Neue Medizinische Fakultäten braucht das Land!

Professor Dr. Peter-André Alt und Professor Dr. Dr. h. c. Karl Max Einhäupl,

Aus dem Klinikum Augsburg wird ein Universitätsklinikum und an der Universität Augsburg wird eine Medizinische Fakultät entstehen, die sechste an Bayerns Landesuniversitäten (wir berichteten in Heft 7-8/2018). Nun sollen auch Bayreuth und Passau nachziehen und zu Universitätsklinika werden. Ein Gespräch mit Professor Dr. Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, und Professor Dr. Dr. h. c. Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité – Universitätsmedizin Berlin und ehemaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrates.

Wie bewerten Sie diese Entwicklung in Bayern?

Alt: In Anbetracht des wachsenden Ärztemangels in Deutschland und vor allem der drohenden Unterversorgung ländlicher Räume ist das eine positive und richtige Entwicklung. Allein eine solide hochschulmedizinische Qualifizierung kann die künftige Medizinerversorgung sicherstellen.
Einhäupl: Bayern verfügte bisher über fünf ausgezeichnete medizinische Fakultäten, die im Wettbewerb mit den Spitzenfakultäten der Medizin in Europa stehen. Auch in Bayern sind die finanziellen Mittel für teure medizinische Fakultäten endlich. Bayern muss sich daher überlegen, ob es viele Ausbildungsplätze für Mediziner vorhält, die mangels ausreichender Finanzierung jedoch nicht mehr in der Spitzenliga mitspielen können.

Teile der Politik, Deutsche und Bayerische Ärztetage sowie ärztlicher Verbände setzen sich seit Jahren für mehr Studienplätze für Humanmedizin ein. Aber offensichtlich nur in Bayern – außer in Nordrhein-Westfalen mit der Universität Bielefeld – mit Erfolg. Was sagen Sie dazu?

Alt: Die von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und zahlreichen Fachvertretern sehr kritisch gesehene Etablierung privater Medizinstudiengänge zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir zwar genügend Medizinerinnen und Mediziner qualifizieren, um eine angemessene Versorgungsdichte sicherzustellen, aber viele unserer Absolventinnen und Absolventen nach erfolgreichem Studium keine ärztliche Tätigkeit aufnehmen, sondern in die Industrie wechseln. Dahinter steckt unter anderem das Problem extrem familienunfreundlicher Arbeitszeiten im Klinikbereich, das wir aber kurzfristig kaum beheben können. Es ist daher aktuell sinnvoll, mehr Studienplätze für die Humanmedizin aufzubauen, um den Verlust auszugleichen, der durch den Abgang examinierter Medizinerinnen und Mediziner in die Wirtschaft entsteht.
Einhäupl: Was kann man dagegen sagen, wenn ein Land Studienplätze schafft? Da sich aber neben der Erweiterung staatlicher Studienplätze zahlreiche private Anbieter auf dem Markt niedergelassen haben, muss es erlaubt sein, zu hinterfragen, wie viele Ärzte pro Jahr in Deutschland ausgebildet werden müssen. Wir stehen nach Griechenland und Österreich auf Platz drei der Ärztedichte pro Einwohner. Diese Ärzte müssen nicht nur vom Gesundheitssystem finanziert werden, sondern verursachen ja auch weitere Folgekosten. Man kann der Gesundheitspolitik in Bund und Ländern nur raten, auf Grundlage einer Analyse klare Entscheidungen zu treffen. Die Vorstellung, man könne durch eine Erweiterung der Ärztezahlen die Probleme der ländlichen Versorgung lösen, ist falsch. Wir haben Bereiche mit einer starken Überversorgung in Ballungsgebieten gegenüber zahlreichen ländlichen Regionen, in denen es eine deutliche Unterversorgung gibt.

Laut Medienberichten soll für Passau das sogenannte „Brandenburger Modell“ angewendet werden. Wie bewerten Sie dieses Modell?

Alt: Angesichts der hohen Kosten, die ein Medizinstudienplatz verschlingt, klingt ein arbeitsteiliges Modell, das die klinische Ausbildung auf mehrere Standorte verteilt, zunächst vernünftig. Entscheidend ist jedoch die Frage, ob die Qualität einer forschungsbasierten Ausbildung auf der Grundlage der Einheit von Forschung und Lehre gewahrt bleibt. Die HRK wird sich im Rahmen einer Expertengruppe mit den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Medizinerausbildung befassen und untersuchen, ob sie im Einklang mit den Zielen des Masterplans 2020 stehen und notwendigen Qualitätsmaßstäben gerecht werden. Dabei ist zu beachten, dass die künftige Medizinausbildung von einer stärkeren vertikalen Verschränkung von Theorie und Praxis getragen sein wird, die auch an die Lehrkrankenhäuser entsprechend höhere Anforderungen stellt.
Einhäupl: Nun entstehen ja jährlich neue Initiativen und Verbünde, die strukturpolitisch getrieben sind und nicht wissenschafts- oder gesundheitspolitisch. Ärztliche Qualifikation kann sich nicht auf Teilgebiete, wie etwa Versorgungsmedizin beschränken, solange die Approbation Ärztinnen und Ärzte berechtigt, ihren Beruf uneingeschränkt auszuüben. Im Sinne der Qualitätssicherung mache ich mir da schon Sorgen.

Am Medizin-Campus in Bayreuth sollen künftig 400 Medizinstudenten nach Beenden ihres Physikums im vierten Semester (Vorklinik an der Universität Erlangen) die Möglichkeit haben, dort ein gesamtes Medizinstudium zu absolvieren. Ist das der richtige Weg?

Alt: Auch hier gilt, dass Arbeitsteilung sinnvoll sein kann. Gute Betreuungsrelationen sind für den Studienerfolg in der Medizin wichtig. Wenn Universitätsklinika in der Lehre an Kapazitätsgrenzen stoßen, kann eine stärkere institutionelle Kooperation in der Ausbildung erwogen werden. Allerdings gilt auch hier, dass die geplante Theorie-Praxis-Verschränkung bereits mit Beginn des Studiums neue Anforderungen an die institutionelle Zusammenarbeit innerhalb des Studiums stellt.
Einhäupl: Das ist eine weitere Variante neuer Ausbildungsmodelle. Solange die Fakultät in Erlangen die Qualitätssicherung verantwortet, auch für den klinischen Teil, ist es vorstellbar. Die Lehrenden dieser Versorgungskliniken, die ja die klinische Ausbildung tragen, sind aber nicht nach ihrer wissenschaftlichen Qualifikation ausgesucht. Soll das jetzt bedeuten, dass Ärzteausbildung grundsätzlich an jedem Krankenhaus möglich ist?

Wie steht es um die Vorgabe der Approbationsordnung, die Studenten in Kleingruppen am Patienten auszubilden?

Einhäupl: Kleingruppen-Unterricht ist wichtig, vor allem wo es darum geht, Fertigkeiten zu erlernen oder interaktive Lehrmethoden anzuwenden. Er ist aber auch teuer und erfordert viele, didaktisch begabte und ausgebildete Lehrende. Man kann nicht einfach den jüngsten Assistenten in den Gruppenunterricht schicken.

Wie verhält es sich mit dem „Patientengut“? Können die oben genannten Kliniken in Zeiten der DRG-Abrechnung geeignete Fälle für die Ausbildung sicherstellen?

Alt: Das sicherzustellen bleibt Sache der Sitzländer. Im Übrigen hat der Wissenschaftsrat 2014 Grundsätzliches zu den erforderlichen Ressourcen und Rahmenbedingungen für ein Medizinstudium gesagt – von den hier angegebenen Standards sollte man nicht abweichen.
Einhäupl: Unser Gesundheitssystem basiert bewusst auf einem gestuften Versorgungsauftrag, in dem Uni-Kliniken besonders Patienten mit schweren und komplexen Krankheitsbildern behandeln sollen und dafür auch teurere Vorhaltungen bereitstellen müssen. Hinzu kommt, dass sie für die Lehre eine zusätzliche Personalausstattung haben. Es ist seit 200 Jahren ein Exportschlager der deutschen Universitäten, diese Lehre aus der Forschung heraus zu entwickeln. Wenn die Ausbildung zukünftig in Versorgungskliniken erfolgt, wird das Einfluss auf die Ausbildungsqualität haben, sowohl durch ein engeres Spektrum an Krankheitsbildern als auch durch eine andere Qualifikation der Lehrenden. Es wird eine andere Ausbildung sein.

Und in puncto Forschung: Sehen Sie die Kliniken hier genügend gut aufgestellt?

Alt: Im Grundsatz gilt, wie der Wissenschaftsrat 2014 ausgeführt hat: Für künftige Ärztinnen und Ärzte ist die Einübung wissenschaftlichen Denkens unabdingbar, weil es die Grundlage evidenzbasierter Entscheidungen in Diagnostik und Therapie darstellt. Aus diesem Grund ist die aktive Forschung unverzichtbare Bedingung dafür, dass eine Klinik sich als universitäre Lehrklinik eignet.
Einhäupl: In nahezu all diesen medizinischen Hochschulen „neuen Typs“ findet relevante Forschung nicht wirklich statt. Der ärztliche Beruf ist aber ein wissenschaftsbasierter, nicht nur wissensbasierter Beruf. Ein Absolvent muss sich nach Verlassen der Universität noch 40 Jahre oder länger in einem sich ständig erneuernden Medizinsystem orientieren und Innovationen bewerten können. Dazu benötigt er eine wissenschaftliche Grundausbildung.

Schließlich: Ein neues EU-Studienmodell EDU für Humanmedizin wurde genehmigt (Intensive fachpraktische Ausbildung in regionalen Lehrkrankenhäusern in Kombination mit digitalen Lernformaten). Ist das der künftige Weg?

Alt: Digitale Lernformate sind angemessen, insofern sie einen Teil der heutigen medizinischen Praxis bei der Auswertung erhobener Daten und bei der Diagnostik spiegelt. Sie dürfen aber nicht zu Lasten der Ausbildung am Patienten gehen, ohne die unverzichtbare Qualifikationen für das spätere ärztliche Handeln nicht erworben werden können.

Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dagmar Nedbal (BLÄK)

 

 

 

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