteine konnten ausgeschlossen werden, ferner war der Darm unauffällig, es bestand keine freie Flüssigkeit. Der Patient wurde stationär aufgenommen.

Verlauf

Am Folgetag berichtete der Patient bei der Visite eine deutliche Zunahme der Bauchschmerzen. Das Schmerzmaximum befand sich nun an der rechten Flanke. Das CRP stieg auf 9,5 mg/dl (Normwert bis 0,5mg/dl). Eine erneute Sonografie ergab am Punkt des Schmerzes, direkt unterhalb des rechten Rippenbogens zur rechten Flanke hin eine pathologische Kokarde mit einem ca. 6 mm großen reproduzierbaren echoreichen Reflex mit dorsaler Schall­auslöschung, welcher als Konkrement oder Luft gedeutet wurde (Abbildungen 8 und 9).


Abbildung 8: Fall 3 – Ein 46-jähriger Patient mit akuten Unterbauchschmerzen – Appendixwand auf neun Millimeter erweitert

 


Abbildung 9: Fall 3 – Ein 46-jähriger Patient mit akuten Unterbauchschmerzen – Luftreflex mit dorsaler Schallauslöschung 

Bei klinischer peritonealer Reizung wurde zur besseren Klärung der OP-Indikation ein CT-Abdomen mit folgendem Befund durchgeführt: „Auf zwölf Millimeter verbreiterter, unscharf begrenzter Appendix retrozökal hochgeschlagen. Neben der Spitze der Appendix ist eine kleine punktförmige Verkalkung zu sehen. Sollte es sich dabei um einen Appendikolithen handeln, muss der Appendix bereits eine kleine Perforation aufweisen (Abbildungen 10 und 11). Lufteinlagerungen um die Appendix oder ein perityphlitischer Abszess finden sich nicht.“


Abbildung 10: Fall 3 – Ein 46-jähriger Patient mit akuten Unterbauchschmerzen –  massiv aufgetriebener Appendix

 


Abbildung 11: Fall 3 – Ein 46-jähriger Patient mit akuten Unterbauchschmerzen – entzündliche Fettgewebsreaktion bis an die Aortenbifurkation

Es erfolgte die notfallmäßige laparoskopische Appendektomie. „Im Bereich des Dünndarmes Peritonitis im rechten Unterbauch, auch das Omentum ist teilweise fibrinbelegt. Es liegt eine perforierte Appendizitis vor, die Appendix ist lateral am Zökalpol verklebt.“ (Abbildung 12)


Abbildung 12: Fall 3 – Ein 46-jähriger Patient mit akuten Unterbauchschmerzen – Appendix mit Zökalpol

Der weitere Verlauf war komplikationslos, der Patient konnte am siebten Tag postoperativ entlassen werden.

Diskussion

Am vorliegenden Fall lassen sich einige Fallstricke bei der Diagnose und Therapie der akuten Appendizitis darlegen. Häufig ist die Symptomatik zu Beginn irreführend und auch das initiale Labor nicht wegweisend. Bei unserem Patienten wiesen die beidseitigen Flankenschmerzen nicht unbedingt auf die Appendizitis hin, die Entzündungszeichen waren noch kaum erhöht, und auch die Sonografie in der Nothilfe konnte keinen eindeutigen Beitrag zur Diagnosefindung leisten. Somit war eine zweite Untersuchung am Folgetag inklusive erneuter Sonografie und Blutentnahme zur Diagnosestellung zwingend erforderlich. Trotz der initial unspektakulären Präsentation der Beschwerden und Befunde lag bereits 20 Stunden später eine Perforation mit Peritonitis vor. Dies verdeutlicht den oft akuten Verlauf der Appendizitis. Deshalb ist auch in den Zeiten moderner diagnostischer Möglichkeiten eine hohe Aufmerksamkeit und Sorgfalt erforderlich, um eine korrekte Diagnose und rechtzeitige operative Versorgung zu gewährleisten. Ebenso ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Gastroenterologen und Viszeralchirurgen unverzichtbar. Der Fall zeigt auch, dass bei Sonografie des Appendix die retrozökale Lage (in bis zu 60 Prozent der Fälle) zu bedenken ist, nach der sonografisch gezielt gesucht werden muss. Eine CT-Untersuchung kann bei unklarer Klinik und schlechten Schallbedingungen eine wichtige Ergänzung sein.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-ärzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.


Autoren


Dr. Julian Pommer¹

 

 
Dr. Mariam Steinhardt¹

 


Philine Düssel²

 


Professor Dr. Hans-Dieter Allescher¹


¹ Klinikum Garmisch-Partenkirchen GmbH, Auenstraße 6, 82467 Garmisch-Partenkirchen

² Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau, Prof.-Küntscher-Straße 8, 82418 Murnau  

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