Missbrauch von Fentanyl-Pflastern
In Bayern war in den vergangenen Jahren bei 15 bis 30 Prozent der Drogentodesfälle Fentanyl beteiligt, während der Anteil bundesweit zwischen sechs und acht Prozent schwankt. Eine Verordnung von transdermalen Opioidpflastern an Patienten, die unbekannt oder mit entsprechender Suchtanamnese belastet sind, sollte daher besonders umsichtig erfolgen.
Fentanyl verfügt als narkotisierendes Analgetikum über eine mindestens 80-fach höhere Wirkstärke als Morphin. Deutschlandweit hat sich die Behandlungsprävalenz mit Fentanyl (inklusive Pflaster) von 2000 bis 2010 mehr als verdreifacht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu beachten, dass drei Viertel der Behandelten die Substanz aufgrund chronischer, nicht tumorbedingter Schmerzen erhielten. Für diese Patienten liegt in der Langzeitanwendung keine ausreichende Evidenz vor. Es ist im Gegenteil vielmehr mit einem analgetischen Wirkungsverlust zu rechnen [1].
Aufgrund ihres hohen Wirkstoffgehalts sind fentanylhaltige Pflastersysteme auch für Drogenabhängige attraktiv. Selbst bereits benutzte Pflaster enthalten noch bis zu 70 Prozent ihrer ursprünglichen Wirkstoffmenge. Nicht selten kommt die Substanz jedoch durch ärztliche Verordnungen in die Drogenszene. In München sind wiederholt Fälle von Arzthopping bekannt geworden, bei denen bis zu 18 und mehr Ärzte für einen Patienten Opioidpflaster verordnet haben [2].
Die Pflaster werden meist zerschnitten, ausgekocht und der gewonnene Sud wird intravenös injiziert. Alternativ werden Pflaster auch gekaut oder zu mehreren auf Haut oder Schleimhäute geklebt.
Im Zeitraum von 2008 bis 2012 ist in Bayern der Anteil an Drogentoten, bei denen eine Beteiligung von Fentanyl nachgewiesen werden konnte, deutlich angestiegen, war zuletzt aber wieder leicht rückläufig (Tabelle 1).
Tabelle 1: Drogentodeszahlen in Bayern mit Fentanylbeteiligung und gesamt sowie Anteil der Drogentoten mit Fentanylbeteiligung an der Gesamtzahl Drogentoter (Auskunft LKA, 2015 und 2017).
Regional gibt es innerhalb der Beobachtungsjahre große Unterschiede, wie Tabelle 2 zeigt. So kam es beispielsweise im vergangenen Jahr alleine in Weiden zu vier Todesfällen. Eine Frau soll bei 24 Ärzten aus Weiden und Umgebung 183 Rezepte für Fentanylpflaster erhalten haben. Einige Ärzte hatten deren krebskranken Sohn wohl gar nicht gesehen und verließen sich ausschließlich auf vorgelegte Unterlagen. Über 2.000 Fentanylpflaster sollen von der drogenabhängigen Frau in der Szene an Bekannte weiterverkauft worden sein [3].
Tabelle 2: Drogentodesfälle in Bayern mit Fentanylbeteiligung in den Jahren 2014 bis 2016 (Auskunft LKA, 2017).
Die Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen führte 2015 eine Experten-befragung zu möglichen Ursachen missbräuchlichen Fentanylkonsums sowie zu geeigneten Präventionsmaßnahmen durch [4]:
Auf Seiten der Konsumenten
Fentanyl stellt aufgrund seines mit Heroin vergleichbaren Wirkprofils eine Alternative in den Zeiten dar, wenn Heroin nur schwer verfügbar ist. Manche Personen bevorzugen Fentanyl grundsätzlich gegenüber Heroin. Zudem ist bei Personenkontrollen mit geringeren strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.
Auf Seiten der Ärzte
Bei vielen Ärzten ist das Missbrauchspoten-zial von transdermalen Pflastersystemen noch immer unbekannt. Außerdem kann durch fehlenden Ausschluss einer Opiatabhängigkeit im Rahmen der Anamnese oder durch lückenhafte Kontrolle der Therapie ein Missbrauch begünstigt werden.
Auf Seiten der Überwachungsbehörden und Krankenkassen
Wünschenswert wäre die zeitnahe Rückmeldung von Mehrfachverordnungen für einen Patienten an alle verordnenden Ärzte.
Um chronischen Schmerzpatienten eine adäquate Behandlung zukommen zu lassen und gleichzeitig einen Missbrauch dieser Substanz so gut wie möglich auszuschließen, sollten bei der Verordnung, insbesondere an unbekannte Patient(inn)en unbedingt folgende Fragen berücksichtigt werden [5]:
» Von welchem Arzt wurde die letzte Verordnung ausgestellt? Nehmen Sie Kontakt mit der Praxis auf! Lassen Sie sich zu Urlaubszeiten oder am Freitagnachmittag nicht unter Druck setzen!
» Wann wurde die letzte Verordnung ausgestellt? Überprüfen Sie Menge und Reichdauer!
» Wo klebt das Pflaster aktuell? Lassen Sie sich das Pflaster bzw. die Klebestelle vom Patienten zeigen!
» Mit welcher Indikation und seit wann erfolgt die Verordnung von Fentanylpflastern?
» Wie sieht der Gesamtbehandlungsplan aus? Sind nur Pflaster vorgesehen?
» Wie oft wird das Pflaster gewechselt?
» In welcher Apotheke wurde die letzte Fentanylverordnung eingelöst? Halten Sie gegebenenfalls Rücksprache mit der Apotheke (Schweigepflichtsentbindung!), ob die Patientenangaben richtig sind und regelmäßig BtM-pflichtige Schmerzmittel von dem benannten Arzt verordnet wurden.
Für den Fall, dass diese Fragen nicht plausibel beantwortet werden können, sollte der Arzt eine Verordnung von Fentanylpflastern besonders sorgfältig abwägen. Bei einer Erstverordnung sollte immer die kleinste Einheit verordnet werden. Grundsätzlich können auch einzelne Fentanylpflaster verschrieben werden. Besteht der Verdacht auf einen Opiatmissbrauch, so können ein Urinschnelltest auf Drogen (Cave: hierin bleiben synthetische Opioide negativ, worunter die meisten gebräuchlichen Opioidschmerzmittel fallen, zum Beispiel Fentanyl, Buprenorphin, Tramadol) sowie eine körperliche Untersuchung mit dem Fokus auf Einstichstellen hilfreich sein.
Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-ärzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.
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