Hausarztleben im Bayerischen Wald

Das Kreiskrankenhaus in Zwiesel.

Die Sprechende Medizin – das ist es, was beim Arbeiten als Hausarzt auf dem Land besonders gefragt ist. Dafür braucht es Zeit, Empathie und Hingabe. All das bringen die 18 Medizinstudentinnen und -studenten mit, die an dem Projekt „Exzellent“ teilnehmen. Aus ganz Deutschland sind sie in den Bayerischen Wald gekommen, um bei verschiedenen Hausärztinnen und Hausärzten zu famulieren. Gemeinsam wohnen sie für vier Wochen in einem alten Bauernhaus. Eines der Dinge, das sie motiviert: das Gefühl, gebraucht zu werden und helfen zu können.


Diese angehenden Ärztinnen und Ärzte famulierten im Bayerischen Wald.

Es ist ein spätwinterlicher Samstagmorgen im März 2016, an dem sich die Studenten im Kreiskrankenhaus in Zwiesel zusammenfinden. Sie sitzen an einem rechteckigen Tisch, der mit einer Operationsdecke aus Papier überzogen ist. Heute findet hier ein Nahtkurs statt. Auf dem Tisch liegen Packungen mit violetten Einmalhandschuhen, Näh- und Schneidewerkzeug, Fäden und eine Anleitung fürs Knoten. Eine der Betreuerinnen, Lisa Jandl, 25 Jahre, Medizinstudentin im Praktischen Jahr (PJ), hat einen riesigen Beutel mit Schweinefüßen mitgebracht. Lernen und Arbeiten am Objekt. Die Medizinstudenten sollen lernen, offene Schnitte mit sauberen Knoten zu nähen. Lisa Jandl und Jan Steffen, 25 Jahre, Student im klinischen Abschnitt, werden assistieren.

Elf der 18 Studenten sind Teilnehmer des Projekts „Exzellenter Winter“, einer Sammelfamulatur bei Hausärzten in der Region, die Dr. Wolfgang Blank, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin in Kirchberg im Wald, 2014 mit drei Kolleginnen und Kollegen ins Leben gerufen hat. „Mich begeistert es, mit welchem Engagement und Interesse die Studenten ans Werk gehen“, schwärmt Blank. Leitgedanke bei der Projektplanung war: Studenten das Leben und Arbeiten als Arzt auf dem Land näherbringen. „Die Kombination von Famulatur mit einer Gemeinschaftsunterkunft und Unternehmungen zusammen erschien uns besonders spannend.“


Geschickt vernähen die Famulanten die offenen Schnitte an den Schweinefüßen

Entstehung von „Exzellent“

Dem Projekt voraus gingen einige Treffen. Aus- und Weiterbilder aus der Chirurgie, der Inneren Medizin und der Allgemeinmedizin fachsimpelten und brainstormten so lange, bis die Idee der Sammelfamulatur Gestalt annahm. Das Projekt „Exzellent“ ward geboren. Die Idee von Blank und seinen Kollegen war, jungen Studenten die Region Bayerischer Wald vor allem durch eine gute Ausbildung schmackhaft zu machen. „Individuelle Förderung und Betreuung sprechen sich rum“, ist Blank überzeugt. Den hohen Freizeitwert lernen die Studenten dann nach Dienstschluss kennen: „Wir gehen gemeinsam Wandern, fahren Langlaufski oder besuchen eine Einrichtung mit Schlittenhunden“, nennt er Beispiele.

Blank und seine Kollegen hofften, auf diese Weise zeigen zu können, welche Vorzüge das Leben und Arbeiten auf dem Land haben. Im Sommer 2014 fiel der Startschuss. Es fanden sich genügend Hausarztpraxen und Kliniken, die die Famulanten aufnahmen. Die ersten Studenten bezogen gemeinsam in der Jugendherberge Quartier. Im Feierabend nutzen sie das ortsansässige Fitnessstudio, trainierten im Schwimmband oder erkundeten mit E-Bikes die Gegend. „Mittlerweile machen fast 20 Prozent der Hausärzte aus der Region bei dem Projekt mit“, freut sich Blank. „Sie betreuen die Studenten, lassen sie die Anamnese machen. Später besprechen sie die Fälle.“ Immer wieder fänden auch Teaching-Runden statt. Blank blickt zurück: „Bereits in der Startphase war es beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen sich engagieren und dafür einsetzen, junge Ärzte in die Region zu holen.“

Erlerntes in der Praxis anwenden

Schwerpunkt der Famulatur solle sein, das Wissen aus dem Studium in der Praxis anzuwenden. Hinzu komme der Austausch der Studenten mit erfahrenen Ärzten, von dem beide Seiten profitieren, wie Blank weiß: „Die Routiniers geben den Studenten ihre Erfahrungen weiter, hinterfragen aber gleichzeitig ihr Tun, indem sie den Studenten Rede und Antwort stehen.“ Auch gebe es Ärzte, die dem Nachwuchs einfach zeigen wollten, wie viel Spaß ihr Beruf mache. Dies werde an Universitäten zu wenig deutlich, so Blank. „Dabei brauchen die jungen Ärzte positive Rollenbilder, die zeigen: Arztsein macht Freude.“ Da sei zum Beispiel ein Arzt im Rentenalter, der seine Praxis nicht aufgeben wolle oder Ärztinnen, die Kinder haben und zeigen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist möglich. Ärzte an Unikliniken vermittelten häufig andere Rollen und Karrieremodelle.

 
Habitus Arzt

Die Studenten lernten hier ein anderes Arztsein kennen, als dies in der Stadt der Fall ist, sagt Blank. Sie werden mit ihrer Motivation, Arzt zu werden, ernst genommen. „Wir unterstützen die Studenten als Person und fördern ihre individuellen Fertigkeiten.“ Langfristig sei viel gewonnen, wenn bekannt würde, dass die medizinische Ausbildung im Bayerischen Wald gut sei, dass Ärzte dort gerne arbeiteten und lebten. Dies wolle man mit der Initiative vermitteln, so Blank. Ihm gehe es darum, mehr Interesse für das Arbeiten auf dem Land zu wecken. Wahlheimat müsse dabei nicht der Bayerische Wald sein, beschreibt Blank. „Wenn sich junge Ärzte entscheiden, ihre Weiterbildung in Schwaben oder in der Peripherie in Oberfranken zu machen, dann haben wir schon wieder einen Arzt mehr für das Land gewonnen.“ Besonders freue es Blank, wenn die Famulatur sektorenübergreifend verläuft. „Wir schicken einen Patienten mit Blinddarmentzündung aus meiner Hausarztpraxis in die Klinik. Mein Famulant kann während der OP die Haken halten, den Patienten im Aufwachraum betreuen und später bei mir in der Praxis die Fäden ziehen.“ Das ist sektorenübergreifende Ausbildung.


Vom Debüt zum Selbstläufer

Wie engagiert die Studenten sind, zeigt sich auch darin, dass sie sich untereinander organisieren. Vor der Sammelfamulatur im Bayerischen Wald gab es zwei Treffen in Erlangen und in München. Die Kommunikation verlief über eine Facebook-Gruppe. Per Skype konferierten sie miteinander und schalteten die Famulanten aus Aachen und Leipzig dazu. Blank wünscht sich langfristig, dass das Projekt zum Selbstläufer wird und sich feste Sponsoren finden. Eine Anfrage beim Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege zur Förderung innovativer Versorgungsprojekte sei in Arbeit. „Es gibt so viele engagierte Studierende, die sich einbringen wollen, ihr Engagement aber nicht zeigen können, weil die Rahmenbedingungen fehlen“, sagt er.

Nach der Theorie kommt die Praxis

Zurück in den Raum im Zwieseler Krankenhaus. Auf dem rechteckigen Tisch liegen mittlerweile 18 Schweinefüße. Alle haben einen offenen Schnitt, den die Studenten verarzten müssen. In der Theorie haben Lisa und Jan das bereits gezeigt. Nun geht es ans Werk.

 


Das Kreiskrankenhaus in Zwiesel.

Geschickt hantieren die Studenten mit dem Werkzeug, fädeln den Faden durch das Fleisch, verknoten die Nahtstelle. Lisa und Jan sind behilflich, wenn es hakt.

Pauline Weismanns Schweinefuß ist bereits genäht. Sie studiert Humanmedizin im 7. Semester und ist aus Bonn zum Famulieren ins Arberland gekommen. Schon immer habe sie sich für den Menschen interessiert, für die Prozesse und Abläufe im Körper, sagt sie. Von einem Kommilitonen habe sie von dem Projekt im Bayerischen Wald gehört. „Ich hatte den Hausarztberuf bisher nicht so im Kopf“, erklärt Pauline. „Das sehe ich durch die Famulatur nun etwas anders. Man ist Generalist, der alles abdeckt“, sagt die 22-Jährige und lächelt. Sie kann sich vorstellen, auch mal auf dem Land zu arbeiten, möchte aber im Rheinland bleiben, da sie durch ihre Familie dort verwurzelt ist.

Teresa Steffen aus Mainz erzählt, dass sie die Region hier mag. Die Leute seien dankbar, dass der Arzt zu ihnen kommt. Etwas zu denken gibt der 23-Jährigen manchmal der Umgang zwischen Patient und Arzt. „Patienten duzen ihren Arzt und verhalten sich eher wie ein Freund“, sagt sie. „Das ist zwar schön und schafft Vertrauen, aber ich finde, dass eine gewisse Distanz nicht verloren gehen darf“, sagt Teresa. Auch ein Arzt habe ein Privatleben.


Arbeiten auf dem Land und in der Klinik

Während die Studenten sorgfältig ihre Nähte an den Schweinefüßen setzen, hat Betreuerin Lisa Jandl Zeit, ihre Vorstellungen von einem idealen Arztleben zu erzählen. Obwohl sie die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern kennt und sie teilweise etwas unattraktiv findet, schwebt ihr vor, einmal als Chirurgin zu arbeiten. Sie macht gerne etwas mit den Händen, sagt sie. Im Krankenhaus müssten PJler manchmal so viele Verwaltungsaufgaben erledigen. „Da wäre eine Stationsassistenz enorm hilfreich, denn so können wir uns auf die ärztlichen Aufgaben konzentrieren.“ Auch stört Lisa das Profitdenken der Kliniken. „Man merkt, dass es sich in Krankenhäusern oft vorwiegend ums Geld dreht“, erzählt sie und fragt sich, ob erklärtes Ziel eines Krankenhauses nicht auch mal ein Nullsummenspiel sein kann.


An der Grenze zu Tschechien liegt der kleine Ort Zwiesel im großen Bayerischen Wald.

Entscheidend: die Rahmenbedingungen

Lisas Kritik teilen viele der Studenten. Die meisten können sich ein Leben und Arbeiten auf dem Land vorstellen, wenn die Rahmenbedingungen passen. Vor allem entscheidend für die spätere Wohnortwahl seien die Infrastruktur und die beruflichen Möglichkeiten, die sich für den Partner bieten. Wie gut das funktioniert, beschreibt Dr. Jana Riedl, Fachärztin für Innere Medizin. Aus Berlin stammend hat sie in den Bayerischen Wald eingeheiratet. Sie lächelt, wenn sie von ihren Anfängen als Ärztin mit Kind im Klinikum Viechtach erzählt. „Es ist eine Einstellungssache“, sagt sie. Am Anfang sei sie als Mutter und Vollzeit arbeitende Ärztin ein Unikum gewesen. Viele hier arbeitende Ärzte hätten eine Familie im Hintergrund, die Kinder betreut und entlastet. „Wir mussten uns komplett selbst organisieren“, erzählt sie. „Als meine Tochter vor fünf Jahren, damals ein Jahr alt, in die Krippe kam, war sie mit Abstand die Jüngste. Heute sind die Kleinen annähernd gleichaltrig und die Arbeit von Müttern wird mehr akzeptiert.“ Riedl arbeitet gerne als Ärztin und fühlt sich durch die vielen engagierten Studenten bestätigt: „Wenn man diese vielen jungen Studenten sieht, dann ist das wie Luft zum Atmen.“ Die Famulanten sind derweil fertig geworden mit ihrer Arbeit. Alle Schweinefüße sind sauber vernäht. Mittlerweile ist die Sonne über den Baumwipfeln herausgekommen. Nun geht es zum Wandern.

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