Medizinische Versorgung ukrainischer Soldaten in bayerischen Krankenhäusern
Deutschland hat nach Angaben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration (STMI) bis Anfang März 2023 (6. März 2023) über 660 Patientinnen und Patienten aus der Ukraine übernommen. 115 dieser Patienten werden in Bayern stationär versorgt. Die Hilfsflüge landeten überwiegend an den Flughäfen Memmingen und Nürnberg. Eine Verteilung sei jeweils auf verschiedene Krankenhäuser im – je nach Transportfähigkeit der Betroffenen und Aufnahmemöglichkeit der Kliniken gegebenfalls auch weiteren – Umkreis der Flughäfen erfolgt, so das STMI.
Universitätsklinikum Augsburg
Auch im Universitätsklinikum Augsburg (UKA) werden ukrainische Kriegsopfer mit Schuss- und Explosionswunden versorgt. Genau gesagt geschieht dies in der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie, Plastische und Handchirurgie, die Professor Dr. Dr. h. c. Edgar Mayr als Chefarzt leitet. Für das Bayerische Ärzteblatt gibt er gemeinsam mit dem Leitenden Oberarzt, Dr. Michael Ecker, Einblicke in seine spezielle ärztliche Tätigkeit.
Yan K. (25) aus Dnipropetrowsk im zentralen Osten der Ukraine, wurde am 16. Juni 2022 durch eine Minenexplosion schwer verletzt. Hüfte und Oberschenkel sind zersplittert – ein Oberschenkel-Durchschuss. Anschließend wurde er 14 Mal in der Ukraine operiert, bevor er am 16. November ins Krankenhaus Dillingen kam und dann am 2. Dezember ins UKA verlegt wurde. Yan trägt heute eine silberbeschichtete Spezialprothese und erhält zudem eine spezielle Antibiotika-Therapie, deren Kosten sich auf 900 Euro belaufen, für die Tagesdosis wohlbemerkt. Yans Schicksal ist exemplarisch für so viele ukrainische Kriegsverwundete, die derzeit in deutschen Krankenhäusern behandelt werden. „Die meisten von ihnen sind von MRGN-Keimen besiedelt und haben hochkomplexe Verletzungen erlitten, die jedoch viel zu spät eine adäquate Behandlung erfahren“, erklärt Chefarzt Mayr. Überhaupt seien die MRGN-Bakterien eine der Hauptherausforderungen für das Ärzte- und Pflegeteam rund um Mayr und Ecker, was vor allem Schwierigkeiten mit Implantaten mit sich brächte. „Die zahlreichen Voroperationen und die hygienischen Bedingungen in der Ukraine sowie die lange Vorlaufzeit bis zum Eintreffen der Patienten in Deutschland verschlimmern den Befund“, sagt Ecker, sodass wir neue Antibiotika-Regime gemeinsam mit unseren Bakteriologen und Infektiologen entwickeln müssen“. Seit dem Beginn des Ukrainekrieges hat das UKA zwölf ukrainische Patienten in Behandlung, um die sich insgesamt ein Team von neun Oberärzten und Chefarzt Mayr kümmern. Da sich im Pflegeteam auch Ukrainerinnen und Ukrainer befinden, können diese wichtige Dolmetscherarbeiten übernehmen und sich zudem besonders um diese Patientengruppe kümmern. Ein Drittel der Ukrainer spreche zudem ganz gut Englisch.
Verlegung nach Kleeblattkonzept
„In erster Linie handelt es sich um Schussbrüche, durch Projektile getroffene Knochenbrüche und -zersplitterungen, Verletzungen durch Minenexplosionen sowie Schrappnellverletzungen durch Metallteile, beispielsweise von Granaten“, erläutert Mayr. Das komme im üblichen Behandlungsspektrum seiner Klinik natürlich eher selten vor, jedoch seien die wirklichen Probleme die sogenannten Folgezustände der Patienten. „Die Frakturen sind zwar chirurgisch versorgt, aber eben nur ‚anversorgt‘. Es geht in der Ukraine vorwiegend um eine Art ‚Über-lebenschirurgie‘ und weniger um das Weichteilmanagement“, so Mayr. Die Patientenverlegung erfolge über COVRIIN, einer Fachgruppe zur strategischen Patientenverlegung in Deutschland an der Schnittstelle Intensivmedizin, Infektiologie und Notfallmedizin. Diese berate die Bundesländer und Krankenhäuser bei Fragen zur strategischen Verlegung der Patienten nach dem sogenannten Kleeblattkonzept. „In der Regel werden die Patienten mit kleineren Transportmaschinen – über MedEvac – von der Stadt Lwiw ausgeflogen und beispielsweise im Regierungsbezirk Schwaben auf die Häuser des Trauma-Netzwerks, zu dem die Krankenhäuser Kaufbeuren, Kempten, Dillingen, Günzburg, die Hessing-Klinik und das UKA zählen, verteilt“, berichtet Ecker. Im Vorfeld erhielten sie jeweils eine E-Mail mit den Patientennamen und einer entsprechenden Kurz-Anamnese der Patienten. Dies erfolge oft relativ kurzfristig, sei jedoch unbedingt notwendig für die weitere Behandlung, denn bei Patienten mit Bauchdurchschüssen mit Blasen- bzw. Nierenbeteiligung oder bei Patienten mit Gesichtsdurchschüssen müsse eine Versorgung im Team mit Plastischen Chirurgen, Urologen, Nephrologen oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen sowie mit der Klinik für Abdominal- und Viszeralchirurgie erfolgen. Belastend sei, dass der weitere Behandlungsverlauf der Patienten oft ungeklärt bleibe. Einige könnten als geheilt entlassen werden, andere benötigten eine Reha-Maßnahme, was jedoch schwierig zu organisieren sei. Die Patienten hätten oft keinen Sozialversicherungsstatus und damit sei auch die Frage nach dem Kostenträger für indizierte Reha-Maßnahmen ungeklärt. „Die Patienten haben keinen Aufenthaltsstatus bei uns und mit ihren Amputationsverletzungen oder gar Querschnittslähmungen stehen sie auch künftig nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung“, erklärt Ecker. Auch ein psychotraumatologisches Versorgungsangebot gebe es leider nicht. „Das könnte eventuell ein Betätigungsfeld für ukrainische geflüchtete Psychotherapeuten sein, die derzeit in Deutschland leben“, meint Mayr.
Quelle: Institut für Rettungs- und Notfallmedizin. Stand 1. November 2020
Ergänzen will Chefarzt Mayr noch, dass sie alle für diese Art der Verletzungen und Frakturen gut weiter- und fortgebildet seien, schließlich gebe es beispielsweise von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie auch Fortbildungen im Rahmen der „Desastermedizin“. Probleme bereiteten die Folgeschäden und die Hygiene. „Wir lernen derzeit extrem schnell. Das ist auch eine Chance, unser Spektrum zu erweitern“, meint Ecker verhalten optimistisch. Einen Wunsch äußern die beiden Chirurgen zu Schluss unisono: „Wenn wir die Patienten sofort nach Eintritt der Verletzungen erhalten könnten, würden wir ein noch viel besseres Behandlungsergebnis erzielen!“
Kostenübernahme
Da die Übernahme der Patientinnen und Patienten nach dem EU-Katastrophenschutzmechanismus erfolgt, werden die Kosten für den Transport nach Deutschland einschließlich des Weitertransports zum behandelnden Krankenhaus zu 75 Prozent durch die Europäische Union und zu 25 Prozent vom Bund getragen. Das ist der Handreichung über die „Kostentragung der Behandlung von Kriegsopfern aus der Ukraine, die über Evakuierungsflüge nach Deutschland transportiert werden“ des Bundesministeriums für Gesundheit zu entnehmen. Die Behandlungskosten werden nach Registrierung gemäß den bestehenden Bestimmungen durch die gesetzliche Krankenversicherung (SGB II) oder – bei perspektivisch dauerhafter Arbeitsunfähigkeit – den Sozialhilfeträger (SGB XII) getragen. Ansonsten kämen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Betracht.
Dagmar Nedbal (BLÄK)
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