Rückkehr zur Normalität in der zweiten Jahreshälfte

Professor Dr. Christian Bogdan, Ordinarius und Institutsdirektor am Institut für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene des Universitätsklinikums Erlangen und Mitglied der STIKO

Die Ständige Impfkommission (STIKO) entwickelt Impfempfehlungen für Deutschland und berücksichtigt dabei nicht nur deren Nutzen für das geimpfte Individuum, sondern auch für die gesamte Bevölkerung. Mitte Dezember 2020 hatte sie ihre Empfehlung zur COVID-19-Impfung veröffentlicht. Da anfangs nur eine begrenzte Menge an Impfstoffdosen zur Verfügung stand, sollten diese nach der Empfehlung der STIKO dafür genutzt werden, um die Anzahl schwerer Krankheitsverläufe und Sterbefälle möglichst schnell zu reduzieren. Die Impfung sollte daher zunächst Personen über 80 Jahren und Bewohnerinnen und Bewohnern in Alten- und Pflegeheimen angeboten werden. Diese sind besonders gefährdet. Gleichzeitig empfahl die STIKO die Impfung von medizinischem Personal mit sehr hohem Ansteckungsrisiko und Personal in der Altenpflege.
Die Corona Pandemie hat die Arbeit der STIKO sicherlich stärker in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Ein Gespräch mit Professor Dr. Christian Bogdan, Mitglied der STIKO seit 2011.

Was sind die Aufgaben der STIKO – kurz zusammengefasst?
Bogdan: Die gesetzlich definierte Aufgabe der STIKO ist die Ausarbeitung von Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen sowie zu anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe von Infektionskrankheiten.

Wie ist der Ablauf des Prozesses der Impfempfehlung?
Bogdan: Der Prozess beginnt mit der Festlegung der Impfziele, der zu impfenden Population und der klinischen Endpunkte bezüglich Impfstoffwirksamkeit und Impfstoffsicherheit. Daran schließt sich die systematische Sichtung und Auswertung der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Literatur an. Ein zentraler Punkt ist die Bewertung der Evidenzqualität der relevanten klinischen Studien. Der systematische Literaturreview ist dann die Basis für die wissenschaftliche Begründung der Impfempfehlung. Nach mehrfacher und eingehender Diskussion im gesamten STIKO-Gremium wird der beschlossene Entwurf der Impfempfehlung danach dem Gemeinsamen Bundesausschuss, den Bundesländern sowie den Fachgesellschaften zur Stellungnahme vorgelegt. Falls sich aus den Rückmeldungen notwendige Änderungen und Ergänzungen ergeben, so werden diese von der STIKO in der Empfehlung berücksichtigt, bevor diese dann im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts publiziert wird.

Wie lange dauert in der Regel so ein Verfahren?
Bogdan: Dies hängt sehr von der Frage ab, ob es sich um einen neuen Impfstoff und eine bisher nicht vorhandene Impfempfehlung handelt oder um die Überarbeitung einer bereits bestehenden Empfehlung. Weitere Einflussfaktoren sind die Quantität und Qualität der zur Verfügung stehenden Daten sowie natürlich die Dringlichkeit, die sich unter anderem aus der Inzidenz und Bedrohlichkeit einer Infektionskrankheit für die Bevölkerung ergibt. Im Falle von COVID-19 war die STIKO-Impfempfehlung innerhalb weniger Monate fertiggestellt, in anderen Fällen kann es durchaus ein Jahr oder auch länger dauern.

Fühlten sie sich (politisch) unter Druck gesetzt?
Bogdan: Spätestens seit Publikation der ermutigenden Immunogenitäts- und Verträglichkeitsdaten der Phase 1 und 2 klinischen Studien zu den mRNA-Impfstoffen und dem Beginn der Phase 3-Studien im vergangenen Juli war klar, dass sich die STIKO mit diesen Impfstoffen alsbald intensiv beschäftigen muss. Entsprechend haben wir bereits im Frühsommer mit der Arbeit begonnen. Es ist vollkommen klar, dass ohne eine pandemische Infektionssituation die Frequenz der virtuellen Treffen der zuständigen STIKO-Arbeitsgruppe bei weitem nicht so hoch gewesen wäre.

Ist zu befürchten, dass die Sorgfalt auf der Strecke blieb?
Bogdan: Diese Frage kann ich eindeutig verneinen. Gerade weil es sich um neuartige Impfstoffe handelt, war der Austausch zu Aspekten der Sicherheit und Wirksamkeit in der STIKO sehr intensiv und durch zahlreiche virtuelle Treffen geprägt.

Eine große Rolle spielt auch die Priorisierung, oder?
Bogdan: Ohne Zweifel mussten wir uns besonders mit der Frage beschäftigen, welche Personengruppen als erste geimpft werden sollten. Dies hatte zwei wesentliche Gründe: Zum einen war zu erwarten, dass zumindest initial nicht genügend Impfdosen für alle Interessierten zur Verfügung stehen würden. Zum anderen galt es natürlich möglichst schnell diejenigen zu schützen, die entweder ein hohes Risiko haben, schwer an COVID-19 zu erkranken und daran zu versterben, aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit ein sehr hohes eigenes Infektionsrisiko aufweisen, oder hochvulnerable Menschen ärztlich und pflegerisch versorgen.

Ist die Priorisierung auch bei anderen Impfungen von großer Bedeutung?
Bogdan: Nein. Priorisierungsempfehlungen waren in der Vergangenheit allenfalls dann notwendig, wenn bei bestimmten Impfstoffen vorübergehend Lieferschwierigkeiten bestanden.

Gibt es spezielle Risikogruppen bei der COVID-19-Impfung, beispielsweise Schwangere?
Bogdan: Mit Ausnahme von Personen, von denen bekannt ist, dass sie eine Allergie gegen eine Komponente des Impfstoffs haben (zum Beispiel Polyethylenglykol), gibt es derzeit keine definierten Kontraindikationen. Was Schwangere anbetrifft, so liegen bisher keine ausreichenden Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der mRNA-Impfstoffe in der Schwangerschaft vor. Entsprechend empfiehlt die STIKO derzeit, Schwangere allenfalls dann gegen COVID-19 zu impfen, wenn aufgrund von Vorerkrankungen ein hohes COVID-19-Erkrankungsrisiko besteht und eine entsprechende Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgt ist.

Wann werden wir eine Durchimpfung der bayerischen Bevölkerung erreicht haben, sodass wieder Veranstaltungen, Partys und Konzerte stattfinden können?
Bogdan: Da bereits jetzt erkennbar ist, dass in den nächsten Monaten vermutlich weitere Impfstoffe zugelassen werden, sollte es möglich sein, spätestens bis Ende des Jahres zwei Drittel der bundesrepublikanischen Bevölkerung zu impfen. Dazu bedarf es im Vergleich zu den ersten beiden Januarwochen ungefähr einer Vervierfachung der Zahl der durchgeführten Impfungen pro Zeiteinheit. Zudem ist saisonal im Sommer mit einer deutlichen Abnahme der SARS-CoV-2-Infektionen zu rechnen. Beides wird dazu beitragen, dass eine langsame Rückkehr zu der genannten Normalität in der zweiten Jahreshälfte durchaus realistisch ist.

Wie schätzen Sie die Impfakzeptanz in Bayern ein?
Bogdan: Insgesamt gehe ich von einer guten Impfakzeptanz in Bayern aus. Aufgrund der bekannten regionalen Unterschiede bei anderen Impfungen im Freistaat wird Bayern aber wahrscheinlich nicht zu den bundesrepublikanischen Spitzenreitern beim Impfen gehören.

Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dagmar Nedbal (BLÄK)

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