Kopfschmerzen nach der Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca – Wann muss man an eine Sinusvenenthrombose denken?

Privatdozentin Dr. Stefanie Förderreuther

Kopfschmerzen, die in der Folge einer Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca auftreten, sind meist Symptom einer banalen Impfreaktion. Selten können sie auf einer schwerwiegenden Impfkomplikation in Form einer potenziell letal verlaufenden Sinusvenenthrombose (SVT) beruhen (Stand: 12. April 2021).  

Das Krankheitsbild Sinusvenenthrombose

SVT sind eine seltene, nicht immer leicht zu diagnostizierende Ursache für sekundäre Kopfschmerzen, da sie sich klinisch sehr unterschiedlich manifestieren können und auch einen sehr variablen Verlauf aufweisen können (siehe auch Tabelle). Ihre Inzidenz wird auf ca. 1-2/100.000 pro Jahr geschätzt, wobei viele Autoren von einer erheblichen Dunkelziffer durch blande Verläufe ausgehen [1 bis 4]. Genaue epidemiologische Untersuchungen zur Inzidenz fehlen. Am häufigsten erkranken Frauen im jungen bis mittleren Alter. Bei der überwiegenden Zahl Betroffener lässt sich ein klassischer Risikofaktor für eine Thrombose erfragen. SVT betreffen meist die kortikalen Venen und die großen Sinus, seltener die inneren Hirnvenen oder den Sinus cavernosus. Am häufigsten ist der Sinus transversus betroffen, gefolgt vom Sinus sigmoideus und vom Sinus sagittalis superior [3].



Die klinischen Symptome beruhen auf dem gestörten venösen Rückstrom mit erhöhtem intra-kraniellen venösem Druck, vasogenem Ödem, venösen Infarkten und Stauungsblutungen.

Kopfschmerzen sind das häufigste und in der Regel erste klinische Symptom einer SVT. Es gibt allerdings kein pathognomonisches oder für die SVT typisches Kopfschmerzsyndrom. Meist nimmt der Schmerz allmählich und undulierend über wenige Tage oder sogar Wochen an Intensität zu. Er kann sogar auch in Form eines Donnerschlagkopfschmerzes ganz abrupt einsetzen [5]. In aller Regel ist der Schmerz anhaltend und spricht nicht suffizient auf einfache Schmerzmittel und nicht-steroidale Antirheumatika an. Valsalva-Manöver oder Bücken führt häufig zur Zunahme der Schmerzen. Nur bei fünf bis 30 Prozent der Patienten kommt es initial nicht zu Kopfschmerzen. Dies ist etwas häufiger bei Patienten im höheren Alter, bei Männern und bei rein kortikalen Thrombosen [6, 7]. Weitere häufige Symptome einer SVT sind bei ca. 45 Prozent der Patienten Übelkeit sowie, in Abhängigkeit von der Lokalisation, der Schwere und dem Verlauf der Thrombose, flüchtige oder anhaltende neurologische Ausfallsymptome wie Lähmungen (in Fallserien bei 32 bis 59 Prozent), Sehstörungen (Verschwommensehen), Sprachstörungen oder Sensibilitätsstörungen [1, 8]. Ist der Sinus ­cavernosus betroffen ist der Schmerz periorbital betont, es kann zur Proptosis und Doppelbilder durch Ausfälle des N. oculomotorius, des N. abducens oder N. trochlearis kommen. Fokale und sekundär generalisierte epileptische Anfälle wurden in den meisten Fallserien bei einem Drittel bis der Hälfte der Patienten, vereinzelt sogar öfter berichtet [1, 9 bis 11]. Sind die inneren Hirnvenen betroffen, kommt es zum Ödem und Infarkten in den Basalganglien und es können auch Mutismus, Verwirrtheit und Vigilanzstörungen auftreten [12, 13].

Komplikationen einer SVT sind meist lokal zerebral in Form venöser Infarkte und Blutungen. Seltener kommt es auch zu subduralen und subarachno-idalen Einblutungen. Diese führen zusammen mit dem im Verlauf zunehmenden vasogenen Ödem zu den klinischen Hirndruckzeichen, neurologischen Herdzeichen und zum Teil schwer kontrollierbaren Anfällen. Systemisch können auch Embolien auftreten [14].

Wann besteht ein begründeter Verdacht auf eine SVT?

Allein die Klage über neu aufgetretene, bislang so nicht bekannte Kopfschmerzen, kann unabhängig von deren Lokalisation bereits ein Hinweis auf eine SVT sein. Der Verdacht erhärtet sich, wenn der Kopfschmerz nicht gut auf Akutschmerzmittel anspricht, im Verlauf über Tage zunehmend heftiger wird und mehr als drei Tage anhält. Bestehen zudem Risikofaktoren für eine Thrombose (siehe Tabelle) erhöht sich die Wahrscheinlichkeit weiter. Bei den SVT in der Folge der Impfung hat sich allerdings gezeigt, dass die Thrombosen auf einem Immunmechanismus mit Thrombozytopenie beruhen. Deswegen spielen in dieser speziellen Konstellation die klassischen Risikofaktoren eher keine Rolle, sondern es ist zusätzlich auf Blutungsstigmata zu achten [15]. Der Verdacht auf eine SVT ist dann hochgradig, wenn fokalneurologische Symptome, epileptische Anfälle, quantitative oder qualitative Bewusstseinsstörungen hinzukommen.

Diagnostik der SVT

Besteht der klinische Verdacht auf eine SVT muss umgehend Schnittbildgebung mit Darstellung der Venen und Sinus mittels venöser CT-Angiografie (CTA) oder MR-Angiografie (MRA) erfolgen [16]. Anhand einer alleinigen nativ cCT oder cMRT ist der Ausschluss einer SVT nicht mit der erforderlichen Sensitivität möglich [16, 17]. Mit der nativ CT können allenfalls komplizierende Blutungen mit hoher Sensitivität detektiert werden, nicht jedoch die Thrombose selbst. Die Beurteilung, ob ein Ödem vorliegt, ist gerade bei jungen Patienten ohne Parenchymatrophie oft schwierig. Die Beurteilung von MRT-Bildern ist komplex, da das Signalverhalten eines Thrombus von dessen Alter abhängt. Daher werden bei Verdacht auf eine SVT die Kombination besonderer Sequenzen und in der Regel auch die Darstellung in verschiedenen Schichtorientierungen erforderlich. Der direkte Nachweis des Thrombus gelingt meist mit T1-, T2*- oder SWI (susceptibility weighted imaging)- gewichteten Sequenzen [16]. Für den Nachweis von Blutungen sind zudem besondere häm-sensitive Sequenzen erforderlich. Die venöse MRA ist der venösen CTA bei der Darstellung rein kortikaler Thrombosen überlegen. Sie ist zudem im jüngeren Lebensalter oder bei bestehender Schwangerschaft wegen der fehlenden Strahlenbelastung zu empfehlen.

Grundsätzlich empfiehlt es sich bei der Anforderung von bildgebender Diagnostik die klinische Verdachtsdiagnose SVT explizit zu benennen, damit mit entsprechend gezielten Sequenzen einschließlich einer venösen Gefäßdarstellung untersucht wird.

Die Bestimmung der D-Dimere ist im Allgemeinen nicht als Suchtest geeignet, um mit ausreichender Sensitivität eine SVT auszuschließen oder den klinischen Verdacht zu erhärten. Die Wahrscheinlichkeit für ein falsch negatives Ergebnis ist gerade bei den Patienten, die ausschließlich über Kopfschmerzen klagen, die nicht das klinische Vollbild aufweisen oder bereits seit mehr als einer Woche unter Beschwerden leiden, besonders hoch [16, 18, 19]. In einer relativ aktuellen Metaanalyse lag die gewichtete mittlere Sensitivität der D-Dimere bei Patienten, die ausschließlich Kopfschmerzen hatten bei 81,6 Prozent: Zwölf von 62 Patienten mit SVT hatten normale D-Dimere [19].

Bei den berichteten Fällen von SVT im Kontext einer Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff war es zu einer immun-vermittelten Thrombozytopenie gekommen [20], weshalb nach einer Impfung auch besonders auf das Auftreten von Hämatomen oder Petechien zu achten und schon bei geringstem Verdacht eine Gerinnungs­diagnostik zu veranlassen ist.

Was ist über Kopfschmerzen als Impfreaktion auf den AstraZeneca-Impfstoff bekannt?

In den beiden Publikationen zu den Studien der Phase I bis III [21, 22] geht hervor, dass Kopfschmerzen in Folge der Impfung in allen Altersgruppen am häufigsten am Tag der Impfung und den zwei Folgetagen auftraten. Insgesamt hatten 52,6 Prozent der Geimpften und 39 Prozent der Kontrollgruppe Kopfschmerzen. Kopfschmerzen waren in der Altersgruppe 18 bis 55 Jahre am häufigsten und in der Altersgruppe ≥ 70 Jahre am wenigsten häufig. Es kam nach der zweiten Impfung seltener zu Kopfschmerzen als nach der Erstimpfung.

Die ganz überwiegende Zahl der Kopfschmerzen wurde als mild, das heißt über weniger als 48 Stunden anhaltend, ohne Beeinträchtigung bei Alltagsaktivitäten und ohne Behandlungsbedürftigkeit eingestuft. Mäßige Kopfschmerzen mit einer leichten bis mäßigen Einschränkung bei den Aktivitäten, die keine oder nur eine minimale Intervention erforderten, traten deutlich seltener auf. In den Studien wurde über fast keine als schwerwiegend eingestufte Kopfschmerzen berichtet. Wichtig ist, dass bei keinem Patienten andere neurologische Reiz- oder Ausfallsymptome, wie epileptische Anfälle, Herdzeichen oder Bewusstseinsstörungen als Impfreaktion auftraten.

Weitere typische systemische Impfreaktionen waren Abgeschlagenheit (bei Geimpften 53,1 Prozent; Kontrollen: 38,2 Prozent) und Krankheitsgefühl (Geimpfte: 44,2 Prozent; Kontrollen: 20,2 Prozent). Erhöhte Temperaturen traten bei 33,6 Prozent der Geimpften und bei 10,7 Prozent der Kontrollgruppe auf.

Welche Empfehlungen leiten sich von den ersten wissenschaftlichen Analysen von SVT betroffener Patienten ab?

Gemäß den ersten publizierten Daten zu SVT in der Folge des AstraZeneca-Impfstoffs traten die Thrombosen vier bis 16 Tage nach der Impfung auf. Pathophysiologisch handelte es sich um eine prothrombotische Immunthrombozytopenie. Der immun-vermittelte Mechanismus ähnelt dem einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT). Aus diesem Grund ist nach Einschätzung der Experten davon auszugehen, dass Patienten mit einer Thrombose in der Vorgeschichte oder bekannter Thrombophilie kein erhöhtes Risiko haben, an dieser Impfkomplikation zu erkranken [15].

Aufgrund der dargelegten Erfahrungen mit dem Impfstoff gelten derzeit folgende Empfehlungen:

» Grippeartige Symptome, wie Gliederschmerzen, Muskelschmerzen oder Kopfschmerzen, die nach der Impfung ein bis zwei Tage anhalten, sind nicht besorgnis­erregend [15].

» Warnsymptome sind nach mehr als drei Tagen nach der Impfung auftretende oder über mehr als drei Tage anhaltende Kopfschmerzen, Sehstörungen, Übelkeit und Erbrechen, Kurzatmigkeit oder akute Brustschmerzen. Dann sollte die Indikation für weitere laborchemische Diagnostik (Differenzialblutbild, Blutausstrich, D-Dimere) großzügig gestellt und gegebenenfalls auch bildgebende Diagnostik (siehe oben) zur Frage nach Vorliegen einer Thrombose angefordert werden [15].

» Jedes Auftreten von epileptischen Anfällen, neurologischen Herdzeichen oder klinischer Zeichen einer Thrombozytopenie erfordert umgehend die entsprechende Diagnostik und stationäre Einweisung.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Autorin
Privatdozentin Dr. Stefanie Förderreuther
 
Neurologische Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, Neurologischer Konsildienst Innenstadt­klinikum, Ziemssenstr. 1, 80336 München, E-Mail: sfoerder(at)med.uni-muenchen.de
Tel. 089 440052456

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