Licht und Schatten
Unsere Bayerischen und Deutschen Ärztetage sind die Grundsteine unserer innerärztlichen Demokratie, unsere zentralen Plattformen für wichtige Richtungsentscheidungen sowie zur berufspolitischen Debatte. Dem ersten Punkt ist der 127. Deutsche Ärztetag (DÄT) in Essen Mitte Mai aus meiner Sicht gerecht geworden, denn er hat zahlreiche wegweisende Beschlüsse gefasst – etwa zum Schutz der Patientenrechte im geplanten EU-Gesundheitsdatenraum, zur Gesundheitsbildung an Schulen, zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung oder zur Bekämpfung der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels.
Ich denke etwa an den Appell der Abgeordneten an Bund, Länder und Kommunen, sinnvoll aufeinander abgestimmte Hitzeschutzpläne auszuarbeiten und zu implementieren, lokale Hitzeschutzbündnisse zu gründen und mit gezielten Förderprogrammen die Einrichtungen des Gesundheitswesens bei baulichen Hitzeschutzmaßnahmen zu unterstützen. Ein klares und wichtiges Statement des DÄT. Denn aufgrund des Klimawandels sind zukünftig immer häufigere Hitzeperioden zu erwarten, welche der Gesundheit der Menschen erheblich schaden können. Darauf müssen wir zum Wohle unserer Patientinnen und Patienten adäquat reagieren. Als Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) nehmen wir hier aus meiner Sicht bereits eine Vorreiterrolle ein. Zusammen mit zahlreichen anderen Akteuren aus dem Bayerischen Gesundheitssektor haben wir etwa ein Bündnis für mehr Hitzeschutz gegründet und stellen auf unserer Homepage Musterhitzeschutzpläne für Praxen und Kliniken zur Verfügung.
Nicht weniger relevant ist die Forderung des DÄT an die Kultusministerkonferenz, die Gesundheitskompetenz von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen nachhaltig zu fördern. Lerninhalte zu Themen wie „Ernährung“, „Bewegung“, „Sexualität“, „psychische Gesundheit“, „Verhalten im Notfall“, „Hitzeschutz“, „Klimawandel und Gesundheit“, aber auch zur angemessenen Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen müssen demnach systematisch entwickelt werden. Außerdem braucht es entsprechende Fortbildungen für das Schulpersonal. Wenn die Politik dem Gehör schenkt, könnte die Prävention und Gesundheitsförderung einen Riesenschritt nach vorne machen. Angesichts anhaltender Medikamentenlieferengpässe begrüße ich auch ausdrücklich die Forderung des DÄT nach einer Rückverlagerung der Arzneimittelproduktion in europäische Länder, sowie nach einer nationalen Arzneimittelreserve für versorgungskritische und versorgungsrelevante Arzneimittel. Damit greift der DÄT Vorschläge auf, welche von der BLÄK bereits vor einigen Jahren in gesundheitspolitische Diskussionsforen eingebracht wurden. Die Abgeordneten befassten sich auch mit den aktuellen Plänen der EU zur Einrichtung eines gemeinsamen „Gesundheitsdatenraums“, welcher einen europaweiten Datenaustausch im Gesundheitswesen ermöglichen und die Datennutzung für eine bessere medizinische Versorgung, für Forschung, Innovation und Politikgestaltung fördern soll. Dies sind sicherlich wichtige Ziele. Gleichzeitig muss der Schutz von sensiblen Patientendaten sichergestellt sein. Den Appell des DÄT, dass es Patientinnen und Patienten möglich sein muss, einer Datenweitergabe zu Forschungszwecken zu widersprechen, ohne dass ihnen dadurch Nachteile entstehen, halte ich deshalb für entscheidend.
Demokratie lebt von Debatte
Trotz all dieser positiven Impulse sollten aber auch negative Entwicklungen nicht unter den Tisch fallen. Das neu eingeführte Verfahren der elektronischen Antragstellung, welches während des DÄT angewendet wurde, hat in der Praxis zu weniger Kommunikation und Austausch zwischen den Antragstellern geführt. Eine enge Abstimmung untereinander ist zur Ausarbeitung fundierter Beschlussentwürfe aber essenziell. Diese Erfahrung sollte in die Überlegungen zur weiteren Digitalisierung des Bayerischen Ärztinnen- und Ärztetags einbezogen werden.
Ein großes Problem waren auch ausschweifende Diskussionen um einzelne Tagesordnungspunkte und die jeweiligen Abstimmungsmodalitäten sowie langatmige Motivationsfilme, sodass den Abgeordneten schlussendlich zu wenig Zeit für tiefergehende Debatten über viele wichtige Beschlussentwürfe übrigblieb.
Das darf nicht passieren, denn es handelt sich in der Regel um umfangreiche und komplexe Themen, die zu bewerten und zu kommentieren einige Zeit in Anspruch nimmt. Wir dürfen nicht zulassen, dass aus Zeitdruck unsere demokratische Diskussionskultur geschwächt wird. Ähnlich fatal ist, wenn am letzten Sitzungstag des DÄT über 140 Anträge zur Entscheidung an den Vorstand überwiesen werden müssen, da ein ordentlicher Beschluss aus Zeitmangel nicht mehr möglich ist. Hier gibt es noch viel Verbesserungspotenzial beim Zeitmanagement. Denn dadurch werden viele Themen der öffentlichen Wahrnehmung entzogen und den Antragstellern wird die Möglichkeit genommen, sich zu positionieren und in die Debatte einzubringen. Beispielsweise beim notwendigen Versicherungsschutz von studienbegleitend Promovierenden, bei bürokratieentlastenden Maßnahmen, bei der Dokumentation des Betäubungsmittelbestandes in Pflegeheimen durch die dort versorgenden Ärztinnen und Ärzte oder bei der Forderung nach der sofortigen Umsetzung der neuen Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte sowie dem Erhalt der Versorgung durch die Vertragsärzteschaft und den stationären Bereich.
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