Zur Geschichte der Lungen­sanatorien in Bayern

Lungensanatorien in Bayern

In Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie werden derzeit weltweit neue Lungenkrankenhäuser behelfsmäßig errichtet – meist in aller Eile, ohne architektonisches Konzept. Bis vor 50 Jahren gab es in Bayern ein engmaschiges Netz von Sanatorien für Lungenkranke. Bei den Anlagen wurden nicht nur besonders pittoreske Baugrundstücke ausgewählt, sondern es wurde auch auf eine besonders hochwertige Innenausstattung geachtet. Diese Einrichtungen waren für Patientinnen und Patienten mit Lungentuberkulose vorgesehen, einer heute in unseren Breiten fast vergessenen bakteriellen Volksseuche (insgesamt sind derzeit weltweit aber noch über zehn Millionen Menschen an Tuberkulose erkrankt). In den 1960er und 1970er Jahren war die Zahl der Tuberkulösen so sehr rückläufig, dass die Lungenheilstätten immer weniger ausgelastet waren und entbehrlich wurden. Oft fanden Umwandlungen in Rehakliniken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen statt.

Vor SARS-CoV-2 gab es laut Auskunft des Helmholtz-Lungeninformationsdienstes in ganz Bayern nur noch 14 Lungenkrankenhäuser: Rehakliniken für Lungenkrankheiten, Asthmazentren bzw. Fachkliniken für Pneumologie und Thoraxonkologie. Die ehemalige Lungenheilstätte Donaustauf bei Regensburg ist eine der wenigen historischen Tuberkulose-Einrichtungen in Deutschland, die heute noch einen pneumologischen Schwerpunkt haben. In Zukunft wird unter Umständen der Bedarf an solchen Einrichtungen wieder steigen.

Im Gegensatz zu SARS-CoV-2-Erkrankungen, die alle sozialen Schichten betrifft, aber für Ältere und Vorerkrankte besonders risikoreich ist, waren bei der Lungentuberkulose im 19. und 20. Jahrhundert vor allem junge Menschen aus besonders sozial schwachen Schichten großer Städte betroffen. Mit der Verabschiedung der deutschlandweit geltenden Sozialversicherungsgesetze 1889 bis 1891 konnten erstmals Arbeiter und Angestellte an einem zentral koordinierten Behandlungsprogramm teilhaben. Die neugegründeten Landesversicherungsanstalten sendeten die Kranken zu einem Genesungsaufenthalt in Heilstätten, die im Gebirge oder in Wäldern lagen. Es wurden aber nur Kuren für Kranke ermöglicht, bei denen die Aussicht auf Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit realistisch erschien [1].

Im Folgenden möchte ich exemplarisch zwei besondere Lungenheilstätten in Bayern vorstellen. Das 1908 fertiggestellte Sanatorium Hausstein am Rand des Bayerischen Waldes und die zeitgeschichtlich interessante Heilstätte im Lautergrund (Fränkische Schweiz), die – ein halbes Jahrhundert später – von der West-Berliner Landesversicherungsanstalt 1957 bis 1958 für Tuberkulosepatienten aus der geteilten Stadt errichtet wurde.

Das Sanatorium Hausstein (Bayerischer Wald)

Als erste Kureinrichtung für Tuberkulöse aus dem Mittelstand in Bayern wurde am 14. Juni 1908 das Sanatorium Hausstein am Südrand des Bayerischen Waldes eröffnet (Abbildung 1) [2]. Das neue Genesungsheim sollte ausschließlich der Mittelschicht dienen: Das betraf vor allem Offiziere, Ärzte, Geistliche und Landwirte sowie selbstständige Handwerker und Kaufleute, die im Sinne der neuen von Bismarck eingeführten Sozialgesetzgebung nicht versicherungsrechtlich geschützt waren, sich aber auch nicht privat einen Kuraufenthalt leisten konnten .

Vergleichbare Einrichtungen für den Mittelstand waren ab 1899 der Waldhof in Elgershausen (Hessen) und ab 1907 die Heilstätte Zeisigberg der Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker zu Berlin im brandenburgischen Müllrose [2].

Da in Hausstein nicht – wie bei den Einrichtungen für Arbeiter und Angestellte – eine vermögende Versicherung als Bauherrin auftrat, mussten fast zehn Jahre lang Spendengelder gesammelt werden. Zu diesem Zweck wurde 1898 ein „Verein zur Gründung eines Sanatoriums für Lungenkranke aus dem Mittelstande in Bayern“ in München gegründet [3].


Abbildung 1: Sanatorium Hausstein (aus dem Jahr 1908)

Das neue Sanatorium lag auf einer Höhe von 750 Metern an einem Südhang. Von den Liegehallen und Balkonen aus hatte man gen Süden einen wunderbaren Ausblick bis zu den Alpen bei Salzburg – und gen Osten auf die anderen Höhen des Bayerischen Waldes. Der Verein achtete bei der Auswahl der Heilstättengrundstücke stets darauf, den „in ihrer Gemütsstimmung oft sehr gedrückten Lungenkranken“ eine schöne Umgebung zu bieten ([2], Seite 245). Wie in den Heilstätten der Umgebung wurden aber auch in Hausstein nur Patienten aufgenommen, sofern „bei Durchführung des Heilverfahrens noch Aussicht auf Erfolg vorhanden“ war ([2], Seite 248).

Auch die Heilstätte Donaustauf (oberhalb von Regensburg) konnte durch gemeinnütziges Engagement ein paar Monate später, am 20. September 1908, eröffnet werden. Der „Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose in der Oberpfalz“ eröffnete auf einer Seehöhe von 426 Metern an einem Südausläufer des Bayerischen Waldes ein Haus für 62 männliche Patienten: Sowohl Versicherte als auch Selbstzahler aus dem Mittelstand wurden aufgenommen [2].

Besonders eindrucksvoll gestaltete sich von den Einrichtungen in Hausstein und Donaustauf aus der Blick auf die „kulissenartig sich vorschiebenden bewaldeten Höhen der letzten Ausläufer des bayerischen Waldgebirges. Ein entzückendes Rundgemälde von hohem landschaftlichen Reize, das sicher auch auf die erfahrungsgemäß oft an starker Gemütsdepression leidenden Kranken bei nur etwas Sinn für die Natur erfrischend und belebend wirken muss“ ([2], Seite 248).

Spaziergänge auf die Gipfel des Haussteins oder der Berge der Umgebung waren Bestandteil des Therapieprogramms. Dies war möglicherweise entscheidend dafür, dass das Sanatorium Hausstein im Volksmund „Davos im Bayerischen Wald“ hieß ([4], Seite 51).

Die West-Berliner Heilstätte Lautergrund

Ebenfalls interessant ist die Lungenheilstätte Lautergrund bei Schwabthal in der Fränkischen Schweiz (Abbildung 2). Das Haus hat seine Existenz dem Kalten Krieg zu verdanken. Die Berliner Bevölkerung war bei Kriegsende wegen Mangelernährung, Unterversorgung und psychischem Stress stark von Lungenkrankheiten betroffen. Trotz der Zulassung des Antibiotikums Streptomycin im Jahr 1943 war die Tuberkulose noch nicht besiegt. Die Heilstätten der Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin lagen aber ausnahmslos im Ostsektor der Stadt oder im Umland, das ab 1945 zur sowjetischen Besatzungszone gehörte.


Abbildung 2: Sanatorium Lautergrund (1958) - Foto: Hubert Weber/Sammlung Familie Fehn

Für die Westberliner Patienten mussten Ersatzheilstätten geschaffen werden: in Havelhöhe und Heckeshorn (beide am Wannsee, Westberliner Stadtrand). Die hier zur Verfügung stehenden Kapazitäten reichten bei weitem nicht aus. Viele Patienten mussten auf Anstalten in Westdeutschland verteilt werden. Der Vorstand der LVA Berlin fasste daher am 12. Januar 1955 den Beschluss, eine neue, stadteigene Anstalt für Tuberkulöse außerhalb Westberlins zu errichten.

Die Fränkische Schweiz und das Fichtelgebirge wurden nach Gründung der DDR zu neuen „Nah“-Erholungsgebieten der Westberliner. In Analogie dazu entstand die Überlegung, ein Westberliner Tuberkulosekrankenhaus in Franken entstehen zu lassen. Die LVA Berlin suchte nach einem geeigneten Bauplatz und wurde in der Nähe von Schwabthal (bei Lichtenfels) im Lautergrund fündig. Das Gelände entspräche „dem guten Klima Berlins – jedoch ohne ‚Großstadtdunstwolke‘“ ([5], Seite 4) – an einem Südhang der Fränkischen Schweiz auf einer Höhe von 412 Metern.

Die Bauarbeiten begannen im Mai 1957. Der Berliner Architekt Herbert Richter entwarf die moderne Heilstätte, beraten wurde er von Peter Poelzig, Leiter des Instituts für Krankenhausbau an der Technischen Universität Berlin und von dem designierten ärztlichen Direktor der Anstalt Lautergrund, Claus-Dieter Bloedner. Das Projekt kam rasch voran. Bereits am 29. November 1957 wurde Richtfest gefeiert; die Eröffnung fand ein Jahr später, am 8. November 1958 statt ([5], Seite 4).

Das 206 Meter lange Heilstättengebäude in Lautergrund wurde so errichtet, dass alle Patientenzimmer in Richtung Süden ausgerichtet waren. Insgesamt 320 Kranke konnten aufgenommen werden. Lautergrund galt in den 1950er Jahren als die modernste Lungenheilstätte Europas und sollte die berühmte Musteranstalt „Beelitz-Heilstätten“ bei Potsdam ablösen, die bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs von der LVA Berlin betrieben wurde [6].

Lautergrund wurde 1967 in eine Rehaklinik für Herz-Kreislauf-Patienten umgewandelt. Die ehemalige Heilstätte gehört heute der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg [9].

Hausstein schloss als Lungenklinik am 31. März 1975, nachdem es 1940 in das Eigentum der Stadt München übergegangen war. Nach mehreren Besitzerwechseln betreibt hier die Asklepios-Gruppe seit 1999 die Reha-Klinik Schaufling für neurologische, orthopädische, geriatrische und kardiologische Patienten [3].

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Hubert Weber

Eine architektonische Besonderheit der Heilstätte Lautergrund sind die Sgraffito-Arbeiten im Foyer und Treppenhaus sowie die bemalten Fenster – als Künstler war hier Hubert Weber (1920 bis 2013) aus Lichtenfels tätig. Weber erlangte nicht nur durch seine Kunst Berühmtheit, sondern dadurch, dass er zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1941 seine beiden Hände verloren hatte. Webers Vater fragte unverzüglich schriftlich den berühmten Chirurgen und Prothetik-Spezialisten Ferdinand Sauerbruch in Berlin um Rat. Sauerbruch telegraphierte knapp zurück: „Sofort kommen“ [7]. Der Soldat Weber wurde in die Berliner Charité überwiesen und von Sauerbruch innerhalb eines Jahres während des Krieges 16 mal an den Armen und Händen operiert:


Abbildung 3: Hubert Weber (2012)

„Nachdem zuerst der rechte Arm soweit wiederhergestellt war, daß er Anfang 1942 eine willkürlich bewegliche Sauerbruch-Prothese tragen und bedienen konnte, begann er naturalistische Federzeichnungen und Bleistiftzeichnungen anzufertigen. Sauerbruch war davon so angetan, welch’ feine Arbeiten er mit dieser Prothese ausführen könne, daß er ihn häufig mit in den Hörsaal nahm und ihn dort seine neu erworbenen Fähigkeiten demonstrieren ließ“ ([7], Seite 192).

Sauerbruch empfahl Weber nach den Operationen, bildender Künstler zu werden und verhalf ihm zu einem Studienplatz in der Nürnberger Akademie der Künste. Weber spezialisierte sich auf Sgraffito, Wand- und Fenstermalerei. Er erlangte lokale Berühmtheit in Oberfranken und wurde – bis ins hohe Alter – als „Maler ohne Hände“ bezeichnet [8].

Seine Arbeiten können unter anderem im Städtischen Krankenhaus Lichtenfels, der Kongresshalle Coburg, der Caritas-Kirche Nürnberg und der St. Konrad-Kirche Hof bewundert werden.

Autor


Dr. Andreas Jüttemann

Charité Universitätsmedizin Berlin,
Medizinische Fakultät der FU und HU Berlin,
Institut für Geschichte der Medizin, Thielallee 71, 14195 Berlin,
E-Mail: andreas.juettemann(at)charite.de,
Internet: http://medizingeschichte.charite.de

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