Organspende in Bayern – was hat sich verändert, wo wollen wir hin?

Steigerung der Kontaktaufnahmen durch vertrauensvolle Zusammenarbeit

2018 war die Zahl der Organspender in Bayern – entgegen des bundesweiten Trends – leicht rückläufig. Wichtiger, als Zeichen der Zusammenarbeit zwischen den Ärztinnen und Ärzten in den Krankenhäusern und der Koordinierungsstelle, ist allerdings eine andere Zahl: die Anzahl der Kontaktaufnahmen durch die Krankenhäuser. Diese ist erfreulicherweise 2018 deutlich angestiegen. Auch im ersten Halbjahr 2019 setzte sich dieser positive Trend weiter fort (Diagramm 1).

Ob es dann zu einer realisierten Organspende kommt, liegt an vielen Faktoren, vor allem der medizinischen Eignung und der Zustimmung durch den potenziellen Spender oder die Angehörigen. Diese positive Entwicklung führen wir auf verschiedene Faktoren zurück. Der wichtigste Faktor ist das Engagement der Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken, die den Kontakt zur Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) aufnehmen. Trotz der immer höheren Arbeitsverdichtung in den Kliniken, kontaktieren sie die DSO immer häufiger – auch für eine erste Beratung. In kollegialer Zusammenarbeit werden die klinische Eignung des möglichen Spenders und die weiteren Unterstützungsangebote der DSO besprochen. Diese reichen von der Vermittlung eines neurologischen Konsiliardienstes bis zur Unterstützung des Koordinators beim Angehörigengespräch.

Durch diese Kontakte können vermehrt Unsicherheiten und Ängste bei den Ärztinnen und Ärzten abgebaut werden. Die benannten Transplantationsbeauftragten der Kliniken sollten zudem das Curriculum „Transplantationsbeauftragter Arzt“ besuchen, das regelmäßig von der DSO-Bayern zusammen mit der Bayerischen Landesärztekammer durchführt wird. In dem Curriculum werden im Teil A spezielle Themen zu den einzelnen Abläufen im Organspendeprozess von Expertinnen und Experten aus den einzelnen Bereichen behandelt. Die Offenheit der Transplantationsbeauftragten zeigt sich an den regen Diskussionen, aber auch ganz besonders an der aktiven Teilnahme in den Workshops. Auch in dem eintägigen Seminar zur Angehörigenbegleitung (Teil B) findet ein reger Austausch zwischen den Seminarteilnehmenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der DSO und weiteren Beteiligten statt. Durch regelmäßige Fortbildungen in den Kliniken, die oftmals gemeinsam mit den Transplantationsbeauftragten durchgeführt wurden, konnten weitere Klinikmitarbeitende geschult werden. Die Aufklärungs­arbeit in den Krankenhäusern und die Erarbeitung von Prozessabläufen (Standard Operating Procedures, kurz: SOPs) sollen Unsicherheiten im Organspendeprozess nehmen.

Das neue Gesetz bringt die Organspende auf einen guten Weg

Ein deutliches Zeichen hat in diesem Jahr auch die Politik gesetzt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Strukturen in den Krankenhäusern deutlich verbessern soll. Das Gesetz trat am 1. April dieses Jahres in Kraft und setzt genau an den Schwachpunkten an, die gemeinsam mit den Kliniken als Hürden im Prozess der Organspende identifiziert wurden. Die Regelung der Freistellung der Transplantationsbeauftragten wurde dabei weitestgehend aus dem im Januar 2017 verabschiedeten Bayerischen Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz übernommen. Die Kliniken müssen die Transplantationsbeauftragten in einem Umfang freistellen, der sich nach der Anzahl der Intensivbetten richtet (0,1 Stellen pro zehn Intensivbetten). Anders als im Bayerischen Ausführungsgesetz ist im Bundesgesetz eine vollständige Refinanzierung durch die Krankenkassen normiert. Zu den weiteren Änderungen gehören unter anderem verbesserte und verbindliche Rahmenbedingungen für die Arbeit der Transplantationsbeauftragten, eine aufwandsgerechte Vergütung der Entnahmekrankenhäuser, die Einrichtung eines bundesweiten Konsiliardienstes für die Feststellung des Hirntodes sowie Verbesserungsmaßnahmen zur Spendererkennung (Qualitätssicherung). Erstmals ist in dem neuen Gesetz auch die Angehörigenbetreuung als wichtiges Anliegen bei der Organspende verankert. Dadurch verleiht der Gesetzgeber der Wertschätzung der Angehörigen von Organspendern Ausdruck.

Debatte um die Widerspruchs­lösung

Nach dem Tiefstand 2017 haben sich zwar 2018 die Zahlen der Organspenden leicht erhöht, jedoch reicht die Anzahl bei Weitem nicht aus, um den Bedarf an Spenderorganen für die ca. 9.400 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste zu decken. Bundesminister Spahn hat daher – als zweiten wichtigen Baustein zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation der Wartelistenpatienten – die Einführung der Widerspruchslösung, wie sie inzwischen in den meisten europäischen Ländern gilt, gefordert. Nach dem fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf gilt jede Person als Organspender, sofern kein erklärter Widerspruch vorliegt. Wenn der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist, sollen die Angehörigen weiterhin befragt werden, aber nicht mehr nach ihrer persönlichen Meinung, sondern danach, ob ein entgegenstehender Wille des potenziellen Spenders bekannt ist. Die Widerspruchsregelung soll nicht für Personen gelten, die nicht in der Lage sind, die Tragweite einer solchen Entscheidung zu erkennen. Inwieweit diese Regelung die Organspende positiv beeinflusst, kann nicht wirklich beantwortet werden.

Abseits von üblichen Argumenten für die Widerspruchslösung, wie beispielsweise höheren Organspenderaten, möchten wir hier einige Punkte nennen, die uns wichtig erscheinen, in der Diskussion aber selten genannt werden:

» Wenn Transplantationsbeauftragte davon ausgehen können, dass die Organspende der Normalfall und nicht die Ausnahme ist, muss vor einer Therapiebegrenzung oder -limitierung die Einstellung des Patienten zur Organspende eruiert werden, gegebenenfalls im Gespräch mit den Angehörigen. Zur Unterstützung hat die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung der Intensivmediziner (DIVI) eine aktuelle Stellungnahme zur Entscheidungshilfe zur Organspende bei erweitertem intensivmedizinischen Handlungsbedarf verfasst (https://www.divi.de/images/Dokumente/Pressemeldungen/190417-divi-entscheidungshilfe-bei-erweitertem-intensivmedizinischem-behandlungsbedarf-auf-dem-weg-zur-organspende.pdf).

» Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sprechen sich für Organspende und Transplantationsmedizin aus, mehr als 90 Prozent würden für sich selbst ein Organ akzeptieren. Zusätzlich sprach sich die Mehrheit der befragten Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen Umfragen für die Widerspruchslösung aus. Somit würde die Einführung der Widerspruchslösung den Willen der Bevölkerung widerspiegeln.» Das wichtigste Argument aus unserer Sicht und persönlicher Erfahrung ist, dass die Widerspruchslösung zu einer Entlastung der Angehörigen führt: Der aktuelle Entwurf von Spahn sieht vor, dass alle Menschen nach Information und mehrfacher Aufforderung eine Entscheidung treffen und dokumentieren. Dadurch würden mehr Menschen für sich selbst eine Entscheidung treffen und diese den Angehörigen abnehmen. Die Angehörigen würden somit entlastet, denn sie sind im Falle einer potenziellen Organspende maximal überfordert. Entscheiden sich die Angehörigen für oder gegen eine Organspende, ist das weitere Vorgehen klar. Treffen sie jedoch keine aktive Entscheidung, werden keine Organe entnommen, was einer Entscheidung letztlich gleichkommt – und zwar gegen eine Organspende!» Den Argumenten, dass man Menschen nicht zwingen kann, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, sei entgegnet, dass unsere Solidargemeinschaft davon lebt, dass sich Menschen für ihre Mitmenschen einsetzen – gerade auch für Schwächere und Kränkere. Dieser Gedanke sei eine der wichtigsten Errungenschaften unserer modernen Kultur – so lautete auch der Tenor auf der diesjährigen 19. Jahrestagung für Transplantationsbeauftragte, die am 10. Juli 2019 im Bayerischen Landtag stattfand. Dort wurde zur Veranschaulichung des Solidargedankens eine Parallele zur Situation der Flüchtlinge gezogen: Wir sollten als Gesellschaft ebenso wenig zulassen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil ihnen Hilfe verweigert wird, wie wir Menschen sterben lassen sollten, die auf ein Organ warten und keines bekommen, weil die Bereitschaft der Menschen zur Auseinandersetzung mit dem Thema fehlt. Daher kann man nicht nur, sondern sollte sogar fordern, dass sich Menschen mit dem Thema auseinandersetzen.

Angehörigenbegleitung in Bayern

Die Angehörigenbegleitung ist auch den Mitarbeitenden der Region Bayern eine Herzensangelegenheit. In den Gesprächen zur Entscheidung für oder gegen eine Organspende werden die Angehörigen auch gefragt, ob sie weiterhin Kontakt zur DSO wünschen. Ist das der Wunsch, erhalten sie dann einen Dankesbrief mit Informationen zu den Ergebnissen der Transplantation und eine Einladung zu Angehörigentreffen.

Die DSO erkundigt sich wenige Wochen nach der Organspende in den Transplantationszentren wie es den Empfängern nach der Transplantation geht. Der Koordinator oder die Koordinatorin, welche die Familie während der Organspende betreut hat, vermittelt diese Informationen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen in einem Brief, der den Angehörigen nach ca. acht bis zehn Wochen geschickt wird. Ange­hörige berichten uns, dass diese Informationen zu den Organempfängern ihnen in dieser schweren Zeit, aber auch manchmal noch Jahre später, sehr viel Trost spenden.

Seit 2005 haben allein in Bayern fast vierzig Treffen für Angehörige von Organspendern stattgefunden. Es gibt spezielle Treffen, die sich an Angehörige richten, die zum ersten Mal an einem Treffen teilnehmen. Die Angehörigen erhalten bei diesen Treffen allgemeine Informationen zur Organspende sowie Transplantation und können mit Gleichgesinnten ins Gespräch kommen. Die Treffen werden stets durch eine Psychologin mitbetreut.

Darüber hinaus bieten wir auch Treffen für Mehrfachteilnehmende an. Auch diese werden sehr gut angenommen. Dort steht der Austausch untereinander und mit transplantierten Patienten im Vordergrund. In den Gesprächen berichten uns die Angehörigen, dass ihnen ganz besonders dieser Austausch bei der Bewältigung ihrer Trauer hilft. Sie können aus eigener Erfahrung darüber berichten, dass der Ablauf der Organspende von einem respektvollen und pietätvollen Umgang mit ihnen und ihrem Verstorbenen geprägt war. Aus diesen Treffen treten inzwischen immer mehr Angehörige, wie zum Beispiel Heiner Röschert, in die Öffentlichkeit, um sich für die Organspende einzusetzen. Für dieses Engagement hat ihn das Gesundheitsministerium auf der diesjährigen Jahrestagung der Transplantationsbeauftragten ausgezeichnet.

Seit der Gesetzesänderung zum 1. April 2019 dürfen – entsprechend der rechtlichen Vorgaben – wieder Briefe von den transplantierten Patienten an die Familie des Organspenders weitergeleitet werden, sofern diese ihr Einverständnis gegeben haben. Der schriftliche Dank der Empfänger und das Wissen, dass anderen Menschen durch die Organspende geholfen werden konnte, geben den Angehörigen der Verstorbenen oftmals Trost (Diagramm 2).

Resümee und Ausblick

Der Gesetzgeber hat gute strukturelle Rahmenbedingungen geschaffen, um zukünftig mehr Organspenden zu ermöglichen. Allerdings wird es vermutlich einige Zeit dauern, bis die Maßnahmen des Gesetzes ihre Wirkung voll entfalten und zu einem stabilen Aufwärtstrend der Organspende führen können. Ein Gesetz ist nur so gut, wie es von den Verantwortlichen umgesetzt wird. Daher liegt die Verpflichtung bei allen, die in diesem Bereich arbeiten und hier vor allem bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Krankenhäusern.
Wir als DSO Bayern werden uns auch weiterhin offen und kritisch mit dem Thema auseinandersetzen und vor allem die Transplantationsbeauftragten unterstützen.
Ob die Widerspruchslösung gesetzlich verankert wird und ob sie in einem nächsten Schritt zu höheren Organspenderaten führt, bleibt abzuwarten.

Autoren


Dr. Dipl.-Biol. Thomas Breidenbach
Geschäftsführender Arzt


Nicole Erbe
Koordinatorin

Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), Region Bayern, Lena-Christ-Straße 44, 82152 Martinsried, Tel. 069 677328-4004, Fax 069 677328-4088, E-Mail: bayern(at)dso.de, Internet: www.dso.de

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