Neu in der Geriatrie

Geriatrie

Orthogeriatrisches Co-Management ist ein stark wachsendes Behandlungsfeld mit einer engen Kooperation zwischen Unfallchirurgie und Geriatrie. Der Grund hierfür ist die demografiebedingte Zunahme von Fragilitätsfrakturen alter und hochaltriger Menschen [1]. In Deutschland sind derzeit rund 185 Zentren für Alterstraumato­logie zertifiziert, davon 23 in Bayern (Stand: 2/24). Zu hüftgelenksnahen Femurfrakturen kommt es bei älteren Menschen durch die Zunahme der Häufigkeit von Stürzen, Veränderungen im Sturzmechanismus (verminderte Abfangmechanismen mit Stürzen vermehrt seit- oder rückwärts) in Kombination mit der altersbedingt verminderten Knochenfestigkeit. Die ­höchste Inzidenz findet sich in der Gruppe der über 90-Jährigen mit einem Anstieg um das 40- bis 50-fache verglichen mit 50 bis 59-Jährigen [1].

Ziel der orthogeriatrischen Zusammenarbeit ist die optimierte, ganzheitliche Behandlung geriatrischer Patienten. Operativ wird die voll­belastungsfähige Frakturbehandlung angestrebt, da Teilbelastungen nur schwer einzuhalten sind und bereits relativ kurze Phasen von Immobilität zum unwiederbringlichen Verlust an ­Muskelmasse und -funktion führen [2]. In die Zuständigkeit der kooperierenden Geriatrie fallen:

•    Behandlung der nicht-orthopädischen Multimorbidität
•    Abklärung von Sturzursachen
•    Optimierung der (Poly-)Medikation
•    Behandlung typischer Komplikationen
•    Diagnostik und Therapie einer zugrunde­liegenden Osteoporose
•    Frührehabilitation bei laufender ­KH-Behandlung.

In Bayern ist nach einer frührehabilitativen Stabilisierung eine weiterführende geriatrische Rehabilitation als sequenzieller Rehabilitations­prozess möglich, welcher zu einer signifikanten Verminderung von Pflegeabhängigkeit beiträgt [3].

Metaanalysen bestätigen für das orthogeriatrische Co-Management eine Reduktion der ­Mortalität um 28 Prozent während der Hospitalphase und von 14 Prozent nach einem Jahr. Daneben finden sich signifikante Effekte auf die Verminderung von Delirien und die Verbesserung des Funktionsstatus (Gehfähigkeit, Selbsthilfe­fähigkeit) bei Entlassung [4]. Diese internatio­nalen Ergebnisse wurden kürzlich durch eine groß angelegte, retrospektive Studie für Deutschland bestätigt (Reduktion der innerklinischen Mortalität um 22 Prozent) [5]. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat 2019 eine Richtlinie zur Verbesserung der Versorgung der hüftgelenksnahen Femurfrakturen erlassen [6]. Für die Abrechenbarkeit der operativen Versorgung gegenüber der GKV sind Mindestanforderungen zu erfüllen, die auch das orthogeriatrische
Co-Management beinhalten.

Die Osteoporose ist eine Volkskrankheit mit einer Prävalenz von vier bis sechs Prozent in Deutschland [1]. Etwas mehr als 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen, bei denen die Gesamtprävalenz mit 22 Prozent erheblich höher ist als diejenige der Männer. Es ist eine typische Alterskrankheit mit einer steilen Zunahme der Prävalenz mit dem Lebensalter. So liegt die Prävalenz von über 70-jährigen Frauen bei 45 Prozent [1]. Die Therapielücke zwischen indizierter und tatsächlich durchgeführter Therapie beträgt in der EU über 60 Prozent. Fragilitätsfrakturen – vor allem der Wirbelsäule – befinden sich an vierter Stelle der Erkrankungen mit dem größten Verlust an beeinträchtigungsfreier Lebensqualität nach ischämischer Herzkrankheit, Demenz und Lungen­karzinom [7]. Nachdem die Osteoporose für die meisten Patienten asymptomatisch verläuft, ist die Adhärenz für die jahrelang notwendige Medikation niedrig und liegt um 50 Prozent nach einem Jahr [8]. Andererseits könnten durch konsequente Prophylaxe und Therapie in der EU rechnerisch 19.000 Fragilitätsfrakturen pro Jahr vermieden werden [8].

Die überarbeitete S3-Leitlinie „Prophylaxe, ­Diagnostik und Therapie der Osteoporose“ wurde im Herbst 2023 veröffentlicht [1]. Hauptelement ist die Bestimmung des Risikos für eine (erneute) Fraktur innerhalb der nächsten drei Jahre, wobei die Risikostufen 3, 5 und 10 Prozent unterschieden werden. In die Berechnung gehen neben Geschlecht, Alter und per DXA gemessener Knochendichte diverse medizinische und funktionelle Faktoren ein. Grundgedanke ist, dass sich das Risiko für eine Fraktur nicht nur aus der Knochendichte ergibt, sondern auch aus der Sturzanfälligkeit. Beispielsweise ist ein verlängerter Timed-Up-And-Go-Test [9] über zwölf Sekunden mit einem unabhängig knapp verdoppelten Risiko für hüftgelenksnahe Frakturen assoziiert [10]. Dieser Test misst die Ganggeschwindigkeit (Aufstehen – drei Meter Gehen – Umdrehen – Hinsetzen), ist fester ­Bestandteil des geriatrischen Basis-Assessments [11] und kann auch im niedergelassenen Bereich sehr einfach erhoben werden. Besonders bedeutsam ist eine stattgehabte Fragilitätsfraktur, da das Risiko für eine Folgefraktur innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre je nach Frakturtyp, Geschlecht und Alter mehr als fünffach bis neunfach erhöht sein kann [12, 13].

Die Osteoporose-Leitlinie gibt folgende Therapieempfehlungen je nach errechneter Risikoklasse vor (Evidenzniveau in Klammern) [1]:

•    3 bis 5 Prozent: Spezifische Osteoporose-Therapie sollte erwogen werden, wenn starke oder irreversible Risikofaktoren oder ein sehr hohes Risiko einer unmittelbar bevorstehenden Fraktur bestehen (B).

•    5 bis 10 Prozent: Spezifische Osteoporose-Therapie soll empfohlen werden (A).

•    > 10 Prozent: Spezifische Osteoporose-Therapie soll mit osteoanabol wirksamen Substanzen (aktuell Romosozumab oder Teriparatid) empfohlen werden (A).

Bei hohem Osteoporose-Risiko ist die Therapie sequenziell angelegt: Start mit einer osteoanabol wirkenden Substanz und nach ein bis zwei Jahren Wechsel auf eine antiresorptiv wirkende Substanz (aktuell Bisphosphonat oder Denosumab).

Fall 1: Proximale Femurfraktur

Eine 87-jährige Patientin wird nach einem häuslichen Sturz in unserer zentralen Notaufnahme vorgestellt. Eine mediale Schenkelhalsfraktur wird noch am gleichen Tag durch die Unfallchirurgie mittels Implantation einer hybriden Hüft-TEP versorgt. Die Operation verläuft komplikationsfrei und die Patientin wird primär im Zentrum für Alterstraumatologie aufgenommen. Der postoperative Verlauf war im Hinblick auf die Wundheilung und die radiologischen Kontrollen der Hüft-TEP ungestört.

Auffällig waren Vigilanzschwankungen mit langen eher apathischen und kürzeren Phasen mit psychomotorischer Unruhe. Die Patientin aß und trank kaum, sprach sehr leise und fast unverständlich. Weitere neurologische Auffälligkeiten oder eine Prellmarke im Kopfbereich fanden sich primär nicht. Differenzialdiagnostisch wurde primär an ein gemischtförmiges Delir gedacht. Um etwaige Traumafolgen (zum Beispiel SDH) auszuschließen, wurde ein cCT veranlasst. Dort fand sich eine zerebrale Ischämie im hinteren Mediagebiet, von der Morphologie her gut passend zu einem kardioembolischen Ereignis. Der Schlaganfall wurde als wahrscheinliche Sturzursache eingestuft. Vorhofflimmern war bisher nicht bekannt. Nachdem im Verlauf eine Tachyarrhythmia absoluta auftrat, wurde eine orale Antikoagulation mit Apixaban begonnen. Gemäß FORTA-Klassifikation (Fit-for-the-Aged) bietet Apixaban nach derzeitigem Stand bei Älteren die beste Nutzen-Risiko-Relation und ist mit A auf einer absteigenden Skala von A bis D bewertet (A: besonders vorteilhaft, B: vorteilhaft, C: fragwürdig, D: vermeiden) [14].

Da die Patientin nicht ausreichend aß und trank, wurde sie postoperativ parenteral ernährt. Trotz klinisch ausgeglichenem Flüssigkeitsstatus entwickelte sich im Verlauf ein akut auf chronisches Nierenversagen (Creatinin bei Aufnahme 1,4 mg/dl, Anstieg bis 2,8 mg/dl). Als Ursache der verschlechterten Nierenleistung wurde ein Hb-Abfall von prä-operativ 11,7 g/dl auf zwischenzeitlich 7,5 g/dl mit intermittierender arterieller Hypotonie identifiziert. Nach Transfusion eines Erythrozytenkonzentrats und Bilanzierung des Volumenstatus erholte sich die Nierenfunktion im Verlauf auf den Ausgangszustand. Eine infusionsbedingte, geringe kardiale Dekompensation konnte mittels kurzzeitiger intravenöser diuretischer Therapie gut korrigiert werden.

Bei verbesserter Mobilität konnte eine Osteodensitometrie nach der DEXA-Methode (dual energy X-ray absoroptiometry) durchgeführt werden. Bei einem T-Wert von -3,3 SD wurde in Kombination mit der typischen Fragilitätsfraktur die Diagnose einer manifesten Osteoporose gestellt. Der T-Wert gibt als Standardabweichung an, wie weit der individuelle Messwert von dem junger, gesunder Erwachsener (20 bis 29 Jahre) gleichen Geschlechts abweicht. Dahingegen ist die Vergleichsgruppe beim Z-Wert altersadaptiert. Maßgeblich für die Diagnose und die Therapieempfehlung ist der T-Wert.

Gemäß S3-Leitlinie [1] wurde im vorliegenden Fall das Risiko für eine Folgefraktur innerhalb von drei Jahren von mindestens zehn Prozent bestimmt. Gemäß der LL-Empfehlung wurde eine osteoanabole Therapie mit Teriparatid (Tabelle 1) 1 x tgl. s.c. begonnen, welche nach ein bis zwei Jahren von einer antiresorptiven Therapie (zum Beispiel Bisphosphonat) abgelöst werden soll. Bei stark erniedrigtem Serum-Vitamin-D (7 ng/ml)
führten wir eine Aufsättigung mit 20.000 IE ­Cholecalciferol über sieben Tage durch, mit der anschließenden Empfehlung einer dauerhaften täglichen Einnahme von 1.000 IE Cholecalciferol und von 500 bis 1.000 mg Calcium.

Im Rahmen der parallellaufenden geriatrischen Frührehabilitation machte die Patientin gute Fortschritte. Vigilanz und Dysarthrie normalisierten sich weitgehend. Unter logopädischer Therapie war die anfängliche Dysphagie rückläufig und die Kostform konnte stufenweise angepasst sowie die parenterale Ernährung beendet werden. Nach anfänglich sehr schwieriger Mobilisation konnte die Patientin zunächst am hohen Gehwagen und später am Rollator in Begleitung bis zu 20 Meter gehen. Bei guter Prognose und ­Erreichen eines Barthel-Index von 30 Punkten als Eingangskriterium für eine weiterführende geriatrische Rehabilitation (AHB) wurde die Patientin dorthin verlegt, mit dem Ziel der Rückkehr in die bisherige häusliche Versorgung.

Fall 2: Zu wenig Salz?

Im Juli 2022 wird eine 88-jährige Patientin nach einem Sturz aufgenommen. Im Rahmen des Sturzes hatte sie sich eine Fraktur der 9. und 10. Rippe links zugezogen. In der Anamnese berichtet sie von weiteren Stürzen in den letzten Wochen. Zusätzlich sei es laut Angaben der Tochter auch zu nächtlichen Verwirrtheitszuständen gekommen. Als Vorerkrankungen sind eine koronare Herzerkrankung, ein Z.n. NSTEMI, ein Vorhofflimmern sowie eine Osteoporose bekannt. Die laufende Medikation der Patientin: Betahistin 12 mg 1-0-0, Telmisartan 80 mg 0-0-1, Torasemid 10 mg 1-0-0, Metoprolol 47,5 mg 1-0-0, Apixaban 2,5 mg 1-0-1, Novaminsulfon 500 mg bei Schmerzen bis 4 x/täglich, Bromazepam zum Schlafen, Desloratadin 5 mg 1-0-1, Unizink 50 mg 0-0-1, Ibandronsäure 3 mg alle drei Monate. Im Aufnahmelabor zeigte sich ein Serumnatrium von 123 mmol/l bei ansonsten nicht wegweisenden Befunden.

In der Allgemeinbevölkerung findet sich eine Prävalenz der milden, meist asymptomatischen Hyponatriämie von 1,7 bis 7,7 Prozent. Mit zunehmendem Alter steigt diese auf 11,6 Prozent bei den über 75-Jährigen an [1]. Wesentlich höher liegt die Prävalenz bei Altenheimbewohnern und Krankenhauspatienten. Hier liegen die Werte zwischen 16 und 35 Prozent [2, 3]. Die Zunahme der Prävalenz mit dem Alter erklärt sich vorwiegend über die verminderte Ausscheidungsfähigkeit von freiem Wasser, der häufigen Einnahme von Medikamenten sowie assoziierter Komorbiditäten [4]. Letztendlich ist die Ursache für eine Hyponatriämie im Alter meistens multifaktoriell [5]. Generell wird die Bedeutung der Hyponatriämie unterschätzt. Bei alten Patienten besteht eine enge positive Korrelation mit der Morbidität und Mortalität sowie Wiederaufnahmeraten und Krankheitskosten. In einer rezenten prospektiven Untersuchung war die Krankenhausmortalität bei einer bestehenden Hyponatriämie bei alten Patienten etwa um das Doppelte erhöht. Überraschend war die Mortalität in den jüngeren Altersgruppen sogar um den Faktor 4 erhöht [6].

Trotz der vorliegenden Daten werden von allen Patienten, die mit einer Hyponatriämie ins Krankenhaus aufgenommen werden, 78 Prozent auch mit einer Hyponatriämie entlassen [7]. Dieser ­Effekt kommt stärker bei den alten Patienten zum Tragen [6]. Mehrere Studien konnten zeigen, dass bereits eine milde Hyponatriämie negative Effekte auf die Funktionalität der älteren Patienten hat. Neben einem erhöhten Sturz- und Frakturrisiko fanden sich auch Effekte in fast allen Bereichen des Geriatrischen Assessments, wie den Alltagsaktivitäten, der Kognition, der Mobilität, Depression oder auch der Ernährung [8]. Das erhöhte Frakturrisiko resultiert nicht allein aus dem erhöhten Sturzrisiko. Die chronische Hyponatriämie hat negative Effekte auf den Knochenstoffwechsel und stellt daher einen ­unabhängigen Risikofaktor für die Osteoporose dar [9]. Weitere Assoziationen einer Hyponatriämie finden sich mit dem Delir, der orthostatischen Hypotonie, dem Schwindel, zerebralen Krampf­anfällen und auch dem geriatrischen Syndrom der „Frailty“ [8]. Die Hyponatriämie stellt sowohl im akuten Setting als auch im weiteren chronischen Verlauf einen für den alten Patienten höchst ­relevanten Befund dar, der einer raschen Abklärung und Therapie zugeführt werden sollte.

Der Serumnatriumspiegel wird innerhalb enger Grenzen reguliert. Pathophysiologisch liegt einer Hyponatriämie eine Störung des Wasserhaushaltes zugrunde. Der Wasserhaushalt wird vor allem durch das antidiuretische Hormon (ADH) Vasopressin im Hypophysenhinterlappen gesteuert. Steigt Natrium im Serum an, werden Durst und Vasopressin stimuliert und Wasser renal rückresorbiert und der Harn konzentriert. Bei Abfall des Serumnatriums tritt der gegenteilige Effekt ein. Für den klinischen Verlauf relevant ist auch der Umstand, dass die Wiederaufnahme in die Zelle langsamer erfolgt als das Ausschleusen [10]. Klinisch hat dies zur Folge, dass Symptome nach einer bereits normalisierten Serumnatriumkonzentration noch längere Zeit anhalten können [8].

Die Abklärung sollte einem Algorithmus folgen [11]. Im ersten Schritt sollte im Rahmen einer klinischen Untersuchung auf eine Hypervolämie geachtet werden. Liegt eine Hypervolämie vor, ist von einer sogenannten „Verdünnungshyponatriämie“ auszugehen, meist eben im Rahmen einer Herzinsuffizienz, Leberzirrhose oder einem nephrotischen Syndrom. Liegt keine ­Hypervolämie vor, ist nach Flüssigkeitsaufnahme, Ernährungssituation, kochsalzarmer Diät oder Hyponatriämie induzierenden Medikamenten zu fragen. Im Gegensatz zur Hyper- ist die Hypovolämie nur schwer zu erkennen. Diese tritt auf bei Erbrechen, Diarrhoe und Fieber. Als diagnostische Maßnahme kann hier eine Infusion von 1.000 ml physiologischer Kochsalzlösung eingesetzt werden. Kommt es durch diese Maßnahme zu einem Anstieg des Serumnatriums liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Hypovolämie vor. Bleibt das Serumnatrium unverändert, muss nach Ausschluss einer Hyperglykämie, einer Niereninsuffizienz, einer Hypothyreose und einer Nebenniereninsuffizienz von einem Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) ausgegangen werden.

Ein SIADH stellt letztendlich auch wiederum eine Ausschlussdiagnose dar. Es entzieht sich gängigen Nachweismethoden, eine Option für die Zukunft könnte das Copeptin als Surrogatmarker darstellen [8]. Ein SIADH (Hyponatriämie – Plasmanatrium < 135 mmol/l) ist immer euvolämisch, die Serumosmolalität ist < 275 mOsm/kg, die Natriumkonzentration im Urin > 30 mmol/l (Urin-Osmolalität > 100 mOsm/kg) (und das spezifische Gewicht des Urins > 1.030 g/ml). Die Ursachen für ein SIADH sind vielfältig, ­neben zerebralen Ursachen findet sich ein SIADH häufig paraneoplastisch bei Karzinomerkrankungen oder auch bei einer Pneumonie. Eine aktuelle Studie aus den USA konnte zeigen, das eine Hyponatriämie bei etwa 30 Prozent aller hospitalisierten COVID-19-Patienten auftritt und mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist [12].

Bei der Patientin fanden sich keine klinischen Zeichen einer Überwässerung. Die Gabe von 1.000 ml 0,9 Prozent NaCl brachte in den ersten 24 Stunden nur einen Anstieg von 123 mmol/l auf 124 mmol/l. Die Serumosmolalität war auf 268 mOsm/kgH2O reduziert. Der Natriumwert im Urin war bei bestehender diuretischer Therapie nicht aussagekräftig. Es ergab sich somit der Verdacht auf ein SIADH und wir begannen mit einer Therapie mit 7,5 mg Tolvaptan per os. Dies führte innerhalb von 24 Stunden zu einem Anstieg des Serumnatriums auf 134 mmol/l. Die klinische Symptomatik besserte sich. Wir verordneten der Patientin Tolvaptan 7,5 mg jeden zweiten Tag unter vorerst wöchentlichen Kontrollen des Serumnatriums.

Zusammenfassend fanden sich im vorliegenden Fall neben dem allgemeinen Risikofaktor Jahreszeit (Hyponatriämie treten häufiger in der wärmeren Jahreszeit auf [13]) individuelle Faktoren wie das Alter und die Multimedikation. Die Klinik und der Verlauf sprechen für ein mildes SIADH. Dies sehen wir im Alter relativ häufig, oft auch nur intermittierend. Durch eine niedrigdosierte Gabe von Tolvaptan kommt es meist rasch zu einer Normalisierung des Serumnatriums. Die Startdosis sollte nicht höher als 7,5 mg liegen. Welchen Effekt die Korrektur des Serumnatriums auf den weiteren klinischen Verlauf hat, ist aktuell spekulativ. Allerdings lassen die vielfältigen negativen Auswirkungen einer Hyponatriämie bei erfolgtem Ausgleich doch positive Effekte erwarten. In unserem Fall sind ja die geriatrischen Syndrome Sturz und Verwirrtheit sowie auch die Osteoporose und das Auftreten von Frakturen mit der bestehenden Hyponatriämie zumindest assoziiert, wenn nicht sogar kausal.

Fall 3: Neues zur Pneumonie beim geriatrischen Patienten

Was ist neu?
•    Die aktuelle S3-Leitlinie zur ambulant erworbenen Pneumonie bewertet auch die Funktionalität
•    Fieber beim geriatrischen Patienten weist andere Grenzwerte auf
•    Stabilitätskriterien für das Absetzen der Antibiotikatherapie sind definiert
•    Die STIKO empfiehlt den neuen Konjugat­impfstoff PCV20 als Standardimpfung für Personen ab dem 60. Lebensjahr

Kasuistik Teil I

Hermine G., 81 Jahre, wohnt im eigenen Haushalt, ist verwitwet und durchaus selbstständig in der Lebensführung. Sie klagt über zunehmende Abgeschlagenheit und Dyspnoe. Der Enkelin fällt auf, dass die Oma neu verwirrt ist und ruft den ärztlichen Bereitschaftsdienst, der die Krankenhauseinweisung veranlasst.

Einleitung und Hintergrund

Die ambulant erworbene Pneumonie „Community Acquired Pneumonia“ (CAP) – definiert als Lungenentzündung des immunkompetenten Patienten außerhalb des Krankenhauses erworben –  ist eine der häufigsten akuten Infektionserkrankungen mit einer hohen Sterblichkeit weltweit [1]. Sie verursacht in Deutschland zwischen 3,7 und 10 Fälle pro 1.000 Einwohner und hat die höchste Sterblichkeit unter den Infektionskrankheiten [2, 3]. Über 65-Jährige erkranken viermal häufiger als jüngere und die Mortalität ist bis zu dreimal höher als bei unter 65-Jährigen.

Symptomatik und Diagnostik

Bei älteren Menschen zeigt sich eine Lungenentzündung allerdings häufig mit geringfügigem Husten und wenig Auswurf, einer erhöhten Atemfrequenz, Abgeschlagenheit, Schwäche, kaum Fieber, Gewichtsverlust und dem Delir als einzigem initialen Symptom [4]. Aufgrund der veränderten Thermoregulation im Alter ist bei Patienten mit 75 Jahren und älter bereits eine Körpertemperatur von 37,4 Grad Celsius als Fieber zu werten [5]. Laborchemisch ist das C-reaktive Protein (CRP) eines der wichtigsten Proteine, die in der Akut-Phase-Reaktion ansteigen [6]. Sensitiver ist das Procalcitonin als Marker für eine bakterielle Infektion. Der Pneumokokken-Antigentest im Urin kann durchgeführt werden, jedoch schließt ein negatives Testergebnis eine Infektion nicht sicher aus.

Zusätzlich werden nun in die Therapieentscheidung die Dekompensation einer oder mehrerer Komorbiditäten und ein eingeschränkter funktioneller Status (insbesondere Bettlägerigkeit
> 50 Prozent) als Parameter zur Risikoabschätzung herangezogen. Besser lässt sich das Risiko mit der „Klinischen Frailty Skala“ (KFS) [8] erfassen. Bei Infektionserkrankungen ist die „Frailty“ mit einem komplikativen Verlauf, einer erschwerten Rekonvaleszenz, einer Reduktion der Funktionalität und Selbsthilfefähigkeit. Dies kann zu Einschränkungen in der Alltagskompetenz und damit Lebensqualität führen [11].

Erregerspektrum

Eine Übersicht zu den häufigsten Erregern zeigt Tabelle 3. Bei Vorhandensein von Komorbiditäten kann das Erregerspektrum verändert sein, wie Tabelle 4 zeigt.


Therapie

Bei einer ambulant erworbenen Pneumonie sind die Medikamente aus der Gruppe der Beta-­Lactam-Antibiotika Mittel der ersten Wahl. Die aktuellen Empfehlungen sind in Tabelle 5 zusammengestellt.

Eine Reevaluierung nach 48 bzw. 72 Stunden der klinischen Symptome und des Krankheitsverlaufs sind unerlässlich. Die klinischen Stabilitätsparameter (siehe Tabelle 5) müssen erhoben werden. Diese Parameter können, zusammen mit labordiagnostischen Ergebnissen von CRP bzw. PCT, die bei einem Ansprechen der Therapie abfallen, zur Festlegung des Therapieendes verwendet werden [12].

Prävention

Die wirksamste Prävention zur Verhinderung der ambulant erworbenen Pneumonie ist die Impfung gegen Pneumokokken. Aktuell empfiehlt die ­STIKO als Standardimpfung gegen Pneumokokken bei Erwachsenen ab dem Alter von 60 Jahren den 20-valenten Konjugatimpfstoff PCV20.

Nicht mehr empfohlen wird für die genannte Gruppe der 23-valente Polysaccharid-Impfstoff PPSV23 sowie eine sequenzielle Impfung mit dem 13-valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoff PCV13 und PPSV23. Bereits sequenziell geimpfte Personen dieser Altersgruppe (PCV13 + PPSV23) sollen sechs Jahre nach der PPSV23-Impfung mit PCV20 geimpft werden.

Die Co-Administration von PCV20 mit einem quadrivalenten inaktivierten adjuvantierten Influenzaimpfstoff ist möglich, für den quadrivalenten Hochdosis Influenzaimpfstoff liegen noch keine Studien vor. Auch die gleichzeitige Gabe des COVID-19-Impfstoffes Comirnaty® ist möglich.

Kasuistik Teil II

In der akutgeriatrischen Klinik wurde die Diagnose einer ambulant erworbenen Pneumonie gestellt und die entsprechende Therapie begonnen. Unter kalkulierter antibiotischer Therapie besserte sich der Zustand von Hermine G. rasch und durch die begleitende geriatrische frührehabilitative Komplextherapie konnten funktionelle Defizite vermieden werden, sodass sie wieder in ihr bisheriges häusliches Umfeld entlassen werden konnte. Anschließend führte ihre Hausärztin die Pneumokokkenimpfung nach den aktuellen Empfehlungen der STIKO durch.

Fazit für die Praxis

  • Die Diagnosestellung einer Pneumonie bei geriatrischen Patienten erfordert eine hohe klinische Aufmerksamkeit.
  • Die antibiotische Therapie erfolgt in Abhängigkeit vom Schweregrad der Pneumonie und dem zu erwartenden Erregerspektrum.
  • Bei einer ambulanten oder stationären Behandlung sollte die klinische Situation nach 48 bis 72 Stunden erneut bewertet werden.
  • Entscheidend für den geriatrischen Patienten neben der antibiotischen Behandlung ist der Erhalt der Funktionalität und Lebensqualität.
  • Mit der neuen empfohlenen Pneumokokkenimpfung PCV20 kann einfach ein zuverlässiger Impfschutz erreicht werden.




Dr. Jens Trögner und Universitätsprofessor Dr. univ. Markus Gosch erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vomManuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten. Universitätsprofessor Dr. Hans Jürgen Heppner gibt Forschungsunterstützung von ThermoScience, Forschungskolleg Geriatrie der Robert-Bosch-Stiftung, Innovationsfonds des GBA; Vortragshonorare von Pfizer Pharma, Tillotts, GSK, Bayerische Landesärzte­kammer, AO Trauma Europe an.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Autoren


Dr. Jens Trögner 1


Universitätsprofessor Dr. med. univ. Markus Gosch 2


Universitätsprofessor Dr. Hans Jürgen Heppner, MHBA 3

1
Klinikum St. Marien Amberg, Klinikum für Innere Medizin III,Mariahilfbergweg 7, 92224 Amberg
2
Klinikum Nürnberg Nord, Medizinische Klinik 2/Geriatrie,Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1, 90419 Nürnberg
3
Klinik für Geriatrie und Geriatrische Tagesklinik, Klinikum Bayreuth – Medizincampus Oberfranken, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,Preuschwitzer Str. 101, 95445 Bayreuth

 

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