Nach Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration (STMI) wurden in Bayern bislang rund 115.000 aus der Ukraine geflüchtete Personen im Ausländerzentralregister erfasst. Dabei handelt es sich um Personen, die in Bayern staatlich untergebracht sind oder hier sonstige Leistungen beziehen. Nicht erfasst sind Personen, die privat untergekommen sind und noch keinerlei Schutzgesuch geäußert haben. Stand 25. April 2022 sind über 38.000 Personen mit Ukraine-Bezug in staatlichen oder kommunalen Unterkünften in Bayern untergebracht. Nicht wenige Ukrainer sind direkt bei Verwandten, Freunden oder engagierten Bürgern untergekommen. Bei der Angabe dieser Größenordnung sei jedoch laut STMI zu bedenken, dass ukrainische Staatsangehörige bereits vor der Entscheidung der EU-Innenminister zur Aktivierung der Richtlinie über den vorübergehenden Schutz mit einem biometrischen Reisepass für 90 Tage, innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen, visumsfrei in die EU einreisen konnten. Bei dieser visumsfreien Einreise fände üblicherweise keine Erfassung im Sinne einer Registrierung statt. Zudem seien einige der ukrainischen Neuankömmlinge auch bereits weitergereist.
Michael Solbach, BRK-Bereitschaft Unterschleißheim und Dr. Friedrich Kiener, Facharzt für Allgemeinmedizin, sind ein eingespieltes Team (v. li.).
Rechtslage
Wie steht es nun rechtlich um die medizinische Versorgung der Ukraine-Kriegsflüchtlinge, handelt es sich doch meist um Kinder, Frauen und ältere Menschen? Alle aus der Ukraine Geflüchteten sind ab Äußerung eines Schutzgesuchs leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und haben damit Anspruch auf die medizinische Notfall- und Erstversorgung. Dies umfasst insbesondere die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstige zur Genesung, zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderliche Leistungen. Im Einzelfall können grundsätzlich andere Behandlungen übernommen werden, wenn diese zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind bzw. wenn besondere Bedürfnisse bestehen. Vom Versorgungsanspruch umfasst sind auch von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene Schutzimpfungen. Den Betroffenen steht sowohl das stationäre wie auch das ambulante Versorgungsangebot offen. Für die Gewährung der Leistungen ist der örtliche Träger, also der Landkreis bzw. die kreisfreie Stadt zuständig. Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG erhalten bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen vom zuständigen örtlichen Träger pro Quartal einen Behandlungsschein und können damit niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aufsuchen. In Notfällen erfolgt die Behandlung auch ohne Vorlage eines Behandlungsscheins.
Behandlungsschein
Viele der Geflüchteten sind derzeit in Bayern in sogenannten Notunterkünften untergebracht. Diese Unterkünfte werden in der Regel von Körperschaften, wie der Landeshauptstadt München bzw. der Regierung von Oberbayern betrieben, oftmals mit Unterstützung des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). Hier erfolgt die medizinische Versorgung entweder über einen mobilen ärztlichen Dienst, den der jeweilige Betreiber mit Vertragsärztinnen und -ärzten organisiert, oder über die Niedergelassenen vor Ort. Immer gilt: Es ist ein Berechtigungsschein vorzulegen. Gleiches gilt grundsätzlich auch für die stationäre Behandlung in den Bayerischen Krankenhäusern. In Notfällen kann die Behandlung auch mal ohne Behandlungsschein erfolgen. Notwendig ist zudem ein gemeldeter Aufenthaltsort oder die Unterbringung in einer örtlichen Einrichtung. Dieses Prozedere gilt auch für diejenigen Ukraine-Kriegsflüchtlinge, die privat bei Freunden und Verwandten wohnen.
Ukrainische Patientinnen warten auf dem Hotelgang vor dem improvisierten Sprechzimmer von Dr. Friedrich Kiener.
Ortstermin
Wie schaffen es die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte tatsächlich die, Ukraine-Kriegsflüchtlinge zu versorgen – zusätzlich zu den Herausforderungen durch die Coronapandemie? Ortstermin Ende März bei Dr. Friedrich Kiener, niedergelassener Allgemeinarzt, am Zentrum für Allgemeinmedizin (ZAM) in Unterschleißheim bei München. In einem schicken Hotel in dem Vorort im Münchner Norden treffe ich den quirligen Hausarzt, der gemeinsam mit Michael Solbach von der BRK-Bereitschaft Unterschleißheim die etwa 200 hier untergebrachten Flüchtlinge, fast alles Frauen und 70 Kinder, versorgt. Kiener hält eine tägliche Sprechstunde in einem Hotelzimmer ab und ist per Computer, via VPN-Tunnel, mit seinem Praxissystem verbunden, was die Stadtverwaltung dankenswerter Weise eingerichtet habe. „Das funktioniert prima. So kann ich die etwa 15 bis 20 Patientinnen und Patienten, die täglich meine ärztliche Hilfe benötigen, vor Ort behandeln. Manche suchen auch direkt meine Praxis auf, wenn ich beispielsweise Blutabnahmen oder andere Untersuchungen vornehmen muss“, erklärt Kiener. Meist handle es sich um die gängigen Erkrankungen, die in einer Allgemeinarztpraxis vorkämen. „Da geht es zum Beispiel um Folgerezepte bei chronischen Erkrankungen“, erklärt Kiener und lobt in diesem Zusammenhang auch die gute Kooperation mit den örtlichen Apotheken. Für die benötigten Arzneimittel müssten Wirkstoffe und Handelsnamen übersetzt und die richtigen Präparate gefunden werden. Sprachliche Hürden meistert der Hausarzt übrigens mit Übersetzungsprogrammen aus dem Internet. Meist sprächen die Geflüchteten aber gut Englisch oder gar Deutsch.
Viktoria Weiner, Ukrainerin aus Unterschleißheim, übersetzt für ihre geflüchteten Landsleute im Sprechzimmer mit Dr. Friedrich Kiener (v. li.).
Chat-Gruppe
In einer Chat-Gruppe haben sich die Menschen darüber hinaus mit den ortsansässigen Ukrainerinnen und Ukrainern organisiert, so dass Übersetzungsprobleme kaum aufträten. „Wir unterstützen niederschwellig und ganz pragmatisch“, sagt Viktoria Weiner, die seit 14 Jahren hier lebt und heute für ihre Landsleute in der Sprechstunde übersetzt. Nur selten falle mal eine Überweisung zu einem Facharzt oder ins Krankenhaus an. In solchen Fällen erweise sich der Umgang mit dem notwendigen Behandlungsschein als bürokratisch schwierig. „Mein Praxisteam ist viel von mir gewohnt, da ich immer mithelfe, wenn es notwendig ist, aber es ist schon eine große bürokratische Belastung für uns alle“, so Kiener. Die Namen der ukrainischen Patienten müssten händisch ins Praxissystem eingegeben werden und Behandlungsscheine beschafft und kopiert werden. „Eine digitale Lösung würde unsere Tätigkeit schon wesentlich erleichtern“, gibt Kiener zu Bedenken und Solbach ergänzt: „Wir besorgen die nötigen Behandlungsscheine vom Landratsamt, denn, wenn die Menschen selbst zum Amt gehen müssten, wäre dies wohl eine Überforderung für alle Beteiligten.“ Im Ort seien überdies noch weitere Ukraine-Flüchtlinge in anderen Hotels, in privaten Wohnungen und auch in einer allgemeinen Asylbewerberunterkunft untergebracht. Wie viele es insgesamt seien, könne man gar nicht genau beziffern. „Im Südflügel des großen Hotels können die Menschen ehedem nur noch bis Ende April wohnen“, sagt Hotelmanager Ben Striebel. Dann sei das Hotel wieder mit Touristen und Gästen gebucht. Die Tourismussaison und die Messen liefen wieder an, was nach der langen Pandemiezeit auch wirtschaftlich wichtig für den Hotelbetrieb sei. Eine andere Unterkunftslösung müsse für die Geflüchteten gefunden werden, was dem BRK-Mann sichtlich Sorgenfalten auf die Stirn bringt.
Bleibt noch die Frage nach Corona. „Bei der Ankunft haben wir erst mal eine Reihentestung vorgenommen, da wir hier ja einen Corona-Ausbruch vermeiden müssen“, so Solbach. „Die meisten Ankömmlinge seien, wenn überhaupt, mit dem chinesischen Impfstoff ‚CoronaVac‘ immunisiert, der bei uns keine Zulassung hat. Somit war eine Grundimmunisierung angesagt, was jedoch unproblematisch verlief“, so Kiener abschließend. Pragmatische Hilfe und Solidarität für die Flüchtlinge aus der Ukraine spürt man hier wirklich überall.
Autor
Dagmar Nedbal (BLÄK)