Zusatzbezeichnung Homöopathie

Abbildung: Wolfilser – stock.adobe.com

Auf der Agenda des 80. Bayerischen Ärztetags, der vom 15. bis 17. Oktober in Hof stattfinden wird, steht unter anderem die Neufassung der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns auf der Grundlage der Beschlüsse des 121. Deutschen Ärztetags 2018. Konkret geht es dabei um den Verbleib der Zusatzbezeichnung Homöopathie. Lesen Sie dazu im Vorfeld ein Pro- und Contra-Plädoyer.

Die Diskussion um die Zusatz-Weiterbildung ­Homöopathie in der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns ist bereits seit einiger Zeit am Laufen. Die Homöopathie ist so beliebt wie umstritten. „Medizinische Irrelevanz“ oder „ärztliche Behandlungsoption“ lauten die Positionen. Im Kern geht es beiden um die Evidenz. Deutschlandweit haben einige Landesärzte­kammern die Zusatzbezeichnung gestrichen, andere jedoch erhalten.

Die Delegiertenversammlung der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) wird voraussichtlich in Hof, am 80. Bayerischen Ärztetag, eine neue Weiterbildungsordnung beschließen – mit oder ohne die Zusatz-Weiterbildung Homöopathie. Stimmt die Mehrheit der Delegierten für den Erhalt der Qualifikation, bleibt es beim Alten. Stimmt eine Mehrheit für den Wegfall, kann, nach Ablauf einer Übergangsfrist, die Zusatzbezeichnung Homöopathie bei der BLÄK nicht mehr erworben werden; bereits erworbene ­Zusatzbezeichnungen sind aber weiter führbar.

Grund genug für das Bayerische Ärzteblatt, im Vorfeld des Bayerischen Ärztetags die beiden Lager auf den folgenden Seiten zu Wort kommen zu lassen. „Für den Erhalt der Zusatz-­Weiterbildung Homöopathie“ titelt der Pro-Beitrag, den Dr. Ulf Riker, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), verfasst hat. Mit „Zusatzbezeichnung Homöopathie – nicht mal ein Anachronismus“ ist der Contra-Beitrag von Dr. Christian Lübbers, Sprecher Informationsnetzwerk Homöopathie, überschrieben.

Dagmar Nedbal (BLÄK)

 

Für den Erhalt der Zusatz-Weiterbildung Homöopathie

Der Deutsche Ärztetag hat 2018 eine von der Bundesärztekammer vorgelegte Muster-Weiterbildungsordnung verabschiedet, in der ein Erhalt der Zusatz-Weiterbildung „Homöopathie“ explizit vorgesehen ist. Argumente für diese Zusatzbezeichnung haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht grundsätzlich geändert. Die wissenschaftliche Datenlage zur Homöopathie ist aber umfangreicher und eindeutiger geworden [1, 2, 3]. Eine Zusatz-Weiterbildung dient im Sinne des Nachweises für erworbene Kompetenz der Qualitätssicherung in der Patientenversorgung. Wir möchten folgende Gründe für den Erhalt anführen: 

» Im Zentrum des Diskurses muss die Patientensicherheit stehen. Sie wird unter der Obhut der Ärztekammer und durch die Regularien einer strukturierten Weiterbildung bestmöglich gewährleistet. Wie die aktuelle Forsa-Umfrage 2020 [4] belegt, nutzen 55 Prozent der Befragten Homöopathie, das sind in Deutschland ca. 30 Millionen Menschen. Vor diesem Hintergrund muss der entsprechende Kompetenzerwerb auf dem Boden fundierter ärztlicher Fort- und Weiterbildung erfolgen. Andernfalls tritt genau das ein, was immer wieder als Argument gegen ­Homöopathie vorgebracht wird: erforderliche andere Therapien könnten vernachlässigt oder verhindert werden. Damit dies nicht passiert, muss eine sorgfältige Abwägung zwischen Patientenwünschen und Möglichkeiten der Methode einerseits und ärztlich begründeter konventioneller Therapie andererseits erfolgen. Dies gelingt nur im Schutz ärztlicher Expertise, aber nicht im Umfeld alternativer „Heiler“.» Die jüngste Aufnahme der Homöopathie in die S3-Leitlinie Komplementärmedizinische Behandlung onkologischer Patienten [5] zeigt, dass Homöopathie im Evidenzlevel IIb als Methode Anerkennung findet. Die allgemeinen Anforderungen der evidenzbasierten Medizin (EbM) waren freilich schon vorher erfüllt, sofern nicht einseitig die externe Evidenz aus Studien in den Vordergrund gestellt wurde, sondern Patientenvorstellungen und ärztliche Erfahrung als gleichwertige Säulen der EbM akzeptiert bleiben – so wie es Sackett schon 1996 für die Praxis der EbM definiert hat [6].

» Ärztinnen und Ärzte bemühen sich auch im eigenen Interesse um größtmögliche Sicherheit in der Anwendung der Homöopathie, weil sie im Falle von Behandlungsfehlern oder Unterlassung gebotener Diagnostik und Therapie mit berufs- oder standesrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass für ärztliche Homöopathie entsprechend dokumentierte Hinweise für methodenbedingte Fehlbehandlungen oder Versäumnisse nie vorgelegt wurden. Dessen ungeachtet überschreiten Angriffe auf die ärztliche Homöopathie gelegentlich die Grenzen intellektueller Redlichkeit [7].

» Mündige Bürgerinnen und Bürger sind in der Regel durch eigene Recherchen bestens informiert und wissen mehr denn je über Wesen, Möglichkeiten und Grenzen der Homöopathie Bescheid. Sie werden von wissenschaftlich ausgebildeten, homöopathisch tätigen Ärzten selbstverständlich über Nutzen und Risiken dieser speziellen Therapiemethode ethisch korrekt aufgeklärt.

» In Bayern gibt es in Regie des Landesverbandes Bayern [8] im Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) seit ca. 18 Jahren das Fortbildungsmodul „Homöopathie im Dialog“. Experten aus allen Bereichen der konventionellen Medizin tauschen sich indikationsbezogen mit homöopathisch tätigen Kolleginnen und Kollegen aus. Dies ist ein spezifisch bayerischer Beitrag zur Patientensicherheit.

» Im Zuge zunehmender Bedeutung der evidenzbasierten Medizin findet auch im Bereich Homöopathie klinische sowie Grundlagenforschung statt. Inzwischen liegen zum Beispiel mehr als 1.000 fachwissenschaftliche Publikationen vor, die eine empirische Evidenz für die spezifische Wirksamkeit auch hochverdünnter potenzierter Arzneien in experimentellen Tier- und Pflanzenmodellen zeigen [9 bis 12].

» Homöopathie wird seit mehr als 200 Jahren und in über 80 Ländern weltweit mit Erfolg praktiziert, zum Beispiel in der Pädiatrie, der Schwangerenbetreuung oder der Palliativmedizin. Dabei kommt sie auf Wunsch der Patienten meist integrativ und nach sorgfältiger Abwägung zum Einsatz.» Der Landesgesundheitsrat Bayern hat – damals noch unter dem Vorsitz des heutigen Bayerischen Staatsministers für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek – in seiner Sitzung vom 15. Oktober 2020 eine Resolution zur Stärkung der (evidenzbasierten) Integrativen Medizin verabschiedet [13]. Dieser Ansatz ist wegen des hohen Stellenwertes der Homöopathie in der bayerischen Bevölkerung ohne die entsprechend kompetenten Ärzte nicht denkbar [14].

» Wir sind als homöopathisch tätige Ärzte Teil der bayerischen Ärzteschaft, was die selbstverständliche Bereitschaft zur fachgebietsübergreifenden Kooperation im ambulanten Bereich wie auch im Kontakt mit Klinikärzten einschließt.

Aus den genannten Gründen sollten die Delegierten des Bayerischen Ärztetags 2021 für den Erhalt der Zusatz-Weiterbildung Homöopathie stimmen. Nur so bleibt gewährleistet, dass die Praxis der Homöopathie auch zukünftig in ärztlicher Hand eine sichere Behandlungsoption bleibt.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden. 

Autor

 
Dr. Ulf Riker, Facharzt für Innere Medizin, Homöopathie, Naturheilverfahren, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), München

  

Zusatzbezeichnung Homöopathie – nicht mal ein Anachronismus

Die medizinische Irrelevanz von Homöopathie als spezifische Arzneimitteltherapie ist bei der vorliegenden Erkenntnislage unbestreitbar. Ist die Forderung, der Homöopathie Privilegien im Rahmen der ärztlichen Versorgung zu erhalten, angesichts dessen zu rechtfertigen?



Die Gesamtevidenz zur Homöopathie ist negativ, wie elf systematische Reviews seit 1991 ausnahmslos belegen. Dies entspricht dem, was nach wissenschaftlicher Validierung der ­homöopathischen Grundhypothesen empirisch zu erwarten ist. Inhaltlich übereinstimmend mit einer Vielzahl wissenschaftlicher und staatlicher Organisationen folgert der Beirat der Europä­ischen Wissenschaftsakademien (EASAC) in seiner Funktion als wissenschaftliche Beratungsinstanz der EU hieraus, „dass die Behauptungen zur Homöopathie unplausibel sind und nicht mit etablierten wissenschaftlichen Konzepten übereinstimmen“ und „die Anwendung von Homöopathie generell das Vertrauen der Patientinnen/Patienten und der Öffentlichkeit in die Natur und den Wert wissenschaftlicher Evidenz für die Entscheidungsfindung in der Gesundheitsversorgung untergräbt.“

Die Hürden für eine homöopathische Therapie in der ärztlichen Praxis sind folglich davon bestimmt, dass sie der Patientenschaft nicht als wissenschaftlich valide dargestellt werden kann. Anderes käme einer aktiven Täuschung gleich, wozu nicht noch die mögliche Fehlannahme beitragen darf, die Therapeutin/der Therapeut sei durch den Erwerb der „Ärztlichen Zusatzbezeichnung“ besonders qualifiziert – für eine Therapieform, die weder ein konsistentes System darstellt noch belegen kann, über Kontexteffekte hinauszugehen.

Hürden bestehen auch für einen Einsatz als ­Placebo. Sie wären nur zu überwinden, wenn eine informierte Übereinstimmung zwischen Ärztin/Arzt und Patient vorläge. Hierzu bedürfte es der ärztlichen Aufklärung, dass nach gültiger wissenschaftlicher Erkenntnis nicht mehr als ein Placeboeffekt zu erwarten sei und eines verstehenden Einvernehmens dazu auf der rezipierenden Seite. Dies erscheint praktisch unerreichbar angesichts der weit verbreiteten Wahrnehmung der Homöopathie als medizinisch relevante Methode, von der mehr zu erwarten sei, als ein Placeboeffekt.

Wenn ärztliche Therapeuten die Weiterbildungsinhalte zur Homöopathie als spezifische Arzneimitteltherapie ernst nehmen (weshalb sonst sollten sie das Procedere absolvieren) – werden sie auch nicht von einer Placebo-Gabe ausgehen. Dies aber widerstreitet der belegten negativen Gesamtevidenz der Methode und induziert eine objektiv nicht begründbare Therapieentscheidung. Dies setzt die Ärztekammer und ihre Weiterbildungsordnung dem Vorhalt aus, den eigenen Anspruch auf wissenschaftliche Objektivierbarkeit ihrer Weiterbildungsangebote zu diskreditieren. Insgesamt stellt sich dies als unauflöslicher Dissens dar.

Umso mehr, als es „die“ Homöopathie im Sinne eines anerkannten Kanons bekanntlich nicht gibt, stattdessen Varianten, interne Differenzen und offene Widersprüche innerhalb des Lehrgebäudes, die die homöopathische Gemeinschaft offenbar nicht willens und imstande ist, in einem wissenschaftlichen Kontext aufzulösen. Was allein schon die Relevanz und die Tragfähigkeit von „Weiterbildungen“ hierzu tiefgreifend in Frage stellt und offenbleibt, was an fachlich und ethisch validen Standards überhaupt vermittelt werden könnte.

Dem Einwand, Homöopathie müsse aus Gründen der Patientensicherheit in ärztlicher Hand verbleiben, ist schon dadurch zu begegnen, dass dann auch etliche andere Pseudotherapien in den ärztlichen Kanon inkorporiert werden müssten. Zudem ist gerade ihre Etablierung in der Ärzteschaft, zum Beispiel über Weiterbildungen und die ärztliche Zusatzbezeichnung, ein wesentlicher Grund für die verbreitete Fehlannahme, Homöopathie sei eine reale, bewährte und zuverlässige Therapieoption. Es gilt vielmehr, durch eine kritische Positionierung der Ärzteschaft genau dieser Annahme entgegenzuwirken. Patientensicherheit wird vor allem erreicht, wenn homöopathische Therapien gar nicht angeboten werden – gleich wo.

Der Weltärztebund führt in der „WMA Declaration on Pseudoscience and Pseudotherapies in the Field of Health” (2020) aus:

„Mit Unterstützung der relevanten Organisationen und Behörden, die an der Leitung und Regulierung des ärztlichen Berufsstandes beteiligt sind, müssen Ärzte die Medizin […] basierend auf der Anwendung kritischer wissenschaftlicher aktueller Erkenntnisse, fachlicher Fähigkeiten und ethischem Verhalten ausüben. […] Ärzte sollten darin geschult werden, Pseudowissenschaft/Pseudotherapien, logische Irrtümer und kognitive Verzerrungen zu erkennen und ihre Patienten entsprechend zu beraten.“

Eine Weiterbildung, die die Anwendung von Homöopathie als reale therapeutische Option zu vermitteln vorgibt, leistet eben dies genau nicht.

Ärzte genießen bei ihrer Berufsausübung viele Freiheiten – dazu gehört aber nicht, den wissenschaftlichen Kontext ihrer Profession nach Belieben zu verlassen und sicher nicht, dies über Weiterbildungsangebote und ärztliche Zusatzbezeichnungen auch noch zu institutionalisieren.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden. 

Autor


Dr. Christian Lübbers, Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Sprecher Informationsnetzwerk Homöopathie

Kontakt:
c.luebbers(at)globukalypse.org
www.twitter.com/drluebbers
www.netzwerk-homoeopathie.info

Top