Klaus Holetschek

Klaus Holetschek: „Das Thema Impfpriorisierung beschäftigt uns schon von Beginn an.“

Am 8. Januar erhielt Klaus Holetschek (CSU) die Bestellungsurkunde zum Bayerischen Staatsminister für Gesundheit und Pflege. Die Berufung des erfahrenen Gesundheits- und Sozialpolitikers, Jahrgang 1964, in die bayerische Ministerriege kam für viele zwar ziemlich unerwartet aber dennoch nicht ganz überraschend, war doch der neue Gesundheitsminister erst vor einigen Monaten zum Staatssekretär im Gesundheitsministerium ernannt worden. Holetschek kann Erfahrungen in Berlin vorweisen, kennt aber ebenso die kommunale Ebene sehr gut.

Herr Minister, Sie wurden in den Medien als „Mann für heikle Aufgaben“ oder „Allzweckwaffe“ beschrieben. War eine Amtsübernahme mitten in der Corona-Krise also genau richtig?
Holetschek: Solche Namen klingen ja ganz nett und witzig, aber ich bin kein James Bond. Ich empfinde es als große Ehre, dieses Amt in einer solchen Krise ausüben zu dürfen. Es ist aber auch eine mindestens ebenso große Aufgabe und Verantwortung. Davor habe ich höchsten Respekt. In der Pandemie geht es nicht darum, als Einzelkämpfer zu glänzen, sondern gemeinsam im Team diese Jahrhundertaufgabe zu bewältigen.

Mit welchen Maßnahmen wollen Sie der Corona-Impfstrategie in Bayern zum Erfolg verhelfen? Besteht Nachsteuerungsbedarf, beispielsweise bezüglich der Impfreihenfolge einzelner Bevölkerungsgruppen oder von Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen?
Holetschek: Das Thema Impfpriorisierung beschäftigt uns schon von Beginn an. Den rechtlichen Rahmen hierzu stellt die Corona-Impfverordnung dar, die auf den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) basiert. Da die STIKO den Impfstoff von AstraZeneca nun für die Altersgruppe der 18- bis 64-Jährigen empfohlen hat, müssen wir uns anpassen. Grundsätzlich halten wir am Prinzip und an den Kriterien der Priorisierung fest. Mir ist es ein persönliches Anliegen, dass auch schwere, bisher nicht in der Coronavirus-Impfverordnung aufgeführte Erkrankungen angemessen berücksichtigt werden können. Deswegen hat Bayern beschlossen, eine Impfkommission einzurichten, die sich genau mit diesen Fragen befasst.

Einige Ihrer Kabinettsmitglieder sprechen bereits von Lockerungen, Öffnungen von Kitas und Schulen oder Hotels, Gastronomie und Skiliften, während andere strikt gegen diese Maßnahmen sind. Was sagt der Minister?
Holetschek: Wir müssen weiter einen Kurs der Vorsicht und Umsicht fahren. Die Infektionszahlen sind zuletzt zwar spürbar gesunken im Vergleich zu Anfang Januar. Aber das ist kein Grund zur Entwarnung. Wir wollen langfristig wieder zu einer Sieben-Tages-Inzidenz von höchstens 35 zurück. Das ist wichtig, um das Gesundheitssystem zu entlasten. Aber wir haben es inzwischen auch mit – nach allem was wir wissen – hochansteckenden Virus-Variationen zu tun. Diese Varianten könnten unsere jüngsten Erfolge sehr schnell wieder zunichtemachen.

Sie haben sich auch für eine Impfpflicht für medizinisches Personal ausgesprochen? Halten Sie daran fest?
Holetschek: Ich habe mich nicht pauschal für eine Impfpflicht ausgesprochen. Richtig ist: Ich begrüße es, dass über so ein Thema diskutiert wird. Das zeichnet eine Demokratie doch aus. Wichtig ist, dass ein solcher Freiheitseingriff zunächst vom Ethikrat diskutiert wird. Das wäre dann eine Grundlage, auf der man eine politische Debatte führen könnte. Nicht mehr und nicht weniger.

Im Zuge des bisherigen Verlaufs der Corona-Krise konnten sich die Bundesländer oft nur schwer auf ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen in Bezug auf Infektionsschutzmaßnahmen und Corona-Teststrategien einigen. Müssen in der Gesundheitspolitik künftig mehr Kompetenzen auf den Bund übertragen werden?
Holetschek: Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, das wichtige Thema Impfen arbeitsteilig anzugehen. Der Bund kümmert sich um die Beschaffung, die Länder organisieren den Impfprozess. Grundsätzlich halte ich das für eine gute Arbeitsteilung. Dies ist auch ein gutes Beispiel für die Stärken des Föderalismus: Er erlaubt uns ein Vorgehen, das an die unterschiedlichen Infektions-
zahlen und Bedürfnisse in den Bundesländern angepasst ist. Ich empfinde den regelmäßigen Austausch mit meinen Kollegen aus der Gesundheitsministerkonferenz, der ich in diesem wichtigen Corona-Jahr vorsitzen darf, als große Bereicherung.

Ende 2020 betonten Sie, dass eine moderne Medizin „ein patientenorientiertes Gesundheitswesen, in dem wissenschaftliche und Naturmedizin gleichberechtigt sind“, benötige. Müssen wir damit rechnen, dass staatliche Mittel künftig nicht mehr prioritär in die wissenschaftliche Medizin gelenkt werden?
Holetschek: Nein, das ist gar nicht der Punkt. Ich möchte die bestmögliche Gesundheitsversorgung für jeden einzelnen Patienten und will dabei nicht einzelne Bereiche von vornherein ausblenden oder gar gegeneinander ausspielen. Natürlich bin ich ein großer Verfechter der wissenschaftlichen Medizin. Aber ich war auch viele Jahre Bürgermeister eines Kneipp-Kurortes in Schwaben und schätze Naturheilverfahren wie die Kneipp-Therapie. Deshalb finde ich, dass eine evidenzbasierte, fachliche Diskussion auch über andere medizinische Behandlungswege sinnvoll ist. Aber auch dafür braucht es eine fundierte wissenschaftliche Herangehensweise und Studien auf höchstem wissenschaftlichem Niveau.

BLÄK-Präsident Dr. Gerald Quitterer forderte wiederholt einen weiteren Ausbau der Medizinstudienplätze in Bayern, um den steigenden Ärztebedarf künftig begegnen zu können. Kommen zusätzliche Studienplätze und falls ja, wann, wo und wie viele?
Holetschek: Als Gesundheitsminister kann ich natürlich nicht einfach Studienplätze schaffen. Damit würde ich im Revier meines Kollegen aus dem Wissenschaftsministerium fischen. Aber mir ist die Gefahr eines drohenden Ärztemangels etwa im ländlichen Raum oder im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) sehr bewusst. Deswegen haben wir in Bayern effiziente Programme aufgelegt wie die Landarztquote und seit diesem Jahr auch die ÖGD-Quote. Diese Programme halten Studienplätze für junge Menschen auch ohne herausragenden Schulabschluss vor. Für die Zulassung schauen wir nicht auf die schulischen Leistungen, sondern auf die fachliche und persönliche Qualifikation. Im Gegenzug verpflichten sich die angehenden Ärzte, nach dem Studium in Bayern eine Weiterbildung als Facharzt für Allgemeinmedizin oder Innere Medizin zu absolvieren und für mindestens zehn Jahre als Hausärztin oder Hausarzt in einer Region zu arbeiten, die medizinisch unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht ist oder im ÖGD zu arbeiten. Ich halte das für ein ganz tolles Programm, bei dem alle Seiten nur gewinnen können.

In einer immer älter werdenden Gesellschaft und mit dem medizinisch-technischen Fortschritt steigt der Bedarf an Ärztinnen und Ärzten sowie an medizinischem Fachpersonal ständig. Wie begegnen Sie diesem Trend?
Holetschek: Diesem Trend begegnen wir mit einer Vielzahl an aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Denn eine gute und hochwertige ärztliche Versorgung in allen Teilen Bayerns auch in Zukunft zu gewährleisten, ist mir ein zentrales, gesundheitspolitisches Anliegen. Die Landarztquote habe ich ja gerade schon erwähnt. Dafür halten wir 5,8 Prozent aller Medizinstudienplätze vor. Zudem fördern wir mit einem Stipendienprogramm Medizinstudierende mit 600 Euro monatlich, die sich dazu bereit erklären, nach dem Studium ihre Weiterbildung zum Facharzt im ländlichen Raum zu absolvieren und danach fünf weitere Jahre dort ambulant oder stationär tätig zu sein. Bereits ausgebildete Fachärztinnen und -ärzte holen wir mit der Landarztprämie ab. Mit der Prämie unterstützen wir ärztliche Niederlassungen in den Fachrichtungen der hausärztlichen und allgemeinen fachärztlichen Versorgung in Ortschaften mit höchstens 20.000 Einwohnern mit bis zu 60.000 Euro. Auch Psychotherapeuten können eine Förderung in Höhe von maximal 20.000 Euro erhalten. Mit diesen Maßnahmen konnten wir in den vergangenen acht Jahren bereits mehr als 750 Ärztinnen und Ärzte sowie 270 Medizinstudierende erreichen und für eine Tätigkeit im ländlichen Raum motivieren. Das ist eine positive Entwicklung, und wir werden weiter alles daransetzen, diese weiter zu unterstützen.

Die Krankenhauslandschaft ist im Umbruch. Kritiker behaupten, dass nicht wirklich staatliche Krankenhausplanung stattfindet. Stattdessen werde lediglich nachvollzogen, was Krankenhausträger aus ökonomischen Gründen anbieten. Berechtigt?
Holetschek: Um es vorwegzuschicken: Die bayerische Krankenhausplanung erfüllt ihre Aufgabe in vollem Umfang und stets mit dem Ziel einer qualitativ hochwertigen stationären Versorgung – von der wohnortnahen Grundversorgung bis zur Spitzenmedizin. Mit derzeit 407 zugelassenen Krankenhäusern mit insgesamt rund 74.000 Betten sind wir bestens aufgestellt.
Gleichzeitig ist es richtig, dass sich die Krankenhausversorgung seit Jahren in einem Prozess der Umstrukturierung befindet. Zum Erhalt der Versorgungsstrukturen ist es unentbehrlich, gerade kleinere Standorte, die eine wichtige Rolle in der wohnortnahen Versorgung spielen, kontinuierlich weiterzuentwickeln und die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Dabei ist nicht die absolute Größe eines Krankenhauses entscheidend für medizinisch und wirtschaftlich auskömmliche Verhältnisse, sondern die Größe und der Spezialisierungsgrad in der Binnenstruktur. Ziel muss es daher sein, einen angemessenen Ausgleich im Sinne der Patientinnen und Patienten zu finden und die Versorgungsstrukturen so aufzustellen, dass auch in kleineren Krankenhäusern hinreichend große Abteilungen gebildet werden können. Nur so werden die Krankenhausträger ihrer Verantwortung gerecht, die Versorgungsstrukturen kontinuierlich an veränderte Rahmenbedingungen etwa in demografischer, medizinischer oder versorgungstechnischer Hinsicht anzupassen.
Und um konkret auf Ihre Frage zurückzukommen: Der Begriff „Krankenhausplanung“ suggeriert tatsächlich nicht vorhandene Eingriffsmöglichkeiten. Krankenhausplanung besteht daher in weiten Teilen in wenig spektakulärer Überzeugungsarbeit gegenüber den Krankenhausträgern zur Fortentwicklung und Anpassung ihrer Krankenhausstrukturen. Eine wesentliche staatliche Einwirkungsmöglichkeit besteht hier auch durch die Krankenhausförderung, insbesondere durch die Einzelförderung von Bauvorhaben. Die gezielte projektbezogene Förderung ermöglicht die Berücksichtigung regionaler und struktureller Besonderheiten – gerade auch im ländlichen Raum.

Viele Ärztinnen und Ärzte beklagen, dass das DRG-System die Vorhaltung bedarfsnotwendiger Einrichtungen der Daseinsvorsorge nur ungenügend berücksichtige und dass erforderliche Investitionen aus den Mitteln für die Patientenbehandlung bezahlt würden. Wie wollen Sie diese Zweckentfremdung stoppen?
Holetschek: Mir liegt viel daran, dass wir die Versorgung insgesamt ganzheitlicher denken. Es ist sicher noch ein weiter Weg – aber es steht außer Frage, dass wir die immer noch viel zu verfestigten Sektoren zwischen ambulanter und stationärer Behandlung überwinden müssen. Hierin liegt aus meiner Sicht erhebliches Potenzial, das gerade für eine Versorgung in der Fläche nicht verschenkt werden darf. Wir werden uns an dieser Stelle beim Bund besonders stark machen – denn ohne einen korrespondierenden Paradigmenwechsel im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung wird dieser wichtige Aspekt weiter zu kurz kommen. Gute Versorgung ist immer die, die beim Patienten ansetzt – und nicht die, die sich in ein starres Gefüge unterschiedlicher Versorgungssysteme einreiht.
Tatsächlich hat das DRG-System zu einer branchenerfassenden Ökonomisierung des Krankenhausbetriebs geführt. Hinzu kommen stets ansteigende, vom Bund angeregte Qualitätsanforderungen, die in kleineren Einheiten nicht mehr überall und ohne weiteres erfüllt werden können. Vor diesem Hintergrund gilt es für Krankenhäuser, Kooperationen mit anderen Anbietern einzugehen und die Versorgungsangebote so auszurichten, dass auch an kleineren Standorten ausreichend große Binnenabteilungen realisierbar sind. Hierauf wirkt übrigens die Krankenhausplanung in einer Vielzahl von Gesprächen „hinter den Kulissen“ hin.
Den Vorwurf, notwendige Krankenhausinvestitionen müssten aus Behandlungserlösen querfinanziert werden, weise ich für Bayern entschieden zurück. Der Freistaat kommt vielmehr seiner Finanzierungsverantwortung für diese Investitionen bestmöglich nach. Bislang wurden – gemeinsam mit den kommunalen Finanzierungspartnern – seit Beginn der sogenannten dualen Finanzierung mehr als 24 Milliarden Euro für investive Maßnahmen in Gebäude und Ausstattung der Kliniken aufgebracht. Mit einem Förderetat von zuletzt jährlich 643 Millionen Euro können alle dringlichen Investitionsvorhaben für die akutstationäre Versorgung zeitgerecht finanziert werden. Einen Investitionsstau oder eine Warteliste für Projekte gibt es in Bayern nicht. Damit das auch in Zukunft so bleibt, soll der Krankenhausförderetat im Jahr 2021 auf dem Spitzenniveau von 643 Millionen Euro fortgeführt werden. Damit verfügen wir dann über die notwendigen finanziellen Spielräume, um die bestehenden leistungsfähigen Krankenhausstrukturen in Bayern bedarfsgerecht und zukunftsfähig ausbauen zu können.

Ihre ersten 100 Tage im Amt sind sicherlich nicht langweilig. Was erwarten Sie von den kommenden 100 Tagen?
Holetschek: In Corona-Zeiten sollte man seine Erwartungen nicht zu hochschrauben. Wenn wir es schaffen, möglichst viele Menschen rasch zu impfen und gleichzeitig das Infektionsgeschehen so niedrig wie möglich zu halten, haben wir viel erreicht.

Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dagmar Nedbal (BLÄK)

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