Unfallchirurgie – highlighted

Unfallchirurgie - highlighted

Noch vor Jahren wurde die Unfallchirurgie von großzügigen Zugängen ins Operationsgebiet dominiert. Heutzutage geht der Trend zu minimalinvasiven Techniken und Zugängen, die kürzere Inzisionslängen mit geringeren Zugangsmorbiditäten, einer schnelleren Wundheilung und einer geringeren Belastung für den Patienten ermöglichen.

 

Fall 1

Unfallhergang und Verlauf

Ein 25-jähriger junger Mann wird intubiert und beatmet luftgebunden mit Notarztbegleitung um 17:10 Uhr in unseren Schockraum verbracht. Laut Übergabeprotokoll des Hubschraubernotarztes war der junge Mann als Motorradfahrer auf der Landstraße einem wendenden Pkw mit hoher Geschwindigkeit aufgefahren. Er war initial reanimationspflichtig. Nach ca. drei Minuten setzte der Eigenrhythmus mit tastbaren Pulsen am Hals ein und es wurde mit einer Infusionstherapie begonnen. Bei offensichtlicher Amputationsverletzung des linken Unterarmes erfolgte die Anlage eines Tourniquets am linken Oberarm. Zudem fand sich eine offene Mehrfachverletzung des linken Beines mit Femurtrümmerfraktur, Patellafraktur und Unterschenkeltrümmerfraktur, eine sogenannte Kettenverletzung.

Die unmittelbar nach Ankunft im Schockraum durchgeführte FAST-Sonografie (Focused Assessment with Sonography for Trauma) zeigte massiv freie Flüssigkeit im Abdomen bei hochgradiger Kreislaufinsuffizienz trotz Druckinfusionen sowie peripher nicht tastbarem Puls. Als Ultima Ratio in Anbetracht der bevorstehenden Verblutung des Patienten entschied sich das Schockraumteam zur offenen Arteriotomie in der rechten Leiste und Einführung eines endovaskulären Aortenkatheters (REBOA = Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta). Es erfolgte die sich an anatomischen Landmarken orientierende Positionierung des REBOA-Katheters in Zone 1 (Abbildungen 1, 2, 3) auf Höhe des Sternums und die Insufflation des Ballonkatheters mit 20 ml NaCl. Dadurch wurde die Blockung der thorakalen Aorta um 17:16 Uhr erzielt. Physiologisch kam es zu einer dramatischen Umkehr der Schocksymptomatik von Seiten der kardiopulmonalen Situation. Ein systolischer Blutdruck von 180 mmHg konnte mittels Blutdruckmanschette am rechten Oberarm abgeleitet werden. Der Patient wurde notfallmäßig in den Operationssaal gebracht. Folgende operative Maßnahmen wurden durchgeführt: Crash-Laparotomie, Splenektomie, Packing von Leber und Niere, Packing des Bauchraumes mit temporärem Bauchdeckenverschluss. Die Deflation des REBOA-Katheters erfolgte um 17:45 Uhr nach 29 Minuten.

 

Im Anschluss an die Operation wurde eine Ganzkörper-CT-Untersuchung zur Vervollständigung der Diagnostik durchgeführt. Folgendes Verletzungsmuster zeigte sich nach OP und CT-Diagnostik (Abbildung 4):

• Lungenkontusion bds., Pneumothorax bds.
• IV° Nierenruptur links
• IV° Leberruptur, vor allem der Segmente 5, 6, 7
• V° Milzruptur
• Femurtrümmerfraktur links
• Patellafraktur links
• Unterarmamputation links
• Unterschenkelmehrfragmenttrümmerfraktur links
• Schädelbasisfraktur, V. a. diffus axonalen Schaden.

Anschließend wurde der Patient erneut in den OP verbracht und die lebensrettenden operativen Erstmaßnahmen komplettiert. Es wurde ein Fixateur externe am Femurschaft angelegt sowie eine Amputation des linken Unterschenkels und des linken distalen Oberarmes durchgeführt. Nach diesen Damage-Control-Maßnahmen zur effektiven Blutstillung ging der Patient zur weiteren Stabilisierung auf die Intensivstation.

Am vierten postoperativen Tag verstarb der Patient bei schwerem axonalen Hirnschaden.

Diskussion

Mithilfe der Aortenokklusion mittels REBOA-Katheter gelingt eine sofortige Blutstillung unterhalb der Blockung. Die Indikation zur Anlage ist eine gemeinsame Entscheidung des Schockraumteams und als Ultima Ratio zu sehen bei drohender Verblutung, die nicht auf stabilisierende Maßnahmen reagiert. Anatomisch lassen sich zwei Zonen für eine mögliche Katheterplazierung definieren. Zone I in der Aorta descendens vom Abgang der A. subclavia bis zum Truncus coeliacus und Zone III in der infrarenalen Aorta bis zur Bifurkation. Die Zone II ist definiert als non-occlusion Zone und bezeichnet die vizerale Aorta mit Abgang der arteriellen Gefäße für die Bauchorgane. Eine Blockung in Zone I wird bei Abdominalverletzungen durchgeführt, eine Blockung in Zone III bei Beckenverletzungen. Die Okklusion sollte so kurz wie möglich angestrebt werden, da bei längerer Ischämiezeit mit Komplikationen zu rechnen ist (die Studienlage zeigt Ischämiezeiten von 30 bis 40 Minuten für Blockierungen in Zone I und bis zu 60 Minuten in Zone III).

Die Anwendung eines Kathetersystems zur temporären Aortenokklusion beim Schwerstverletzten mit drohender Verblutung ist derzeit in der Traumatologie ein vieldiskutiertes Thema, wenngleich diese Technik nicht neu ist. Zum Beispiel kommt in der Gefäßchirurgie beim rupturierten Aortenaneurysma das sogenannte „Endo-Clamping“ zum Einsatz. Damit konnte die Überlebensrate deutlich angehoben werden.

Der vorliegende Fall beschreibt die „erfolgreiche“ Anwendung nun in der Traumachirurgie. Wie bei jeder Anwendung einer neuen Technik sind auch hier weitere Studien zur Evaluierung und Weiterentwicklung notwendig. Auf europäischer Ebene werden sämtliche Anwendungen von REBOA-Kathetern im sogenannten „UK-REBOA Trial“ erfasst [1].

Bis zum Vorliegen von eindeutigen Studiendaten ist der Einsatz von REBOA im Einzelfall genau auf Nutzen und Risiko abzuwägen. Um die Komplikationsrate zu minimieren, erfolgt in unserer Klinik die interdisziplinäre und interprofessionelle Schulung aller im Schockraum tätigen Kolleginnen und Kollegen.

Schulungsinhalte

• Indikationsstellung und Entscheidungsfindung im Team.
• Anwendung des Kathetersystems an der Arteria femoralis (Seldinger/Cut down).
• Abdominalverletzung: Zone 1, Beckenverletzung: Zone 3.
• Technik der Deflation des Katheters.


Fall 2

Unfallhergang und Verlauf

Ein 60-jähriger Motorradfahrer erleidet einen Unfall und wird analgosediert, aber wach, in den Schockraum unserer Klinik eingeliefert. Bei Verdacht auf Beckentrauma wurde vom Notarzt am Unfallort ein Beckengurt zur temporären Stabilisierung des Beckens bei Verdacht auf Beckenverletzung angelegt (Abbildung 5). Die durchgeführte Traumaspirale zeigt, neben Unterschenkelfrakturen, beidseits eine Beckenverletzung mit Fraktur des oberen Schambeinastes und auffälliger Weite der Ileosakralgelenk-Fugen (ISG-Fugen) beidseits (Abbildungen 6 a und b). Da die Traumaspirale mit Beckengurt durchgeführt wurde, erfolgte anschließend noch eine konventionelle Beckenübersichtsaufnahme mit geöffnetem Beckengurt. Hier zeigte sich das volle Ausmaß der Verletzung im Sinne einer Beckenring-C-Verletzung mit einer „Open-Book-Verletzung“ des vorderen Beckenrings und beidseitiger hinterer Instabilität mit Symphysensprengung (Abbildung 7). Der Beckengurt wurde sofort wieder verschlossen und der Patient notfallmäßig in den OP verbracht. Im Sinne des Damage-Control-Prinzips erfolgte nun die Anlage eines supraazetabulären Beckenfixateurs zur primären notfallmäßigen Stabilisierung. Drei Tage später erfolgte die definitive Stabilisierung des Beckens mit beidseitiger ISG-Verschraubung dorsal und einer Sechs-Loch-Symphysenplatte (Abbildungen 8 und 9), welche über einen minimalinvasiven Zugang laparoskopisch eingebracht wurde. Der aus der Hernienchirurgie bekannte Zugang ist dabei die minimalinvasive Variante des für die offene Technik verwendeten modifizierten Stoppazugangs (Abbildung 10). Dafür benötigt man insgesamt drei Portalzugänge à ca. 2 cm Länge. Die Operation wird mit den üblichen laparoskopischen Instrumenten durchgeführt. Die benötigte Platte kann über eines der distalen Portale eingeführt werden.

Die Sprengung der ISG-Fugen beidseits wird über je eine kleine perkutane Inzision am hinteren Beckenring ebenfalls minimal invasiv mit zwei 8,5 mm kanülierten Schrauben stabilisiert (Abbildung 8).

 

Der Patient wurde an zwei Unterarmgehstützen mobilisiert. Aufgrund der Mehrfachverletzung gelang die Mobilisation nur schrittweise. 4,5 Wochen nach dem Unfall konnte der Patient in die Rehabilitation entlassen werden.

Diskussion

Die Beckenring-C-Verletzung ist eine vertikal und horizontal hochinstabile Verletzung mit Beteiligung des vorderen und hinteren Beckenrings, die einer notfallmäßigen operativen Stabilisierung bedarf. Immer wieder kommt es dabei auch zu lebensbedrohlichen inneren Blutungen aus den Beckenarterien und -venen. Hier gibt es ebenfalls Fallbeispiele, die mittels REBOA-Katheter (Fallbeispiel 1) im Schockraum kreislaufstabilisiert werden konnten.

Alle Verletzungen, bei denen die wesentlichen Strukturen des hinteren Beckenrings nicht verletzt sind, gelten als vertikal stabil, die reine Open-Book-Verletzung beinhaltet eine Symphysensprengung mit einer einseitigen Ruptur der anterioren Bandstrukturen der ISG-Fuge und wird als horizontal instabil, vertikal aber stabil eingestuft.

Klassifikation der Beckenverletzungen

• Typ A: stabil
• Typ B: rotatorisch instabil
• Typ C: rotatorisch (horizontal) und vertikal instabil

Bei den A-Frakturen handelt es sich um Beckenringverletzungen ohne Stabilitätsverlust. Beispiele hierfür sind Beckenrandfrakturen oder Sacrumquerfrakturen. Die B-Verletzung ist gekennzeichnet durch eine anteriore Ringdurchtrennung mit partieller Verletzung der dorsalen Ringstrukturen. Hierzu zählt die Open-Book-Verletzung. Bei der C-Verletzung kommt es zur Translation einer Beckenhälfte.

A-Frakturen werden in der Regel konservativ behandelt. B- und C-Verletzungen müssen dagegen operativ stabilisiert werden.

Der minimalinvasive Zugang zur Symphyse lässt aufgrund der kleinen Schnitte eine niedrigere Zugangsmorbidität erhoffen. Dies ist jedoch noch Inhalt gegenwärtiger Studien.

Fall 3

Hergang und Verlauf

Ein 86-jähriger Patient, internistisch vorerkrankt (bekannte Osteoporose, Vitamin D-Mangel, keine Kortisontherapie), stellt sich mit immobilisierenden Rückenschmerzen in unserer Notaufnahme vor. In der Anamnese finden sich Insuffizienzfrakturen LWK 2 bis 4 mit bereits durchgeführter Kyphoplastie des LWK 4. Ein Sturzereignis ist nicht erinnerlich. In der körperlichen Untersuchung zeigen sich starke lumbale Rückenschmerzen mit Druck- und Klopfdolenz über der Lendenwirbelsäule. Ein sensomotorisches Defizit findet sich nicht. Keine Harnblasen- und Mastdarmentleerungsstörungen. Die durchgeführte Röntgendiagnostik mit CT von Becken und LWS zeigt eine Sinterungsfraktur des LWK 2 (Abbildung 11). 

Aufgrund der starken Schmerzen, die sich auch unter konservativen Therapiemaßnahmen nicht besserten, erfolgte im Verlauf die Kyphoplastie des LWK 2, sowie die zementaugmentierte Spondylodese LWK 1 auf LWK 3 mit Schrauben-Stab-System (Fixateur interne). Der Fixateur interne wurde minimalinvasiv über vier kleine Zugänge paravertebral zur Wirbelsäule eingebracht. Postoperativ konnte der Patient rasch wieder mobilisiert werden und wurde am zwölften postoperativen Tag in die geriatrische Rehabilitation entlassen.

Diskussion

Die Inzidenz für osteoporotische Wirbelkörperfrakturen beträgt ab dem 50. Lebensjahr 234/100.000 für Männer (ca. 0,6 Prozent) und 371/100.000 für Frauen (ca. 1,1 Prozent) [2].

Risikofaktoren sind eine bekannte Osteoporose, Alter, Sturzneigung und Medikamenteneinnahme (Kortison, Immunsupressiva). In Deutschland haben ca. fünf Millionen Menschen in der Knochendichtemessung einen DXA-T-Score unter -2,5 Standardabweichungen.

Die Arbeitsgruppe „Osteoporotische Frakturen“ (OF) der Sektion Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) hat die sogenannte OF-Klassifikation und den OF-Score erarbeitet. Sie beinhaltet fünf Gruppen, nach denen die Morphologie der frakturierten Wirbelkörper beschrieben wird (Tabelle).



Tabelle: Kriterien zur Berechnung des OF-Score

Der OF-Score leitet eine Therapieempfehlung aus den folgenden Parametern ab:

• Morphologie der Fraktur
• Knochendichte
• Dynamik der Sinterung
• Schmerz
• Neurologie
• Mobilisation und
• Gesundheitszustand des Patienten.

Klassifikation der osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen

• OF 1: Keine Deformierung, nur mittels MRT sichtbar
• OF 2: Fraktur einer Endplatte ohne oder mit geringer Hinterwandbeteiligung
• OF 3: Fraktur einer Endplatte mit ausgeprägter Hinterwandbeteiligung
• OF 4: Fraktur beider Endplatten mit ausgeprägter Hinterwandbeteiligung
• OF 5: Distraktions- oder Rotationsverletzung

Bei der Kyphoplastie wird mittels eines perkutan über die Pedikel eingebrachten Ballons die Spongiosa verdichtet und der frakturierte Wirbelkörper aufgerichtet. In den entstandenen Hohlraum wird anschließend Zement injiziert. Bei Frakturen mit einer höhergradigen Deformierung (OF Grad 3 und höher) ist eine alleinige Kyphoplastie in der Regel nicht mehr ausreichend, um Stabilität zu erzielen. Hier werden Schrauben-Stab-Systeme (Fixateur interne) verwendet. Im osteoporotischen Knochen haben sie jedoch eine höhere Lockerungsrate, deshalb kann mithilfe einer Zementaugmentation mit PMMA-Zement (Knochenzement) die Ausrissfestigkeit der Schrauben erhöht werden. Mögliche Komplikationen sind ein Zementaustritt aus dem Wirbelkörper und ein steigendes Risiko für Anschlussfrakturen, da der zementierte Wirbelkörper an Festigkeit gewinnt. Im dargestellten Fallbeispiel bestand ein OF Grad 4. Zur Behandlung wurde eine Kyphoplastie und dorsale Stabilisierung mittels Schrauben-Stab-Konstruktion in einer „Hybridversorgung“ kombiniert. Die seit einigen Jahren entwickelten Schrauben-Stab-Systeme können dabei minimalinvasiv über vier ca. 3 cm lange Schnitte paravertebral eingebracht werden (Abbildung 13).



 Abbildung 13: Minimal-invasiver Zugang 12. Tag nach Fadenzug.

Bei der minimalinvasiven Methode muss im Gegensatz zum offenen Vorgehen nicht die autochtone Rückenmuskulatur abgeschoben werden. Dadurch können die Zugangsmorbidität und die postoperativen Schmerzen gemindert werden.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.

Autoren


Dr. Angelika Trapp


Dr. Michael Lang


Professor Dr. Fabian Stuby

 

BG Unfallklinik Murnau gGmbH,
Professor-Küntscher-Straße 8,
82418 Murnau/Staffelsee

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