Revolutionäre Evolutionäre
Zur Auftaktveranstaltung des 75. Bayerischen Ärztetages (BÄT) in Schweinfurt stellte Professor Dr. Klaus Hurrelmann den 250 Delegierten und Gästen im Konferenzzentrum in Schweinfurt seine Generationenstudien vor. Alle 15 Jahre seien Gesellschaften maßgeblichen Veränderungen unterworfen, die nachfolgende Generationen entscheidend prägten. Von der nachwachsenden ärztlichen Generation, der Generation Y, sprach er als revolutionäre Evolutionäre. Musikalisch begleitet wurde die Auftaktveranstaltung im Konferenzzentrum Maininsel Schweinfurt vom Main Brass Quintett, das beim Publikum hervorragend ankam.
Die erste Reihe der Auftaktveranstaltung des 75. Bayerischen Ärztetages in Schweinfurt.
Dr. Max Kaplan, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), stimmte zunächst auf den kommenden 75. BÄT ein: So halte der Gesetzgeber einige Gesetzentwürfe bereit, mit denen sich auch die Ärzteschaft auseinandersetzen müsste: Mit dem Anti-Korruptionsgesetz, dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, dem Dritten Pflegestärkungsgesetz und dem E-Health-Gesetz seien wichtige gesundheitspolitische Neuerungen in der Pipeline. Mit Verweis auf den Gastredner des Abends, Professor Dr. Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance, sprach Kaplan von einer Grundlage für das gesellschaftliche und politische Handeln, die Jugendforscher Hurrelmann der Ärzteschaft mit seiner Keynote auf den Weg geben werde. Die Darstellungen des Jugendforschers über junge Menschen in Deutschland seien gesellschaftsrelevant für die Ärztinnen und Ärzte von morgen, die Patientenversorgung und für die ärztliche Selbstverwaltung.
Das Main Brass Quintett spielte unter anderem Stücke von Henry Purcell, Richard Roblee und Lew Pollack.
Der Oberbürgermeister der Stadt Schweinfurt, Sebastian Remelé (CSU), berichtete über Schweinfurt als die Gründungsstadt der Leo-poldina, einer naturwissenschaftlich-medizinischen Akademie, die von vier Ärzten im Jahr 1652 gegründet wurde. Bis heute habe die Leopoldina auch die Gesundheitsversorgung geprägt – ein gleichnamiges Krankenhaus der Schwerpunktversorgung mit einem ambulanten Operationszentrum, einem medizinischen Versorgungszentrum und einer Tagesklinik für Schmerztherapie stärkten Schweinfurt als Gesundheitsstandort. Mit dem Krankenhaus St. Josef, einer Klinik in konfessioneller Trägerschaft, sichere Schweinfurt 870 Beschäftigten ihren Arbeitsplatz und der Region eine hohe medizinische Versorgungsdichte.
Sebastian Remelé, Oberbürgermeister von Schweinfurt, lobte die hohe medizinische Versorgungsdichte der Stadt.
Junge Ärzte und ihre Alternativen
Die Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, Melanie Huml (CSU), nahm in ihrem Grußwort die Ansprüche der nachwachsenden Ärztegeneration in den Fokus. „Ein Drittel der Hausärzte in Bayern ist heute 60 Jahre oder älter und viele Medizinerinnen und Mediziner scheuen die eigene Praxisniederlassung“, so Huml. Hier müssten dringend Modelle entwickelt werden, um die vielen Medizinstudenten, die ausgebildet würden, auch für die medizinische Versorgung zu gewinnen. „Wenn wir den medizinischen Nachwuchs für die Versorgung der Menschen in Bayern gewinnen wollen, müssen wir uns damit auseinandersetzen, welche Vorstellungen er hat“, betonte Huml. Konkret ginge es darum, analog des Mottos des 75. Bayerischen Ärztetages, zu analysieren, wie die junge Generation tickt. Ärztemangel sei ein Thema, das auch die Staatsministerin seit Jahren beschäftigt. Sie sprach hier von Verteilungsproblemen, die deutlich erkennen ließen, wie die junge Generation denke. Ungleichgewichten in der Versorgung zwischen attraktiven Stadtvierteln und dünn besiedelten ländlichen Regionen, könne man nur begegnen, wenn die Rahmenbedingungen hierfür geschaffen würden. Einfluss auf die Nachwuchsproblematik habe auch der anhaltende Trend zum Spezialisten. Nur etwa 10 Prozent der Ärzte in Weiterbildung absolvierten diese in einem Fach, das in eine hausärztliche Tätigkeit mündet.
Politische Prominenz: Steffen Vogel, MdL (CSU), Sabine Dittmar, MdB (SPD), Christine Bender (CSU), stellvertretende Landrätin, Dr. Heidemarie Lux, Vizepräsidentin der BLÄK, Melanie Huml (CSU), Bayerische Gesundheitsministerin, Dr. Max Kaplan, BLÄK-Präsident, Dr. Wolfgang Rechl, Vizepräsident der BLÄK, Sebastian Remelé (CSU), Oberbürgermeister der Stadt Schweinfurt (v. li.) auf der Auftaktveranstaltung des Bayerischen Ärztetages in Schweinfurt.
Drei Säulen der Förderung
Huml verwies hier auf die seit einigen Jahren aufgelegten Förderprogramme, die junge Mediziner ermutigen sollen, sich auf ein Leben auf dem Land einzulassen. „Durch unsere Niederlassungsförderung helfen wir, die Angst vor dem finanziellen Risiko zu überwinden“, sagte die Ministerin und erläuterte die drei Säulen des Förderprogramms. Bislang gebe es 285 Niederlassungen und Filialbildungen, die mit bis zu 60.000 Euro gefördert würden. Mit dem Stipendienprogramm werden außerdem Medizinstudierende unterstützt, die bereit sind, ihre Weiterbildung auf dem Land zu absolvieren und anschließend dort weitere fünf Jahre lang tätig zu sein. „Als dritte Säule fördert das Ministerium innovative medizinische Versorgungskonzepte, aktuell sind es 14.“ Für den Doppelhaushalt 2015/2016 kündigte Huml weitere 11,7 Millionen Euro an, um den ländlichen Raum zu stärken.
Allgemeinmedizin stärken
Die Ministerin sprach auch über die Bedeutung der Stärkung der Allgemeinmedizin. Sie forderte die Verankerung eines Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an jeder medizinischen Fakultät in Bayern. Gleiches gelte auch für das Praktische Jahr. „Das Fach Allgemeinmedizin müsse hier mehr Zuspruch als bisher erfahren“, sagte Huml. Sie lobte das gemeinsame Konzept mit der BLÄK, wonach die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin weiterhin finanziell unterstützt werden solle. Doch nicht nur in Bayern, auch bundesweit gebe es Stellschrauben, an denen gedreht werden müsse, so Huml und verwies auf den Masterplan Medizinstudium 2020. Neben mehr Studienplätzen für Medizinstudenten müssten vor allem die Zulassungskriterien für den Zugang zum Medizinstudium überdacht werden. Uneins mit der BLÄK zeigte sich Huml in Sachen Landarztquote: Diese sei eine echte Chance, mehr Ärzte aufs Land zu bringen.
Seismograf Generation Y
Den Vergleich mit einem in der Geophysik verwendeten Gerät, einem Seismografen, der dazu dient, den inneren Aufbau der Erde zu erforschen, indem er seismische Wellen in Festkörpern misst, zog der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler Klaus Hurrelmann. „Junge Menschen schauen intuitiv in die Zukunft. Sie sind wie Seismografen und sagen uns, wie es weitergeht.“ Hurrelmann unterstrich damit den Stellenwert der heutigen jungen Generation. Wie aber tickt diese junge Generation? Um Antwort darauf zu geben, unternahm Hurrelmann einen Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte seit Kriegsende. Wie die Generationenforschung zeige, unterlägen Gesellschaften ca. alle 15 Jahre wirtschaftlichen, technischen, sozialen und politischen Veränderungen, die die Menschen prägen. In der Konsequenz nähmen sie ähnliche Züge an und entwickeln sich analog zu den gesellschaftlichen Veränderungen.
Professor Dr. Klaus Hurrelmann begeisterte die Zuhörer mit seiner Keynote.
Nachkriegszeit und Babyboomer
Mit Rückblick auf die Generation in der Nachkriegszeit beschrieb Hurrelmann die Jugend damals als eine Gruppe, die ihr Überleben durch Arbeiten und Anpacken sicherte. Die darauffolgenden Geburtenjahrgänge der 1940 bis Mitte der 1950er-Jahre hätten davon profitieren können: Die Wirtschaft sei langsam wieder in Gang gekommen, es habe eine freie Wahl an Studiengängen gegeben, die Menschen seien politisch interessiert gewesen und hätten die Auseinandersetzung mit ihren Eltern gesucht. Hurrelmann beschrieb diese Generation als „Inbegriff der Revolutionäre“. Die „Babyboomer“ dann hätten dieses Revoluzzertum fortgesetzt. Eine Geburtenzahl von 1,4 Millionen hätte Kämpfe um die besten Plätze in Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt impliziert.
Generation X und Generation Y
Im Vergleich zu der Kategorisierung der „Babyboomer“ und der „Nachkriegskinder“ täten sich Generationenforscher, laut Hurrelmann, schwer, für die nachfolgende Generation der 1970 bis 1985 Geborenen ein richtiges Lebenskonzept zu definieren. Der Jugendforscher beschrieb die hier Geborenen als „Generation X“, die an Elternhaus gebunden, planlos und teilweise in der „Null-Bock-Haltung“ verharrend gölten. Eltern seien Vorbilder gewesen, um undefinierte Lebensentwürfe abzufangen. Die jetzigen nachwachsenden jungen Ärztinnen und Ärzte, geboren zwischen den Jahren 1985 und 2000, bestimmten die „Generation Y“ oder „why – warum“. Deren Bedürfnisse, deren Denken und Handeln gelte es zu verstehen und auf die heutigen Anforderungen in der Berufswelt zu übertragen. Mehr denn je verstünden es die „Ypsiloner“, Kosten und Nutzen jeglicher Entscheidungen präzise gegeneinander abzuwägen, Möglichkeiten, Chancen und Risiken auszuloten. Was sie präge, so Hurrelmann, sei ein starker Ego-Bezug, eine permanent kritische und analytische Sicht auf all die Entscheidungen, die sie treffen. Ihre Entscheidung für einen Beruf treffen sie in Abwägung mit ihren anderen Bedürfnissen nach Verwirklichung im Job und einer Familiengründung. „Jede Praxis, die es schafft, diese jungen Leute zu gewinnen, ist vorne dran“, erklärte Hurrelmann. Der ärztliche Berufsstand könne nur profitieren von der digitalen Kompetenz der jungen Menschen, von deren Engagement. Als evolutionäre Revolutionäre veränderten „Ypsiloner“ die Arbeitswelt, brächten neue Impulse, die auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zielten, neue, kooperative und flexible Arbeitsverhältnisse erlaubten. „Zu wissen, wie die junge Generation tickt, deren Lebensentwürfe kennen und diesen folgen – nur dann sind wir auch offen für neue Impulse“, so Hurrelmann.
Patientenversorgung im „Ypsilon-Zeitalter“
BLÄK-Präsident Dr. Max Kaplan verknüpfte in seiner Rede die von Hurrelmann skizzierten Bedürfnisse der Ypsilon-Generation mit den Ansprüchen, die die nachwachsende Ärztegeneration heute äußert. „Was bedeutet das für unsere Gesellschaft des langen Lebens, für die Medizin und letztlich für die Patientenversorgung?“, fragte er eingangs das Auditorium. Wie ließen sich die demografischen, sozialen und technologischen Herausforderungen bewältigen? „Mit neuen Versorgungskonzepten, Offenheit für Innovationen, verbunden mit der nötigen Reflexion“, sagte Kaplan. Konkret ging es dem Präsidenten um interdisziplinäre und interprofessionelle Kooperationen. Dass dafür eine solide Finanzierungsgrundlage des Gesundheitswesens bereitstehen müsse, verstehe sich von selbst. Weitere Themen, die nach Auffassung Kaplans dringend vorangetrieben werden müssten, um die künftige Patientenversorgung mit dem ärztlichen Nachwuchs bei veränderten demografischen Herausforderungen sicherzustellen, seien: die Neuregelung des Zugangs zum Studium, eine zielgerichtetere Auswahl der Studierenden, mehr Praxisnähe im Studium und eine Stärkung der Allgemeinmedizin. „Der Masterplan Medizinstudium 2020 soll dazu beitragen, die medizinische Versorgung auch in der Zukunft flächendeckend zu sichern“, begrüßte Kaplan die Pläne der Bund-Länder-Arbeitsgruppe.
Der Präsident machte deutlich, dass die BLÄK – genau wie die Studierenden selbst – die von der Bund-Länder-AG geforderte Landarztquote ablehnt. „Die junge Generation will selbst entscheiden, wo sie arbeitet. Wir dürfen hier nicht zu viel regulieren“, mahnte Kaplan und betonte, die Attraktivität der Arbeitsbedingungen auf dem Land erhöhen zu müssen. Kaplan forderte ein Umdenken hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Wunsch nach Teamarbeit, flachen Hierarchien und Flexibilität – Bedingungen, die auch die Generation Y erwarte. Nicht nur in der ärztlichen Ausbildung, auch hinsichtlich der ärztlichen Weiterbildung und Fortbildung erwarte die nachwachsende Generation größere Wahlfreiheit, mehr Flexibilität, Teilzeit und vor allem auch die Möglichkeit, berufsbegleitend lernen zu können.
Kooperationen und „Arztsein“
Weiter sprach er über Kooperationen mit anderen Gesundheitsberufen. Hier müsse der Teamgedanke vorherrschen, sollten die Kooperationen mit anderen Gesundheitsberufen weiterentwickelt werden. „Mehr Kooperation und mehr Delegation bergen enorme Potenziale gerade für uns Ärztinnen und Ärzte“, machte Kaplan klar, was die Gäste mit Applaus bekundeten. Anspruch müsse sein, Berufs- und Berufsbildungskonzepte, insbesondere bei der Akademisierung der Gesundheitsfachberufe, mitzuentwickeln und mitzugestalten. Hierdurch werde die Attraktivität sowohl des Arztberufs als auch der anderen Gesundheitsberufe gestärkt. Da mittlerweile eine Vielfalt an Studiengängen bestünden, sei es sinnvoll, ein neues bundesweit einheitliches Berufsbild im Sinne der Delegation positiv zu begleiten: den „Physician Assistant“. Genauso wichtig sei es, den Gesundheitsberufen eine positive Perspektive zu geben, wie zum Beispiel der Medizinischen Fachangestellten (MFA) durch curriculare Fortbildungen und einer Aufstiegsfortbildung zur Fachwirtin oder gar bis zu einem Bachelor-Abschluss. Erklärtes Ziel sei ganz klar: Ärzte sollten angesichts demografischer und epidemiologischer Entwicklungen entlastet werden und sich wieder auf das eigentliche „Arztsein“ konzentrieren. Gleichzeitig machte Kaplan klar, dass die Diagnose- und Indikationsstellung beim Arzt bleiben müsse. Zu den Modellprojekten „Blankorezept“ sagte Kaplan: „Eine Festlegung der Behandlung könne durch den Therapeuten erfolgen, sofern dieser auch die Haftungs- und vor allem die Budgetverantwortung übernehme und dies zunächst in der Projektphase unter Einbeziehung der Ärzteschaft evaluiert wird. Kaplan schloss mit dem Appell, angesichts des fortwährenden Generationenwandels, die Vielfalt der jugendlichen Lebenswelten in die Konzepte und Überlegungen zum ärztlichen Nachwuchs und zur Patientenversorgung mit integrieren zu müssen. „Das Festhalten an der alten Denke kommt uns auf Dauer teuer zu stehen und verhindert den notwendigen Wandel“, betonte der Präsident die Notwendigkeit von Veränderungen.
Sophia Pelzer (BLÄK)
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