Fach- und Koordinierungsstelle PSU Bayern

PSU Bayern

Psychosoziale Unterstützung (PSU) als freiwilliges Handlungsfeld der Bayerischen Landesärztekammer etabliert

Nach Abschluss der mehrjährigen Projektphase und folgend dem Beschluss des 81. Baye­rischen Ärztetages besteht nun ein dauerhaftes System der kollegialen Unterstützung bei schwerwiegenden Ereignissen für die Ärztinnen und Ärzte sowie ihre Teams in Bayern. Das Thema der potenziellen psychischen Verletzung bzw. berufsbedingten Traumatisierung wird inzwischen verstärkt in Fachgesellschaften und auch der Öffentlichkeit diskutiert.

 

Als Second Victim gilt nach der deutschen Übersetzung der Definition des European Researchers’ Network Working on Second Victims (ERNST) „Jede Fachkraft im Gesundheitswesen, die ­direkt oder indirekt an einem unerwarteten unerwünschten Patientenereignis, einem unbeabsichtigten Fehler in der Gesundheitsversorgung oder einer Patientenschädigung beteiligt ist und die zur betroffenen Person wird, indem sie ebenfalls beeinträchtigt ist“ (Rösner et al., 2024).

Auch ohne tatsächlichen Fehler, nur durch das Involviert-Sein in ein schwerwiegendes Ereignis, können im Bewusstsein der Verantwortung Gefühle von Schuld, Scham oder Selbstzweifel aufkommen und Belastungsreaktionen und ­-störungen auslösen.

PSU-Akut e. V. setzt auf ein Konzept der abgestimmten Verhaltens- und Verhältnisprävention im Einsatz für mentale Gesundheit unter den spezifischen Belastungen, die medizinische Versorgung mit sich bringen kann. Leitgedanke ist der Peer, der als Kollege und niederschwelliger Gesprächspartner primär, sekundär und tertiär präventiv wirkt, wenn Mitarbeitende mit schwerwiegenden Ereignissen im medizinischen Alltag konfrontiert werden. Er kann frühzeitig unterstützen, sodass die Betroffenen in der schwierigen Situation schneller wieder sicher, stabil und handlungsfähig werden und langfristig gesund bleiben. Darüber hinaus kann der Peer im Sinne einer Lotsenfunktion bei Risikoverläufen und auftretender tätigkeitsbedingter Belastungsstörung über Weiterleitung in ein Netzwerk der psychischen Unterstützung zügig professionell therapeutische Hilfe vermitteln. Dieser niederschwellige Ansatz ermöglicht hohe Akzeptanz und Selbstwirksamkeit im Arbeitsumfeld und wird auch der ethisch-moralischen Verantwortung der ärztlichen Profession gerecht.

Wie bereits in den vergangenen Jahren berichtet, setzt sich PSU-Akut im Auftrag der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) für einen verhaltens- und verhältnispräventiven Ansatz, die Sensibili­sierung, Vermittlung von Informationen und Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen medizinischen Versorgungsstrukturen ein und konnte maßgeblich eine nachhaltige und strukturelle professio­nelle Entwicklung mitgestalten.

Das Projekt zum Aufbau der PSU-Fach- und Koordinierungsstelle, das in enger Kooperation zwischen der BLÄK und dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention (StMGP) gefördert wurde, umfasste 2024 vier Teilprojekte. In der extern durchgeführten Projektevaluation wurde nun eine Weiterführung und Verstetigung empfohlen.


BU Abb 1: Projekt „PSU-Bayern“ – Aufbau von Strukturen für eine Fach- und Koordinierungsstelle –
Psychosoziale Unterstützung im bayerischen Gesundheitswesen.

1. Teilprojekt: Aufklärung und Information

Im hier betrachteten Einjahreszeitraum 2024 konnten zehn Fortbildungen in ärztlichen Kreisverbänden (ÄKV) vor Ort gestaltet werden. Dieses Fortbildungsangebot kann bei Interesse auch 2025 für die ÄKV über PSU-Akut organisiert werden.

Aus den Erfahrungen dieser Veranstaltungen gerade für die Unterstützung im Bereich der niedergelassenen Kollegen zeigt sich, dass eine vom KV-System unabhängige Unterstützungsmöglichkeit sehr begrüßt und die telefonische und auf Wunsch anonyme Erreichbarkeit (PSU HELPLINE) geschätzt wird.

Die Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber berichten, dass sie selbst über die Berufsjahre und die ­bestehenden Kontakte meist gute Copingstrategien gefunden haben. So nehmen sie oft weniger für sich als Person, aber in ihrer Rolle als Führungskraft und in ihrer Verantwortung für ihre Angestellten die unabhängige Unterstützung und Beratung an. Wobei sie selbst in Notarzt- und KV-Bereitschaftsdiensten auch mit akuten, manchmal fachfremden, schwerwiegenden Ereignissen konfrontiert sind. Auf Wunsch der Kollegen wurde das System auch beim Fortbildungstag für (MFA-)Ausbilder vorgestellt. Ab 2025 wird PSU-Wissen auch als Lehrinhalt in der Fachwirtausbildung für Medizinische Fachangestellte (MFA) vorbereitet sowie ein Fortbildungstag für MFA angeboten.

Fortbildungstag für die MFA                                                                                                  
Termin: 21. November 2025
Titel: „Psychosoziale Unterstützung (PSU) bei schwerwiegenden Ereignissen und besonderen Belastungssituationen im Praxisalltag“
www.walner-schulen.de/kursangebote

In mehreren Fortbildungsevaluationen war den Kollegen wichtig, dass diese Wissensvermittlung bereits in der studentischen Lehre Einzug findet. So kam es neben den regelhaft implementierten PSU-Inhalten in der medizinischen Lehre an der LMU, der TUM und der Universität Augsburg (siehe Tabelle 1) mehrfach zur PSU-Beteiligung beim Netzwerk der studentischen Peers in Augsburg und München, zur Mitgestaltung eines nationalen studentischen Symposiums zur mentalen Gesundheit im Studium und beim Event „Operation Karriere“ für Studierende und junge Ärzte.


Tabelle 1: Übersicht über die PSU-Informationsveranstaltungen für ärztliche Kollegen in Bayern im Jahr 2024.


Am 20. Juli 2024 fand zudem mit Unterstützung der Landeshauptstadt München das 2. PSU-Symposium in München statt. Mehr als 300 ­Besucherinnen und Besucher aus den verschiedensten Gesundheitsbereichen, wie Ärzte, Pflegende, Verantwortliche im Gesundheitswesen und zahlreiche weitere Berufsgruppen, nahmen daran teil.

Der Fachkongress präsentierte ein umfangreiches Programm mit einer Mischung aus Vorträgen sowie praxisnahen Workshops. Das Symposium bot zudem eine wertvolle Gelegenheit zum Networking und Austausch.

2. Teilprojekt: Ausbildung und Austausch

Inzwischen konnte in 27 bayerischen Kliniken die Implementierungsphase abgeschlossen werden und die kollegiale Unterstützung durch ausgebildete Peers läuft als Bestandteil der Personalfürsorge. Der Schritt aus der Projektphase hin zu einem integralen Bestandteil der Unternehmenskultur ist maßgeblich entscheidend für die nachhaltige Umsetzung.

Als Beispiel ist besonders hervorzuheben, dass der Bundesverband Betriebliches Gesundheitsmanagement e. V. (BBGM) die nachhaltige Einführung eines Peer-Support-Systems für „Psychosoziale Unterstützung nach belastenden Ereignissen am Uniklinikum Erlangen“ mit dem ersten Platz seines Innovationspreises 2024 ­geehrt hat. Seit Einführung im November 2023 wurden bis Juli 2024 61 Peer-Einsätze durchgeführt, was die Akzeptanz des Systems verdeutlicht. Aktuell stehen dort 67 Peers bereit, von denen einige zusätzlich für die Durchführung von Gruppeninterventionen und Informationsveranstaltungen
ausgebildet sind.

www.uk-erlangen.de/presse/pressemitteilungen/ansicht/detail/erster-platz-fuer-psychosoziale-unterstuetzung

Über die Implementierung eines weiteren Peer-Support-Systems im Klinikum Starnberg berichtete auch das Deutsche Ärzteblatt:

Peer-Support: Hilfe nach belastenden ­Ereignissen. Deutsches ­Ärzteblatt, 121(8), A548.
www.aerzteblatt.de/archiv/

Durch die bedarfsgerechte Adaptation an die Gegebenheiten vor Ort gelingt es sowohl in kleineren Fachkliniken, Häusern der Grund- und ­Regelversorgung bis hin zu Universitätskliniken, dies auch abteilungs- und berufsgruppenübergreifend zu etablieren.

17 weitere Kliniken in Bayern haben sich mit Unterstützung auf den Weg der Implementierung gemacht und das Interesse von Kliniken in anderen Bundesländern wächst weiter. Hier wird der weitsichtige Schritt hin zu PSU als freiwilliges Handlungsfeld der Ärztekammer als Leuchtturm wahrgenommen (Tabelle 2).


Tabelle 2: Übersicht der Peerausbildung 2024

3. Teilprojekt: Akutversorgung

2024 kam es zu 23 Gruppeninterventionen vor Ort nach schwerwiegenden Ereignissen in bayerischen Kliniken und Praxen sowie zwölf Einsätzen in Pflegeeinrichtungen, ambulanten Pflegediensten oder Berufsschulen für Pflege.

Zu erwähnen ist hier auch, dass die ­Konfrontation mit assistiertem Suizid gerade in den Pflegeeinrichtungen für die Mitarbeitenden eine teils große Belastung darstellt und durch die derzeit fehlenden Regelungen das Gefühl alleingelassen zu sein, sehr ausgeprägt ist.

Die von 9 bis 21 Uhr erreichbare PSU-HELPLINE dient allen Kollegen unabhängig von der Größe ihrer Einrichtung als niederschwellige Möglichkeit einer arbeitgeberunabhängigen, anonymen und kostenfreien Anlaufstelle. Darüber hinaus ist sie Rückfallebene für die ausgebildeten Peers (Tabelle 3).


Tabelle 3: Überblick über Gespräche an der PSU-HELPLINE im Jahr 2024.

Bestandteil dieses Teilprojekts der Fach- und ­Koordinierungsstelle PSU ist auch ein Angebot eines multiprofessionellen Expertinnen-/Experten-Teams zur Beratung und Begleitung in koordinierungsbedürftigen Ereignissen und Katastrophen. Dies wurde 2024 bei einem Suizid in einer bayerischen Klinik in Anspruch genommen, der durch eine sehr öffentliche Wirkung viele Personen persönlich, wie in ihrer Arbeitsfähigkeit, beeinträchtigt hatte. Ebenso konnte dieses Wissen im Sinne einer länderübergreifenden Hilfe auch den Kollegen und psychosozialen Helferinnen/Helfern zur Verfügung gestellt werden, die von einem gewaltsamen Übergriff durch Angehörige auf mehrere Klinikmitarbeitende betroffen waren. PSU-Akut unterstützte die Kollegen nach dem Angriff auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg und ist nun in die Nachsorge nach dem mutmaßlichen Anschlag in München in Einzel- und Gruppennachsorge für Kliniken, Praxen und Rettungskräfte eingebunden.

4. Teilprojekt: Netzwerk und Finanzierung

Die Vernetzung konnte auch 2024 durch elf Vorträge und Workshops bei Kongressen der Fachgesellschaften DIVI, DGIM, DGINA, GNPI, dem 23. Europäischen Gesundheitskongress und mit ­einem Stand in Kooperation mit Health Care Bayern e. V. auf dem Hauptstadtkongress gepflegt und erweitert werden. PSU-Experten sind weiterhin eingeladen, an der Aktualisierung sowohl der S3-Leitlinie „Psychische Gesundheit von Gesundheitspersonal in anhaltenden Krisen und Katastrophen“ sowie der S2k-Leitlinie „Behandlungsleitlinien und Behandlungsstrategien für den Einsatz in klinischen Krisen- und Katastrophenmedizin“ mitzuarbeiten.

Seitens der Bundesärztekammer besteht der Wunsch, die Kampagne der BGW ­#GewaltAngehen gemeinsam mit PSU zu gestalten, nachdem in einem an den Vorstand überwiesenen Antrag auf dem Deutschen Ärztetag in Essen, eine weitere Verbesserung der Schulung der D-Ärzte gefordert wurde, gerade bei aggressiven Übergriffen auf Ärzte und Pflegende, nicht nur die physische, sondern auch die psychische Verletzung zu würdigen und zu ­dokumentieren. Bewusst und klar muss uns sein, dass es nicht nur bei Forderungen bleiben darf, sondern wir es selbst umsetzen müssen und können.

Ebenso besteht ein guter Kontakt zum Netzwerk Klinische Krisenintervention (KKI), dem European Researchers’ Network Working on Second Victims (ERNST) und den ärztlichen Kollegen des Vereins Second Victim aus Österreich. Nach innen wird die Vernetzung der Peers in Bayern über Online-Fortbildungs- und Supervisionsangebote und die jährlich stattfindenden PSU-Symposien gepflegt.

Im Herbst 2024 fand ein Runder Tisch, auf Einladung des StMGP, zur Verstetigung der Finanzierung der Fach- und Koordinierungsstelle PSU-Bayern in Kooperation mit der BLÄK statt. Hier waren alle Beteiligten (Bayerische Krankenhausgesellschaft, Vereinigung der Pflegenden in Bayern, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns) von der Sinnhaftigkeit und dem Weg der Umsetzung überzeugt und wollen sich alle an der Weiterfinanzierung beteiligen.

Festzuhalten bleibt, dass die Grundsteinlegung und Grundsicherung durch die BLÄK essenziell ist, und wir in Zeiten der Einsparung weiter selbst dafür verantwortlich bleiben, dass Hilfe für die Kollegen besteht und weiterentwickelt wird. Ein besonderer Dank gilt dem Präsidenten der BLÄK, Dr. Gerald Quitterer, der überzeugt und überzeugend das Thema vorantreibt.

Die Krisen der nächsten Zeit werden ggf. nicht weniger, und so kann eine kollegiale Unterstützung zumindest einen positiven Umgang damit bestimmen und in unserem Kammersystem als gelebte, ehrliche Wertschätzung spürbar werden.

Weitere Informationen finden Sie unter:
www.psu-akut.de (für den Verein PSU-Akut e. V.)
ww.psu-helpline.de (für die PSU-HELPLINE)
www.psu-bayern.de (für die Fach- und Koordinierungsstelle PSU-Bayern)


Dr. Andreas Schießl

PSU-Akut e.  V.,
Adi-Maislinger-Straße 6-8,
81373 München,
E-Mail: info@psu-akut.de




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