Von Chlorhühnchen und Heuschrecken

Dr. med. Max Kaplan

Die EU verhandelt derzeit mit den USA über die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) bzw. mit Kanada über das „Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen“ (CETA). Ziel ist eine stärkere Öffnung der Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks. Zudem sollen Einschränkungen für kommerzielle Dienstleistungen verringert, Investitionssicherheit und Wettbewerbsgleichheit verbessert und der Zugang zu öffentlichen Aufträgen auf allen staatlichen Ebenen vereinfacht werden. Doch gegen die Freihandelsabkommen formulieren in Europa zahlreiche Organisationen Kritik, wie auch jüngst die Vorsitzenden der verkammerten Heilberufe in Deutschland. Standen bisher vor allem Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte sowie der Umweltschutz im Zentrum der Kritik, müssen auch die Auswirkungen auf unser Gesundheitswesen hinterfragt werden.

Abbau von Schutzmechanismen

Zu Symbolen für den Abbau von Schutzmechanismen sind das Chlorhühnchen, das nach einer Liberalisierung infolge der Handelsabkommen auch auf bayerischen Tellern landen könnte, und ein gelockerter Datenschutz – „Big Data“ – geworden. Doch wie steht es um unser Gesundheitswesen, um den Patientenschutz, um die Sicherung unserer medizinischen Qualität oder um die Teilhabe Aller am medizinischen Fortschritt? Könnten TTIP und CETA Bedrohungen für unser staatlich reguliertes, korporatistisches Gesundheitssystem bedeuten? Die „Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung“ ist zu wahren, so steht es in Art. 168 Abs. 7 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU, woraus die europäische Vielfalt bei den Gesundheitssystemen resultiert. Die EU hat die Sonderstellung des Gesundheitssystems erkannt und die Gesundheitsdienstleistungen als besonders sensibel, allgemeinwohlbezogen und schützenswert beurteilt, die nicht mit marktorientierten Dienstleistungen gleichgesetzt werden können. Daher sind sie auch von der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen.

Freiberuflichkeit und Gemeinwohl

TTIP und CETA dürfen die Behandlungsqualität, den schnellen Zugang zur Gesundheitsversorgung und das hohe Patientenschutzniveau in Deutschland nicht beeinträchtigen. Unser Gesundheitswesen ist geprägt von den Prinzipien der Selbstverwaltung und der Freiberuflichkeit. Gerade die Gemeinwohlbindung, der wir Ärztekammern und wir Ärzte als Angehörige der Freien Berufe unterliegen, trägt in erheblichem Maß zu diesem hohen Niveau bei. Die Mitgliedstaaten der EU müssen in Fragen der Gesundheitspolitik und der Ausgestaltung der Gesundheitssysteme ihre Souveränität beibehalten. Eine weitere Verschärfung der Versorgungslage durch eine noch stärkere Ökonomisierung der Medizin würde das bisherige Niveau der Patientenversorgung nachhaltig gefährden. Kapitalinteressen dürfen medizinische Entscheidungen nicht (noch mehr) beeinflussen, wollen wir auch künftig trotz sinkender Ressourcen und angesichts einer Gesellschaft des langen Lebens mit zunehmend multimorbiden Patienten weiterhin einen hohen Qualitätsstandard gewährleisten.

Märkte regulieren

Mag das Chlorhühnchen kulinarisch zwar nicht gerade eine Gaumenfreude sein, so ist es aber bei Verzehr in normalen Mengen weitgehend ungefährlich. Für die möglichen Folgen des Abkommens auf dem Gesundheitssektor gilt das nicht. Wie wird künftig die Markteinführung von Arzneimitteln und Medizinprodukten vonstattengehen? Werden auch bei uns künftig die sogenannten „Medical Procedure Patents“ zugelassen oder werden wir Ärzte künftig noch die Freiheit haben, alle Behandlungsmöglichkeiten zum Wohl unserer Patienten auszuschöpfen? Vor allem mit Blick auf die Souveränität der Staaten bleibt die kritische Frage: Wird es auch in Zukunft möglich sein, die eigenen Märkte zu regulieren und das System solidarisch finanzierbar zu erhalten? Diese Frage ist gerade für den Bereich der Gesundheitsversorgung von existenzieller Bedeutung, denn in kaum einen Markt greift der Gesetzgeber heute schon so stark ein wie in den Gesundheitssektor – von „A wie Arzneimittel“ bis hin zu „Z wie Zweitmeinung“. Dabei setzt sich auch die EU immer wieder über das Souveränitätsgebot im Gesundheitssektor hinweg, etwa mit ihren Bestrebungen, medizinische Leistungen zu normieren, wie Leistungen der ästhetischen Chirurgie und ästhetische nicht-chirurgische ärztliche Dienstleistungen sowie die Osteopathie. Ein weiteres Beispiel liefert der „Gemeinsame Ausbildungsrahmen“ nach Artikel 49a der EU-Richtlinie 55/2013/EU, der vorsieht, dass neue Berufsbilder in der EU eingeführt werden können, wenn nur eine genügend große Anzahl an Mitgliedsstaaten oder Organisationen sich dafür aussprechen, wie beim „Health Care Assistent“.

Nicht-öffentliche Schiedsgerichte

Meine Kritik an TTIP und CETA richtet sich freilich nicht gegen den Abbau bürokratischer Hürden oder den freien Handel bzw. zähle ich mich sicher nicht zu den Globalisierungsgegnern per se. Sie richtet sich aber gegen die Fokussierung auf die Interessen von Unternehmen sowohl im Bereich der Medizinprodukte als auch von Trägern stationärer und ambulanter Einrichtungen, den sogenannten „Heuschrecken“. Bedenklich stimmen mich zudem die in den Abkommen vorgesehenen nicht-öffentlichen Schiedsgerichte, vor denen Unternehmen gegen Staaten klagen können, wenn sie sich in ihren unternehmerischen Freiheiten eingeschränkt sehen – mit hohen Schadenersatzforderungen. Daher mein Plädoyer: TTIP und CETA dürfen unser Gesundheitswesen mit seinen solidarischen Elementen und das hohe Niveau der Patientenversorgung nicht unterlaufen.

Top