Gesundheitspolitik in Schweinfurt

Dr. med. Max Kaplan

Es ist Oktober und wir stehen abermals vor einem Bayerischen Ärztetag (BÄT), der dieses Jahr in seiner 75. Auflage im unterfränkischen Schweinfurt stattfindet.

Thematisch wenden wir uns am Eröffnungsabend mit dem Keynote-Redner Professor Dr. Klaus Hurrelmann der jungen Generation zu, spricht doch der renommierte Jugendforscher, der Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin ist, zu: „So tickt die junge Generation“. Anti-Materialismus, Downshifting, ein neues Umweltbewusstsein – die heute 15- bis 30-Jährigen nehmen ihr Leben auf andere Art in die Hand als sämtliche Vorgängergenerationen. Für Hurrel-mann sind sie gar „heimliche Revolutionäre“. Unaufgeregt und fast unbemerkt sorgen sie für einen Wandel, der unsere Welt nachhaltig verändern wird. Die oft als Ego-Taktiker gescholtenen Angehörigen der „Generation Y“ haben neue Formen des Zusammenlebens und -arbeitens gefunden. Wir werden hören, was die neue Generation fühlt, wie sie lebt und liebt – und wie sie sich die Zukunft vorstellt.

Unsere Gemeinschaftsaufgabe wird es sein, sowohl in den vorgelagerten vier Workshops als auch auf der Arbeitstagung dieses „Nachwuchsthema“ berufspolitisch aufzugreifen und für unsere Themenkreise – ärztliche Weiterbildung, ärztliche Fortbildung und Berufsordnung – zu interpretieren. Und selbstverständlich befasst sich der Bayerische Ärztetag traditionell mit der aktuellen Sozial-, Gesundheits- und Berufspolitik, dem Tätigkeitsbericht und den Finanzen der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK).

Bundes- und Landesebene

Aktuelle gesundheitspolitische Themen auf Bundes- und Landesebene gibt es in Hülle und Fülle, die vermutlich unsere Diskussio-nen, Beratungen und Beschlüsse des Bayerischen Ärztetages prägen werden. Nennen darf ich hier den Gesetzentwurf zum Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG), den Kabinettsentwurf zum Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz, den Plan der SPD, einen „Marktwächter Gesundheit“ einzuführen, die neuen Versorgungselemente in der ambulanten Psychotherapie oder die jüngst aufgebrandete „Heilpraktiker-Diskussion“. Sicher werden die Regelungen zur ärztlichen Schweigepflicht, das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Patientenverfügungen, die Debatte um pränatale Bluttests und die gruppennützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Patienten Themen unserer Vollversammlung sein, ebenso wie der Erhalt des Freien Berufs und neue Kommunikations- und Informationstechnologien. Berufspolitisch liegt 2016 der Fokus auf der Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), der Musterweiterbildungsordnung (M-WBO) und der Diskussion um Kooperation mit den Gesundheitsfachberufen und deren Akademisierung.

Medizinethische Themen

Gerade die Debatte um pränatale Bluttests gilt es aufmerksam zu verfolgen, gab doch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bekannt, dass er die nichtinvasive Pränataldiagnostik (NIPD) zur Bestimmung des Risikos von fetaler Trisomie 13, 18 und 21 mittels molekulargenetischer Tests bei Risikoschwangerschaften einer Methodenbewertung unterziehen wird. Doch werden hier fundamentale ethische und gesellschaftliche Fragen berührt, wie unser Verständnis von Menschsein, Elternschaft, Selbstbestimmung, gesellschaftliche Solidarität und ärztlichem Ethos. Hier darf es keine Schnellschüsse geben.

Die jüngste Entscheidung des BGH zu Patientenverfügungen hat bei einigen für mehr Klarheit gesorgt. Fest steht: Wer sicher sein will, dass im Ernstfall möglichst viel nach seinen Vorstellungen läuft, sollte seine Patientenverfügung überprüfen – und unseren ärztlichen Rat einholen. Denn wer von seinen Angehörigen erwartet, dass sie für die Respektierung seines eigenen Willens sorgen, muss möglichst konkret umschreiben, was sie bzw. er in einer bestimmten Lebenssituation will und was nicht.

Mit der Debatte um gruppennützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen stehen wir vor einem weiteren brisanten, medizin-ethischen Thema. Grundlage sind die Regelungen im „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“. Der Gesetzentwurf sieht vor, Arzneimittelversuche beispielsweise an Demenzkranken in engen Grenzen zu erlauben. Dazu müssen die Betroffenen bei klarem Bewusstsein ihre Bereitschaft in einer speziellen Verfügung dokumentiert haben und sich zuvor ärztlich beraten lassen. Mit dem Gesetzentwurf soll deutsches Recht an die EU-Verordnung über klinische Prüfungen angepasst werden. Diese sieht für die Teilnahme nichteinwilligungsfähiger Patienten an gruppennützigen Studien lediglich die Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters vor. Da es sich um eine besonders schutzbedürftige Patientengruppe handelt, fordere ich auch hier, zunächst eine gesellschaftliche Debatte und anschließend ein geordnetes parlamentarisches Verfahren.

Wir haben eine große Spannbreite von Themen, von der Ethik bis zur Monetik, von neuen Versorgungsformen bis zur Telematik, sodass ich mir sicher bin: Es wird ein spannender 75. Bayerischer Ärztetag. Ich freue mich auf unsere Diskussionen und lade Sie herzlich nach Schweinfurt ein.

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