Landärzte nehmen gegen den Nachwuchsmangel das Ruder in die Hand

Landärzte Rudern für den Nachwuchs

Eine Arztpraxis auf dem Land an einem sonnigen Morgen im Sommer 2018: Patienten im Wartezimmer, Schritte auf dem Gang, Stimmen aus dem Labor. Reges Treiben bei Dr. Alexandra Wudy, Internistin und Diabetologin aus Gunzenhausen. Sie liebt ihren Job. Ihre Kollegen sind gut gelaunt, besprechen den Tagesablauf. Heute kommen zwölf Studentinnen und Studenten aus der Ferienakademie Altmühlfranken, einer Initiative des Landkreises zur Nachwuchsgewinnung von Ärztinnen und Ärzten für die Region. Die Studierenden aus ganz Deutschland sind für vier Tage der Einladung nach Altmühlfranken gefolgt, um gemeinsam mit Ärzten vor Ort Medizin, Sport und Geselligkeit zu erleben und sich so ein Bild zu verschaffen vom Leben und Arbeiten als Arzt auf dem Land. Der heiße Donnerstag beginnt mit einem Diabetes-Workshop in der Praxis von Wudy.


Dr. Alexandra Wudy (hinten rechts) erklärt den Teilnehmern der Ferienakademie Altmühlfranken was man bei einer Untersuchung beim Thema Diabetes beachten muss.

Workshop Diabetes

Formen und Ursachen eines Diabetes, die sorgfältige exakte Anamnese, genetische Dispositionen, Blutzucker messen, Behandlung eines Diabetes und Prävention: das alles sind Themen, über die die Studierenden in diesem Workshop etwas lernen. Sie arbeiten in vier Kleingruppen mit drei Studenten und Patienten, erlernen Fußuntersuchung und Blutzuckermessung.

 


Im Workshop Diabetes lernen die Studentinnen die Handhabung der Blutzuckermessung.

Die Teilnehmer erzählen

Christa Doßmann, Studentin im neunten Semester aus Erlangen, erzählt, dass sie bei Wudy bereits ein Praktikum gemacht hat. Die großgewachsene Studentin kommt selbst aus dem bayerischen Schwaben und mag das Leben auf dem Land. Um das Landarztsein etwas kennenzulernen, hatte Wudy ihr die Ferienakademie empfohlen. „Ich bin selbst auf dem Dorf aufgewachsen und mag große Städte einfach nicht besonders“, erzählt Doßmann.
Angesprochen auf die Arbeitsbedingungen auf dem Land und in der Stadt erzählt sie, dass sie glaubt, dass die Arbeitsbelastungen überall gleich hoch sind. Am Uniklinikum Erlangen habe sie den Stress selbst erlebt. Auf dem Land kenne man die Patienten viel besser und könne deren Krankheitsgeschichte schneller einordnen. Entsprechend bleibe für die Patienten, bei denen es erforderlich ist, viel mehr Zeit in einer Sprechstunde. Das sei im Klinikum ganz anders. Auch spüre man dort die Hierarchien viel deutlicher.
Auf die Frage, was junge Ärzte abschrecken könnte, sich auf dem Land niederzulassen, spricht Doßmann Vorurteile an, die einem Leben als Landarzt anhaften. „Viele glauben, auf dem Land ist es zu ruhig, man kann nicht ausgehen und es gibt einfach nichts, was man tun kann.“ Auch glaubten viele Studierende, dass die Patienten in einer Landarztpraxis langweilig seien, einem Klischee, dem Doßmann entgegenhält, dass gerade auf dem Land die Vielfältigkeit der Fälle spannend sei. Doßmann kann sich gut vorstellen, später als Landärztin zu arbeiten. „Vielleicht mache ich mein Praktisches Jahr hier in der Praxis“, sagt sie.
Auch Marcel Schneider, der im achten Semester in Erlangen studiert, ist begeistert von der Ferienakademie, auf die er über Mundpropaganda aufmerksam wurde. Schneider erzählt, wie rudimentär das Fach Allgemeinmedizin an den Universitäten behandelt werde. „Allgemeinmedizin hatten wir sehr spärlich, das heißt nur ein Semester. Hier in der Akademie gehen wir in verschiedene Arztpraxen, können mit Ärzten reden und uns einen ganz anderen Eindruck verschaffen. Hier hören wir aus erster Hand, wie das Arztsein auf dem Land ist“, sagt Schneider. In der Klinik werde den Studenten oftmals ein ganz falscher Eindruck von der Arbeit auf dem Land vermittelt. Tatsächlich aber sei weder das Behandlungsspektrum eintönig noch die Bürokratie überbordend. Schneider wünscht sich, dass Allgemeinmedizin mehr Platz in der universitären Ausbildung erhält und mehr Berücksichtigung in den Lehrplänen findet. „Das ist ein allgemeines Problem“, sagt er. Auch Kommilitonen anderer Unis berichteten, wie spärlich das Fach behandelt würde.
Anaïs Lins studiert im siebten Semester in Düsseldorf. Sie hat schon in Großstädten und auf dem Land gewohnt und gearbeitet. Über die Ferienakademie erzählt sie, dass sie selten so viele motivierte und freundliche Leute erlebt habe. Hier seien die Chefärzte besonders nahbar und man verspüre wenig von der Mentalität und Ehrfurcht, die manche Menschen an den Tag legten, wenn sie einen „weißen Kittel“ sähen. Auch spüre man den Studentenstatus nicht so deutlich, wie das in vielen Kliniken der Fall sei. Sie erzählt von einer Ärztin aus der Region, die ihre Eindrücke bestätigt habe. Die Kollegin berichtete von flachen Hierarchien und einer kooperativen Zusammenarbeit mit den Kliniken. Hier würden keine so strengen Grenzen nach Rang und Namen gezogen. Langfristig kann sich Lins ein Leben auf dem Land vorstellen. Sie mag die Natur, die Ruhe und die Luft. Lediglich an kulturellem Angebot mangele es etwas. Wichtig sei auch eine ausgebaute Infrastruktur, gerade in Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr.

Traumberuf Landarzt

Felix Jede fährt heute zum Hausbesuch. Er hat die erste Ferienakademie 2016 besucht und ist inzwischen Arzt in Weiterbildung bei Dr. Ute Schaaf. An diesem Sommertag ist er bei seinem Hausbesuch nicht allein. Er hat drei Studenten aus der Ferienakademie dabei, die eine seiner Patientinnen kennenlernen werden, die 90-jährige Frau Lerch. „Landarzt zu sein, ist ein Traumberuf“, wird Jede später im Interview erzählen. Doch erst muss er sich um seine Patientin kümmern. Frau Lerch ist chronisch krank, Felix Jede besucht sie regelmäßig. Die Seniorin freut sich sichtlich über die angehenden Ärztinnen und Ärzte, die sie in ihrer Wohnküche besuchen. Sie hört schlecht, braucht eine Gehhilfe und bewegt sich nur langsam, aber sie lächelt. Bereitwillig lässt sie sich von den Studenten untersuchen und Blut abnehmen. Der junge Arzt erklärt den Studenten, worauf es ankommt. Für einen Hausarzt auf dem Land sind die Hausbesuche ein wichtiger Bestandteil seiner Tätigkeit. Gerade ältere Patienten sind nicht mehr so mobil. Der 26-jährige werdende Vater schätzt die Dankbarkeit, die ihm als Landarzt entgegengebracht wird. „Die Menschen in meinem Wohnort kennen und grüßen mich alle. Sie sind dankbar, wenn man sich Zeit für sie nimmt.“

Die Studierenden beim Hausbesuch.

Von der Uni aufs Land

Assistenzarzt Jede, gebürtiger Berliner, absolvierte sein Medizinstudium in Heidelberg und famulierte sowohl in einer Praxis in der Stadt als auch später auf dem Land, wo es ihm deutlich besser gefiel. Während seiner Zeit in der Ferienakademie hat er für das Arbeiten als Landarzt eine besondere Begeisterung entwickelt. „Bei der Allgemeinmedizin ist alles dabei, das Fach ist nicht so spezialisiert, und man kann alles Mögliche machen“, erzählt Jede. Auf dem Land kämen Patienten mit allen Beschwerden. Das gefalle ihm. „Ich kann mich voll auf den Patienten einlassen, kann gründlich untersuchen und habe keinen so großen Zeitdruck wie in der Klinik.“ In der Klinik sei man als Assistenzarzt eher der Helfer, der Hakenhalter oder zuständig für die Blutabnahme und das Briefeschreiben. In einer Hausarztpraxis zu arbeiten hieße hingegen, über Jahre hinweg eine Beziehung zu Patienten aufzubauen und ganze Familien zu begleiten. Das schätzt er besonders.

Wie kommen mehr Ärzte aufs Land?

Sorge bereitet Jede der zunehmende Ärztemangel. Auf dem Land sei dieser Mangel immer deutlicher zu spüren, aber auch in der Stadt zeige er sich allmählich. Für ihn ist es frustrierend, dass dem größer werdenden Bedarf an Behandlungen nicht immer zeitnah nachgekommen werden könne, weil alle umliegenden Ärzte bereits am oberen Ende ihrer Kapazitäten arbeiteten.


Landärzte nehmen gegen den Nachwuchsmangel das Ruder in die Hand.

Jede engagiert sich auch berufspolitisch. Er ist Ersatzdelegierter zum Bayerischen Ärztetag und Mitglied im Bayerischen Hausärzteverband. Für ihn ist klar: Der Masterplan 2020 muss alsbald umgesetzt werden. Und er macht deutlich: „Die ambulante Medizin muss stärker in die Universitätsausbildung integriert werden, damit meine ehemaligen Kommilitonen verstehen, dass das Arbeiten hier ein Traumjob ist.“ Er wünscht sich mehr Projekte wie die Ferienakademie Altmühlfranken. „Wir müssen zeigen, dass wir gute Medizin machen, dass es hier Spaß macht und dass es ein toller Beruf ist.“ Die Allgemeinmedizin brauche mehr Vorbilder.

Die Initiatorinnen des Projektes Medizinische Ferienakademie Altmühlfranken im Gespräch mit dem „Bayerischen Ärzteblatt“. Für die Ärztinnen ist die Ferienakademie ein Erfolgsmodell.


Dr. Alexandra Wudy, Felix Jede und Dr. Ute Schaaf (v. li.) harmonieren perfekt im Team

Was war der Hintergedanke, als Sie im Jahr 2016 die Medizinische Ferienakademie Altmühlfranken gründeten?
Dr. Schaaf: Die Ferienakademie ist eine Organisation, die durch den Landkreis, genauer die Gesundheitsregion plus, ins Leben gerufen wurde. Wir sammelten 2014 in einem Arbeitskreis Ideen, was wir gegen den Hausärztemangel tun können. Unsere Idee war es, Studierende in die Region einzuladen und ihnen zu zeigen, welche Vorzüge die Tätigkeit auf dem Land hat. Langfristig wollen wir mit Hilfe der Akademie mehr ärztlichen Nachwuchs generieren.

Was wollen die angehenden Ärztinnen und Ärzte?
Dr. Wudy: Das hängt mit dem Lebensabschnitt zusammen, in dem sich die Studierenden befinden. Je früher sie fertig sind mit ihrem Studium, umso weniger Interesse besteht an einem Arbeiten und Leben auf dem Land. Jemand, der 24 Jahre alt ist, will vielleicht in der Stadt leben und arbeiten. Aber sobald man in die Phase einer Familiengründung eintritt und Kinderwunsch besteht, dann wird es wichtig, dass ich mich anders organisieren kann, dass ich einen Kindergartenplatz habe und vielleicht ein Haus im Grünen etc. Ein Argument vor allem ist der Arbeitsplatz des Partners, was macht der Partner, wo kann er hin? Wir möchten den jungen Kolleginnen und Kollegen zeigen, wie eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf praktisch aussieht und persönliche Gespräche dazu ermöglichen.


Welche Studierenden kommen aufs Land?
Dr. Schaaf: Nach meiner Erfahrung sind Studierende, die zur Famulatur, für einen Abschnitt des PJ oder zur Ferienakademie aufs Land gehen, hochmotivierte und hochinteressierte junge Menschen, die sich bewusst selbst ein Bild von einer Medizin machen wollen, die sie an der Universität nicht erleben. Oft gesellt sich zum Landpraktikum auch ein Auslandspraktikum. Wir bieten sozusagen das „Abenteuer Landarztmedizin“. Außerdem kommen die Studierenden in die Region zurück, die aus der Gegend stammen und ihre Bindung hierher über das Studium hinweg nicht verloren haben. 

Worin unterscheidet sich die Arbeit auf dem Land von dem Arztsein in der Stadt?
Dr. Wudy: Es ist ein Genuss hier zu arbeiten. Wir haben sehr persönliche Kontakte zu den Patienten, die uns mit viel Respekt und Wohlwollen begegnen. Es ist ein Privileg, dass wir Familien und Menschen wirklich über Jahre kennenlernen und begleiten. Neben der fachlichen Qualifikation zeichnet einen guten Landarzt vor allem die Beziehungsfähigkeit zu seinen Patienten aus. Die fachliche Qualifikation der Landärzte ist sehr gut, im Vergleich zur Stadt ist die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Krankenhaus wesentlich enger. Um einen Fall zu besprechen, ist es für uns kein Problem mit dem Chefarzt persönlich zu kommunizieren!

Wie sind Ihre Eindrücke bislang?
Dr. Schaaf: Für die Studenten ist es eine ganz neue Erfahrung, mit den Ärzten, die Vormittags einen hochwertigen Workshop angeboten haben, Nachmittags gemeinsam Sport zu machen, beispielsweise Bogenschießen oder Kanufahren. Und wenn man dann abends gemütlich beisammensitzt und sie auf Augenhöhe auch ganz persönliche Dinge wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit uns Ärzten besprechen dürfen, dann entsteht eine ganz besondere Atmosphäre. Die Studenten fühlen hier mehr Wertschätzung als ihnen im Universitätsalltag entgegengebracht wird. Sie spüren, dass jeder Dozent mit Freude dabei ist. Immer wieder bekommen wir gespiegelt, dass ihr Bild von der Landmedizin nach der Ferienakademie ein anderes ist als vorher.


Gibt es Unterstützung durch den Landkreis?
Dr. Schaaf: Die Lokalpolitik und die Bevölkerung stehen finanziell und emotional hinter dem Projekt. Jedes Jahr besuchen uns beim geselligen Beisammensein der Landrat, sein Stellvertreter und der örtliche Bürgermeister. Auch der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes war da. „Ihr seid uns Gold wert“, sagte er und verteilte Blattgold-Schokolade. Das fanden die Studenten toll, denn das hat ihnen noch nie jemand so symbolisch gezeigt.


Was planen Sie langfristig?
Dr. Wudy: Wir sehen dieses Projekt als lang angelegte Arbeit. Unsere Idee ist es, eine Art Mentor für die Studierenden zu sein und den Kontakt zu halten. Wir haben einen Pool an ärztlichen Kollegen als Ansprechpartner, die mitwirken, mit denen wir immer wieder den Austausch pflegen. Die Ferienakademie hat dazu beigetragen, dass sich auch die Kollegen untereinander mehr und besser vernetzen, sich regelmäßig treffen. Ziel ist natürlich, dass die gut ausgebildeten Kollegen eine Bindung an die Region entwickeln und als Assistenzärzte und Fachärzte wiederkommen. Den Anreiz stellen hier persönliche Bindungen und Wertschätzung der jungen Menschen dar.


Was macht die Politik?
Dr. Schaaf: Die Politik macht inzwischen viel, da sie den Landärztemangel erkannt hat. Der Masterplan 2020 sieht eine viel stärkere Einbindung der ambulanten Medizin in die Lehre vor. Auch die Universitäten werden sich zunehmend ihrer Verantwortung für die (land-) ärztliche Versorgung bewusst. Wir haben eine Vision: Es gibt hier viele Lehrpraxen für Allgemeinmedizin. Gemeinsam mit engagierten Fachärzten und dem Klinikum Altmühlfranken möchten wir Lehrregion für die Universität werden, sodass Studenten ihr komplettes Praktisches Jahr bei uns absolvieren können.


Vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Sophia Pelzer (BLÄK)

Top