In Würde sterben

Dr. Max Kaplan

Viele Menschen fürchten sich davor, dass sie am Lebensende nicht mehr über sich selbst bestimmen können. Sie fürchten sich vor Schmerzen und einem schwer ertragbaren Zustand zwischen Leben und Tod und sie wollen in Würde sterben können. Seit einiger Zeit debattiert nicht nur der Deutsche Bundestag, sondern ganz Deutschland über entscheidende Fragen am Ende des Lebens; konkret, wie eine Sterbebegleitung ablaufen könnte. In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere auf die Möglichkeit und Notwendigkeit der Vorsorgevollmacht einschließlich Patientenverfügung hinweisen und das „Advance Care Planning“ (ACP) in den Fokus rücken.

Ausgelöst wurde die Diskussion durch ein eigentliches Randthema in der Sterbehilfe, nämlich durch den von Sterbehilfevereinen wie „Dignitas“ oder „Exit“ durchgeführten organisierten Suizid. Im britischen Fachblatt „Lancet“ wurden hierzu Zahlen veröffentlicht, die zeigen, dass der Anteil des assistierten Suizids in allen zitierten Ländern, wie beispielsweise den Niederlanden oder der Schweiz, im einstelligen Promillebereich, liegt. Dennoch: Auch wenn der ärztlich assistierte Suizid in Deutschland zahlenmäßig eine ganz untergeordnete Rolle spielt, ist es wichtig, dass sich unsere Gesellschaft mit diesem sensiblen Thema der Sterbehilfe überhaupt befasst und ich bin überzeugt, dass wir ohne diese Diskussion nicht so schnell zu einem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung gekommen wären.

Grundsätze

Bereits seit 1979 befasst sich die Ärzteschaft intensiv mit dem Thema, unter anderem veröffentlicht die Bundesärztekammer regelmäßig – im Rahmen der Fortschritte in der Palliativmedizin sowie in der Rechtsprechung – aktualisierte Richtlinien, die mittlerweile den Titel „Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“ tragen. So wurden das dritte Betreuungsrechtsänderungsgesetz, das unter anderem die Patientenverfügung und das Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens geregelt hat, und die Charta zur Betreuung Schwerstkranker und Sterbender vom Jahr 2010 in der Grundsatz-Novelle 2011 berücksichtigt. Hier ist festgeschrieben, dass es Aufgabe des Arztes ist, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tode beizustehen. Doch die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht nicht „unter allen Umständen“. Es gibt Situationen, in denen sich das Behandlungsziel geändert hat – weg von der Kuration hin zur palliativen Versorgung. Es geht um eine Basisbetreuung, wozu eine menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen und Angstattacken, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst gehören. Art und Ausmaß dieser Behandlung sind gemäß der medizinischen Indikation vom Arzt zu verantworten. Er muss dabei den Willen des Patienten achten, bei seiner Entscheidungsfindung soll der Arzt mit ärztlichen und pflegenden Mitarbeitern einen Konsens suchen. Darüber hinaus darf das Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Dies gilt auch für die künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr.

Aufgaben des Arztes

Wir diskutieren aktuell über die Beihilfe zum Suizid, über den frei verantwortlichen Suizid im Unterschied zum sogenannten nicht frei verantwortlichen Suizid, der vorliegt, wenn ein Patient beispielsweise an einer schweren Depression erkrankt ist. Generell stellt sich die Frage, ob die Beihilfe strafrechtlich, zivilrechtlich oder berufsrechtlich geregelt werden muss. Zunächst gilt es zu prüfen, ob ein parlamentarischer Vorbehalt besteht, und dies eine Berücksichtigung im Bundes- oder im Landesgesetz erforderlich macht. Auch ist die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Die Mehrheitsmeinung der Ärzteschaft ist, dass ein parlamentarischer Vorbehalt nicht unmittelbar gegeben ist, wir dennoch eine rechtliche Regelung der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid nachvollziehen können. Mehr soll der Staat auf keinen Fall regeln. Eine berufsrechtliche Regelung halten wir, insbesondere was die ethische Bewertung betrifft, für notwendig, hinterfragen jedoch ebenfalls die Verhältnismäßigkeit bezüglich einer Sanktionierung. Diese Aspekte formulieren wir einmal in den oben erwähnten „Grundsätzen“ mit: „Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.“ In der Berufsordnung (BO) stellen wir in den „Aufgaben des Arztes“ fest, dass es seine Aufgabe ist, das „Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten“. Im Paragraf 16 BO halten wir unter Beistand für Sterbende fest: „Der Arzt hat Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und Achtung ihres Willens beizustehen“. Hierdurch stellen wir klar, dass wir Ärztinnen und Ärzte Sterbehilfe als Hilfe beim Sterben und nicht Hilfe zum Sterben sehen. Wir halten es aber auch für wichtig, dass jeder Patient sich darauf verlassen können muss, dass im geschützten Raum des vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses ein offenes Gespräch auch über suizidale Gedanken und Absichten des Patienten geführt werden kann und der Patient eine lebensorientierte Beratung und Begleitung durch den Arzt erhält. Hierbei handelt es sich immer um eine ganz individuelle Entscheidung zwischen Patient und Arzt, die wir durch das Berufsrecht nicht regeln oder normieren können und auch grundsätzlich von einer Sanktionierung freihalten wollen, was jedoch eine Einzelfall-Bewertung nicht ausschließt. Durch eine Überregulierung laufen wir Gefahr, dass wir etwas legalisieren, was wir nicht legalisieren wollen und dazu gehört eindeutig der ärztlich assistierte Suizid, der keinesfalls zur gesellschaftlichen Norm werden darf.

 

 

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