Klimawandel-spezifische Erkrankungsbilder: Gebiet Mikrobiologie und Laboratoriumsmedizin
Mit der deutlich gestiegenen und weiter steigenden globalen Oberflächentemperatur [1] ändern sich die Rahmenbedingungen für Infektionskrankheiten: Verbreitungsgebiete von Vektoren für Krankheitserreger ändern sich, häufigere Stürme und ausgedehnte Überschwemmungen ebenso wie wärmere Badegewässer können die Seuchenausbreitung begünstigen.
Der Gesundheitssektor ist für seinen Anteil am Treibhauseffekt mit verantworltich. Auch der Laborbetrieb erfordert einen erheblichen Energie- und Materialaufwand, der mit einem hohen CO2-Fußabdruck einhergeht. Diesen zu minimieren erfordert innovative Lösungsansätze im Bereich Geräte- und Gebäudetechnik (zum Beispiel Nutzung von Abwärme), einen bewussten Umgang mit Einmalartikeln bzw. Ersatz durch Rezyklate, Pfandsysteme für Reagenzienlieferungen und ähnliches.
Vektorübertragene Infektionskrankheiten
Vektorübertragene Krankheiten mit dermatologischen Manifestationen wie Lyme-Borreliose, Dengue, Chikungungya und Gelbfieber sind kürzlich in dieser Serie thematisiert worden [2]. Mildere Winter begünstigen vektorübertragene Infektionskrankheiten, wie am Beispiel der humanen granulozytären Anaplasmose (HGA) retrospektiv gezeigt werden konnte: nach besonders kalten Wintern waren HGA-Antikörper signifikant seltener nachweisbar als nach einer Periode mit mehreren aufeinanderfolgenden milden Wintern [3]. Als Erregerreservoir der HGA gelten Wildtiere, die Übertragung erfolgt durch verschiedene Zecken-Arten. In den betroffenen Bundesstaaten der USA gilt die HGA inzwischen als zweithäufigste durch Zecken übertragene Erkrankung nach der Borreliose. Bei dem Erreger handelt es sich um obligat intrazelluläre Bakterien, die als Einschlüsse (Morulae) in Granulozyten auffallen können und durch Polymerasekettenreaktion (PCR) aus EDTA-Blut diagnostiziert werden. Der Immunfluoreszenz-Nachweis von Antikörpern (IgG und IgM) kann retrospektiv und bei epidemiologischen Fragen eingesetzt werden. Als Mittel der Wahl zur Therapie gilt Doxyzyklin.
Dirofilarien können von heimischen Stechmücken [4] auf Hunde, Katzen und Waschbären übertragen werden und verursachen bei den Tieren kardiopulmonale (nur Dirofilaria repens) und subkutane Dirofilariasis (D. immitis, D. tenuis) [5]. Der Mensch ist in den meisten Fällen Fehlwirt, das heißt es entwickeln sich keine adulten Würmer. Die Larven bewegen sich in dem Falle als Larva migrans durch Lunge, Haut und gelegentlich die Bindehaut, eine milde Eosinophilie kann nachweisbar sein. Die Larven werden je nach Lokalisation chirurgisch entfernt. Bei einem deutschen Reiserückkehrer aus Indien mit eosinophiler Meningoenzephalitis wurde ein adultes D. repens Weibchen mit Mikrofilarien nachgewiesen [6]. Die Labordiagnostik solcher Fälle mittels serologischer und molekularbiologischer Verfahren kann im Nationalen Referenzzentrum für tropische Infektionserreger am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut erfolgen, zur Therapie wird das Anthelminthicum Albendazol eingesetzt.
Badegewässer-assoziierte Krankheiten
In heimischen Badeseen ist verstärkt mit Cyanobakterien (Blaualgen) zu rechnen [7]. Ihre Toxine wie Microcystin-LR, Cylindrospermospien, Anatoxin-a und Saxitoxin, die aktuell nur in
Speziallaboratorien nachweisbar sind, können oral, dermal oder inhalativ aufgenommen werden. In Abhängigkeit vom Toxin und dessen inkorporierter Menge sind verschiedene klinische Komplikationen wie (schwere) Hautirritationen, Diarrhoe, Leberschädigungen und atypische Pneumonien möglich [8].
Steigende Temperaturen der Badegewässer begünstigen auch das Wachstum fakultativ pathogener Bakterien und erhöhen damit das Infektionsrisiko für Erreger, die in den Tropen verbreiteter sind. Dazu zählen die in Salzwasser vorkommenden Arten Shewanella algae und Vibrio vulnificus, die in seichten und warmen Küstengewässern der Ostsee vorkommen. Bereits bei Erwärmung des Ostseewassers auf über 13°C wird vermehrt S. algae nachgewiesen, bei über 20°C kommt V. vulnificus vermehrt im küstennahen Wasser vor. Beide Erreger verursachen Wundinfektionen und systemische Infektionen insbesondere bei Menschen mit kardiovaskulären und Stoffwechsel-Erkrankungen [9, 10]. Hier kommt es zu schwerer Sepsis mit fulminantem Multiorganversagen und entsprechend hoher Letalität. Diagnostisch ist die rechtzeitige Gewinnung von Blutkulturen und Wundabstrichen notwendig. Bei entsprechender Anamnese (Wundinfektion nach Baden in der Ostsee und anderen Küstengewässern) wird eine sofortige kalkulierte Therapie mit Cephalosporinen der
3. Generation in Kombination mit Tetrazyklinen oder Chinolonen empfohlen [9, 10]. Für die mikrobiologische Laboratoriumsdiagnostik sind Methoden und Grenzwerte zur standardisierten Empfindlichkeitstestung von Vibrionen festgelegt und publiziert [11], so dass danach gegebenenfalls eine gezielte Anpassung der Therapie erfolgen kann.
Infektionskrankheiten im Zusammenhang mit Naturkatastrophen
Überschwemmungen in Siedlungsgebieten gehen mit mikrobieller Kontamination einher [12]. So wurden nach dem Elbehochwasser 2013 Übertragungsrisiken für Kryptosporidien identifiziert [13]. Hierauf muss sich die Laboratoriumsdiagnostik für die akuten Erkrankungsfälle einstellen. Molekularbiologische Methoden zum Erregernachweis bei Durchfallerkrankungen wurden unlängst als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen (sogenannte Multiplex-PCR), dazu gehören auch Kryptosporidien, so dass sich nun auch für gesetzlich Versicherte die im Vergleich zum mikroskopischen Nachweis sensitivere PCR anwenden lässt. Aus dem Nachweis der meldepflichtigen Parasiten resultieren Schutz- und Bekämpfungsmaßnahmen wie die Empfehlung, ausgetrocknetes Schwemmland nicht zu betreten. Da es sich bei der Kryptosporidiose immunkompetenter Personen um eine selbstlimitierende Diarrhoe handelt, sind spezifische antiparasitäre Therapien nur bei Immunsupprimierten erforderlich, bei denen die Infektion zu einer chronischen Diarrhoe mit Wasting-Symtomatik führen kann. Am ehesten scheint Nitazoxanid erfolgversprechend zu sein, es besteht aber weiter Forschungs- und Entwicklungsbedarf für geeignete antiparasitäre Mittel.
Im Zusammenhang mit Flutkatastrophen und zerstörerischen Stürmen können Verletzungsmykosen, zum Beispiel durch Mukor [14] und dimorphe Pilze (Sporothrix schenckii) auftreten. Andere dimorphe Pilze werden durch Inhalation erregerhaltigen Staubs aufgenommen, dazu zählen Histoplasma capsulatum und Emergomyces spp.[15]. Der gebräuchliche Begriff „außereuropäische Systemmykosen“ führt teilweise in die Irre, denn auch in Europa muss von einer endemischen Verbreitung der Histoplasmose ausgegangen werden, so zum Beispiel in der italienischen Po-Ebene [16]. Aus Deutschland gibt es Fallberichte zu erworbener Histoplasmose bei Wildtieren und einen einzelnen Erkrankungsfall beim Menschen. Neben dem problematischen Nachweis in der Kultur werden Antigennachweise aus Urin und Serum derzeit für disseminierte Infektionen bei Immunsupprimierten empfohlen. Ihre Sensitivität zum Nachweis lokalisierter Infektionen bei nicht Immunsupprimierten ist geringer, ihr negativer und positiver Vorhersagewert bei vermutlich niedriger Prävalenz in Europa daher wahrscheinlich nicht ausreichend, um ihren labordiagnostischen Einsatz zu rechtfertigen. Emergomyces spp. sind erst seit der Jahrtausendwende als Erreger granulömatoser Lungenerkrankungen (Emergomykose) insbesondere bei Patienten mit Immunsuppression auch in Europa beschrieben worden, 2018 erstmals in Deutschland. Thermal dimorphe Pilze stellen wegen der aerogenen Verbreitung ihrer temperaturabhängig auftretenden sporenbildenden Fadenpilzformen eine Gefährdung des Laborpersonals dar. H. capsulatum ist daher der Schutzstufe 3 der Biostoffverordnung zugeordnet, für den Umgang mit Emergomyces spp. werden analoge Schutzmaßnahmen angewendet [17]. Damit die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Laborpersonals rechtzeitig eingeleitet werden können, ist die Kenntnis der Verbreitungsgebiete auch in Europa essenziell. Nur so kann eine Information des beauftragten Labors erfolgen und ggf. die Untersuchung im Konsiliarlabor für Kryptokokkose und seltene Systemmykosen erfolgen.
One Health und Mikroaerosole
Effekte der globalen Erwärmung auf die Gesundheit spielen für „One Health“-Konzepte eine zentrale Rolle. Der Begriff beschreibt die gegenseitige Beeinflussung der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt. Neben vielen anderen Faktoren können sogenannte Bioaerosole für die Verbreitung biologischer Stoffe und Mikroorganismen über die Luft im globalen biogeochemischen Kreislauf mitverantwortlich sein. So werden Mikroaerosole mit globalem Gentransfer unter Beteiligung der Atmosphäre in Zusammenhang gebracht [18], was wiederum für den Austausch von Antibiotika-Resistenzgenen eine Rolle spielen könnte [19]. Die Unterdisziplin der Aeromikrobiologie befasst sich mit der Ausbreitung und dem Überleben von Viren, Bakterien, Pilzen und Archaea in der Luft auch unter sich verändernden klimatischen Bedingungen. Sand- oder Staubstürmen kommt eine Bedeutung bei der Verbreitung von Mikroorganismen auch über große Distanzen hinweg zu [20]. Die immer wieder auftretenden Saharastaub-Eintragungen auch in Bayern führen eindrücklich vor Augen, über welche Entfernungen die Ausbreitung über dieses Vehikel möglich sein kann.
Ähnliche Schlussfolgerungen wie für die globale Atmosphäre lassen sich aus den Erkenntnissen zu Mikroaerosolen auch für die Übertragung in Krankenhäusern und deren Umgebung ziehen. Auch hier sind neben den Eigenschaften der Infektionserreger (zum Beispiel behüllte versus unbehüllte Viren) die Umweltfaktoren Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit für das Überleben der Pathogene von Bedeutung. Der dynamische methodische Fortschritt in der Molekularbiologie ermöglicht zum Beispiel durch Einsatz quantitativer Hochdurchsatz-PCRs den sensitiven Nachweis nicht kultivierbarer Erreger und Erregerbestandteile. So sind saisonale räumliche Effekte nachweisbar, die Erklärungsansätze für die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen bieten, die sich durch Änderungen des Klimas ergeben können [21]. Selbstverständlich bleiben die Bemühungen zum rationalen Einsatz von Antibiotika mit Antibiotic-Stewardship-Programmen in Kliniken und ambulant sowie konsequente Hygienemaßnahmen der zentrale Ansatzpunkt zum Erhalt dieser unersetzlichen therapeutischen Option.
Fazit
Viele Effekte der anthropogenen globalen Erwärmung gehen mit dem vermehrten Auftreten von Infektionskrankheiten einher, auf das sich die Laboratoriumsdiagnostik einstellen muss. Dazu gehört neben der Weiterentwicklung und dem Vorhalten geeigneter Methoden auch das Bewusstsein für erforderliche Schutzmaßnahmen und die Schaffung der technischen Voraussetzungen dafür.
Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.
Autoren
Professor Dr. rer. nat. Dr. med. Jürgen Durner
Labor Becker MVZ GbR, Führichstr. 70, 81671 München, E-Mail: j.durner@labor-becker.de
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