Familienfreundliche ärztliche Selbstverwaltung

Dr. Bernhard Junge-Hülsing

Liebe Kolleginnen,

dass die Medizin immer weiblicher wird, ist eine Tatsache. ­Ende April 2022 waren in Bayern 32.581 Ärztinnen und 35.418 Ärzte gemeldet, die eine ärztliche Tätigkeit ausüben – 48 Prozent Frauen und 52 Prozent Männer. Es dürfte nicht mehr allzu lange dauern, bis mehr Ärztinnen als Ärzte in Bayern tätig sind. Schaut man sich die Geschlechterverteilung in der Altersklasse unter 40 Jahre an wird klar: Die Medizin ist bereits weiblich. In Bayern sind aktuell 11.427 Ärztinnen und 8.779 Ärzte in der Altersklasse bis 40 Jahre tätig, ein Frauenanteil von 57 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Medizin­studium: Laut Deutschem Ärztinnenbund sind mindestens sechs von zehn Erstsemestern im Fach Humanmedizin Frauen. Die Feminisierung in der Medizin nimmt zu, es gibt mehr Studentinnen als Studenten, mehr Ärztinnen in Weiterbildung als Ärzte in Weiterbildung und mehr tätige Ärztinnen bis 40 als Ärzte in dieser Alterskohorte.

In der ärztlichen Selbstverwaltung zeigt sich allerdings ein anderes Bild: Der Bayerische Ärztetag (BÄT) setzt sich in der Funktionsperiode 2017 bis 2022 aus 141 Ärzten und 39 Ärztinnen zusammen – ein Frauenanteil von knapp 22 Prozent. Und nicht einmal zehn Prozent der Ärztlichen Kreisverbände im Freistaat werden von einer Frau geführt. Warum ist das so? Warum arbeiten immer mehr Frauen in der Medizin und die Berufspolitik wird überwiegend den Männern überlassen? Im Arbeitsleben ist es besonders für Frauen wichtig, dass Beruf und Familie miteinander vereinbar sind. Denn der Großteil der Familienarbeit wird weiter von Frauen geleistet. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass laut Statistik der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) 1.252 Ärztinnen, die derzeit keine ärztliche Tätigkeit ausüben, den Haushalt führen, aber nur 117 Ärzte. Ebenso sind 2.252 Ärztinnen und nur 49 Ärzte in Elternzeit. Demzufolge kümmern sich deutlich mehr Ärztinnen um die Kinder und sie sind ganz besonders darauf angewiesen, dass sich die Arbeitszeiten und die familiären Aufgaben unter einen Hut bringen lassen. Es braucht also familien- und frauenfreundliche Arbeitsbedingungen wie flexible Arbeits­zeiten und gute Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in Kliniken und Praxen.

Und das gilt nicht nur für den Arbeitsplatz: Auch die Aufgaben in der ärztlichen Selbstverwaltung müssen mit der Kindererziehung und der Familie vereinbar sein. Wenn wir die Geschlechter­verteilungsrealität auch in der ärztlichen Selbstverwaltung ungefähr abgebildet haben möchten, müssen auch Sitzungstermine und Veranstaltungen familien- und frauenfreundlicher gestaltet werden.

Die 21. Delegiertenversammlung der Ärztekammer Berlin hat im Mai 2022 beschlossen, dass die Vielfalt der Ärzteschaft besser dargestellt werden soll. Alle Ausschüsse und Arbeitskreise sollen zukünftig paritätisch besetzt werden. Um dies zu erreichen, soll neben den fachlichen und persönlichen Eignungsvoraussetzungen auch dieser neue paritätische Grundsatz berücksichtigt werden. Doch ist dieses Ziel realistisch? Nur, wenn die Rahmenbedingungen für Frauen passen und die Gremienarbeit entsprechend familienfreundlich gestaltet wird.

Ich halte es für wichtig, dass sich die Verteilungsrealität der Kammermitglieder in der ärztlichen Selbstverwaltung ungefähr widerspiegelt. Das betrifft nicht nur den Anteil an Frauen und Männern, auch die Altersverteilung und die ärztlichen Tätigkeitsbereiche, ambulant und stationär, sollten berücksichtigt werden. Wer kann sich in den Gremien besser für familienfreundliche Arbeitsbedingungen im Arbeitsalltag einsetzen als die Ärztinnen, die es direkt betrifft. Nur so kann dem Fachkräfte­mangel in der Medizin entgegengewirkt werden: Wenn Ärztinnen und Ärzte Beruf und Familienarbeit fair zwischen den Partnern aufteilen, hat die Gesellschaft ­ausreichende ärztliche Arbeitszeit zur Verfügung.


Liebe Kolleginnen,

ich würde mich sehr freuen, wenn sich mehr Frauen in der ärztlichen Selbstverwaltung, bei den Ärztlichen Kreis- und ­Bezirksverbänden und in der BLÄK engagieren würden. Daher ermutige ich Sie und fordere Sie auf, vordere Listenplätze bei den Delegiertenwahlen in Ihren Ärztlichen Kreisverbänden für sich einzufordern. Vom 14. bis 28. November 2022 werden die Delegierten zur BLÄK für die nächsten fünf Jahre gewählt. Der BÄT setzt berufspolitische Schwerpunkte und ist ein Mitgestalter der Gesundheitspolitik in Bayern. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Zusammensetzung des BÄT die Realität abbildet. Das gleiche gilt für die KV-Wahlen, die ebenfalls im September dieses Jahres stattfinden werden. Nur wenn Ärztinnen in Beruf und Gremienarbeit ihren Platz einnehmen, können wir alle zusammen ärztliche Selbstverwaltung in Bayern geschlechtergerecht voranbringen. Bitte überlegen Sie sich, wie Sie Ihren Beitrag dazu leisten möchten und können.


Dr. Bernhard Junge-Hülsing, 2. Vizepräsident der BLÄK

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