Zunehmende Antibiotikaresistenzen

Zunehmende Antibiotikaresistenzen

Die schleichende Pandemie
Wie kann der Kampf gegen zunehmende Antibiotikaresistenzen vorangebracht werden? Und welche Möglichkeiten gibt es, die Entwicklung neuartiger Antibiotika zu fördern? Das waren die zentralen Fragen, über die Mitte November im Rahmen einer Veranstaltung unter dem Titel „Die schleichende Pandemie“ in der Brüsseler Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union (EU) diskutiert wurde. Ausrichter war die Bundesärztekammer (BÄK) in Kooperation mit der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) und dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP). Die rund 180 geladenen Vertreterinnen und Vertreter von EU-Institutionen, Bund, Ländern, Unternehmen und Verbänden konnten sich auf zahlreiche interessante Grußworte und Vorträge freuen, unter anderem von Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt sowie von Dr. Gerald Quitterer, Präsident der BLÄK.

„Antibiotika sind heute unverzichtbare Therapeutika zur Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten. Sie werden allerdings nicht mehr nur in der Humanmedizin verwendet, sondern in massiver Weise auch in der Veterinärmedizin und der Landwirtschaft“, erklärte Quitterer zu Beginn seiner Ansprache. Dieser oftmals verschwenderische Einsatz habe allerdings seinen Preis. 80 Jahre nachdem Penicillin die Medizin revolutionierte, hätten zahlreiche Antibiotika an Wirkung verloren. „Viele Bakterien konnten sich aufgrund eines erhöhten Selektionsdrucks anpassen und Resistenzen gegen die einstigen Wundermittel entwickeln“, so Bayerns Ärzte­kammerpräsident. Gleichzeitig habe es in jüngerer Zeit bei der Entwicklung neuer wirksamer Antibiotika kaum Fortschritte gegeben. Die bittere Konsequenz: 2019 seien weltweit 1,27 Millionen Menschen an Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien gestorben. 2050 könnten es bis zu zehn Millionen im Jahr sein. Um das Problem der zunehmenden Antibiotika­resistenzen zu lösen, müsse laut Quitterer dessen inflationärer Gebrauch gesenkt werden. Dafür brauche es einen umfassenden „One Health“-Ansatz, der über einzelne Maßnahmen im Gesundheitsbereich hinausgehe. „Konkret heißt dies etwa: Im Agrarsektor müssen wir den Einsatz von Antibiotika weiter reduzieren. Denn noch immer werden in einigen europäischen Ländern in der Landwirtschaft mehr Antibiotika eingesetzt als in der Humanmedizin“. Darüber hinaus bedeuteten schwindende Lebensräume für Wildtiere, verursacht durch den Klimawandel, zunehmende Mobilität und industrielle Landwirtschaft, generell eine stärkere Verbreitung von Zoonose-Erregern, welche zwischen Mensch und Tier übertragen werden können. Damit ­gehe fast automatisch ein steigender Einsatz von Anti­infektiva einher. „Eine global denkende, auf die Zukunft ausgerichtete Gesundheitspolitik, muss deshalb der Bekämpfung des Klimawandels, der Erhaltung der natürlichen Habitate der Tierwelt sowie der Biodiversität höchste Priorität einräumen“, führte Quitterer weiter aus.



Abbildung 1: Austausch zwischen Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek und Ärztekammerpräsident
Dr. Gerald Quitterer im Nachgang der Veranstaltung (v. li.).

Staatsminister Holetschek forderte in seiner Rede eine verstärkte Antibiotika-Entwicklung und -Produktion in der EU. „Wir brauchen mehr Innovation. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden in den vergangenen fünf Jahren nur zwölf neue Antibiotika weltweit zugelassen. Bei vielen neuen Medikamenten entwickeln Bakterien aber innerhalb von zwei bis drei Jahren schon Resistenzen.“ Darüber hinaus könne die erhöhte Produktion von Antibiotika in der EU auch die Importabhängigkeit von Asien reduzieren: „China ist für rund 40 Prozent der weltweiten Antibiotikaexporte verantwortlich. Eine der Lehren aus der Coronapandemie ist, dass wir solche Abhängigkeiten verringern müssen.“ Außerdem beugten die strengen ­europäischen Produktions- und Umweltstandards einem Eintrag von Antibiotika in Gewässer stärker vor als dies in vielen Drittstaaten der Fall sei. Der Minister kritisierte in seiner Rede auch die Pläne der deutschen Bundesregierung für die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die geplan-ten Änderungen beim Bewertungsverfahren für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sowie weitere Preisregulierungen belasteten pharmazeutische Unternehmen überproportional. Dies schade dem Arzneimittel­standort Deutschland nachhaltig.

Abbildung 2: Von links: BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt, BLÄK-Präsident Dr. Gerald Quitterer, Dr. Marc Gitzinger, Präsident der europäischen Biotech-Vereinigung „BEAM-­Alliance“, Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, Olga Salomon, Leiterin des Referats „Arzneimittel: Politik, Zulassung und Überwachung“ der EU-Kommission, Dr. Catharina Van Wee-zenbeck, Direktorin für Überwachung, Prävention und Kontrolle von Antibiotikaresistenzen der WHO, Professor Dr. Norbert Suttorp, ehemaliger Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité Berlin, Moderatorin Kristine August vom Helmholtz Büro Brüssel und Wolfgang Philipp, kommissarischer Direktor der Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen der EU-Kommission in der Brüsseler Vertretung des Freistaats Bayern bei der EU.

BÄK-Präsident Reinhardt beklagte in seinem Impulsvortrag hingegen, dass in den vergangenen Jahren mehrere große europäische Pharmaunternehmen die Entwicklung neuartiger Antibiotika eingestellt hätten. Dieser Trend müsse dringend gestoppt werden, denn er stelle eine Gefahr für die Patientenversorgung dar. Neue Anreizsysteme müssten dafür sorgen, dass Antibiotika für die Entwickler auch dann profitabel seien, wenn sie als Reserve für die Behandlung von schweren Erkrankungen bei Menschen vorgehalten würden. Mögliche Lösungsvorschläge hatte Reinhardt auch parat: „Es wäre beispielsweise denkbar, das Verwendungsrecht für neuartige Antibiotika zu vergüten – unabhängig von der eingesetzten Menge“. Außerdem sprach sich der Präsident ebenso wie Quitterer für einen ratio­nalen und verantwortungsbewussten Einsatz von Antibiotika aus, um Selektionsprozesse und die Entwicklung von Resistenzen einzudämmen. Dies gelte besonders für die von der Weltgesundheitsorganisation für die Behandlung von Menschen als „essenziell“ eingestuften Antibiotika.  

Eine moderierte Podiumsdiskussion zum Thema, an der Vertreter der WHO, der Wissenschaft und der Pharmabranche teilnahmen, rundete das Veranstaltungsprogramm ab.

    
Autor
Florian Wagle (BLÄK)




Top