Impfungen – was ist neu?
Im Folgenden werden die Neuerungen bei den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) für das Jahr 2017/2018 zusammengefasst sowie die Inhalte von kürzlich publizierten STIKO-Stellungnahmen zur Influenza- und Meningokokken B-Impfung dargestellt. Darüber hinaus werden jüngste Erkenntnisse zur Antikörperpersistenz nach FSME-Impfung präsentiert.
Aufklärungsbedarf bei Impfungen
Im Jahr 2007 hatte die STIKO Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen publiziert [1]. Aufgrund der Tatsache, dass für verschiedene der damals dargestellten Impfungen zwischenzeitlich wesentlich detailliertere Darstellungen notwendig geworden sind, hat die STIKO diese Hinweise in ihrer Sitzung vom 14. November 2017 offiziell zurückgezogen. Die generellen Hinweise zur ärztlichen Aufklärungspflicht wurden in aktualisierter Form in die STIKO-Empfehlungen 2017/2018 aufgenommen [2]. Bezüglich möglicher Assoziationen zwischen Impfung und unerwünschter Wirkungen wird auf die Inhalte der entsprechenden aktuellen Fachinformationen verwiesen.
Impfen bei Immundefizienz und Immunsuppression
Im Jahr 2005 hatte die STIKO Hinweise zur Impfung bei Patienten mit Immundefizienz gegeben [3]. In den vergangenen zwölf Jahren wurde nicht nur eine große Anzahl von Immundefekten neu erkannt und molekular definiert, sondern haben sich auch große Veränderungen bei der iatrogenen Immunsuppression im Rahmen von Tumorerkrankungen, Transplantationen, Autoimmunerkrankungen und autoinflammatorischen Syndromen ergeben. Hinzu kamen bahnbrechende Entwicklungen im Bereich der Immuntherapien. Entsprechend hat die STIKO entschieden, in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachgesellschaften insgesamt vier neue Anwendungshinweise zur Durchführung von Impfungen bei Patienten mit veränderter Funktion des Immunsystems zu verfassen. Das Grundlagenpapier ist bereits erschienen [4]. Eine umfassende Übersichtsdarstellung zur Impfung bei angeborenen Immundefekten sowie von Patienten mit HIV-Infektion wird in Kürze publiziert. Zwei weitere Papiere zur Impfung von Patienten mit hämatologischen/onkologischen Erkrankungen, nach Organ-/Stammzelltransplantation oder mit Asplenie sowie zur Impfung von Patienten mit Autoimmunerkrankungen und unter immunmodulatorischer Therapie sind in Vorbereitung.
Influenzaimpfung
Im vergangenen Herbst hat die STIKO die bereits 2016 ausgesetzte Empfehlung, Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren bevorzugt mit dem nasal zu applizierenden tetravalenten Influenza-Lebendimpfstoff (sogenannter live attenuated influenza vaccine – LAIV; in Deutschland Fluenz Tetra®) endgültig zurückgezogen [5]. Hintergrund für diese Entscheidung war die Beobachtung in mehreren Ländern, dass der aktuelle LAIV-Impfstoff im Vergleich zu den inaktivierten Influenza-Impfstoffen (inactivated influenza vaccine – IIV) eine geringere Wirksamkeit gegen den seit 2009 saisonal auftretenden Pandemiestamm des Influenzavirus A (H1N1-pdm2009) zeigte, während die Effektivität gegen andere saisonale Influenzaviren vergleichbar oder sogar besser war. Entsprechend empfiehlt die STIKO jetzt, dass LAIV und IIV gleichermaßen angewendet werden können [2]. Eine bevorzugte Anwendung von LAIV wäre nur in Sondersituationen, wie zum Beispiel bei einer ausgeprägten Spritzenphobie, gerechtfertigt.
Was die IIV-Impfstoffe anbetrifft, so empfiehlt die STIKO seit Kurzem, nur noch quadrivalente Influenzaimpfstoffe (QIV) in der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Zusammensetzung einzusetzen [6]. Diese Entscheidung beruht in erster Linie auf der von Jahr zu Jahr unterschiedlichen Häufigkeit von Influenza B-Infektionen durch Virustypen der Victoria- oder Yamagata-Linie, die schwer vorhersagbar ist. Da die trivalenten Influenzaimpfstoffe (TIV) neben Influenza A (H1N1) und Influenza A (H3N2) immer nur eine der beiden Influenza B-Komponenten beinhalten, war die Abdeckung saisonal sehr variabel. Die verfügbaren QIV-Impfstoffe (Influsplit Tetra®, Vaxigrip Tetra®) beinhalten hingegen immer die Antigene von beiden Influenza B-Viruslinien und sind mittlerweile auch für Säuglinge und Kleinkinder ab dem sechsten Lebensmonat zugelassen. Die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur möglichen Übernahme dieser neuen STIKO-Empfehlung in die Schutzimpfungsrichtlinie lag bei Drucklegung noch nicht vor. Vorläufige Ergebnisse zur Wirksamkeit der TIV-Impfstoffe in der laufenden Influenzasaison (2017/2018), in welcher bisher knapp drei Viertel aller Influenzafälle durch Influenza B-Viren aus der Yamagata-Linie bedingt waren, weisen auf eine gewisse Kreuzprotektivität der in den TIV-Impfstoffen enthaltenen Influenza B-Victoria-Linie gegen die zirkulierenden Viren der Influenza B-Yamagata-Linie hin [7]. Ähnliche Beobachtungen wurden auch in Kanada, Schweden und Finnland gemacht (https://flunewseurope.org) [8].
Herpes Zoster-Impfung
Der seit 2013 in Deutschland zur Verfügung stehende Impfstoff zur Verhinderung eines Herpes Zoster (HZ) bzw. der postherpetischen Neuralgie (PHN) ist ein attenuierter Lebendimpfstoff (Zostavax®), der bei Senioren über 70 oder 80 Jahre nur noch eine sehr eingeschränkte Wirksamkeit (40 bzw. 20 Prozent) aufweist. Bei immunsupprimierten Patienten, die besonders anfällig für eine endogene Reaktivierung der persistierenden Varizella-Zoster-Viren sind, besteht häufig eine Kontraindikation zur Anwendung von Lebendimpfstoffen. Gesundheitsökonomische Analysen und Modellierungen ergaben, dass selbst bei Annahme einer irreal hohen Durchimpfungsquote von 60 Prozent, in der Gruppe der über 60-Jährigen nur ca. 10.000 HZ-Fälle verhindert werden könnten und die Impfung bei den momentanen Impfstoffkosten nicht kosteneffektiv wäre. In der Zusammenschau aller Aspekte hat die STIKO deswegen beschlossen, die Herpes Zoster-Lebendimpfung nicht als Standard-Impfung zu empfehlen [9].
Kürzlich erhielt ein rekombinanter, adjuvantierter Subunit-Totimpfstoff (VZV-Glykoprotein E plus AS01B-Adjuvans; Shingrix®), der in Phase III-Studien eine hohe Wirksamkeit auch bei über 80-Jährigen hatte (ca. 90 Prozent) [10, 11], von der amerikanischen Gesundheitsbehörde die Zulassung und vom Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur ein positives Votum zur Prävention des HZ und der PHN. Die STIKO wird diesen neuen Herpes Zoster-Impfstoff entsprechend ihrer Standardmethodik zeitnah bewerten.
Meningokokken B-Impfung
Nach 2013 und 2014 hat sich die STIKO im Jahr 2017 erneut mit der Frage auseinandergesetzt, ob die in Deutschland verfügbaren Impfstoffe gegen Neisseria meningitidis Serogruppe B (MenB; Bexsero®, Trumenba®) zur Standardimmunisierung von Kindern empfohlen werden sollen. Aufgrund der stetig abnehmenden Krankheitslast (2016: 338 gemeldete Meningokokken-Fälle, davon 58 Prozent Serogruppe B) und nach wie vor unzureichenden Daten zur klinischen Wirksamkeit der MenB-Impfung, zur Dauer der Protektion, zur Wirkung auf die Kolonisation mit Meningokokken und zur Sicherheit der MenB-Impfstoffe bleibt die STIKO bei ihrer bisherigen Sichtweise, die MenB-Impfung nur für Personen mit erhöhtem Risiko für invasive Meningokokkeninfektionen, aber nicht als Regelimpfung für Säuglinge oder Jugendliche zu empfehlen [12].
FSME-Impfung
In Bayern wurde im Jahr 2017 bei 229 Patienten eine Infektion mit dem Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)-Virus diagnostiziert, was einem neuen Höchststand seit Einführung der IfSG-Meldepflicht entspricht. Für Kinder und Erwachsene stehen in Deutschland zwei verschiedene FSME-Totimpfstoffe zur Verfügung (FSME-IMMUN® und ENCEPUR®). Das konventionelle Schema für die drei Impfungen umfassende Grundimmunisierung ist für beide Impfstoffe vergleichbar (Null – ein bis drei Monate – fünf bzw. neun bis zwölf Monate). Bei beiden Impfstoffen ist es möglich, die zweite Impfung bereits zwei Wochen nach der ersten Impfung mit dem Ziel einer Schnellimmunisierung durchzuführen. Die erste Auffrischimpfung ist drei Jahre nach der dritten Impfung vorgesehen, alle weiteren Auffrischimpfungen dann im Abstand von fünf Jahren (bei Personen > 60 [FSME-Immun] bzw. > 50 Jahren [ENCEPUR] im Abstand von drei Jahren). Für den ENCEPUR-Impfstoff ist darüber hinaus ein Null – sieben Tage – 21 Tage – Schnellimpfschema zugelassen, das allerdings eine erste Auffrischung bereits nach zwölf bis 18 Monaten erfordert.
Eine Studie mit 1.115 Erwachsenen und 115 Kindern hat gezeigt, dass bei irregulären Impfabständen, langen Impfpausen oder nur einer vorangegangenen Impfung eine einzige Impfung ausreicht, um bei > 94 Prozent der Kinder und Erwachsenen bzw. > 93 Prozent der Senioren einen protektiven Serumantikörperspiegel zu erreichen. Ergo gilt auch bei der FSME-Impfung der Grundsatz, dass jede Impfung zählt und die Impfserie so vervollständigt werden sollte, als ob alle Impfungen in den regulären Abständen erfolgt wären; eine erneute Grundimmunisierung ist nicht notwendig [13].
Vor Kurzem wurden zwei Arbeiten zur Langzeitpersistenz von neutralisierenden Antikörpern gegen das FSME-Virus nach vollständiger Grundimmunisierung (drei Impfungen) und erfolgter erster Auffrischimpfung mit dem FSME-IMMUN- [14] bzw. dem ENCEPUR-Impfstoff [15] publiziert. Die FSME-IMMUN-Studie mit 315 Erwachsenen (> 20 Jahre) wurde in einer FSME-Niedrigendemieregion Polens durchgeführt, während die ENCEPUR-Studie mit 206 Probanden (> 15 Jahre) in der Tschechischen Republik, einem FSME-Hochendemieland, stattfand. In beiden Studien wurden jährlich Serumproben genommen. In der polnischen Studie waren zehn Jahre nach der letzten Immunisierung bei 88,6 Prozent (bei Studieneintritt 20 bis 49 Jahre alte Personen), 74,5 Prozent (50- bis 60-Jährige) bzw. 37,5 Prozent (> 60-Jährige) der Probanden protektive Antikörpertiter nachweisbar. In der tschechischen Studie lagen die Antikörpertiter bei über 90 Prozent aller Probanden auch zehn Jahre nach der letzten Impfung über der Protektivitätsgrenze, und zwar unabhängig von der Altersgruppe, wenngleich die geometrischen Mittelwerte der Antikörperkonzentrationen bei den > 60-Jährigen deutlich niedriger waren als in den jüngeren Altersgruppen. An beiden Studien ist jedoch zu bemängeln, dass die Gruppengröße der > 60-Jährigen zu klein war (n=14 oder 15), um wirklich verlässliche Aussagen zu treffen. Insgesamt erlauben die Ergebnisse jedoch die Schlussfolgerung, dass bei < 50-Jährigen auch zehn Jahre nach der letzten FSME-Impfung noch in einem sehr hohen Prozentsatz von protektiven FSME-Antikörpertitern ausgegangen werden kann. Hingegen sollte bei > 60-Jährigen spätestens alle fünf Jahre die Boosterung erfolgen. Ob der ENCEPUR-Impfstoff dem FSME-IMMUN-Impfstoff bei der Aufrechterhaltung protektiver Langzeittiter tatsächlich überlegen ist, müsste durch eine parallele Vergleichsstudie in ein und derselben Endemieregion untersucht werden.
Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-ärzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.
Autor
Professor Dr. Christian Bogdan 1,2
1 Mikrobiologisches Institut – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, Universitätsklinikum Erlangen, Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg, 91054 Erlangen
2 Medical Immunology Campus Erlangen, FAU Erlangen-Nürnberg, 91054 Erlangen
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