Klimawandelspezifische Krankheitsbilder im Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin

Klimawandel

Der Klimawandel führt zu einer Vielzahl von ökologischen Veränderungen, die direkte und indirekte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben. Höhere Temperaturen, veränderte Niederschläge mit nachfolgenden Überschwemmungen, auf der anderen Seite Dürre­perioden und Hitzewellen, stärkere und intensivere Hurrikane und ein steigender Meeresspiegel, Luftverschmutzung und veränderte Lebensbedingungen sind nur einige Faktoren, die zur Entstehung oder Verschärfung spezifischer Krankheitsbilder beitragen können. Die daraus resultierenden weitreichenden Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit sind in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus der medizinischen Forschung gerückt. Auch die Physikalische und Rehabilitative Medizin muss sich mit den sich verändernden Krankheitsbildern auseinandersetzen, die durch den Klimawandel beeinflusst werden. Die Physikalische und Rehabilitative Medizin als fachübergreifende Disziplin spielt eine zentrale Rolle in der Prävention und Behandlung dieser Erkrankungen, indem sie auf die Bedürfnisse der Patienten eingeht und adaptive Strategien und Therapien entwickelt. Dieser Artikel untersucht einerseits die spezifischen Krankheitsbilder, die im Zusammenhang mit klimabedingten Veränderungen stehen. Anderseits werden die Herausforderungen und Chancen für die Physikalische und Rehabilitative Medizin dargestellt.

Klimabedingte Gesundheitsprobleme betreffen unterschiedliche Organsysteme und Bereiche

Sisodiya und Kollegen (2024) weisen in einem erst kürzlich erschienenen Artikel auf die Schwierigkeiten hin, Schlussfolgerungen über die Auswirkungen des Klimawandels auf spezifische Erkrankungen zu ziehen. Es lägen insgesamt nur spärliche Daten, unterschiedliche Studienmethoden, mangelnde Details zu Krankheitssubtypen, wenig Berücksichtigung der Auswirkungen individueller Genetik und Populationsgenetik sowie große Unterschiede vor. Eine zentrale Rolle spielen geografische Standorte mit dem Potenzial für regionale Einflüsse. Daten zahlreicher Untersuchungen dokumentieren weitreichende und komplexe negative gesundheitliche Auswirkungen, insbesondere von ungewohnten Temperaturextremen und großen täglichen Temperaturschwankungen. Dabei sind insbesondere ältere und multimorbide Menschen besonders gefährdet.

Atemwegserkrankungen

Die Zunahme von Luftverschmutzung durch industrielle Emissionen und Verkehr führt zu einer Erhöhung von Atemwegserkrankungen. Feinstaub, Ozon und andere Schadstoffe können Asthma, chronische Bronchitis und andere lungenspezifische Erkrankungen verschlimmern. In der Physikalischen Medizin sind Atemtherapien und pulmonale Rehabilitation von zentraler Bedeutung, um die Lungenfunktion zu verbessern und die Lebensqualität der Patienten zu steigern.
Hitzestress und kardiovaskuläre Erkrankungen
Steigende Temperaturen führen zu einem erhöhten Risiko von Hitzestress, der insbesondere bei älteren Menschen und Patienten mit bestehenden kardiovaskulären Erkrankungen schwerwiegende Folgen haben kann. Die Rehabilitation dieser Patienten erfordert maßgeschneiderte Programme, die körperliche Aktivität und Wärmegewöhnung fördern, um das Risiko von Hitzeschäden zu minimieren.

Neurologische Erkrankungen

Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die Häufigkeit, Prävalenz und Schwere vieler Erkrankungen des Nervensystems (zum Beispiel Schlaganfall, neurologische Infektionen und einige psychische Störungen) durch den Klimawandel beeinflusst werden können. Die Daten zeigen weitreichende und komplexe negative Auswirkungen auf das Auftreten oder Fortschreiten neurologischer Störungen. Dabei spielen insbesondere ungewohnte Temperaturextreme und große tägliche Temperaturschwankungen als akute oder chronische Stressfaktoren eine zentrale Rolle, mit Erhöhung des Risikos von Schlaganfällen und anderen neurologischen Störungen. Im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen werden in einem Artikel von Bongioanni und Kollegen (2021) als relevante klimarelevante Faktoren die Auswirkungen auf die Thermoregulation, Reizüberflutung durch Neurotransmitter (Exzitotoxizität), oxidativer Stress und Neuroinflammation diskutiert. Insbesondere für die Parkinson-Erkrankung scheinen sich extreme Temperaturen nachteilig für die ohnehin fortschreitende Degeneration von dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra auszuwirken (Bongionanni et al., 2021). In der Rehabilitativen Medizin werden daher entsprechende Anpassungen neuromotorischer Therapieansätze erforderlich, um die Funktionalität von Patienten mit neurologischen Störungen zu verbessern.

Psychische Erkrankungen

Die psychischen Auswirkungen des Klimawandels, einschließlich Stress, Angst und Depression, sind zunehmend anerkannt. Die Rehabilitation psychischer Erkrankungen, die durch klima­bedingte Faktoren verschärft werden, erfordert einen interdisziplinären Ansatz, der sowohl physische als auch psychische Komponenten berücksichtigt.

Weitere Bereiche

Der Klimawandel fördert darüber hinaus weitere relevante Krankheits- und Morbiditätsfaktoren wie Unterernährung, Frühgeburten und eine Häufung von durch Luft und Wasser übertragene Krankheiten. Durch die klimawandelbedingte Migration kommt es zudem zu Problemen in der Kommunikation.

Herausforderungen in der Praxis

Die Physikalische und Rehabilitative Medizin steht vor umfangreichen Herausforderungen, um den klimaspezifischen Krankheitsbildern gerecht zu werden:

1.    Ausbildung und Sensibilisierung: In Zeiten einer Gesellschaft mit teilweise medial sehr präsenten, sich radikalisierenden Akteuren sowie Fehl- und Desinformation ist die Vermittlung von Gesundheitskompetenz eine der zentralen Herausforderungen. Die Gemengelage aus tatsächlichen Veränderungen, wahrgenommenen Belastungen und realer Zukunftsangst bedeutet eine zunehmende gesellschaftliche Herausforderung. Ärztliches Fachpersonal, Gesundheitsfachkräfte und weitere an der Rehabilitation beteiligte Berufe müssen über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit informiert sein, um angemessen reagieren zu können. Gerade in einem großen Team ist es wichtig, jedes einzelne Mitglied bei persönlichen Herausforderungen zu unterstützen und Klimaschutzmaßnahmen in die klinische Praxis zu integrieren. Dazu gehört auch die Aufnahme der Themen Klimawandel und Klimagerechtigkeit in die Lehrpläne und in die berufliche Interessenvertretung. Ein zentraler Pfeiler liegt dabei auf der Entwicklung gemeinsamer Strategien zur Prävention von klimabedingten Gesundheitsproblemen und zur Aufklärung von Patienten über die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Gesundheit.

2.    Interdisziplinäre Ansätze: Eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen medizinischen Disziplinen, aber auch der an der Rehabilitation beteiligten Gesundheitsberufe wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Pflege, Sozialdienst, Psychologie und ärztlichen Kräften ist notwendig, um ganzheitliche Therapiekonzepte zu entwickeln. Dazu gehören insbesondere auch Strategien zur Verbesserung der individuellen und gemeinschaftlichen körperlichen und mentalen Widerstandsfähigkeit.

3.    Zugang zu Ressourcen: Extreme Wetter­ereignisse können die Verfügbarkeit von medizinischen Einrichtungen und Rehabilitationsdiensten beeinträchtigen, was die Behandlung von Patienten erschwert. Diskutiert und erprobt werden in diesem Zusammenhang mobile Rehabilitationsangebote.

4.    Anpassung von Therapien und neue Therapieansätze: Bestehende Behandlungsprotokolle müssen an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden, um den speziellen veränderten Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. Dazu gehört insbesondere die Berücksichtigung verminderter kardiopulmonaler Belastbarkeit der häufig älteren Menschen in der Rehabilitation unter veränderten klimatischen Bedingungen. Ein weiterer interessanter Ansatz in diesem Zusammenhang wird in einem Artikel von Cox und Kollegen aus dem Jahr 2023 untersucht. Die Studienteilnehmer einer pulmologischen „Telerehabilitation“ erreichten ähnlich gute Autonomiewerte wie die an ein stationäres Zentrum angebundenen Rehabilitanden. Neben der Einsparung von Anfahrt und damit Zeit und Geld konnten die telemedizinisch betreuten Patienten in ihrem gewohnten Umfeld trainieren. Morita und Kollegen stellten 2019 eine Plattform zum „kollaborativen Selbstmanagement“ für Asthmatiker vor. Dabei konnte eine gute Benutzerfreundlichkeit und ein hoher Zufriedenheitsgrad erreicht werden. Allerdings folgt einer initial starken Inanspruchnahme der Plattform ein rascher Rückgang der Nutzung. Die Compliance konnte durch Patientenerinnerungen und regelmäßige Arztbesuche gesteigert werden. Auch das Alter spielte eine Rolle: Patienten von 50 Jahren und älter zeigten eine bessere Compliance.

Fazit

Der Klimawandel hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesundheitslandschaft und stellt auch die physikalische und rehabilitative Medizin vor neue Herausforderungen. Durch gezielte Forschung, interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Entwicklung spezifischer Therapieansätze kann die medizinische Gemeinschaft jedoch auf diese Veränderungen reagieren und die Gesundheit der Patienten nachhaltig fördern. Die Reichweite und Fachkompetenz des an rehabilitativen Prozessen beteiligten Fachpersonals sollte auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel für eine gesundheitskompetente Aufklärung genutzt werden. Zukünftige Ansätze sollten sich darauf konzentrieren, die genauen Zusammenhänge zwischen klimatischen Veränderungen und Krankheitsbildern weiter zu erforschen, um präventive Maßnahmen und therapeutische Strategien zu optimieren.

Der Autor dankt Dr. Eduard Kraft/München-Klinik für die kritische Durchsicht des Manuskriptes.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Autor

Dr. Martin Wimbauer, Friedastr. 17, 81479 München

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