2016 konnten den Intensivstationen der neu überarbeitete Leitfaden für die Organspende übergeben werden. Die Arbeitsschritte im Rahmen einer Organspende und deren Voraussetzungen können damit schnell rekapituliert werden und ermöglichen eine schnelle Übersicht über den gesamten Prozess. Der Organspendeprozess wurde kapitelweise in Flussdiagrammen visualisiert.
Organspende – Neue Erkenntnisse fordern ein Umdenken
Nach dem starken Einbruch der Organspendezahlen in den Jahren 2012 und 2013 scheint sich die Organspende in Deutschland nun auf deutlich niedrigerem Niveau zu stabilisieren (rund 870 Organspenden pro Jahr; Durchschnitt der Jahre 2013 bis 2016). In den Jahren vor dem Rückgang lag das Niveau der Zahlen bei 1.200 Organspenden pro Jahr. In Bayern pendelte sich die Zahl der Organspender seit 2013 auf etwa 120 postmortale Organspenden pro Jahr ein (Abbildung 1).
Abbildung 1: Jahresbericht 2016 der Deutschen Stiftung Organtransplantation
Der dramatische Einbruch der Organspendezahlen begann mit den bekanntgewordenen Manipulationen von Wartelistendaten in einigen Transplantationszentren. Das Vertrauen in der Bevölkerung im Hinblick auf eine ordnungsgemäße und geregelte Durchführung von Organspenden, Organvermittlung und Transplantationen wurde zeitweise sicherlich erschüttert. Doch der Vertrauensverlust der Bevölkerung kann den starken Rückgang der Organspendezahlen nur unzureichend erklären; vielmehr führte der Vertrauensverlust beim medizinischen Personal zu einer geringeren Meldung an potenziellen Organspendern an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO).
Positive Einstellung der Bevölkerung zur Organspende
In regelmäßig durchgeführten Befragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Thema Organspende zeigte sich, dass die Bevölkerung nach wie vor eine äußerst positive Einstellung zur Organspende hat (passive Akzeptanz 2013: 78 Prozent, 2014: 80 Prozent, 2016: 81 Prozent). Auch die Bereitschaft, selbst Organe zu spenden, blieb relativ hoch und ist über die Jahre hinweg sogar gestiegen (2008: 67 Prozent, 2010: 74 Prozent, 2013: 68 Prozent, 2014: 71 Prozent) (Abbildung 2).
Abbildung 2: Akzeptanz der Organ- und Gewebespende – Zeitvergleich.
Vertrauensverlust beim medizinischen Personal
Im Zeitraum von Mai bis Juni 2013 erhob die DSO-Region Bayern in Zusammenarbeit mit den Universitätskliniken Erlangen, Regensburg, München-Großhadern und dem Krankenhaus Neumarkt mittels einer anonym durchgeführten Befragung Daten zur Einstellung von potenziell am Spendeprozess beteiligten Ärzten und Pflegekräften in Bayern zur Organspende und -transplantation. Die Ergebnisse dieser weltweit größten Umfrage zu diesem Themenkomplex wurde in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift publiziert [Dtsch. Med. Wochenschr. 2014; 139: 1289-1295].
28 Prozent der Befragten erklärten, dass die Wartelistendaten-Manipulationen ihre Einstellung negativ beeinflusst habe. Nur 69 Prozent der Ärzte und 52 Prozent der befragten Pflegenden würden sich im Falle eines Organversagens selbst eine Transplantation wünschen. Pflegekräfte waren gegenüber der Organspende und Transplantationsmedizin deutlich kritischer eingestellt als Ärzte. Nur 66 Prozent der Pflegekräfte würden im Falle ihres Todes, wenn möglich, Organe spenden. Abläufe in der Spendererkennung im Krankenhaus bewerteten 73 Prozent der Ärzte und nur 66 Prozent der Pflegenden als gut (Abbildungen 3a bis 3c).
Diese besorgniserregenden Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die Manipulationen auch und vor allem beim medizinischen Personal Vertrauen zerstört haben. Ein positives Ergebnis ist, dass sich die Mehrheit des Klinikpersonals Fortbildungen im Bereich der Organspende wünscht.
Zusätzlich beobachten die Mitarbeiter der DSO bei ihrer Arbeit in den Krankenhäusern in den vergangenen Jahren eine enorme Arbeitsverdichtung bei zunehmendem Personalmangel auf den Intensivstationen. Auch im Bereich der Organspende hinterlässt die zunehmende Ökonomisierung der Medizin daher ihre Spuren. In den Krankenhäusern, in denen sich vor allem Einzelpersonen mit großem Engagement dem Thema Organspende widmen, werden Spenden weiterhin unverändert realisiert. In vielen anderen Kliniken werden potenzielle Organspender – aus verschiedensten Gründen – aber oftmals nicht gemeldet. In der täglichen Arbeit der DSO wird dies immer wieder deutlich, wenn zum Beispiel Klinikangestellte ihre Positionen wechseln. So wurden zum Beispiel in der Vergangenheit nach Neubesetzung des Amtes des Transplantationsbeauftragten in Kliniken in Bayern sowohl deutliche Steigerungen als auch Einbrüche der Organspenderzahlen festgestellt.
Zusätzlich belastend kommt hinzu, dass sich die Prozesszeiten der Durchführung einer Organspende vorwiegend aus medizinischen Gründen (durchschnittlich höheres Alter von Organspendern) über die Jahre kontinuierlich verlängert haben. Zum bestmöglichen Empfängerschutz werden zunehmend mehr Untersuchungen notwendig (zum Beispiel Herzkatheteruntersuchung).
Mit der Überarbeitung der „Richtlinie zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms“ im Jahr 2015 haben sich zusätzlich dazu auch die Anforderungen für die Untersucher und mit ihnen die Dauer der Diagnostik erhöht.
Priorisierte Maßnahmen der DSO
Verstärkte Einbindung des Pflegepersonals
Wie aus der Umfrage zu entnehmen ist, besteht der Wunsch nach Fortbildungen besonders auch bei den Pflegenden. Dieser Aufgabe haben wir uns im vergangenen Jahr verstärkt gewidmet. Die sehr positive Resonanz bestärkt uns darin, dies auch in Zukunft bei gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen mit den hauptverantwortlichen Partnern im Bereich der Organspende (Bayerische Landesärztekammer, Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, Bayerische Krankenhausgesellschaft) zu tun.
In einigen bayerischen Krankenhäusern wurden inzwischen zusätzlich zu den vom Gesetz geforderten ärztlichen Transplantationsbeauftragten auch pflegerische Transplantationsbeauftragte benannt, die sich in enger Kooperation mit ihren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen sowie der DSO um die Belange der Organspende in ihrem Haus und besonders in ihrer Berufsgruppe kümmern. Auch arbeiten wir verstärkt daran, dieses wichtige Thema bei Pflegekongressen zu etablieren.
Erweiterung der Zufriedenheitsbefragung
Nach einer Organspende wird in Bayern seit 2003 die/der Transplantationsbeauftragte des Hauses, oder ein/e an der Spende beteiligte/r Ärztin/Arzt angerufen, um eine zeitnahe Rückmeldung zu den erfolgten Transplantationen zu geben und zu erfahren, ob es aus Sicht des Krankenhauses Probleme bei der Organspende gab. Aufgetretene Konflikte können dabei direkt besprochen werden, Fragen werden beantwortet und Wünsche gehört. Die individuellen Bedürfnisse eines Krankenhauses im Organspendeprozess werden auf diese Weise in Erfahrung gebracht. Der Akutprozess kann dann durch maßgeschneiderte Unterstützungsangebote reibungslos gestaltet werden. Die Krankenhäuser werden damit in die Lage versetzt, niedrigschwellig eine Organspende zu realisieren. Probleme und Konflikte können zeitnah erkannt und gelöst werden. Dies hat die DSO-Region Bayern auch wissenschaftlich evaluiert und auf Kongressen vorgestellt (2012 ETCO, 2012 TTS, 2013 ESOT). Darauf aufbauend wurde dieses Vorgehen 2015 deutschlandweit übernommen.
Auch in diesem Bereich haben wir unsere Befragung auf die Pflegenden erweitert. Seit April 2016 rufen wir zusätzlich nach jeder Spende die Leitungen der Pflege auf der Station an. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, auch die Meinung dieser Berufsgruppe zu hören, die oftmals intensiveren Kontakt zu den potenziellen Organspendern und deren Angehörigen hat. Die Anruferin der DSO-Region Bayern gibt bei den Gesprächen zeitnah Rückmeldung zur Organspende sowie zu den daraus resultierten Transplantationen und macht damit die Sinnhaftigkeit und den Nutzen der Arbeit im Rahmen einer Organspende deutlich. Auch bei diesen Anrufen wird Raum gegeben, um mögliche Konflikte aufzudecken, Fragen zu stellen oder Wünsche zu äußern. Für uns erweist sich diese Erweiterung der telefonischen Zufriedenheitsbefragung auf die Pflege schon jetzt als die logische und richtige Weiterentwicklung des Tools zur Stärkung der Bindung zu den Krankenhäusern, zur Verbesserung der Zufriedenheit der Krankenhäuser und zur Optimierung des Organspendeprozesses.
E-Learning-Plattform der DSO
Um Beteiligte an Organspenden auch in Zeiten der Arbeitsverdichtung optimal zu unterstützen, wurde im Lauf der vergangenen Jahre ein Online-Weiterbildungsprogramm zum Thema Organspende entwickelt. Es bietet für Transplantationsbeauftragte, interessierte Ärzte und Pflegekräfte die Möglichkeit, individuelle Fachkenntnisse zu erlangen, zu aktualisieren oder zu vertiefen. Die Weiterbildung ist orts- und zeitunabhängig möglich. Neben dem Erlangen von praktischen Grundlagen kann in zwei interaktiven Organspendefällen an virtuellen Organspendern das Wissen zur Organspende vertieft, erweitert und geprüft werden. Anhand sich ändernder medizinischer Parameter müssen Therapieentscheidungen getroffen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Spenderbeurteilung eingeleitet werden. Das E-Learning-Programm der DSO wurde aufgrund seiner engen inhaltlichen Anlehnung an das „Curriculum Transplantationsbeauftragter Arzt“ der Bundesärztekammer bereits von fünf Landesärztekammern in die jeweiligen Ausbildungsprogramme für das Jahr 2016 aufgenommen. Weitere Landesärztekammern haben ihr Interesse signalisiert. Darüber hinaus ist eine Zertifizierung durch die Landesärztekammer Hessen sowie die Registrierung beruflich Pflegender (RbP) GmbH in Vorbereitung, um allen Interessierten die Möglichkeit zu bieten, Fortbildungspunkte (CME-Punkte für Ärzte und RbP-Punkte für beruflich Pflegende) zu erwerben.
Leitfaden für die Organspende
Fazit
Da die Hauptursache für den Rückgang der Organspenden dem Vertrauensverlust und der zunehmenden Arbeitsverdichtung in den Krankenhäusern geschuldet ist, entwickelt die DSO immer wieder neue Ideen und Konzepte, um die Zusammenarbeit mit allen Berufsgruppen im Krankenhaus zu optimieren.
Ziel ist es, dass die Frage nach einer Organspende eine Selbstverständlichkeit für das medizinische Personal auf der Intensivstation wird, denn nur so kann ein möglicher Patientenwille umgesetzt werden.
Organspende kann mit Unterstützung der DSO – trotz Arbeitsverdichtung – ethisch verantwortungsvoll umgesetzt werden. Hierzu bedarf es der Überzeugung aller Beteiligten, dass auch die Organspende zu den Aufgaben der Mitarbeiter eines Krankenhauses gehört. Sie soll idealerweise mit einem positiven Gefühl belegt sein. Auch wenn man den Erfolg der Arbeit – den Patienten, der mit dem gespendeten Organ eine neue Lebenschance geschenkt bekommen hat – selten unmittelbar zu sehen bekommt.
24-Stunden-Rufnummer für Spendermeldungen: 0800 376 366 67
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