Zukunft gestalten

Dr. Marlene Lessel

„Nie wieder ist jetzt!“ – so lautet der Name der Resolution, mit der die Abgeordneten des 128. Deutschen Ärztetages in Mainz in klaren Worten die zentrale Bedeutung von Demokratie, Pluralismus und Menschenrechte für den ärztlichen Beruf hervorgehoben haben. Ein wegweisender Beschluss in der guten Tradition des Genfer Gelöbnisses. Denn das Zusammenwirken von Ärztinnen und Ärzten aus verschiedenen Nationen und Kulturen bereichert die ärztliche Arbeit, ist unerlässlich für die Gewährleistung der ­Patientenversorgung, für wissenschaftliche Exzellenz und medizinischen Fortschritt. Mit weiteren wichtigen Resolutionen haben die Abgeordneten unter anderem strengere Regelungen für das Sponsoring von ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen festgelegt, eine angemessene Vergütung des praktischen Jahres im Medizinstudium gefordert und, vollkommen zu Recht, die unsägliche Forderung der Regierungskommission „für eine moderne Krankenhausversorgung“ abgelehnt, das leistungsfähige Netz von Facharztpraxen in Deutschland abzuschaffen. Ernst nehmen sollte die Politik auch den Appell des Deutschen Ärztetages, endlich den Herausforderungen einer Gesellschaft des langen Lebens zu begegnen und die Zukunft der Gesundheitsversorgung zielgerichtet zu gestalten.

Denn aufgrund des demografischen Wandels, neuer Behandlungsmöglichkeiten und der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels wird der Bedarf an Ärzten in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Gleichzeitig beobachten wir einen zunehmenden Trend zur Anstellung und Teilzeitarbeit, gerade unter der jungen Ärzteschaft. Beide Entwicklungen zusammengenommen könnten zu ärztlicher Unterversorgung in großen Teilen des Landes führen, besonders aber im ländlichen Raum. Was ist also zu tun? Zum einen braucht es mehr Niederlassungsförderungen und zusätzliche humanmedizinische Studienplätze, um der ärztlichen Ruhestandswelle entgegenzuwirken. Zum anderen muss Vollzeitarbeit wieder attraktiver werden. Die Hauptgründe für Teilzeit sind zunehmende Bürokratie und Arbeitsverdichtung sowie der Wunsch der jungen Generation nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es kann nicht sein, dass sich Ärzte etwa drei Stunden täglich mit der Dokumentation ihrer Arbeit, mit dem Ausfüllen von Formularen und anderen administrativen Aufgaben beschäftigen müssen, anstatt das zu tun, wofür sie brennen und ausgebildet wurden: Ihre Patientinnen und Patienten zu behandeln. Grundsätzlich begrüße ich deshalb das von Bundesgesundheitsminister Lauterbach angekündigte Entbürokratisierungsgesetz für das Gesundheitssystem. Es bleibt aber abzuwarten, ob es in der Praxis halten wird, was der Name verspricht. Ein entscheidendes Problem für junge Ärztinnen ist auch der desaströse Zustand der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen in Deutschland rund 430.000 Kita-Plätze. Der theoretische Rechtsanspruch auf eine Kindertagesbetreuung, der seit 2013 auch für Kinder unter drei Jahren gilt, kann tatsächlich für ­hunderttausende Menschen nicht erfüllt werden. Die Konsequenz: Viele Mütter bleiben komplett zu Hause oder arbeiten in Teilzeit, um eine Betreuung für ihre Kinder sicherzustellen. Eine vollkommen untragbare Situation angesichts des hohen Fachkräftebedarfs im Gesundheitswesen. Damit mehr Ärztinnen mit Kindern in unseren Praxen und Kliniken Vollzeit arbeiten und ihre Weiterbildung in der Regelzeit abschließen können, braucht es unbedingt schnellere Fortschritte beim Ausbau von Kita-Angeboten. Die Politik sollte sich dieses Themas endlich prioritär annehmen.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie die Weiterbildung in Kliniken und Praxen für junge Ärzte attraktiver gestaltet werden könnte. Diese stehen häufig vor der schwierigen Aufgabe, ihre Weiterbildung selbst organisieren zu müssen. Eine Lösung bieten Weiterbildungsverbünde, die als regionale Netzwerke die komplette Weiterbildung aus einer Hand garantieren und zudem eine hohe Qualität der Weiterbildung sicherstellen. Während im hausärztlichen Bereich in Bayern bereits flächendeckend Weiterbildungsverbünde etabliert wurden, sind diese in den fachärztlichen Bereichen aber leider noch unterentwickelt. Deshalb mein Appell an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Gründen Sie zusammen mit unserer Koordinierungsstelle Fachärztliche Weiterbildung (KoStF) regionale Weiterbildungsverbünde und engagieren Sie sich für die Weiterbildung einer neuen Ärztegeneration. Weitere Infos zur KoStF sind unter www.kostf-bayern.de zu finden.

Widerspruchslösung jetzt!

Unter dem Motto „Richtig. Wichtig. Lebenswichtig.“ fand am 1. Juni 2024 der Tag der Organspende statt. Die Aktion verfolgt das Ziel, möglichst viele Menschen auf das wichtige Thema Organspende aufmerksam zu machen und zum Ausfüllen eines Organspendeausweises zu bewegen. Das Grundproblem: Noch immer erklären sich viel zu wenige Menschen in Deutschland zur rettenden Organspende bereit. So warteten zum Jahresende 2023 rund 8.500 Patienten auf ein Spenderorgan. Dieser großen Zahl standen aber nur 965 postmortale Spender und 608 Lebendspender gegenüber. Die bittere Konsequenz dieses Missverhältnisses: Jedes Jahr sterben ca. 1.000 Menschen, weil es kein passendes Organ für sie gibt. Positiv sehe ich deshalb eine aktuelle Bundesratsinitiative zur Einführung der seit langem diskutierten Widerspruchslösung. Das heißt konkret: Wenn eine verstorbene Person zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organspende widersprochen hat, könnte sie zum Organspender werden. Darüber hinaus begrüße ich ausdrücklich die aktuellen Überlegungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zur Neuregelung der Lebendspende im Transplantationsgesetz. Unter anderem ist geplant, Überkreuznierenlebendenspenden zu erlauben, um den Pool an Nierenspendern zu vergrößern. Die Cross-Over-Lebendspende wurde bereits vom 125. Deutschen Ärztetag 2021 in Berlin gefordert. Wünschenswert wäre aber, wenn sich das BMG bei der Reform des Gesetzes enger mit relevanten ärztlichen Gremien abstimmen würde, etwa mit den Landesärztekammern und ihren Lebendspendekommissionen.


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