Kinderchirurgie – highlighted
„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.“ Spätestens seit dem Studium wurde einem dieser Satz immer wieder vorgehalten. Und so verwundert es nicht, dass auch das Fach der Kinderchirurgie anders strukturiert ist, als das der „erwachsenen“ Patienten. Anders als in der organbezogenen Chirurgie behandelt der Kinderchirurg von Kopf bis Fuß den gesamten Patienten und muss in der Versorgung des kindlichen Knochenbruchs ebenso geschult sein, wie im Erkennen seltener Organfehlbildungen. Durch Fortschritt in der pränatalen Diagnostik und neonatalen Intensivmedizin steigen auch die Anforderungen an die chirurgische Versorgung, angefangen von minimalinvasiven Techniken bis hin zu intrauterinen Eingriffen. Zudem haben die kleinen Patienten einen anderen Umgang mit einer Erkrankung und damit als erwachsene Patienten. Auch das muss angemessen berücksichtigt werden, um zu einem guten Behandlungsergebnis zu kommen.
Im Folgenden werden wir drei klassische kinderchirurgische Krankheitsfälle aus den Bereichen Kinderurologie, Kindertraumatologie und der Chirurgie angeborener Fehlbildungen schildern, die auch in andere medizinische Disziplinen hineinreichen.
Fall 1
In unserer Notaufnahme wird ein fünf Jahre alter Junge vorgestellt, der sich mit heißer Flüssigkeit am linken Oberschenkel verbrüht hat. Durch die Eltern erfolgte eine Exposition des Areals und lokale Kühlung mit lauwarmem Wasser. Das Rettungsteam sorgte für eine adäquate Analgosedierung mit Ketanest und Midazolam intranasal. Bei einer Verbrühungsfläche < 20 Prozent der Körperoberfläche (KOF) wurde auf einen intravenösen Zugang zur Flüssigkeitssubstitution verzichtet. Für den Transport wurden die Wunden trocken und steril abgedeckt, und durch Einpacken in warme Decken konnte eine Auskühlung vermieden werden.
Bei präklinisch begonnener Analgosedierung wird im Krankenhaus umgehend mit der Erstversorgung begonnen. Durch ein Desinfektions-Wischdebridement (Octenidinhydrochlorid, zum Beispiel Octenisept ®) werden Blasen eröffnet und sich lösende Hautreste vollständig entfernt (Abbildung 1).
Abbildung 1: Ein zweitgradig verbrühtes Areal mit fehlender Epidermis am linken Ober- und Unterschenkel.
Das zweitgradig verbrühte Areal mit fehlender Epidermis am linken Ober- und Unterschenkel entspricht ca. fünf Prozent der KOF.
Nach der Erstversorgung wird ein großmaschiger Fettgazeverband mit Polihexanidcreme 0,04 Prozent, Mullkompressen, Mullbinden und Netzstrumpf angelegt und mit hautfreundlichem Pflaster fixiert.
Der Patient wird zur Überwachung, Analgesie und weiteren Therapie auf die Kinder-Verbrennungseinheit aufgenommen. In den ersten Tagen kam es zu einem Temperaturanstieg bis 38,5 Grad, der antipyretisch behandelt wurde. Nach drei Tagen erfolgte im OP nach Wunddebridement die Auflage einer Milchsäure-Folie (Suprathel ®) (Abbildungen 2 und 3).
Abbildung 2: Kranial ist nur frisch aufgelegtes Suprathel ® zu sehen, kaudal bereits die erste Fettgazeschicht aufgelegt.
Darüber wurde erneut ein Verband aus zwei Einzellagen mit antiseptischen Polihexanidgel eingeriebenen, großmaschigen Fettgazen, Mullkompressen, Mullbinden und Netzstrumpf angelegt. Dabei waren die weiteren Verbandswechsel zufriedenstellend, sodass der Patient nach zwölf Tagen in die ambulante Nachsorge überführt werden konnte.
Abbildung 3: Trockene Wunde mit fest anhaftendem Suprathel/Fettgazeverband und sichtbar rosigem Wundgrund.
Diskussion
Thermische Schädigungen belegen in der Statistik von kindlichen Unfällen seit Jahren nach Sprunggelenksdistorsionen fest den zweiten Platz, wobei Verbrühungen durch Herabziehen heißer Flüssigkeiten den Großteil dieser Verletzungen darstellen.
Die Einteilung erfolgt sowohl nach Ausdehnung als auch Verbrennungstiefe [1, 2, 3]. Dabei dient als orientierendes Maß die gesamte Handfläche mit Fingern des Kindes, welche ca. ein Prozent der KOF entspricht, wobei eingradige Areale (Rötung, aber intakte Haut) nicht mit eingerechnet werden. Auch eine Unterscheidung zwischen 2a (oberflächlich) und zwei 2b (tieferen) Verbrühungen ist zum Zeitpunkt des Unfalls nicht möglich, da sich dies frühestens nach drei Tagen eindeutig unterscheiden lässt.
Nach initialer Analgesie und Wundversorgung richtet sich die stationäre Aufnahmeindikation nicht nur nach Größe und Ausdehnung des betroffenen Areals, sondern auch nach Lokalisation (gelenkübergreifend, Gesicht, Genitalbereich) und sozialem Umfeld des Patienten.
Weder im ambulanten noch im stationären Umfeld wird eine prophylaktische antimikrobielle Therapie empfohlen, kann aber in Einzelfällen, bei lokalen oder systemischen Infektionszeichen oder bei kritischen Wunden vor Spalthauttransplantation erwogen werden. Unbedingt sollte jedoch ein Augenmerk auf das sehr seltene, aber lebensbedrohliche Auftreten eines toxischen Schocksyndroms gelegt werden, welches durch Bildung von Exotoxinen von Keimen der normalen Hautflora entstehen kann und gehäuft bei kleinen Kindern, und dort in erster Linie bei kleinflächigen Verbrühungen, auftritt.
Hohes Fieber (> 38,5 Grad), Exanthem, Durchfall und Verschlechterung des Allgemeinzustandes können insbesondere für Eltern von Kindern mit ambulant geführten thermischen Verletzung Alarmzeichen sein, die eine umgehende Wiedervorstellung in der Klinik erforderlich machen.
Wichtig, und von vielen Autoren immer wieder kontrovers diskutiert, ist das Flüssigkeitsmanagement. Normalerweise ist die orale Hydrierung der intravenösen Flüssigkeitssubstitution bei thermischen Schäden < 20 Prozent KOF vorzuziehen und in der Regel ausreichend. Wir empfehlen ein Monitoring der Diurese mit einem Zielwert von 0,5 bis 1 ml/kg KG/h. Sollte dies nicht erreicht werden, oder besteht ein schwereres Verbrennungstrauma, ist die Verlegung in ein Kinder-Verbrennungszentrum indiziert (Tabelle 1).
In der sekundären Wundversorgung nach ca. drei Tagen wird in den meisten Verbrennungszentren seit einigen Jahren immer öfters synthtischer Epidermisersatz (zum Beispiel Suprathel ®) verwendet [1, 2]. Er besteht aus einer synthetischen Milchsäuremembran aus Polylactid, die sich mit dem geschädigten Areal zu einer trockenen Wunde verbindet und im Langzeitverlauf eine deutlich verbesserte Narbenstrukturierung bedingt. Aufgrund der gitterartigen Struktur der Fettgaze kann die Wunde im weiteren Verlauf ohne großen Aufwand gut beurteilt werden. Somit erübrigen sich tägliche, schmerzhafte Verbandswechsel oder entsprechend häufige Narkosen oder Analgosedierungen. Die Wunden verheilen rascher, der Transplantationsbedarf sinkt erheblich, da die Wundheilung nicht durch häufige Verbandswechsel gestört wird. Da die Verbandswechsel nach Suprathelauflage lediglich die oberen Verbandsschichten betreffen, verursachen sie auch keine Schmerzen.
Bei kleineren Arealen kann das Kind in der Regel ambulant jeden dritten Tag betreut werden. Je nach sich dann abzeichnender Verbrennungstiefe können entweder alternative Wundauflagen erwogen werden, die bis zu einer Woche belassen werden können (zum Beispiel Mepilex ® Ag, Epicitehydro) oder, falls es sich um ausgedehntere Areale handelt, in einem sterilen Eingriff ein synthetischer Hautersatz (zum Beispiel Suprathel ®) aufgelegt werden.
Bei einer trockenen Abheilung mit Reepithelialisierung innerhalb von zehn Tagen, ist von einem unkomplizierten Heilungsverlauf mit vollständig narbenfreiem Ergebnis auszugehen. Patienten mit tieferen Arealen oder Wunden, die nicht abheilen, sollten auch post expositionem großzügig in einem Verbrennungszentrum vorgestellt werden. Spalthauttransplantation bei persistierenden, größenrelevanten, nicht epithelisierenden Arealen, werden ohnehin erst nach frühestens 14 Tagen durchgeführt. Die Entnahmedicke der zu transplantierenden Spalthaut sollte 0,2 mm nicht überschreiten. Die Entnahme erfolgt aus kosmetischen und psychologischen Gründen idealerweise am Hinterkopf.
In der Nachbehandlung sollten abgeheilte Areale großzügig mit Fettsalben gecremt und nicht zu starker Sonneneinstrahlung ausgesetzt werden. Transplantierte oder narbige, sich verändernde Hautareale, erfordern in der Regel eine Kompressionsbehandlung zur Vermeidung von Narbenhypertrophien. Gerade bei gelenkübergreifenden Narben ist auch eine langfristige Physiotherapie sinnvoll, ebenso eine psychologische Betreuung der gesamten Familie. Hilfreich ist dabei eine Kontaktaufnahme zu Selbsthilfegruppen wie zum Beispiel „Paulinchen“ (www.paulinchen.de).
Fall 2
Ein sechsjähriger Junge stellt sich mit ausgeprägten Bauch- und Rückenschmerzen in unserer Notfallambulanz vor. Diese bestehen seit wenigen Tagen und sind von stark progredientem Charakter. Begleitend wird Übelkeit ohne Erbrechen beklagt. Seit geraumer Zeit war den Eltern Appetitlosigkeit und Abgeschlagenheit aufgefallen. Vorerkrankungen bestanden nicht, ebenso keine regelmäßige Medikamenteneinnahme.
In der körperlichen Untersuchung fand sich ein schlanker Junge mit normaler Körpertemperatur (36,8 Grad). Das Abdomen zeigte sich flach, diffus druckschmerzhaft mit punctum maximum im linken Oberbauch mit lokaler Abwehrspannung. Ebenfalls bestand ein deutlicher Klopfschmerz über dem linken Nierenlager. Laborchemisch fand sich eine milde Leukozytose (12.500/µl) bei normwertigem CRP. Kreatinin mit 0,5 mg/dl
und Harnstoff mit 17 mg/dl waren unauffällig, Elektrolyte und Blutgase sowie Leber- und Pankreasenzyme normwertig. Im Urinstreifentest bestanden ebenso keine Auffälligkeiten.
Die durchgeführte Abdomensonografie zeigte eine vergrößerte linke Niere mit verschmälertem Parenchymsaum. Ebenfalls zeigte sich linksseitig eine erhebliche Erweiterung des Nierenbeckenkelchsystems mit intra- und vor allem extra-renaler Nierenbeckenkelcherweiterung (extra-renaler Durchmesser von 65 mm) (Abbildung 4). Dopplersonografisch konnten aberrierende Unterpolgefäße identifiziert werden (Abbildung 5).
Zur erweiterten urologischen Diagnostik erfolgte eine dynamische Nierensequenzszintigrafie mit Tc 99m-MAG3 Clearance. Hierbei bestand eine ausgeglichene Nierenpartialfunktion mit obstruktivem Abflussmuster, auch nach Furosemid-Gabe (Abbildungen 6 und 7).
Unter Zusammenschau der bildgebenden Befunde ergab sich das Bild einer linksseitig dekompensierten Ureterabgangsstenose auf dem Boden aberrierender Unterpolgefäße. Unter analgetischer und spasmolytischer Behandlung waren die Schmerzen kontrollierbar. Ein begleitender Harnwegsinfekt wurde klinisch und laborchemisch ausgeschlossen. Therapeutisch führten wir eine zeitnahe operative Behandlung mittels Ureteropyeloplastik in minimalinvasiver Technik durch (Abbildung 8). Hierbei wurde unter Umgehung der akzessorischen Gefäße der stenotische Bereich des Harnleiters reseziert und ventral an das Nierenbecken reanastomosiert. Zur Sicherung des Harnabflusses wurde passager für sechs Wochen eine Harnleiterschiene eingebracht (Abbildung 9).
Diskussion
Die Ureterabgangsstenose bezeichnet eine Verengung zwischen dem Nierenbecken und dem proximalen Harnleiter. Infolgedessen kommt es zu einem prästenotischen Nierenbecken und auch Nierenbeckenkelchsystem. Die Inzidenz dieses Krankheitsbildes liegt bei zwei bis acht von 10.000 Neugeborenen [4, 5]. Ursächlich werden extrinsische, intrinsische und sekundäre Stenosen unterschieden (Tabelle 2). Klinisch sind jüngere Kinder, insbesondere Säuglinge, häufig asymptomatisch. Selten bestehen fieberhafte Harnwegsinfektionen. Jedoch kann es bei ausgeprägten Harntransportstörungen zur Pyelon-ephritis bis hin zur Urosepsis kommen. Im höheren Kindesalter können intermittierende Beschwerden in Form von Bauch- oder Flankenschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen auftreten. Treten diese, insbesondere bei älteren Kindern, nach größeren Trinkmengen auf, so ist – wie in unserem Fall – an eine extrinsische Stenose zu denken.
Die Diagnose wird heute häufig pränatal gestellt. Im postnatalen Ultraschall entscheidet das Ausmaß der Harnabflussstörung über weitere diagnostische Schritte. Sonografisch richtet sich das Augenmerk auf:
» das Nierenvolumen (unter anderem zur Erfassung einer kompensatorischen Hypertrophie der kontralateralen Niere),
» das Ausmaß der Nierenbeckenkelchdilatation (Gradeinteilung gemäß Society of Fetal Ultra-sound [6]),
» die Nierenbeckenweite in Millimeter im Hilus-Querschnitt antero-posterior,
» die Blasenfüllung sowie erweiterte Harnleiterabschnitte im prävesikalen Bereich.
Bei sonografischem Verdacht auf eine relevante Ureterabgangsstenose stellt eine Diureseszintigrafie mit 99mTc MAG3 das wesentliche Diagnostikum der seitengetrennten Nierenfunktion und der Beurteilung der Nuklidabflusskurven vor und nach Furosemidgabe dar [7]. Aufgrund der physiologischen Nierenreifung sollte diese Untersuchung erst im Alter von vier bis sechs Lebenswochen durchgeführt werden (mit Alterskorrektur für Frühgeborene) [8].
Die Therapie richtet sich nach dem sonografischen Ausmaß der Harntransportstörung, der Nierenfunktion und dem Abflussmuster. Bei szintigrafischem Ausschluss einer relevanten obstruktiven Harntransportstörung wird in der Regel eine konservative Überwachung mit sono- und szintigrafischen Kontrollen zur raschen Erfassung einer Verschlechterung der Situation angeschlossen. Im Falle eines dekompensierten obstruktiven Abflussmusters oder eingeschränkter Nierenpartialfunktion erfolgte die operative Korrektur. Die von Anderson & Hynes 1949 beschriebene Nierenbeckenplastik gilt hierbei nach wie vor als Goldstandard [9]. Diese wird originär in der offenen Technik praktiziert, hierfür ist insbesondere bei größeren Kindern ein ausgedehnter Flanken- oder Lendenschnitt erforderlich. In Zentren mit entsprechender Erfahrung fand zunehmend die laparoskopische Technik Anwendung. Die gute Visualisierung des stenotischen Bereiches oder etwaiger Unterpolgefäße, kleinere Schnitte und damit verbunden weniger Wundschmerzen und kosmetisch ansprechende Narben, zählen zu den Vorteilen des Verfahrens. Zu berücksichtigen ist, dass Eingriffe im laparoskopischen Verfahren, insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern auch in geübter Hand sehr anspruchsvoll sind und wenigen Zentren vorbehalten bleiben. Die Ergebnisse der minimalinvasiven Technik erfahrener Zentren sind denen der offenen Operation vergleichbar. Eine Metaanalyse zeigt eine Erfolgsquote für die laparoskopische Techniken von 96 Prozent versus 99 Prozent bei den offenen Pyeloplastiken [10].
Fall 3
Ein drei Stunden alter Reifgeborener wird in der kinderchirurgischen Ambulanz vorgestellt, nachdem postnatal das Fehlen der Analöffnung auffiel. Das Neugeborene befindet sich mit 2.700 Gramm auf der dritten Perzentile, der Schwangerschaftsverlauf war unauffällig, auf eine pränatale Diagnostik wurde verzichtet. In einer ersten Inspektion zeigt sich folgender Befund: Ein Anus ist nicht angelegt, das Scrotum ist abnormal, die Hoden deszendiert (Abbildung 10). Die Diagnose einer anorektalen Malformation wird gestellt. Eine ausgiebige Umfelddiagnostik zum Ausschluss weiterer Fehlbildungen wird durchgeführt. Es zeigen sich weder in Herzechokardiografie, Nierensonografie, Röntgendiagnostik von Wirbelsäule und Extremitäten oder spinalem Ultraschall pathologische Befunde. Nach 24 Stunden findet sich Mekonium an der Penisspitze (Abbildung 11).
Aufgrund der vorliegenden Befunde muss von einer Analatresie mit Fistelbildung vom Rektum zum Urogenitalsystem vorliegen. Es wird zügig die Anlage eines doppelläufigen Split-Colostomas durchgeführt (Abbildung 12 und 13).
Nach ca. vier Wochen führen wir eine Kontrastmitteldarstellung des distalen Colonabschnitts durch, in dem sich eine Fistel zur Urethra darstellt (Abbildung 14).
Abbildung 14: Röntgenbild mit Kontrastmittelfüllung des distalen Schenkels. Man erkennt den Übertritt von Kontrastmittel in die Urethra i. S. einer Rekto-bulbären Fistel.
Abbildung 15: Das Split Deszendostoma. Links lateral die Ausleitung der zuführenden Schlinge, kaudal die muköse Fistel zum atretischen Anus. Mit einer Ligatur versehen: der Nabelstumpf.
In einer weiteren Operation, einer posterioren, sagittalen Anorektoplastik (PSARP) kann die Fistel entfernt und die Kontinuität wiederhergestellt werden.
Diskussion
Mit einer Inzidenz von 1 bis 3 auf 5.000 Geburten umfasst der Begriff der Anorektalen Malformation (ARM) ein weites Spektrum von Fehlbildungen. Von der einfachen Analstenose bis hin zu komplexen Kloakenmissbildungen finden sich die verschiedenartigsten Fehlbildungen, die jeweils auch mit unterschiedlicher Ausprägung der Sphinktermuskulatur einhergehen (Tabelle 4). ARM können syndromassoziiert sein (Morbus Down, VACTERL, Katzenaugen-Syndrom, etc.), treten aber in einer Vielzahl der Fälle als eigenständige Fehlbildung auf. Mittlerweile haben sich zur definitiven Versorgung komplexe Anorektale Rekonstruktions-Operationen wie die PSARP, teils auch minimalinvasiv assistiert, etabliert (Tabelle 5). Ziel der operativen Versorgung ist die Wiederherstellung der Darm-Kontinuität unter Erhaltung der Kontinenz [11, 13].
Bei ca. 90 Prozent der Fälle zeigt sich, ausgehend vom atretischen Ende des Darms, eine Fistel, die ihren Anschluss ins Perineum oder ins Urogenitalsystem findet. Am häufigsten sieht man die rekto-urethrale Fistel beim Jungen. Wird über eine perineale Fistel Mekonium oder der erste Stuhl ausreichend drainiert, so kann die primäre definitive Versorgung verzögert werden, bis der Säugling 5 kg oder mehr wiegt. Liegt eine sogenannte tiefe Variante vor, das heißt der Rektum-Blindsack befindet sich unmittelbar unter Hautniveau, kann die primäre Korrektur im Neugeborenenalter erfolgen. Ist dies nicht der Fall oder besteht tatsächlich eine Atresie ohne Fistel, so muss zunächst in den ersten 24 Stunden ein Stoma angelegt werden. Bestehen Fisteln in den Blasenhals, die Urethra oder eine sogenannte Kloaken-Fehlbildung, wird aus Gründen der rasch zu einer Sepsis führenden Infektion des Urogenitalsystems, ebenfalls die rasche Stomaanlage empfohlen [12].
Mittlerweile hat sich die distale Deszendostomie in diesen Fällen etabliert, wobei auf eine ausreichende Länge des distalen Abschnittes zu achten ist, um die nachfolgende Rekonstruktion zu ermöglichen. Über einen Zugang im linken unteren Quadranten wird ein Stoma angelegt, wobei der zuführende Schenkel lateral in der Wunde ausgeleitet wird und der abführende, distale Anteil als muköse Fistel medial in der Wunde zu liegen kommt. Über den distalen Schenkel werden regelmäßig Spülungen durchgeführt, um das Mekonium auszuspülen, da urogenitale Infekte beim Neugeborenen rasch zu lebensbedrohlichen Zuständen führen können. Andersherum kann der Reflux von Urin in das Colon eine hyperchloraemische Azidose hervorrufen, was besonders bei langen distalen Colonanteilen gesehen wird.
Trotz guter Rekonstruktionstechniken ist die Komplikationsrate, abhängig von der Fistellokalisation, nach wie vor nicht gering, wie in Tabelle 3 dargestellt. Die definitive Versorgung sollte daher spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben. Neben der Operation ist vor allem die perioperative Infrastruktur mit speziellen Nachsorgeschemen, Bowel Management, dem Eintrainieren von persönlichen Defäkationstechniken und -gewohnheiten unter den Aspekten der Nahrungszusammensetzung und medikamentöser Hilfe sowie bildgebender sonografischer Kontrolle und letzlich die Transition der Patienten in die Erwachsenenmedizin von hoher Bedeutung für die Langzeitergebnisse und damit für die Lebensqualität. Die Familien sollten frühzeitig auf die Möglichkeit der Unterstützung durch Selbsthilfegruppen (SoMA – Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Anorektalfehlbildungen, www.soma-ev.de) aufmerksam gemacht werden.
Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-ärzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.
Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.
Autoren
Klinik für Kinderchirurgie, München Klinik Schwabing, Kölner Platz 1, 80804 München
Korrespondenzadresse:
Dr. Mark Malota, Klinik für Kinderchirurgie, München Klinik Schwabing, Kölner Platz 1, 80804 München, E-Mail: mark.malota(at)muenchen-klinik.de
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