Klimawandel und Gesundheit
Seit dem Wintersemester 2019/20 bietet die Medizinische Fakultät der Universität Augsburg einen humanmedizinischen Modellstudiengang an, der vorklinische und klinische Inhalte integriert und besonderen Wert auf eine wissenschaftliche Ausbildung der Studierenden legt. Ein Forschungsschwerpunkt liegt auf „Environmental Health Sciences“. Die Geografin Professorin Dr. Elke Hertig wurde am 1. September 2019 auf eine Heisenberg-Professur an die Universität Augsburg berufen. Das ist deutschlandweit die erste Professur für regionalen Klimawandel und Gesundheit, sodass Augsburg hier eine Vorreiterrolle beim Thema Klimawandel und Gesundheit einnimmt.
Frau Professorin Hertig, können Sie kurz den sperrigen Begriff „Environmental Health Sciences“ erklären?
Hertig: Grob kann man den Begriff mit „Umwelt-Gesundheitswissenschaften“ übersetzen. Schwerpunkt sind die Untersuchungen zu gesundheitsschädigenden Umwelteinflüssen. Das umfasst alle physikalischen, chemischen und biologischen Umweltfaktoren, die von außen auf den Menschen einwirken. Als Beispiel wäre die Luft zu nennen. Es geht um Luftverschmutzung und ihre Auswirkungen auf den Menschen. Ein Merkmal ist, dass es sich um Faktoren handelt, die der Mensch kaum beeinflussen bzw. denen er sich kaum entziehen kann.
Ein neues Forschungsgebiet und eine „Heisenberg-Professur“. Was bedeutet das?
Hertig: „Heisenberg-Professur“ bedeutet, dass wir eine Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft haben. Antragsberechtigt sind zunächst alle Habilitierten: Die Professur ist dabei stark forschungsbezogen und die Projekte müssen sich durch eine hohe wissenschaftliche Qualität und Originalität auszeichnen.
Könnten Sie Forschungsprojekte exemplarisch nennen?
Hertig: Einer meiner Schwerpunkte ist die Luftverschmutzung und hier interessiert mich vor allem das Ozon. Ozon besteht aus drei Sauerstoffmolekülen. Ozon ist in hohen Lagen eine Schutzschicht, bodennah jedoch ein Schadstoff, der bei Einatmung in hohen Konzentrationen gesundheitsschädlich ist. Folgen sind Reizung der Atemwege oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Mich interessiert das Ganze insbesondere mit Temperatur-Extremen. An Tagen mit hoher Temperatur herrscht oft auch eine hohe Ozonbelastung vor, sodass wir es mit einer doppelten Belastung für die Menschen zu tun haben.
Belastet uns das alle, oder ausschließlich „Risikogruppen“?
Hertig: Belasten tut es uns alle, doch chronisch Kranke, ältere Menschen oder Kleinkinder sind besonders betroffen.
Und ganz konkret: Geografie und Medizin, interdisziplinäre Forschungen zu Klimawandel und Gesundheit, was können sich unsere Leserinnen und Leser darunter vorstellen?
Hertig: Ich verfüge natürlich nicht über das medizinische Know-how und bin daher angewiesen auf meine medizinischen Kollegen, die sehr aufgeschlossen sind. Wir arbeiten zum einen mit epidemiologischen Daten, also retrospektiven Studien. Jüngst habe ich mit dem Herzinfarktregister, dem CORA-Register (www.cora.health/de/herzerkrankungen), gearbeitet, wo wir eine einzigartige Datengrundlage bis zurück ins Jahr 1980 vorfinden. Diese Daten verbinde ich dann mit atmosphärischen Zeitreihen und sehe dann, ob es Zusammenhänge gibt. Aber auch prospektive Studien sind in Planung. Das heißt, wir monitoren gleichzeitig atmosphärische Bedingungen und bestimmte, von Medizinern ausgewählte Patientengruppen. Wir wollen zum Beispiel herausfinden, wie sich Hitzewellen und hohe Ozonbelastungen auf die Patientengruppen auswirken. Gleiches gilt beispielsweise für eine winterliche Inversionslage. Derzeit gilt unser Interesse den Krankheitsbildern Herzinfarkt, Lungenerkrankungen, insbesondere COPD.
Welchen Einfluss hat die Mücke?
Hertig: In der Tat sind vektorübertragene Krankheiten sehr interessant, da sie eine klimatische Abhängigkeit aufweisen. Die Anopheles-Mücke ist in Europa weit verbreitet, aber derzeit nicht mit der Malaria verbunden. Malaria haben wir durch Landnutzungsänderungen und Insektizide ausgerottet. Wir hatten jedoch noch Anfang des 20. Jahrhunderts Malariafälle auch in Deutschland, beispielsweise im Oberrheingraben. Durch den fortschreitenden Klimawandel könnte jedoch die Malaria zurückkehren. Das hängt von den vorherrschenden Temperaturen und von den Niederschlagsmengen ab. Auch der Malaria-Erreger Plasmodium ist temperaturabhängig. In Ostdeutschland hatten wir im vergangenen Sommer Fälle von West-Nil-Virus und auch das Dengue-Fieber könnte ein Thema werden. Dazu kommen ebenso nicht-klimatische Faktoren, wie der internationale Reiseverkehr, die Verstädterung und die Migration.
Könnte die Malaria also in 20 bis 30 Jahren zu uns zurückkehren?
Hertig: Wenn unser Gesundheitssystem auf dem guten und hohen Niveau bleibt, auf dem es sich heute befindet, glaube ich das ehrlich gesagt nicht. Hier greifen das Monitoring sowie Kontroll- und Präventionsmaßnahmen.
Bei Ihren Forschungsschwerpunkten finden sich auch Schlagworte, wie „Statistisches Downscaling“, „Anthropogene Luftinhaltsstoffe“ oder „Humanbiometeorologie“. Was hat es damit auf sich?
Hertig: Ich bin ausgebildete Geografin mit Schwerpunkt Klimatologie. Der Klimawandel stellt ja ein globales Phänomen dar, die Auswirkungen sind jedoch regional zu spüren und zu bewältigen. Zunächst wird der
Klimawandel mit globalen generalisierten Zirkulationsmodellen simuliert, aus denen wir dann regionale Faktoren ableiten. Dieses „Downscaling“ kann mittels dynamischer Modelle erfolgen oder eben statistisch. Mein Schwerpunkt liegt eindeutig auf den statistischen Transfer-Funktionen. Wir liefern zunächst die wissenschaftlichen Grundlagen, auch für die Erstellung der Leit- oder Grenzwerte beispielsweise durch die WHO. Empfehlungen wären dann ein weiterer Schritt, zu dem wir die interdisziplinäre Zusammenarbeit benötigen. Ganz konkret sehen wir beispielsweise, dass die derzeitigen Schadstoff-Grenzwerte bei den Stickoxiden und beim Ozon nicht ausreichen. „Anthropogen“ bezeichnet alles vom Menschen Beeinflusste, Verursachte oder Hergestellte. Bei Eingriffen des Menschen in die Umwelt und bei vom Menschen verursachten Umweltproblemen wird häufig der Begriff anthropogen verwendet, zum Beispiel anthropogene Landschaften oder anthropogener Treibhauseffekt.
Die Humanbiometeorologie wiederum untersucht vereinfacht gesagt das „Biowetter“ und wie es die Menschen spüren und empfinden.
Wie schätzen Sie die Bedeutung des Forschungsgebietes ein: Hype oder Zukunftsthema?
Hertig: Absolutes Zukunftsthema. Mich wundert, dass das Thema so lange gebraucht hat, um ernst genommen zu werden. Unter den Wissenschaftlern ist das Thema bereits seit mehr als 60 Jahren präsent, doch es wurde nie richtig wahrgenommen. Das mag daran liegen, dass es von vielen Menschen nicht im persönlichen Umfeld wahrgenommen wird und, dass es sich um ein langfristiges und auch um ein abstraktes Phänomen handelt. Außerdem ist es unbequem und geht mit einer Lebensstil- und Verhaltensänderung einher und erfordert eine starke internationale Zusammenarbeit.
Setzen Sie es auch persönlich um?
Hertig: Ja, ich versuche es natürlich zu adressieren, indem ich mehr Fahrrad fahre und innerdeutsch grundsätzlich die Bahn nehme. Manche Emissionen lassen sich jedoch nicht vermeiden: Auch ich möchte nicht in ungeheizten Räumen arbeiten bzw. mich aufhalten. Auch wir Wissenschaftler verursachen paradoxerweise durch die Rechnerleistung CO2-Emissionen, das lässt sich nicht vermeiden.
Mir ist wichtig, dass das Thema noch stärker in der Gesellschaft präsent wird, gerade in Zusammenhang mit unserer Gesundheit und unserer städtischen Lebensweise. Hier ist noch viel zu tun in Sachen Aufklärung und Bildung, aber auch ärztlicher Fortbildung.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dagmar Nedbal (BLÄK)
Professorin Dr. Elke Hertig
Geboren 1974 in Leonberg bei Stuttgart
1993 bis 2000 Diplom-Studium der Geographie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
1997 bis 1998 Auslandsstudium an der University of Texas at Austin
2004 Promotion an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
2004 bis 2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Geographie, Universität Augsburg
2013 Habilitation
2014 bis 2019 Privatdozentin, Institut für Geographie, Universität Augsburg
2015 bis 2019 Akademische Rätin, Institut für Geographie, Universität Augsburg
seit 2019: Professorin für Regionalen Klimawandel und Gesundheit, Medizinische Fakultät, Universität Augsburg
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