Goldstandard trotz Fernbehandlung

Dr. Gerald Quitterer

Die Fernbehandlung war eines der großen Themen auf dem 121. Deutschen Ärztetag in Erfurt Anfang Mai. Die Abgeordneten haben mit großer Mehrheit beschlossen, eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall zu erlauben. Konkret sei dies möglich, wenn

- die Fernbehandlung ärztlich vertretbar ist,
- die erforderliche ärztliche Sorgfalt durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung und Dokumentation gewahrt wird,
- der Patient über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.

Bislang war im § 7 Abs. 4 der (Muster-)Berufsordnung (MBO) eine ausschließliche Fernbehandlung untersagt. Es muss also zumindest einmal einen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient geben, um in Folge eine ärztliche Behandlung oder Beratung über Print- oder Kommunikationsmedien durchführen zu können.

Im Oktober 2018 wird der 77. Bayerische Ärztetag in Nürnberg entscheiden, wie die Fernbehandlung in der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns in Zukunft geregelt wird. Die Positionen dazu sind kontrovers – sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten. Moderne Kommunikationsmedien haben ihren Platz in der Gesundheitsversorgung. Die bisherige Berufsordnung steht dem auch nicht im Wege, wenn es sich um einen aus der laufenden Behandlung bekannten Patienten handelt. Mit der ausschließlichen Fernbehandlung wird dieses Gebot verlassen und es muss kein vor- oder nachgelagerter persönlicher Kontakt mehr stattfinden. Das ist die Herausforderung für alle Beteiligten. Ausschließliche Fernbehandlung kann deshalb nur funktionieren, wenn wir Kriterien vorgeben, nach denen sie gestaltet wird.

So gibt es eine Reihe von Voraussetzungen, die geklärt werden müssen. Die Patientensicherheit und der Schutz der Gesundheitsdaten, beispielsweise, müssen an erster Stelle stehen. Für die behandelnden Ärzte ist, wie in den Praxen auch, Facharztstatus zu fordern. Es darf keine Etablierung einer neuen Versorgungsebene oder eine Konkurrenz zu bestehenden Versorgungsverträgen geben. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass diese Form der Behandlung unter Umständen zusätzliche Kosten generiert, deren Bezahlung geklärt werden muss. Teleärzte sitzen teilweise im Ausland und behandeln nicht mehr in Deutschland. Damit unterliegen sie auch nicht mehr unserer Berufsordnung.

Fernbehandlung soll nicht die Bedürfnisse der Patienten nach mehr Bequemlichkeit bedienen, sondern allenfalls für einen besonderen Bedarf zur Verfügung stehen, wie beispielsweise im organisierten Bereitschaftsdienst, wenn entschieden werden soll, ob eine sofortige Behandlung des Patienten erforderlich ist oder bis zum nächsten Kontakt mit dem weiterbehandelnden Arzt abgewartet werden kann. Die so tätigen Ärzte schützt die neue Formulierung vor einem Verstoß gegen die Berufsordnung.

Ich halte nach wie vor den persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient für nicht ersetzbar. Eine Diagnose, die auf einer Untersuchung mit allen fünf Sinnen basiert, ist fundierter als eine reduzierte Beurteilung nur mit Augen und Ohren über ein Kommunikationsmedium. Die Fernbehandlung wird auch den Ärztemangel auf dem Land nicht beseitigen, wie manche Befürworter postulieren. Denn im Bedarfsfall braucht man dann doch zusätzlich einen Arzt, der dem Patienten persönlich zur Verfügung steht. Ganz abgesehen davon wünsche ich mir die Kolleginnen und Kollegen in der realen Versorgung und nicht vor dem Bildschirm. Digitale Techniken können und sollen die ärztliche Tätigkeit unterstützen, sie dürfen die notwendige persönliche Zuwendung von Ärzten keinesfalls ersetzen.

Patienten werden sich gut überlegen, wann sie vom Angebot der reinen Fernbehandlung Gebrauch machen. Nicht umsonst reisen kranke Urlauber gerne wieder nach Deutschland zurück, um sich hier in einem qualitativ hochwertigen Gesundheitssystem bestmöglich versorgen und behandeln zu lassen. Auch in der Medienberichterstattung ist dieser Tenor bereits erkennbar. Wurde vor den Beschlüssen in Erfurt noch gefordert, dass die Ärzte endlich mit der Zeit gehen sollen, da sie sich am Ende des Tages sowieso nicht gegen die Modernisierung stemmen können, fragen Journalisten jetzt schon differenzierter: Wann ist es für Patienten sinnvoll, einen Arzt nur über Kommunikationsmedien zu konsultieren? Was hat das für Vorteile und welche Nachteile gibt es für den Patienten? Für den Patienten stellt sich die Frage, ob er die Entscheidung treffen kann, wann der Goldstandard mit dem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt wichtig ist, und bei welchen Krankheiten eine Fernbehandlung seiner Ansicht nach ausreicht. Aus diesem Grunde sehe ich in der Weiterentwicklung bestehender Modelle, wie zum Beispiel der telemedizinischen Anbindung qualifizierter medizinischer Fachangestellter in der Patientenbetreuung aus der Praxis heraus, mehr Gestaltungsmöglichkeiten und auch Erfordernisse als in der ausschließlichen Fernbehandlung.

 

 

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