Gesundheitspolitik in der Schwarzwaldmetropole
Badisches Schönwetter, stimmungsvolle Streicher mit Jazzgesang sowie engagierte politische Statements bescherten den rund 1.000 geladenen Gästen der Eröffnungsveranstaltung des 120. Deutschen Ärztetages in Freiburg eine positive Einstimmung auf die viertägige Tagung.
Keine Selbstverständlichkeit
Dr. Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, verwies auf die Vorzüge der Stadt Freiburg und sprach, in Erinnerung an den Tag des Grundgesetzes, das genau vor 68 Jahren, am 23. Mai 1949 verkündet worden war, von einem Privileg in der europäischen Geschichte, das die Deutschen hätten. So könne jede Bürgerin und jeder Bürger bei Krankheit oder einer Verletzung jederzeit medizinische Hilfe erhalten. „Hierfür müssen wir dankbar sein, denn dies ist auch heute keine Selbstverständlichkeit“, so Clever. Mit dem neuen „jungen Vorstand“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wolle man dafür Sorge tragen, dass dieses Privileg erhalten bleibe. Auf Bundesebene und auch in internationalen Gremien engagiere sich die Ärzteschaft dafür. Auch verwies er auf den Einsatz der türkischen Rechtsmedizinerin und Präsidentin der türkischen Menschenrechtsstiftung, Professor Dr. Sebnem Korur Fincanci, die bei der Ausübung ihres Berufes behindert und in Haft genommen worden sei. Das könne und wolle die Ärzteschaft nicht hinnehmen.
Dr. Max Kaplan,Vizepräsident der Bundesärztekammer und Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (v. li.) bei der Eröffnung des 120. Deutschen Ärztetags in der Freiburger Konzerthalle
Manfred Lucha, Minister für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg, sah in den Themen und der Tagesordnung des Deutschen Ärztetages ein Signal in Richtung Aufbruch und Beschäftigung. „Das passt zu Baden-Württemberg“, lobte Lucha. Als einziges Bundesland habe Baden-Württemberg die Vorgaben des Krankenhausstrukturfonds umgesetzt und übernehme damit Verantwortung für die Versorgung der Zukunft. Gespannt sei er auf den Themenschwerpunkt „Digitalisierung des Gesundheitswesens“, die Chancen und die Herausforderungen, die eine fortschreitende Digitalisierung in der Medizin und Pflege bringe. Lucha betonte, dass digitale Lösungen nur additiv sein könnten und im Mittelpunkt des medizinischen Handelns der Mensch stünde. Baden-Württemberg habe eine eigene Digitalisierungsstrategie mit einem Programm in Höhe von 4,3 Millionen Euro aufgelegt. „Viele E-Health-Projekte, die wir haben, sind noch nicht in der Regelversorgung umgesetzt. Das müssen wir ändern“, sagte Lucha. Hierfür brauche es jedoch ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen. Oberste Maxime unseres Staates sei zudem, jeden Menschen gleich zu behandeln. Entgegen mancher rechtspopulistischen Äußerungen zeigten Ärztinnen und Ärzte, dass sie für jeden da seien, ordnungspolitisch und im beruflichen Einsatz.
Der Oberbürgermeister der Stadt Freiburg, Dr. Dieter Salomon, lobte den bundesweiten Spitzenplatz, den Freiburg in der medizinischen Versorgung einnehme. So sei das Universitätsklinikum Freiburg mit 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der größte Arbeitgeber in Südbaden. Historisch gewachsene Strukturen innerhalb der wissenschaftlichen Forschung hätten maßgeblich zur Weiterentwicklung der Medizin beigetragen und der Stadt Freiburg einen Namen verschafft. So sei Freiburg eine E-Health-Region, eine Triebfeder für Wachstum und Beschäftigung auch im Bereich Pharmazie und Medizintechnik. Auch für die Zukunft wolle die Stadt die Qualität der medizinischen Versorgung ausbauen und die sektorenübergreifende Zusammenarbeit stärken. Abschließend dankte Salomon allen Ärzten, die bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen so engagiert mitgewirkt hätten.
Keine Bürgerversicherung
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery, stellte in seiner Eröffnungsrede die Qualität des deutschen Gesundheitssystems heraus. Unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und sozialem Status biete das Gesundheitssystem direkten Zugang zu hochwertiger ärztlicher Versorgung. „Das sollten sich diejenigen vor Augen führen, die von Gerechtigkeitslücken sprechen und als vermeintlich gerechtere Alternative die Einheitskasse propagieren“, sagte Montgomery vor den Delegierten. Den Befürwortern der Bürgerversicherung warf der BÄK-Präsident vor, den Gerechtigkeitsbegriff „allein wegen seines schönen Klangs“ zu missbrauchen. Käme sie, würde sie sofort einen riesen Markt für zusätzliche Gesundheitsleistungen und zusätzliche Versicherungen geben. „Die Bürgerversicherung ist der Turbolader einer echten Zwei-Klassen-Medizin. Sie bewirkt und fördert Ungerechtigkeit, statt ihr vorzubeugen.“ Von der künftigen Bundesregierung forderte Montgomery ein klares Bekenntnis zum Erhalt und zur Stärkung der ärztlichen Freiberuflichkeit. „Die medizinisch-fachliche Weisungsungebundenheit des Arztes und die freie Arztwahl sind Patientenrechte und Ausdruck von Patientenautonomie.“
Im Beisein von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wandte sich der BÄK-Präsident unmissverständlich gegen ungezügelten Wettbewerb und Merkantilisierung im deutschen Gesundheitswesen. Montgomery warnte: „Was für Betriebswirte effizient ist, muss es für Patienten noch lange nicht sein.“ Die Dauer eines Krankenhausaufenthaltes lasse sich nicht so leicht vorausberechnen wie die Laufzeiten eines Montagebandes. „Ärztinnen und Ärzte dürfen deshalb nicht zu Erfüllungsgehilfen ökonomischer Optimierungsstrategien“ gemacht werden. So seien auch attraktive Arbeitsbedingungen für Ärzte mit Blick auf die Nachwuchsförderung von Bedeutung.
Grundsätzlich begrüßte Montgomery die von Bund und Ländern vorgelegten Eckpunkte für eine Reform des Medizinstudiums. Er warnte davor, dass sich diese Initiative nicht in Absichtserklärungen erschöpfen dürfe. Auch unterstrich er, dass die Bundesländer ihrer Verantwortung für eine Finanzierung der Reformmaßnahmen gerecht werden müssen. Besorgt zeigte sich der BÄK-Präsident über die Situation in den Notfallambulanzen. Dort hätten sich die Patientenzahlen in den vergangenen zehn Jahren auf rund 25 Millionen pro Jahr verdoppelt. Lange Wartezeiten, chronische Überlastung des Personals und sogar Gewalt gegen Ärzte und Pflegekräfte seien die Folgen. Er appellierte die sektorenübergreifenden Strukturen endlich zu verbessern.
Keine Neidparolen
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe lobte in seiner Rede die Umsetzung einzelner Maßnahmen im Bereich der Gesundheitspolitik. Er berichtete, dass die Arbeit des Deutschen Cochrane-Zentrums an der Universität Freiburg, das eine enorme Bedeutung habe und evidenzbasierte Entscheidungen ermögliche, durch eine institutionelle Förderung des Bundes gesichert und finanziert werde. Weiter berichtete er vom G-20-Treffen der Gesundheitsminister in Berlin, bei dem deutlich geworden sei, dass Deutschland durch die Flüchtlingsströme, das erhöhte Reiseaufkommen und die rasche Ausbreitung von Krankheiten, wie zum Beispiel Ebola, heute eine große Verantwortung bei der globalen Gesundheitsversorgung zukäme. „Keine Krankheit ist wirklich eine entfernte Krankheit.“ Auch der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen erfordere nationale und internationale Anstrengungen.
Er sprach von einer „zunehmenden Bedrohung eines Instruments der modernen Medizin“. Er lobte die Entwicklung eines Fortbildungsprogramms im Bereich Antibiotic-Stewardship, ein Thema, mit dem sich auch das Universitätsklinikum in Freiburg befasse. Zugleich sei die Entwicklung eines nationalen Hygieneförderprogrammes wichtig, was die Personalaufstockung in in- und ausländischen Kliniken vorsehe. Neben der Zusammenarbeit von Forschung und Landwirtschaft seien derartige Bemühungen weltweit erforderlich. Hier sei ein gemeinsamer Kraftakt aller Beteiligten erforderlich. Gröhe lobte den Einsatz, den Ärzte bei der medizinischen Versorgung haupt- und ehrenamtlich gebracht hätten. Dies sei die Antwort auf Hetzer und Spalter in unserer Gesellschaft, die nicht für die Bevölkerung sprechen könnten, sagte Gröhe in Richtung aktueller populistischer Strömungen. So sei es die Tradition unseres Gesundheitswesens Leistung und Stärke einzelner miteinander zu verbinden. Komplizierte und anspruchsvolle medizinische Behandlungen kämen den Menschen hier zugute, unabhängig von dem jeweiligen finanziellen Einkommen. „Auch ein Wahlkampf sollte uns nicht verführen mit Neidparolen über unser Gesundheitswesen herzuziehen“, mahnte Gröhe. Diese seien völlig unangemessen.
Einer Zwangsvereinigung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung erteilte er eine Absage; da diese „keine einzige der vor uns liegenden Herausforderungen von der Digitalisierung über die Versorgung im ländlichen Raum lösen kann“. Stattdessen wären wir mit langen Umstellungsprozessen und anderen Problemen konfrontiert. Am Ende würde alles schlechter sein, betonte Gröhe. Er begrüßte, dass Montgomery sich genauso geäußert hatte.
Auch bei den Verhandlungen zu einer neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) hätten Neidparolen nichts zu suchen. Eine Lösung sei längst überfällig. Vergütungsanpassungen müssten seitens der Vertragspartner entsprechend ausgehandelt werden. So ginge es um eine „bessere systematische Erfassung des Leistungsgeschehens im Interesse aller an der Versorgung Beteiligten“. Gröhe hofft, dass bis Ende des Jahres ein gemeinsamer Vorschlag der Verhandlungspartner vorliegt und sagte zu, dass er seitens der Regierung alles tun werde, dass es zu einer zügigen Umsetzung einer neuen GOÄ kommen werde.
Zu den Gesundheitschancen von Menschen, die in Familien mit geringem Einkommen aufwachsen, machte er klar, dass es nicht sein könne, dass ein schwerkrankes Kind als „Kostentreiber“ innerhalb des Gesundheitssystems bezeichnet werde. Natürlich könne ökonomisches Denken nicht außer Acht gelassen werden, aber im Mittelpunkt müsse das Ringen um Qualität stehen, betonte Gröhe.
Zum Masterplan 2020 signalisierte der Minister, dass man auf Bundesebene an einer zügigen Umsetzung arbeite. Wichtig sei eine Stärkung der Allgemeinmedizin sowie der sozialen und kommunikativen Fähigkeiten, die für die Versorgung von Patienten benötigt würden. Gröhe äußerte Kritik an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der „Sterbehilfe“. Dass staatliche Stellen todkranken Menschen künftig Arzneimittel zur Selbsttötung verabreichen können sollen, sei ein Tabubruch.
Dr. Diane Bitzinger sprach über ihre Erfahrungen mit der Digitalisierung im Krankenhaus.
Gesundheits- und Berufspolitik
Gestartet wurde die Arbeitstagung traditionell mit der Sozial-, Gesundheits- und Berufspolitik, mit der Aussprache zum Leitantrag, der allgemeinen Aussprache, was vormals „Tätigkeitsbericht“ hieß und mit der Umsetzung des Beschlusses IV-107 des 119. Deutschen Ärztetages 2016, der sich mit der Satzung der BÄK sowie der Geschäftsordnung des Deutschen Ärztetags im Sinn einer Prozessoptimierung befasste.
In der Generalaussprache wurde von den 250 Abgeordneten, davon 38 aus Bayern, der Leitantrag des BÄK-Vorstands „Solidarität leben, Versorgung sichern, verantwortlich handeln“ mit überwältigender Mehrheit angenommen. Darin wurde unter anderem ein klares Bekenntnis zum freiheitlichem Gesundheitssystem, Therapiefreiheit, der Erhalt und die Fortentwicklung des dualen Systems, eine angemessene Personalausstattung in den Kliniken, attraktive Bedingungen für die vertragsärztliche Versorgung auch auf dem Land oder die sektorenübergreifende Gestaltung der Notfallversorgung gefordert. Weitere Forderungen: Gewalt gegen Ärzte stoppen, Ärzte sind keine Berufsgeheimnisträger zweiter Klasse, Ethik darf nicht zu einem Verwaltungsakt verkommen oder mehr Mut zur Subsidiarität in Europa.
Bayerische Abgeordnete bei der Abstimmung.
Die Abgeordneten stimmten mehrheitlich für die angemessene Personalausstattung in den Kliniken und begrüßten Personaluntergrenzen in der Pflege. „Verbindliche Personalvorgaben sind deshalb auch für Ärztinnen und Ärzte und andere am Patienten tätige Berufsgruppen notwendig“, so der Beschlusstext. Einig waren sich die Abgeordneten in Freiburg auch darüber, dass ein konsequenter Ausbau sektorenübergreifender Notfallversorgungsstrukturen notwendig sei. Dies müsse in Kooperation zwischen Kliniken und Praxen erfolgen und sektorenübergreifend extrabudgetär einheitlich finanziert werden. Patientinnen und Patienten sollten besser darüber aufgeklärt werden, in welchen Fällen sie in die Notaufnahme kommen, beziehungsweise einen niedergelassen Arzt aufsuchen sollten.
Ein weiterer Beschluss war mit „Versorgung optimieren, statt Strukturen dezimieren“ überschrieben. Darin sprach sich der Ärztetag für einen grundlegenden gesundheitspolitischen Strategiewechsel hin zu einer stärkeren Patientenorientierung aus. Der von der Politik ausgerufene „Wettbewerb im Gesundheitswesen“ erweise sich zunehmend als „verhängnisvoll“. Ärzte, Krankenhäuser und Pflegeberufe stünden unter einem ständigen finanziellen Leistungsdruck.
Digitalisierungsstrategie
Ausführlich befasste sich der Ärztetag mit den Chancen und Risiken der neuen technischen Möglichkeiten und versicherte, dass die Ärzteschaft die Veränderungsprozesse aktiv mitgestalten wolle. Dr. Franz Bartmann, Vorstandsmitglied der BÄK und Vorsitzender des Telematikausschusses der BÄK, zeigte sich überzeugt, dass sich die Rolle der Ärzte hin zu einer weiteren Stärkung der Patientenposition wandeln werde.
Sascha Lobo sprach über die Auswirkungen der Digitalisierung.
In zwei Impulsreferaten sprachen der Autor und Strategieberater mit den Schwerpunkten Internet und Markenkommunikation, Sascha Lobo, und Professor Dr. Christiane Woopen, Professur für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln, zu den Abgeordneten. Diese waren sich einig: Notwendig sei eine Digitalisierungsstrategie, die unter anderem ethische Grundlagen zum Umgang mit neuem Wissen und Methoden schaffe, die Rolle digitaler Methoden in der Gesundheitsversorgung sowie Grundsätze des Datenschutzes definiere und Antworten auf offene Finanzierungsfragen biete.
Die Abgeordneten forderten unter anderem die Einführung eines bundeseinheitlichen Gütesiegels von sogenannten Gesundheits-Apps. Digitale Gesundheitsanwendungen sollten analysiert und im Hinblick auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und medizinische Qualität bewertet werden. Insbesondere das Thema Fernbehandlungen wurde eingehend diskutiert. Anders als immer wieder behauptet, sei sie keinesfalls durch das ärztliche Berufsrecht generell verboten. Vielmehr sei ein sehr weites Spektrum telemedizinischer Versorgung von Bestandspatienten mit der ärztlichen Berufsordnung vereinbar. „In Baden-Württemberg erprobt die Landesärztekammer in einem Modellprojekt die ärztliche Behandlung ausschließlich über Kommunikationsnetze, ohne dass im Vorfeld ein direkter Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden haben muss“, berichtete Dr. Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg und verwies auf die entsprechenden Regularien in der Berufsordnung, über die neu geschaffenen Möglichkeiten.
Sicherstellung der Patientenversorgung
Weiter ging es mit den Beschlüssen zur Sozial- und Gesundheitspolitik, insbesondere zur langfristigen Sicherstellung der medizinischen Patientenversorgung. So sprachen sich die Abgeordneten für die Entwicklung neuer Konzepte zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung aus. Angesichts des demografischen Wandels, verbesserter und damit häufig auch spezialisierter Behandlungsmöglichkeiten sowie veränderter Präferenzen der nachfolgenden Ärztegenerationen müsse sich die hausärztliche Versorgung weiterentwickeln. Hausärztlich geleitete interprofessionelle Praxisteams stellten eine Möglichkeit dar, die Praxisstrukturen breiter aufzustellen und andere Berufsgruppen stärker als bisher und zugleich koordiniert in die Versorgung einzubeziehen.
In einer weiteren Entschließung forderte der Ärztetag, die Unabhängigkeit von ärztlichen Entscheidungen auch für angestellte Ärzte in der ambulanten Versorgung sicherzustellen. Hintergrund ist, dass Medizinische Versorgungszentren immer häufiger von Wirtschaftsunternehmen mit ökonomischen Zielsetzungen getragen werden. Angesichts immer wieder auftretender Lieferengpässe bei Medikamenten und Impfstoffen hat der Ärztetag „schnelle politische Lösungen angemahnt“. Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz vom März 2017 sehe zwar eine Meldepflicht bei Lieferproblemen im Krankenhaus vor. Damit lasse sich nach Überzeugung des Ärztetages aber kein Versorgungsnotstand vermeiden. Der Ärztetag warnte zudem davor, dass die Bedingungen der Antibiotikaherstellung mitunter zu einer hohen Konzentration der Antiinfektiva im geografischen Umfeld der Produktionsstätten führten. In der Folge komme es zu einer deutlichen Zunahme multiresistenter Erreger in der Umwelt und im umgebenden Trinkwasser, die global zu einer Verbreitung der resistenten Mikroorganismen, führten.
Der Ärztetag trat klar für Modelle der Übertragung ärztlicher Aufgaben nach dem Delegationsprinzip ein, aber die Substitution ärztlicher Leistungen durch nicht-ärztliche Gesundheitsberufe wurde abgelehnt. Ärztinnen und Ärzte hätten die Hoheit über Diagnose, Indikationsstellung und Therapie, was den Arztvorbehalt sowie die Gesamtverantwortung für den Behandlungsprozess sichere, stellte der Ärztetag klar. Konkret unterstützen die Abgeordneten das von der BÄK und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erstellte Delegationsmodell „Physician Assistant – Ein neuer Beruf im deutschen Gesundheitswesen“, das Kaplan nochmals vorstellte. „Zehn Prozent mehr Medizinstudienplätze“ lautete ein weiterer Beschluss, in dem die Abgeordneten Bund und Länder dazu aufforderten, die Zahl der Medizinstudienplätze sofort um mindestens zehn Prozent zu erhöhen und ausreichend zu finanzieren. Der im Masterplan vorgesehenen optionalen Einführung einer Landarztquote erteilte der Ärztetag hingegen eine Absage. Geht es nach dem Ärzteparlament, sollte „Gesundheitsunterricht an Schulen“ eingeführt werden zur frühzeitigen Förderung der Gesundheit und der gesundheitlichen Kompetenzen im Kindes- und Jugendalter. „Kinder und Jugendliche sollen körperliche und seelische Prozesse besser verstehen und Kenntnisse sowie die Motivation zu einer gesundheitsförderlichen Lebensführung erlernen“, heißt es in einer Entschließung.
Dr. Max Kaplan stellte klar, dass es sich beim Berufsbild „Physician Assistant“ um ein Delegationsmodell handelt.
Einig waren sich die Abgeordneten darüber, dass die Weiterbildung der approbierten Ärztinnen und Ärzte im Rahmen ihrer Berufsausübung stattfindet und diese wesentlich zur gesundheitlichen Versorgung in Klinik und Praxis beitragen. „Deshalb müssen die Gehälter der sich weiterbildenden Ärzte im ambulanten Bereich wie im Krankenhaus vollständig refinanziert werden.“ Die Abgeordneten forderten die BÄK auf, sich weiterhin für eine angemessene Finanzierung der Weiterbildung einzusetzen. BÄK und Landesärztekammern seien wegen ihrer Verantwortung für die Weiterbildung und die Berufsaufsicht bei der Entwicklung entsprechender Finanzierungskonzepte zu beteiligen. Der Ärztetag stellte außerdem fest: Um Bedarfsgerechtigkeit in der Patientenversorgung zu erlangen, sei eine grundlegende Reform der Betriebskostenfinanzierung im Krankenhaus notwendig. Die Ausgestaltung des DRG-Systems habe „in eine Sackgasse“ geführt. Mit einer „aktiven Pause“ will der Ärztetag auf Fehlentwicklungen, wie die Trivialisierung und Entwertung des ärztlichen Berufsbilds, aufmerksam machen. Der Ärztetag wandte sich „gegen jede ökonomistische und funktionale Verengung“ des Arztberufs als „Dienstleister“, „Reparateur“ oder „Unternehmer“. Die Beschlüsse zum Einsatz von Glyphosat, zur Reform des Heilpraktikerwesens oder zur Abschiebung von Flüchtlingen standen am Schluss des Tagesordnungspunkts.
Finanzangelegenheiten
Unter dem Top Finanzen billigten die Abgeordneten den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2015/16 und genehmigten den Haushaltsvoranschlag für 2017/18 in Höhe von 21.256.000 Euro.
GOÄ-Kurs bestätigt
Rückendeckung gab es vom Deutschen Ärztetag für die weiteren Verhandlungen über die Novelle der GOÄ. Die Abgeordneten begrüßten insbesondere die unmittelbare Einbindung der ärztlichen Berufsverbände und wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften in den Prozess. Die BÄK wurde beauftragt, die überarbeiteten Entwürfe zum Leistungsverzeichnis und den finalen Bewertungen der GOÄ an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zu übergeben und Änderungen der Bundesärzteordnung (BÄO) und des Paragrafenteils der GOÄ zu akzeptieren, verknüpft mit einer Reihe von Bedingungen, wie etwa der medizinisch-wissenschaftlichen Aktualität der Leistungslegendierungen und -bewertungen; der Bewertung der Leistungen mit einem Einfachsatz, der mit dem bisherigen durchschnittlichen Steigerungssatz vergleichbar ist; der Streichung der Negativliste oder dem Erhalt der Individuellen Gesundheitsleistungen – auch als analoge Leistungen. Der Beschluss des Ärztetages sieht außerdem vor, dass ein geeignetes Verfahren zur dauerhaften Beteiligung auch über den Novellierungsprozess hinaus zu Fragen der Weiterentwicklung und Pflege der neuen GOÄ etabliert werden soll. Aufgefordert wurde die BÄK, sich im Rahmen der Fassung der Geschäftsordnung der Gemeinsamen Kommission zur Weiterentwicklung der GOÄ (GeKo) für ein Gastrecht der entsprechenden Verbände einzusetzen.
Novelle der Weiterbildungsordnung
Der Ärztetag hat an seinem letzten Sitzungstag ausführlich eine kompetenzorientierte Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO) beraten. Konkret wurde dem Ärztetag der von BÄK und Landesärztekammern unter Beteiligung von Fachgesellschaften, Berufsverbänden und anderen ärztlichen Organisationen erstellte „Kopfteil“ des Abschnitts B der Weiterbildungsordnung vorgelegt. Darin enthalten sind die Facharzt- und Schwerpunktbezeichnungen, die Gebietsdefinitionen und die Weiterbildungszeiten. Der Ärztetag stellte klar, dass er den Novellierungsprozess unterstützt und forderte alle Beteiligten auf, die Arbeiten zügig zum Abschluss zu bringen. In einem Grundsatzbeschluss zur Gesamtnovelle hat der Ärztetag die vorgestellten Rahmenbedingungen der Weiterbildungsinhalte fixiert. Mit der Novelle wird die ärztliche Weiterbildung einer neuen Struktur folgen. Die Kernfrage lautet nun: „wie“, in welcher Form, werden Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erlernt. Die Inhalte der MWBO werden in Weiterbildungsblöcke und Weiterbildungsmodi gegliedert, um den Ablauf der Weiterbildung besser zu strukturieren. Mehr Flexibilität sollen berufsbegleitende Weiterbildungen und neue Lernmethoden schaffen. Um die verpflichtende Dokumentation des Weiterbildungsfortschritts für Weiterzubildende und Weiterbildungsbefugte zu erleichtern, soll das zukünftige Logbuch als elektronische Anwendung zur Verfügung stehen. In weiteren Beschlüssen sprach sich der Ärztetag dafür aus, die Facharzt-Kompetenz „Allgemeinchirurgie“ sowie die Facharztbezeichnung „Hygiene und Umweltmedizin“ zu erhalten. Die Abgeordneten forderten zudem, die im Landesrecht festgeschriebenen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche der Landesärztekammern zu wahren. Jeglichen politischen Bestrebungen, die ärztliche Weiterbildung unter dem Aspekt der Sicherstellung der Versorgung limitieren zu wollen, müsse entgegengetreten werden.
2018 findet der 121. Deutsche Ärztetag vom 8. bis 11. Mai in Erfurt statt. Einstimmig wurde für Münster als Austragungsort des 122. Deutschen Ärztetags 2019 votiert.
Alle Beschlusstexte und Reden unter www.bundesaerztekammer.de
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